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Vollständige Version anzeigen : Karate in Japan und Deutschland



Jens S.
11-03-2003, 11:16
Hallo Stephan,

schön, Dich hier auch zu treffen (an unserem alten Treffpunkt ist z.Z. ja leider wenig los).

Daß sich die JKA mit detr JKF zerstritten hat, wußte ich noch nicht und überrascht mich auch, denn in der vor gar nicht so langer Zeit erschienenen Neuauflage des JKF-Kata-Kyohan werden die Shotokan-Katas von Hashiguchi Sensei demonstriert, der nach meinem Kenntnisstand immer noch zu den Hardcore-JKA'lern um Sugiura Sensei gehört.

Bei Deiner Einschätzung, daß Karate in Japan wohl zum großen Teil technisch gesehen einer hoffnungslosen Versportlichung anheim gefallen zu sein scheint, muß ich Dir recht geben. Ich hatte bis vor kurzem in meinem Dojo einen japanischen Studenten, der bei der JKA in Osaka übt, zu Gast. Das Training hier hat ihn zumindest diesbezüglich sehr positiv überrascht.

Für dein Buchprojekt wünsche ich Dir eine glückliche Hand. Ich hoffe, daß dieses Buch ein Gegengewicht zur heutzutage bisweilen anzutreffenden "Verphilosophierung" des Karate darstellen wird.

MfG
Jens Streich

ryuma
12-03-2003, 04:36
Hallo Jens...

Die Budo-Welt ist klein...

In Japan zerstreitet man sich ja nicht direkt... Man ist sich jedenfalls nicht gruen.

Es scheint viele zu geben, die zwar in der JKA sind, aber sich mehr auf den Turnieren der JKF tummeln. Die sind halt die "Offiziellen". Die JKA unterscheidet sich eigentlich auch nur durch ihre Kata und ein paar Kleinigkeiten von den anderen.

Was das Buchprojekt angeht: Ich will gerade auf die Ueberphilosophierung des Karate hinaus. Dabei werde ich heilige Kuehe schlachten...

Die Versportlichung sehe ich nicht negativ. Seit ich in Japan bin weiss ich, dass Karate Wettkampfsport ist und war, das war schon Nakayamas Intention. Und es ist als Sport nach Deutschland gegangen. Daher kann ich die "Rueckorientierung" auf "traditionelles Karate" nicht nachvollziehen. Karate ist in Japan trotz Wettkampf genau das, was manche in ihrer Ueberphilosophierung sehen wollen. Warum trennen wir das in Deutschland? Es muss ja niemd auf Turniere gehen.

Die Studenten und die Highschool-Schueler allerdings sind ausschliesslich Wettkaempfer und daher oft nur auf Kumite oder Kata spezialisiert. Wenn man denen erzaehlt, dass man mit den Oyo der Kata auch kaempfen kann, fallen die vom Glauben ab. Die hoeren aber auch nach ihrer Schulzeit meistens mit Karate auf. Das ist nur ein Abschnitt in ihrem Leben.

In Kyoto war es andersherum: Wir hatten einen Franzosen zu Gast. Der Kerl tat mir nur leid: Staendig "Oss, oss!", bis alle schmunzelten. Er kam zwar vom Schotokan, machte aber Kumite nur mit Kata-Techniken (offene Haende, kurze Stellungen, Ellenbogentechniken usw.). Der haette im jiyu-kumite keine Sonne gesehen, weil sein Karate viel zu statisch war. Sensei meinte spaeter, ich solle ihm doch mal hoeflich klar machen, dass er sich schon mal umziehen koenne. Das ganze wurde ihm zu gefaehrlich...

Gruss

Jens S.
12-03-2003, 12:09
Hallo Stefan,

dann ist alles noch viel schlimmer, als ich eigentlich dachte. ;-)

In meiner kleinen Welt habe ich mich natürlich auch damit abgefunden, daß unser heutiges Shotokan vielerorts reine sportliche Betätigung mit Wettkampfbezug ist.
Jedoch bin ich der Auffassung (und so hat es mir mein Lehrer eingetrichtert, der immerhin Nakayama-Schüler war), daß sich das JKA-Shotokan gerade dadurch auszeichnet, daß man mit ihm AUCH Wettkampfsport betreiben kann. Wenn sich das AUCH in ein NUR wandelt (wie es in Japan Deinen Berichten zufolge gängig zu sein scheint), ist man bei der Gratwanderung abgestürzt. Das ist sinngemäß so i.Ü. auch bei Nakayama nachzulesen.

Du scheinst dort in Japan in einem Anti-JKA-Pro-JKF-Sport-Dojo zu üben (Uni, gell?)!? ;-))))

Da fällt mir übrigens noch was ein: Zu diesem Thema paßt super, was Nakayama Sensei im Hassell-Interview zum Schluß sagte. Nämlich die Sache mit Anton Geesink ... Ergo: Lassen wir sie nur machen ...

Beste Grüße
Jens

ryuma
13-03-2003, 12:00
Hallo Jens...

"Nur" Sport gesagt habe ich nicht gesagt, aber Do und Sport haben in Japan eine andere Klasse als bei uns. Und sie sind dort weitaus besser vereinbar als es in Deutschland der Fall sein wird. Wir wollen immer noch wie Bruce Lee sein, und damit man uns keine Neigung zur Brutalitaet vorwerfen kann, labern wir immer von Do und der Philosophie. Alles Bloedsinn. (Aber wie Du zitiert hast, ich lasse sie mittlerweile alle machen...)

Das, was wir am Karate verteufeln, ist z.B. beim Kendo schon immer so gewesen. Aber niemand wirft dem Kendo Versportlichung vor.

Mein Dojo ist eigentlich nicht Anti-JKA, mein Sensei ist selbst Nakayama-Schueler gewesen. Und das Dojo ist privat.

Kussi

Ulrike
13-03-2003, 12:02
Hi Stephan "Ryuma" Luellig,

ich bin ein neues Mitglied hier im Forum und betreibe seit einigen Jahren Shotokan-Karate.
Was ich da von Dir lese lieber Stephan (was ist eigentlich Ryuma..) gibt mir zu denken.

Ich sehe es so, daß es in Deutschland sehr wohl 2 Richtungen im Karate gibt: die Sportkarateka und die Traditionalisten; ich nenne es einfach mal so. Diese Entwicklung hat sicherlich seinen Grund. Wie kann ein älterer Mensch, zu denen ich mich auch zähle, mit der sportlichen Variante mithalten? Karate als Selbstverteidigung macht für mich Sinn; das ist einer der Hauptgründe, warum ich es betreibe. Selbstverteidigung lerne ich nur bei der traditionellen Linie des Karate, so habe ich es jedenfalls erfahren, als ich mir vor Jahren einige Dojos angesehen habe.

Du schreibst: "Er kam zwar vom Schotokan, machte aber Kumite nur mit Kata-Techniken (offene Haende, kurze Stellungen, Ellenbogentechniken usw.). Der haette im jiyu-kumite keine Sonne gesehen, weil sein Karate viel zu statisch war. Sensei meinte spaeter, ich solle ihm doch mal hoeflich klar machen, dass er sich schon mal umziehen koenne. Das ganze wurde ihm zu gefaehrlich...

