wing chun von James Lee [Archiv] - Kampfkunst-Board

PDA

Vollständige Version anzeigen : wing chun von James Lee



SPQR
19-01-2003, 18:12
heute möchte ich einmal einem großen bedürfnis von mir nachgeben und J. lees wing chun buch "Wing chun kung fu" vorstellen. es erchien erstmals 1972 (ISBN 0-89750-037-7) und wurde schnell zum "bestseller".

da james lee einer der ersten amerikaner war, den bruce lee in usa kk-mäßig "beschulte", ist die vorstellung reizvoll, hier hinter james subjektiver adaption von gelernten, doch auch einen indirekten blick auf bruce lees "hongkong wing chun" zu werfen, das er ja, die erste zeit in usa noch praktizierte.

nun, was kann man da sehen?

zunächst gibt es eine darstellung des bekannten wing chun horsestance mit wendungen & auslagewechseln ("shift horse") und - die zugehörige schrittarbeit, zb sidesteps, aber auch sidesteps mit auslagewechsel (die der fortgschrittene mit einem! zirkelschritt erledigt) sind dargstellt. ich habe nur in einem wong-video aus den sechzigern nochmal eine ausführliche darstellung der wc-schrittarbeit gesehen.

als ich unter des bärtigem berühmtesten schüler wc lernte, wurde diese schrittarbeit noch anfängern gelehrt (zb gegen rundtritt scherengaan mit sidestep weg! vom tritt und mit auslagewechsel tiefem sidekick zum standbein lausao + fauststoß in den mann zurück), heute ist das ggf. schon eine sehr fortgeschrittene technik?

für mich das interessanteste an dem buch ist die heraustellung der wichtigsten prinzipien, es sind
- die theorie der zentrallinie (wird immer v.a. durch eine hand gedeckt)
- das konzept der unbeweglichen ellbogen (bleiben m.e. unbeweglich vor den unteren rippen)
- die "4-corner"-theorie (Pak, tan, gaan und Chumsao)
- das konzept der wirtschaftlichkeit der bewegung /gleichzeitigkeit von abwehr und angriff (einfachheit und direktheit der aktionen)
- die theorie des "facing" (frontale ausrichtung zum angreifer)

für alle diese ansätze gibts chinesische ausdrücke, es scheinen sich also um wing-chun typische strategien und nicht um amerikanisierte formen zu handeln

es folgt eine darstellung der SL!T, deren unterschiede zu heute wohl mehr was für ideologen ist, immerhin hat sie bruce james da noch gelehrt, später hielt bruce ja nichts mehr von formen (und ja auch nichts mehr vom horse-stance);

es folgt eine darstellung und kurze erläuetrung der hauptwaffen wie gerader fauststoß, fingerstich, handfächenstoß und gerader vorwärtskick und sidekick abwärts.

es folgen einige brauchbare anwendungen der kicks (auch der leg-obstruction).

dann kommt eine abhandlung über chisao, mit dem "berühmten" teil über "trapping", dessen sequenzen wohl als "raubkopien" auch in anderen "kung-fu"-büchern zu sehen waren. es handelt sich um trapping auf einfachem niveau wie u.a. um lap, jut und einfache armfesselungstechniken...

es folgt eine darstellung von abwehrkombos gegen faust- und fussangriffe ("parries", "defending the inside / outside gates"), basierend auf dem konzept der gleichzeitigkeit, wo - in meinen augen - nichts ungewöhnliches gezeigt wird, wie pak + faustsoß oder + Biusao, bong/lop + fauststoß usw.

der reizvolle teil dann wieder sind die im nächsten kapitel gezeigten angriffe: "attackin the inside / outside gates": wo, bitte schön, gibts schon angriffe vom wing chun gezeigt?

einige beispiele:

attack outside high:
a) biusao zu lapsao + fauststoß... (vgl. glover)
b) fauststoß tief + pak + fauststoß hoch (ok, wie bei glover)

attack inside high:
a) tandar (mit sidestep und auslagewechsel in den mann) + fausstoß) ... unpraktikabel: wer bleibt nach einem tan stehen und wartet auf den folgenden fausstoß?
b) pak + fauststoß zu bong/lop + fauststoß... bekannt gute technik!
c) auch eine technik mit jao sao wird gezeigt...

betrachtet man die angriffe unter heutigen gesichtspunkten, dann muss man sagen, dass sie nur gegen gegner funktionieren, die abwarten und blocken wollen, sie sind nicht gedacht gegen gegner, die distanz machen um sich zu verteidigen, denn die umständlichen schritte (zur seite nach außen und dann wieder zurück in den mann) kombiniert mit z.t. umständlichen vorbereitenden bewegungen (tan um einen block zu öffnen) sind viel zu umständlich und auch offensichtlich (richtig naiv fast) um gegen einen mobilen gegner zu funktionieren.

für alle an wing chun interessierten denke ich, ist es dennoch ein interessanten buch, weil es einen "offenen" ersten blick bietet, in die diversen felder dieses stils, die zt doch sehr mystifiziert werden.

meine bewertung: auch aus historischen gründen

**** lesenwert

grüsse

Dojokun
19-01-2003, 20:22
Daumen hoch!!

Sehr gute Rezension!!

Vielen Dank!

Dojokun