Ich weiß zwar nicht, was es für ein Karateka war dieser Franzose, aber dieses Karate, was in den Nahkampf geht als statisch zu bezeichnen... naja...
Jiyu-kumite ist doch auch nicht nur Kampf auf mittlerer Distanz mit schönen erlaubten Techniken, die im Wettkampf gemacht werden. Also für wen kann es hier gefährlich werden... Ich habe jedenfalls gehört (weiß nicht ob es stimmt), dass schon bekannte Wettkämpfer keine Sonne gegen einen Straßenschläger gehabt haben. Aber vielleicht hat der Franzose sich ja wirklich blöd angestellt.

Nun aber ein Satz, der mich etwas irritiert hat: "Was das Buchprojekt angeht: Ich will gerade auf die Ueberphilosophierung des Karate hinaus. Dabei werde ich heilige Kuehe schlachten..."

Was meinst Du denn damit? Es hört sich ziemlich überheblich an. Willst Du das ganze Budo verleugnen, dass nun Bestandteil des Karate ist? Viele Menschen suchen diese Hintergründe und selbst ich fühle mich dadurch "geborgen" und gut aufgehoben in meiner Kampfkunst. Ich glaube es liegt immer am Lehrer, der diese Hintergründe vermittelt bzw. dazu in der Lage ist, sie zu vermitteln.

MfG
Uli

PS: "Opinions are like assholes - everybody has one" (Dirty Harry)
Was heißt das auf Deutsch? naja...

Dojokun
13-03-2003, 12:32
Hallo Ulrike!

Erst einmal Herzlich Willkommen im KKB.

Zu Deinem Posting:
Ich gebe Dir absolut Recht!!
Karate ist weit mehr als nur Sport.
Dass das Karate in Japan leider nicht überall, das ist, was wir uns vorstellen, wurde an anderer Stelle schon sehr ausführlich diskutiert.
Was aber nichts an der Richtigkeit Deiner Aussage ändert!!

Ich sehe mich als "traditioneller" Karateka.
Auch darüber gab es lange Diskussionen, was das genau ist.
Ich habe meine persönliche Meinung darüber, und diese praktiziere und lebe ich.

Meine persönliche Meinung zu den Postings von Stephan:
Dass viele Dinge vielleicht überbewertet werden kann durchaus sein.
Aber man hüte sich vor Pauschalisierungen....

Ein Beispiel ist der Gebrauch des Wörtchens "Oss".
In Japan wird es mancherorts nicht gebraucht.
Aber heißt das, dass man es nirgens benutzt?
Oder:
In Japan wird Sportkarate betrieben.
Frage dazu: Überall??
Und wird einem Gaijin immer alles gezeigt und gesagt?

Ich möchte niemanden kritisieren!!
Aber ich denke, man sollte etwas vorsichtig sein.


Zu dem Buchprojekt:
Es könnte interessant werden.
Aber: Ist es nicht eigentlich der Bärtige, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, "Heilige Kühe" zu schlachten?
Und warum hat er das??


Hmmm, Karate ist eine sehr vielschichtige Angelegenheit.
Sie reicht vom Sport über Selbstverteidigung, Show, Esoterik, Selbstdarstellung etc. bis hin zur Kunstform.
Das ermöglicht es jedem, seine Sparte zu finden, unabhängig von Alter und körperlicher Konstitution...
Ich finde nicht alle dieser Richtungen gut, aber das verlangt (hoffentlich) auch niemand.

Mit nachdenklicher Miene


Dojokun

Sebastian
13-03-2003, 13:55
Wenn es im Handel ist, darfst du gerne hier die ISBN Nummer posten ;)

Bin schon gespannt ;)

ryuma
13-03-2003, 13:59
Wird evtl. privat veroeffentlicht. Genaues weiss ich noch nicht. Ich sitze noch am Manuskript. Ich rechne mit der Fertigstellung im Herbst, mit der Veroeffentlichung auf privater Basis zum Jahresende...

Dojokun
13-03-2003, 14:10
Da bin ich aber gespannt!!

Dojokun

Ulrike
13-03-2003, 16:29
Hi Stephan,

Meine Meinung zu Deinen Fragen:

„Nachdem ich in Japan richtig auf den ***** gesetzt worden bin, was Karate angeht, habe ich angefangen nachzudenken, was z.B. Budo ist, und - wichtiger - wie wird es umgesetzt?“

Wer sagt denn, dass die Japaner nun unbedingt DIE Ahnung von Karate haben müssen? Ist es nicht eher so, dass wir uns in nichts hinter ihnen verstecken müssen? Wir als Europäer sind ebenfalls in der Lage ein gutes Karate zu machen, dafür muss ich nicht nach Japan fahren und auch keinen japanischen Sensei haben. Abgesehen davon, sind für mich die meisten Japaner, die ich auf Lehrgängen kennengelernt habe, brilliante Sportler, aber auch nicht mehr. Vielleicht kenne ich sie zu wenig, das mag natürlich sein. Wie es umgesetzt wird... naja darüber kann man noch Seiten schreiben und führt zu weit. Abgesehen davon, habe ich nicht die große Ahnung davon.

1)Koennen wir aus aus unserer aufklaererischen und gleichzeitig christlichen Mentalitaet heraus den Begriff Budo (als kulturelles Gut einer konfuzianisch gepraegten Gesellschaft) richtig verstehen?

Konfuze sagt: ja Stefan, das können wir! Vielleicht nicht so, wie die Asiaten; aber auf unsere "westliche" Art. Alle Glaubensrichtungen laufen letztendlich, an der Wurzel, auf ein und dasselbe heraus. Die Umsetzung und das Verständnis erfolgt nicht immer über unseren Verstand, über das Wissen, was wir glauben zu haben. Es ist das Gefühl und die Intuition, die uns den Weg zeigt. Dafür braucht man sicherlich einen guten Lehrer, der einem als Beispiel die Richtung weist. Deshalb betrachte ich es nicht als ein "kulturelles Gut", sondern als ein rein menschliches "Werden" und "Streben", unabhängig von verschieden geprägten Gesellschaften.

2)Koennen wir mit einem System von Kampftechniken (allgemein auf die Kampfkuenste bezogen), das Jahrhunderte alt ist und aus einem ganz anderen kulturellen Umfeld stammt, heute Selbstverteidigung machen?

Ja, davon bin ich fest überzeugt. Was „alt“ ist, ist auch gewachsen und gereift und muß deshalb nicht untauglich sein. Leider sind die Kata zu sehr verändert worden, da sportliche Aspekte und das Körperbetonte in den Fordergrund gerückt sind. Denk nur mal an die Techniken der offenen Hand, die durch Unverständnis in Fausttechniken verändert wurden. Schade, dass man nicht mehr weiß, wie die alte Naihanchi aussah...
Kampfkunst galt früher, vor Nakayama, nur der Selbstverteidigung. Ich glaube, ich las mal in diesem Interview mit ihm folgendes (sinngemäß): wenn ich mal in den Himmel komme, will ich nicht hoffen, dass Sensei Funakoshi mir eine Rüge erteilt, dass ich das sportliche Karate (oder Kumite ?) eingeführt habe... (ich glaube so hieß es).
Das sagt ja alles... oder etwa nicht Stefan? Was also fehlt sind eher gute Lehrer, auch unter den Japanern. Warum suchen wir nicht selbst in uns das "Verstehen der Kata"? Es ist doch eine rein individuelle Erfahrung und nicht die Vorgabe des Lehrers; dann wäre es ja wieder leere Form, nicht wahr?

3)Sind nicht wir es selbst, die das verachtete Sportkarate geschaffen haben, indem wir in Breiten- und Leistungsport trennen? In Japan tut man dies nicht. Das heisst nicht gleich, dass alle nur Karate machen, um auf Turniere zu gehen. Aber das Training unterscheidet sich nicht. Wer ist denn weiter von dem Ideal des "einen Karate" nach Funakoshi entfernt?

War es nicht Nakayama, der das sportliche Karate geschaffen hat?? Waren es nicht die Japaner?? Aber warum verachtet? Sportkarate ist ein Bestandteil des ganzen Karate... aber auch nur ein winziger Bestandteil!!! Leide bei uns überbetont!

4)Was bedeutet charakterliche Vervollkommnung (ist ja eine Maxime des Karate), wenn diese in verscheidenen Gesellschaften unterschiedlich definiert wird?

Hierüber könnte man nun selbst ein Buch schreiben. Dieser Begriff bezieht sich in erster Linie nicht auf eine Gesellschaft, sondern er definiert sich in jedem Menschen selbst. Eine stetige Selbstschau, das Verinnerlichen der Dojokun und nicht zu vergessen: die „richtige“ Übung des Karate oder einer anderen Form des Budo. Das Verstehen der Zusammenhänge zwischen Technik und der dahinterliegenden Philosophie. Ein Verstehen, was nicht durch den Intellekt begriffen werden kann. Also ich lerne eine Form, lese ein Buch über ZEN und paff: schon verstehe ich Karate. Nein das ist es natürlich nicht. Es bedarf einen guten Lehrer, der diesen Weg gegangen ist und der in der Lage ist diese „leeren Formen“ zu füllen. Erst dann wird man in seinem Wesen verändert werden. Nicht der Lehrer ändert den Menschen, die eigenen Erfahrungen der Schüler lassen sie wachsen und zu einem höheren Ideal streben.
Soweit ist es mein Verständnis über Kampfkunst.
Weiter schreibst Du noch folgendes: „Und was ist, wenn Ki gar nicht die geheimnisvolle mystische Kraft ist, sondern ein natuerliches Prinzip, das wir alle schon eingestzt haben?“

Du hast recht! Es ist natürlich keine geheimnisvolle mystische Kraft. Alle hier im Forum, die sich Jahre mit Qi-Gong beschäftigen, wissen darum. Nur wer trainiert es wirklich täglich neben seinem Karate oder im Karate? Oder was ist die Bedeutung von KIHON; KI - HON !!? Ich wünschte ich hätte mehr Zeit....

...und zum Schluß: "Was bringt ihm sein Nahkampf-Karate, wenn ihm jemand aus einer Distanz von zwei Schritten heraus einen Kizami-zuki an die Kehle setzt? Schnelligkeit zaelt auch!"

Was nützt ihm sein schneller Kizami, wenn er sein Ziel verfehlt oder geblockt wird und der Franzose ihm mit einer offenen Handtechnik die Kehle zudrückt oder mit Nihon Nukite blendet... wollen wir wirklich darüber diskutieren?...
Alle Distanzen und Techniken sind wichtig; und sehr wirkungsvoll und gefährlich sind die "verbotenen Techniken" (nach Wettkampfregeln), oder etwa nicht? Ich als Frau ziehe jedenfalls diese Techniken vor, weil sie mich wirklich schützen können!


Mit freundlichen Grüßen
Uli

Dojokun
13-03-2003, 19:52
Hallo Uli!

Ich stimme Dir mal wieder zu!
Aber eine Frage:
Gehörst Du dem BSK an?


Dojokun

joetokan
13-03-2003, 22:07
Hi,
ich bin verwirrt. Warst es nicht Du, Ryuma, der in einem anderen Forum noch vor Kurzem im Chor des immergleichen "Sportkarate"-bashing eine markante Solostimme ertönen ließest und auf die vermeintlichen alten Japan- und JKA-Werte geschworen hattest, die angeblich so anders sein sollten? Nun lernst Du am Beispiel des Karate der JKA und anderer in Japan offensichtlich kennen, wie gut die Kombination sein kann zwischen traditionell und sportlich. Ich finde Deine Wandlung zwar ein bißchen schnell und erstaunlich voller Überschwang, aber auch erfreulich.
Abgesehen davon ist all das kein Widerspruch. Leute, redet einfach nicht immer so schlecht über diejenigen die auch Karate Wettkämpfe betreiben. Sie sind sowieso meist bessere Karateka und Kämpfer als Ihr (denkt). Stephan hat erlebt, dass im Herkunftsland des Karate beides, das traditionelle Karate und der Wettkampf in guter Eintracht existiert und voneinander profitieren kann. Der Popanz von den Gegensätzen zwischen diesen beiden Varianten des Karate wird nur hierzulande von den Pfügers und BSKs so aufgebauscht, um sich als Gralshüter eines imaginierten ursprünglichen Karate zu präsentieren, und um in ihrem eigenen Interesse die Ursprünge des Karate zu mystifizieren.
Beste Grüße,
Joetokan

ryuma
14-03-2003, 04:05
Liebe Ulrike...

Du machst genau den Fehler, den ich ankreide: Dein Text zu dem Lehrer, dem persoenlichen Werden und der Wurzel der Religionen ist ja richtig, aber Du sprichst vom Ideal und nicht von der Realitaet. Es geht nicht um das theoretische Christentum oder den theoretischen Konfuzianismus, sondern um das, was diese aus der jeweiligen Gesellschaft gemacht haben. So wie Du argumentierst, duerfte es so etwas wie einen Kultrschock nicht geben. Den gibt es aber, weil die Parameter in Deutschland und Japan hinsichtlich Charakter und Werten unterschiedlich ausfallen. Da spielt mehr rein als nur die Religion, auch die Geschichte, Politik, Wirtschaft, die Technik. Der "ideale Mensch" ist ein Produkt seiner Gesellschaft und der ihr zugrunde liegenden Werte. Wenn wir den "idealen Menschen durch Budo" suchen, dann muss dieses ausserhalb der gesellschftlichen Moral erfolgen. Auch jenseits von Konfuzianismus und Gott, sonst ist es platt.

Das "traditionelle Karate" muss als Begriff genau definiert werden, und das faellt schwer: Ist es das Karate von Funakoshi Gichin, von Funakoshi Gigo oder von Nakayama Masatoshi? Oder hat Itosu (auf den bereits wesentliche Aenderungen im Karate zurueck zu fuehren sind, wie beispielsweise die geschlossene Faust) nicht bereits den Weg fuer ein sportlicheres Karate geebnet? Die Diskussion dieses Themas ist in Deutschland ohne Grundlage. Ein athletischeres Karate wurde bereits von Gigo gelehrt, vor der Einfuehrung des Sportkarate. Das bedeutet, dass die Veraenderungen im Karate heute nicht nur ein Ergebnis des Sportes sind, sondern Teil einer ganz natuerliche Entwicklung ist.

Budo wird zwischen den Vertretern des Kyokushinkai und des Sun-dome-Karate unterschiedlich definiert, und beide Richtungen entbehren nicht einer gewisen Logik. Man wird nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen; der Mensch macht das Karate, und da sind in der Vergangenheit gewisse Leute mit ihren Vorstellungen herangegangen. Unterschiedliche Wege sind das Ergebnis. Deshalb gibt es verschiedene Ryuha.

Wir betreiben in Deutschland ein Karate in Ablehnung der Japaner. Mir ist nicht klar warum. Wieso werden dann zum Sommerlager und zum Gasshuku japanische Trainer eingeladen? Naturlich haben sie Ahnung. Der Wettkampf gehoert zum Wesen der Japaner. Vieles was in Deutschland unter dem "Zauber des Karate" zusammengefasst werden kann, ist weniger Teil der "grossen Karate-Magie" (der Weg, der Lehrer usw.) als einfach Umstaende, wie sie in Japan im taeglichen Leben vorliegen. Sport und Wettkampf sind weniger Teil des japanischen Karate als Teil der japanischen Gesellschaft selbst. Wir muessen also auch ueberlegen, in wie weit Karate noch Karate ist, wenn wir solche Elemente herauslassen. Und wir duerfen sie nicht auf uns persoenlich uebertragen, ohne unser - anderes - Wertesystem uebertragen. Um einen Vorgeschmack zu erhalten, lass` einfach im Januar beim Training die Heizung aus.

@Joetokan
Erfreulich, dass Du mitliest. Ja, ich habe zu Beginn meiner Suche nach einer Form des Karate meine Ambitionen auf die JKA und das sog. traditionelle Karate gelenkt und im Chor mitgesungen (der Mensch ist ein Herdentier). Mein erster Lehrer hat naemlich viele der klassichen Fehler gemacht, die man als deutscher Dan-Traeger machen kann: Vom Bezug aller Sensei-Allueren auf sich selbst, bis zum Erzaehlen netter Geschichten ueber Zen, wenn er mal keine Antwort wusste. Also bin ich selbst auf die Suche gegangen. Bis dato hatte ich leider nur begrenztes Wissen darueber, naemlich das, was beispielsweise vom Zustaendigen Verband verlautet oder von Stan Schmidt geschrieben wurde. Aber viele Fragen blieben offen. In Japan habe ich dann festgestellt, dass vieles gar nicht mehr so ist oder nie so war. Ich musste verdammt schnell umlernen. War eine harte Zeit fuer mich, besonders durch einen "Culture Bump" nach dem anderen - z.B. als Sensei im Dojo rauchte (nein, nicht weil die Japaner alle pervers sind, das hat seine Ursache in ganz alltaeglichen Umstaenden). Dann allerdings regnete es Atworten, daher vielleicht der "Ueberschwang".

Gruss

Ulrike
14-03-2003, 06:10
Guten Morgen Forum,

so viele Antworten :)
also Dojokun, ich bin eine alte DKV`lerin und werde es auch immer bleiben (obwohl mir die Verbände eigentlich völlig egal sind). Es gibt jedenfalls zu meiner Meinung nichts hinzuzufügen. Aber danke für Euere Antworten und vor allem Dir Stephan!
Es ist für mich auch sehr lehrreich, die anderen Ansichten zu lesen und die muss man ja auch akzeptieren, dies gehört zum Umgang miteinander dazu. Es sind trotzdem sehr interessante Ansätze in dem, was Du geschrieben hast. Darüber kann man mal näher nachdenken.
Bin mal gespannt, ob sich noch mehrere zu Wort melden.

Ich wünsche Euch einen schönen Tag

Uli

Dojokun
14-03-2003, 08:30
Original geschrieben von ryuma

...z.B. als Sensei im Dojo rauchte (nein, nicht weil die Japaner alle pervers sind, das hat seine Ursache in ganz alltaeglichen Umstaenden)...
Gruss

Was für alltägliche Umstände?
Sucht?

Sorry, aber irgendwie läufst Du einen Zick-Zack-Kurs....
Oft denke ich mir: Da hat der gute Mann absolut Recht, aber an anderer Stelle schaue ich etwas verwirrt...
Weil manches irgendwie nicht zusammenpaßt...

Und @ Ulrike:
Danke für Die Auskunft!!!


Oss

Dojokun

Goshinsatori
14-03-2003, 09:50
HI Dojokun,

BUCH ??!?....Kritik ??? da war noch was oder ??
WINKMITDEMZAUNPFAHL !"!

Zum Thema:
Manchmal kommt es mir so vor, vielleicht ist vielerorts auch so, daß wir Deutschen Kampfkünstler mehr japanisch sind oder sein wollen, als die Japaner selbst.
Egal welcher Verband, auch in Japan werden da sich selbst DAN-GRADE hin und her verliehen.
Als wäre das wichtig.....
und in Japan wird auch vergessen (natürlich bewusst, daß Karate immer noch aus Okinawa stammt. Die Mentalität der Japaner unterscheidet sich sehr stark von den Menschen auf Okinawa.
...

Michael1
14-03-2003, 12:07
Hintergründe und JKA:
Nakayama war soweit mir das bekannt ist zu einem guten Teil Funktionär. Das er die geeignete Person ist um nach tiefergehenden Inhalten oder so etwas wie geistigen Hintergründen zu suchen wage ich zu bezweifeln. Er selbst mag sie gekannt haben (oder auch nicht). Als er die Möglichkeit dazu gehabt hat für eine Verbreitung zu sorgen hat er diese Chance nicht genutzt. Er wollte Karate möglichst weit verbreiten, dabei hat er offenbar in kauf genommen das dies auch mit nicht ausreichend ausgebildeten Lehrern geschieht. Die Instruktoren der JKA waren Danträger, nicht unbedingt Sensei's.
Deshalb halte ich es auch gerade im Shotokan für besonders schwer "autentisches, traditionelles" Karate zu finden. Das gilt für Deutschland ebenso wie für Japan. Die ganzen "Dojos" von Universitäten u.ä. haben ohnehin nie etwas anderes als den Wettkampf trainiert.
----

Ich halte es aber auch für wenig Sinnvoll sich ausschließlich auf traditionelles zu beziehen. Die Zeiten ändern sich, und wenn Karate nicht etwas totes, eingestaubtes werden will muss es sich mit verändern. Das bedeutet nicht das man historische Entwicklungen, Ziele und Werte aus dem Blick verlieren soll.
Die Tradition zeigt mir tatsächlich Ziele und Werte, und ein Meister zeigt mir in welche Richtung ich losgehen muss. Einen Teil des Weges werde ich mir jedoch selbst suchen und ihn auch selbst gehen müssen.

Darüber hinaus bin ich schon der Meinung das sich "traditionelles" Karate und Wettkampfkarate nur bis zu einem gewissen Grad "unter einen Hut" bringen lassen.
Merkt man schon auf technischer Ebene, hier findet eine andere Konditionierung statt. Für den Wettkampf gewöhne ich mir Techniken an die dem jeweiligen Regeln entsprechen. Ich gewöhne mir z.B. an nicht den Genitalbereich anzugreifen, das werde ich in einem "echten" Kampf nur schwer umstellen können. Es reicht auch das ich diese Umstellung überhaupt schaffe, ich muss sie als erster schaffen. Gleiches gilt für die Kontakthärte, die Trefferzonen, Kampfdistanzen, den Umgang miteinander, usw...

Vielleicht scheint es so als fände man in Japan tradition und Wettkampf dichter beieinander, das kann ich nicht beurteilen.
Als Wettkämpfer sind Japaner in "ihren" Kampfkünsten aber z.T. auch weit weniger erfolgreich als andere (westliche) Nationen. Man schaue sich einmal erfolgreiche Nationen im Judo oder auch Karate an.
Auch ist Wettkampfkarate als "Lebensweg" stark limitiert, es ist keine "Lebensbegleitende Kampfkunst" weil ich nicht mein Leben lang Wettkämpfe bestreiten kann.
Ich weiß von Fritz Nöpel das er einzelnen Schülern die nach Japan/okinawa gegangen sind um dort zu Trainieren und zu leben so etwas wie "empfehlungsschreiben" gegeben hat damit sie als Schüler aufgenommen wurden. Wer da einfach so hingeht erhält halt das was alle bekommen, aber nicht unbedingt "tiefere" Inhalte. Ob das was man als "08/15-Westler" dort kennen lernt traditionelles (im Sinne von inhaltsreiches) Karate ist halte ich daher für zweifelhaft.



So, jetzt reichts, will heute auch noch was Sinnvolles machen ;)

ryuma
15-03-2003, 11:52
@Dojokun

Die Umstaende sind die folgenden:

In Japan herrscht an oeffentlichen Plaetzen Rauchverbot, ausser in speziell gekennzeichneten Nichtraucherzonen. Dieses Rauchverbot geht so weit, das es sogar den Bahgnsteig einschliesst (der ja im Freien ist und daher sollte es da nicht so schlimm sein - aber ist halt so).

Die Strafen bei Nichtbeachtung sind sehr hoch (ich habe das mal mitbekommen, als einer erwischt wurde).

Das hat zur Folge, dass man ueberall dort raucht, wo es nicht verboten ist. Und private Dojo gehoeren dazu. Hinzu kommt, dass Rauchen in Japan als maennlich gilt (60% der maenlichen Japaner rauchen - nach der Statistik). Also wird gepafft, was das Zeug haelt...

Ich habe das Beispiel nur angebracht, weil es gerade im Karate-Bereich einen enormen Kulturschock bedeuten kann.

joetokan
15-03-2003, 15:44
Hi allesamt,
ich lese gerade ein schönes Buch zum Thema: "Karate, the Japanese Way" von Marc Groenewold (ja, mit o). Er berichtet, als in Japan seit über 10 Jahren lebender Kanadier, davon, wie dort trainiert wird. Dabei erfährt man einiges aus der Perspektive, so wie es Ryuma auch zu erleben scheint: Diese gesamte Überphilosophierung und Mystifizierung von Karate hierzulande (in den USA und Kanada ebenso) die auch in den Beiträgen von Ulrike durchscheinen, sind völlig irreal, gemessen am praktischen Karate im Ursprungsland. Insofern freue ich mich auch auf das Buch von Ryuma, es scheint in dieselbe Richtung zu gehen wie das exzellente Buch von Groenwold.

Woher kommt diese Diskrepanz zwischen dem, wie viele hier im Westen Karate zur Philosophie überinterpretieren und dem, wie es wirklich ist: Nämlich eine schöne und clevere Kampfart, die sicher auch ethische Elemente enthält und die sich im Lauf der Zeit weiterentwickelt. Und keine Religion.

Mir scheint hier eher das Bedürfnis von einigen Leuten auf der Suche nach einer Ersatzreligion oder esoterischem Ersatzglauben befriedigt zu werden. Dazu wird alles, was einem sonst noch fehlt, in Karate reininterpretiert. Was gehört noch zur Religion: Propheten. Einige Propheten geben dann noch Zunder und leben gut davon, wie Herr Werner L./BSK. Außerdem, man braucht noch einen Teufel: Das Sportkarate. Also dichtet man darüber, dass früher alles anders war und besser für die Selbstverteidigung war, kann aber nie den Beweis liefern. Und dann braucht man noch Jünger, die fleissig nachbeten. Ulrike, wie kommst Du darauf, dass das Verändern des Karate an einigen Katastellen (von offener Hand zu geschlossener Faust) einen Effektivitätsverlust mit sich brachte oder der Versportlichung geschuldet sei.
Dies spiegelt eher die Entwicklung der Gesellschaft wider. Karate vom Sport der Bauern und Fischer in Okinawa zum Sport der heutigen Büromenschen des 21. JH. Diese hatten mehr Kraft in den Händen als wir heute. Eine Faust kann die fehlende Kraft in den Fingern kompensieren. Deshalb ist es doch völlig ok, dass man mehr die Fäuste benützt, oder? Funakoshi und dann Nakayama haben dieser Tatsache in genialer Art Rechnung getragen und Karate so entwickelt, wie wir es heute betreiben können.

Fazit: Karate als Kampfkunst in Deutschland und Japan ist per saldo ziemlich ähnlich. Nur wird ihm hierzulande (im Westen) eine seltsame Religion angedichtet (mit den üblichen, zu Religionen gehörenden Glaubenskriegen und sonstigen Auswüchsen), wo in Wirklichkeit nur ethische Prinzipien zu finden sind. Wie man bei Groenewold schön nachlesen kann, ist dies eine reine Projektion.
Beste Grüße,
Joetokan

weudl
15-03-2003, 16:26
@Joetokan
Sehr treffend formuliert!

@all
Einige Leute versuchen offensichtlich auf der Esoterikwelle mitzuschwimmen und interpretieren Dinge in die Kampfkünste hinein, deren Existenz heute niemand mehr beweisen kann. Es wird von mystischen Dingen gesprochen, die man nicht erklären, sondern nur unter Anleitung erfahrener Lehrer (womit man wohl sich selber meint) erlernen kann u.s.w. Das Wort des Lehrers wird zum Dogma über das man nicht mehr selber nachdenken darf. Dies sind eigentlich Charakteristika einer Sekte und haben im Budo nichts verloren.

Die von ryuma erwähnten, im Dojo rauchenden, Budo-Meister (wie auch die im Training alkoholisierten) sind mir auch schon untergekommen. Sie sind halt trotz all der Glorifizierung durch uns Gaijins doch nur ganz normale Menschen mit Stärken aber auch Schwächen.

Jens S.
15-03-2003, 21:26
Hallo,

eins vorweg: Mir gefällt die Art, wie manche hier im Board mit der "Back-to-the-roots"-/Klassik-Karate-/Philosophie-/Esoterik-Welle umgehen, sehr gut und bin daher grundsätzlich derselben Meinung. (Wer von Euch im Budoforum mitgelesen hat, hat diesbezüglich vielleicht das eine oder andere statement von mir gelesen und kennt mich daher als überzeugten Gegner dieser "Bewegung" ;-))

Vor allem bin ich auch der Meinung, daß viele der Adepten dieser Welle dem Fehlglauben aufsitzen, Dinge in's (Shotokan-)Karate rückübertragen zu können/müssen, die es dort nie gegeben hat. Dies gilt umso mehr für diejenigen Bemühungen (vor allem aus Bensheim), die chinesische(s) Wissen/Technologien ins Karate kooptieren wollen. Es ist sicher jedermann's ureigenste Sache, wie er sich der Kampfkunst nähert, wenn allerdings ständig behauptet wird, die anderen seien nicht "up to date" (oder besser "back by the roots"), weil sie keine "TCM" praktizieren und nur die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wahres Karate sei (denn Kata sei schleißlich Chi-Gung/Qi-Gong), dann verkehrt sich "ureigen" in "öffentlich". Dann darf man auch den Mund aufmachen und ich tue es: Das kotzt mich an!

Die andere Seite:
Jedoch hat sich das Karate auf seinem Weg von Okinawa nach Japan vom unbedingten Pragmatismus weg (mehr oder minder) zur Budo-Disziplin entwickelt, in denen all jene tieferen Denkansätze/Anschauungen etc. durchaus existieren. Demzufolge erscheint es MIR als unangemessen, jedem, der im Karate neben der starken Technik auch geistige Inhalte sucht, "den Vogel zu zeigen".

Und hier schließt sich der Kreis. Karate hat (erfreulicherweise) durch seine Entwicklung eine so vielfältige Ausprägung erfahren, daß für alle Platz sein und dies auch auf Toleranz stoßen stollte. Für MICH inakzeptabel wird es immer erst dann, wenn die eigene Haltung zu (öffentlichen) Urteilen über andere führt. Dies gilt gleichermaßen für z.B. die Leute aus B., als auch für welche, die eine "Verphilosophierung" für Blödsinn halten (wenngleich ich Anhänger der letzteren Doktrin bin, jedoch versuche, niemandem, der anderer Ansicht ist, zu nahe zu treten).

Meine Meinung ist: Lehrer wie Nakayama Sensei haben diese Gratwanderung in idealer Weise gemeistert.

MfG
Jens Streich

ryuma
16-03-2003, 05:45
Karate und seine vielen Auspraegungen bieten Platz fuer alle, das ist richtig und muss auch so sein. Nur darf das meiner Meinung nach nicht heissen, dass wir alles tolerieren muessen. Man kann Karate ja ueberphilosophieren, aber bitte erst dann, wenn man das entsprechende technische Niveau hat.

Ich muss mir ganz sicher nicht von einem unterdurchschnittlichen 5. Kyu sagen lassen, dass die Aesthetik der Technik wichtig ist (indem man z.B. die immer stocksteife, aufrechte Haltung predigt, die mehr kaputtmacht, als nuetzt), waehrend dieser 5. Kyu nicht mal richtig tsuki kann.

Genauso kann ein erfolgreiches Ex-Mitglied der Nationalmanschaft meinetwegen als erster Deutscher den achten Dan erreichen. Wenn der Mann nicht in der Lage ist, Leute zu ihrem Karate zu fuehren, sondern sie nur kaputtmacht und dabei Zen-Sprueche absingt, dann muss man wenigstens in seinem eigenen Wirkungskreis dagegen angehen.

Alles schon erlebt...

Gruss

Jens S.
16-03-2003, 09:42
Hallo Stephan,

ja, Du hast schon recht, daß eine Meinung nur das Gewicht (= Durchschlagskraft, Überzeugungskraft) hat, wie es die dahinterstehende Person aufweist. Ich glaube, so eine ähnliche Diskussion haben wir schon einmal geführt.

Aber darum ging es hier ja eigentlich nicht, sondern um die verschiedenen "Strömungen" in der heutigen Karatewelt. Und hier ist für mich, unabhängig vom oben Stehenden, nach wie vor der Gedanke der Koexistenz maßgebend.

Was nicht bedeutet, nicht kritisieren zu dürfen. Natürlich darf Herr L. aus B. sagen, daß er JKA-Karate für inhaltslos und leer hält. Das ist seine Meinung und völlig okay. Genauso wie ich sagen kann, daß meiner Meinung nach sein Karate die Prioritäten vertauscht, sich also mehr mit Weglehre als Wegübung befaßt (um seine Terminologie zu nutzen) und er nicht erkennt, daß Philosophie MIT DER TECHNIK KOMMT, nicht umgekehrt, und daß genau diese Prioritätenfolge der besondere Pfiff beim Karate ist.
All dies ist legitim und in Ordnung und geriete erst dann aus den Fugen, wenn man sich persönlich angreift oder das System des anderen in der Weise diffamiert, daß man ihm den Charakter als Karate oder "wahres Karate" abspricht.

MfG
Jens Streich

Dojokun
16-03-2003, 11:41
Zu den recht langen Postings ein ganz kurzes von mir:

Wer über langes, hartes Training die Philosophie erfährt: Klasse!!
Wer aber nur zitiert, was er gelesen hat, OHNE es selbst ERFAHREN zu haben: "Geh nach Hause"...

Denn es gilt, die "Form" mit Inhalt zu füllen...
(Dieser Satz läßt mehrere Deutungen zu...)



Oss

Dojokun

joetokan
16-03-2003, 14:13
Hi Jens, hi Dojokun,
stimme Euch zu 100 % zu.
Danke für die klaren Worte.
Gruß,
Joetokan

Michael1
16-03-2003, 14:38
Mir geht es sicher nicht um die mystifizierung von Karate. Ich bin trotzdem der Meinung das viele Inhalte die es einmal gab, vor allem auf technischer Ebene aber auch auf geistiger Ebene, bei uns (und vermutlich auch in Teilen Japans) nicht mehr sehr präsent sind.

Auf technischer Ebene braucht läßt sich das Problem einigermaßen "sichtbar" machen:
Man schaue sich Bilder von Funakoshi bei der Kata an und vergleiche mit dem was heute gemacht wird. Da liegen Welten dazwischen. Funakoshi führt eine stilisierte Form aus, was wir heute machen ist die "stilisierte Form einer stilisierten Form".
Immer wieder die Frage "Wozu ist das was ich mache gut?". Einiges funktioniert einfach nicht in dem Zusammenhang wie es heute oft gelehrt wird.
Wozu steht man in Kata (oder Kihon) so tief? Bei den Ständen fällt das noch relativ leicht, bei anderen Sachen ist es leider nicht so offensichtlich. Wer hat schon mal Age-Uke im freien Kampf eingesetzt, und wenn ja wie oft? Warum trainieren wir sie so oft ? Was ist an einem Shoto-Uke so genial das er in einer relativ hohen Kata wie der "Sochin" 6 (!) mal hintereinander ausgeführt wird? Wozu ist Moroto-Jodan-Uke (Bewegung 22) in Bassai dai da?
Wettkampfregeln (tief stehen weil es sonst ne schlechtere Bewertung gibt; Sochin wird so gemacht weil es nun mal internationaler Wettkampfstandart ist;...) sind zu neu, ander zu Wirklichkeitsfremd um befriedigend zu sein. Den Sinn zu hinterfragen bringe ich mit dem, zugegebenermaßen recht schwammigen Begriff "traditionelles Karate" in Verbindung.

Auf geistiger Ebene sieht das ähnlich aus:
Man muss sich vor Augen führen welchen weg Karate gegangen ist. Chinesische Einflüsse kamen nach Okinawa, haben sich dort mit einheimischen Kampfkünsten vermischt und wurden dann nach Japan weitergetragen.
Auf Okinawa war Wissen zu Dingen wie den 5 Elementen sicher auch vorhanden, aber es waren kaum/keine "Experten" da. Also wurden z.T. Bewegungen kopiert (oder einfach weggelassen) die man nicht verstand, oder sie wurden so geändert das sie einen Sinn ergaben.
Wissen zu Qi oder den 5 Elementen war in etwa so verbreitet wie hierzulande die christlichen Religion. Jeder kann hier etwas mit einem Kreuz anfangen, jeder kann erklären wie ein Kreuz aussieht, und auch wofür es steht. Aber die "ganze Geschichte" drumherum kann nicht jeder erzählen/erklären, und nicht jeder wird dadurch das er die Inhalte der Bibel kennen lernt auch zum gläubigen Christen. Wenn man jetzt irgendjemanden aus einem christlichen Land nimmt und ihn als Religionslehrer in eine Gegend schickt wo keiner etwas über Christentum weiß kann man sich in etwa vorstellen was dabei herauskommt... ungefähr das was vom Hintergrundwissen des Karate bei uns angekommen ist.
Manches mag man auch nach wissenschaftlichen Maßstäben belegen können, anderes nicht. Ob Hintergründe für mich nun eine Bedeutung entwickeln oder nicht ist noch eine andere Frage. Nochmal der (etwas hinkende) vergleich mit christlichen Religionen hierzulande. Für den einen vollkommener Blödsinn, schließlich lässt sich die Existenz Gottes nicht beweisen. Es gibt wohl kaum einen der sagen kann das Religion keine praktische bedeutung hätte. Man denke an Kreuzzüge, Hexenverbrennung, konfessionelle Krankenhäuser und Kindergärten... aber auch an die Kraft die manche Menschen aus der in ihren Augen vorhandenen existens Gottes ziehen.

Nach Japan kamen "nur" stark stilisierte Formen, in Teilen schon Sinnentstellt. Ob japanischen Meister auf breiter Basis tiefgehendes Wissen besessen haben vermag ich nicht zu sagen, ich habe jedoch den Eindruck das es in weiten Teilen nicht weitergegeben wurde.
Nur weil wir etwas nicht verstehen bedeutet das nicht das es jemand anderes nicht begriffen haben kann. Der Seiza zu Trainingsbeginn (ich glaube kommt aus Japan?) war für mich anfangs "rumsitzen und klappe halten". Wenn man nur 5 Sekunden sitzt wird der Sinn den meisten auch verschlossen bleiben. Wenn mir jemand erklärt hätte "Das ist eine Konzentrationsphase vor dem Training um den Zustand des Sanshin, also des nicht-denkens zu erreichen" hätte ich "ja" gesagt und mir nur gedacht "ja, red du mal...".

Dojokun
16-03-2003, 16:09
Hallo Michael!
Sehr gutes Posting!!

Ich denke, das viele Karateka sich mit mystischem Kram umgeben, um dadurch Geld zu verdienen:
Es lockt Mitglieder, und man hat einen tollen Satz zur Hand: Ich kann es Dir zeigen, wenn Du soweit bist (was natürlich nie der Fall sein wird... ;) ).
Wenn diese Dinge mal auf breiter Front entlarft werden, bin ich ein absoluter Befürworter.

Aber den Hintergrund, wie immer man ihn auch auslegen möchte, ad absurdum zu führen, halte ich für äußerst bedenklich...


Nun ja, vielleicht verstehen wir die Absicht von ryuma aber auch falsch....


Oss

Dojokun

Jens S.
16-03-2003, 20:23
Hallo Leute!

@Michael

Ja, es mag sein, daß manche Dinge im Karate, wie Du es ausdrückst, heute nicht mehr so präsent sind wie früher.
Was mich lediglich stört, ist, daß diejenigen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, diese Dinge zurückzuholen, Entwicklungsprozesse immer mit negativ behafteten Begriffen beschreiben, so daß sich die Angelegenheit wie ein Verlust anhören muß und der Zuhörer gar nicht auf die Idee kommen kann, daß es sich vielleicht auch um eine Weiterentwicklung (positiv!) oder Anpassung an sich geänderte gesellschaftliche Umstände (notwendig!) handeln könnte.
Ich bin mir ziemlich sicher, daß diesselben Leute, wenn z.B. der Entwicklungsprozess des heutigen Shotokan nicht in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts seinen Anfang genommen hätte, sondern bereits ein, zwei Jahrhunderte früher, zu dieser Entwicklung weniger kritisch stehen würden, da wir uns ja dann in der "guten alten Zeit" befänden, wo die Leute eh alles viel besser wußten und Veränderung eben noch Fortschritt und nicht Landesverrat war.

Ähnlich verhält es sich auch, wenn es um das Thema China/Japan geht. Mir persönlich geht es darum, JAPANISCHES Karate zu erlernen und nicht, vom geschichtlichen Interesse einmal abgesehen, ob irgendwann einmal ein Chinese, der Arzt war und wußte, wo sich bei jedem Menschen der "ON/OFF"-Schalter befindet, von seiner Dschunke gefallen ist, in Okinawa an Land gespült wurde und dort einigen Okinawanern sein Wissen beigebracht hat, die aber zum Teil zu doof waren, um ihn zu verstehen, und lediglich seine Bewegungen kopierten.
Die Jungs dort mögen zwar nicht alle alles verstanden haben, jedoch haben sie 'was Eigenes draus gemacht.
DEM gehört doch das Interesse, wenn man KARATE betreibt und nicht Gungfu (wie gesagt, abgesehen vom historischen Wissensdrang). Für Leute, die versuchen, damalige Versäumnisse wieder gut zu machen oder Entwicklungen rückabzuwickeln, habe ich zwar Verständnis, aber sie machen eben etwas anderes, denn Karate hat sich genau aus dieser historischen Situation heraus entwickelt. Mit allen Irrtümern, Mißverständnissen und Eigeninitiativen.

Das Gleiche ist doch letztlich passiert, als Karate von Okinawa nach Japan herüberschwappte.
Die japanischen BuDO-Künste zeichnen sich durch einen viel höheren Abstraktionsgrad aus, als es archaischen, auf Anwendbarkeit hin getrimmten Kampfkünsten eigen ist. Es ist logisch, daß dann auch das Karate diesen Weg nahm, was meiner Meinung nach zu begrüßen ist und eine Weiterentwicklung darstellt.
Überlegt doch 'mal: Wie nähert sich ein Naturwissenschaftler oder ein Philosoph einem Problem? Beide versuchen Erfahrungssätze aufzustellen und zum Teil in Formeln oder prägnante Kurzaussagen zu pressen. Dies ist Abstraktion und hat zur Folge, daß der Erfahrungssatz für nicht einen einzigen konkreten Fall mehr paßt, sondern nur noch die Grundidee enthält, dort aber in reinster Form. So kann man sie verstehen, muß aber im konkreten Fall die Abstraktion rückgängig machen (also konkretisieren) oder abwandeln (also adaptieren).
Wenn unsere Kata dieses Schicksal erfahren hat, so ist dies in meinen Augen Fortschritt par excellence, und nicht, wie in den Augen der ganzen Budoforscher, eine unnötige Stilisierung. Nein, nein und nochmals nein!
Schön erläutert dies Rob Redmond auf seiner Website, wo er Shotokan mit dem Kendo vergleicht, welches nur aus fünf Grundtechniken bestehen soll. Kann man deswegen mit Kendo/Kenjutsu nur wenig anfangen? Nein, nur der Abstraktionsgrad ist höher. Das ist alles.

Genau dieses japanische Karate, ohne chinesisches Brimborium und mit hohem Abstraktionsgrad, ja, genau das will ich lernen! Und bin dabei unheimlich der Auffassung, daß dies wahres Karate ist. Auch wenn manche Menschen, die mit Bücherschreiben Geld verdienen, dies anders sehen.

MfG
Jens Streich

P.S.: Auf Deine technischen Fragen, lieber Michael, bin ich nicht eingegangen, obwohl ich Antworten wüßte, da es mir beim Lesen Deines Postings so vorkam, daß diese Beispiele nur dazu gedient hatten, das Grundproblem zu beleuchten. Wenn ich mich irre, korrigier mich!

joetokan
16-03-2003, 22:19
Lieber Jens,
danke für Dein geniales Posting. Es spricht mir aus der Seele.

@Micheal1
Shuto-Uke in Sochin: einmal Abwehr einmal Angriff. Nicht vergessen; In jeder Abwehrtechnick stekt auch ein Angriff. Genauso bei Age-Uke. Age-Uke als Angriff unter´s Kinn. Vorher mit der andern ausholenden Hand abwehren...eine kompromisslose Angriffstechnik für die SV aus kurzer Distanz. Und das ist nur eine Variante, diese wunderbare Technik einzusetzen.
Karate ist unerschöpflich und muss in langer Trainingspraxis erfahren, gelebt werden. Tja, und deshalb trainieren wir es so oft. Weil mit der Perfektionierung der Technik (vielleicht) die Philosophie und das Gefühl, die Verantwortung für die Anwendung kommt.
Gruß,
Joetokan

Michael1
17-03-2003, 00:41
Hallo Jens,

ich bin für meinen Teil an japanischem Karate nur bedingt interessiert. Jedanfalls dann wenn man als japanisches Karate das bezeichnet was durch die JKA und ihre Instruktoren nach Europa gebracht wurde.

In meinem DKV-Ausweis steht ich mache Shotokan-Karate, beim Angrüßen verbeuge ich mich vor einem Bild Funakoshi's. Ich "gestehe" jedoch ganz offen das ich nicht nur bei Vertretern anderer Karatestile lerne, sondern sogar bei anderen Kampfkünsten/sportarten, und das ich von hier auch Impulse in mein Training mitnehme. Und trotzdem mache ich in meinen Augen immer noch Karate.
Wenn ich mich auf Funakoshi beziehe so richte ich mich nach dem "Gründer meiner Stilrichtung" und ich sehe ihn auch als ersten in der Entstehung des japanischen Karate. Funakoshi selbst hat sich gegen Stilgründungen ausgesprochen, er hat selbst bei verschiedenen Meistern welche sich auch in ihrer Technik unterschieden gelernt (Itosu und Azato), er hatte gute Kontakte zum Begründer des Judo (Kano) - ich habe nicht das Gefühl das ich einen "Verrat" an meiner Stilrichtung oder am Karate begehe. Auch ist das was über die JKA nach Europa gebracht wurde nicht von Funakoshi abgesegnet worden, die JKA ist im wesentlichen eine Schöpfung Nakayamas. Funakoshis Kata sehen anders aus, er beschreibt Übungen zum Bodenkampf, etc....


Das etwas alt ist oder aus China kommt macht es in meinen Augen nicht automatisch gut, genau so wenig wie es schlecht wird wenn es neuer ist oder aus Japan kommt.
Nur finde ich die Entwicklung des Karate zum Sport uninteressant. Die hat in Japan ihren Ausgang. Freiwillig fahre ich nicht (mehr) auf Turniere, weder als Teilnehmer noch als Zuschauer. Für mich selbst habe ich jedoch Blickwinkel entdeckt die ich sehr interessant finde, und die scheinen einmal im Karate enthalten gewesen zu sein - allerdings bevor es nach Japan kam, oder sie sind von Japan aus nicht zu uns gekommen.
Für mich sind viele Dinge, wie z.B. Kakie, Hebel und Würfe inzwischen so offensichtlich das ich mich manchmal Frage wieso ich nicht schon beim lernen des Ablaufs einer Kata darauf gekommen bin.


Zum Thema Abstraktion - sie ist ohne Frage nützlich.
Aber wird denn bei dem was wir aus Japan bekommen haben tatsächlich Abstrahiert oder wird nicht vielmehr etwas unkenntlich gemacht? Werden bei uns wirklich abstrakte Prinzipien gelehrt und diese dann in konkreten Techniken umgesetzt? Oder werden bei uns konkrete Techniken gelehrt und daraus dann die Prinzipien abstrahiert? Werden in den Kata so wie wir sie heute ausführen überhaupt verschiedene Prinzipien gelehrt? Es geschieht, sicher - meinem Eindruck nach aber viel zu wenig.
Die abstrakte Lösung muss auch zu Beantwortung eines konkreten Problems taugen. Nur ist dies beim Karate offenbar irgendwo verloren gegangen, die Anzahl der Karateka die eigentlich keine Ahnung haben was sie da tun ist jedenfalls erschreckend hoch (meine Meinung). Meinem derzeitigen Eindruck nach hängt das ganz stark mit Japan und Nakayama zusammen.
Bei Abstraktion bin ich mit meinen Gedanken auch sofort wieder bei den 5 Elementen - sie sind in hohem grade Abstrakt. Die Kata sind lediglich Beispiele für die praktische Umsetzung der Elemente. Die Elemente haben aber auch wieder mal nicht in Japan ihren Ursprung und wurden uns nicht von dort "geliefert". Gleiches gilt auch für die 5 Kampftiere.

Zu den Techniken mehr im anderen Thread!

hmpf...

ryuma
17-03-2003, 03:27
@Jens
Japanisches Karate ohne den "chinesischen Kram", genau das ist es. Das hat L. aus B. nicht kapiert. Danke...

-----------
Stilisierung/Abstraktion ist meiner Meinung nach das magische Wort, wenn es um die Veraenderungen im Budo an sich geht. Die Schwertschulen z.B. wurden stilisiert und werden jaehrlich immer noch von den Lehrern weiter veraendert. Das gleiche wird sich auf dem Weg von Okinawa nach Japan und dann weiter in Japan mit den Kata ereignet haben. Warum veraendern Leute die Kata, wenn sie doch augenscheinlich so wie sie sind gut sind?

Weil die Kampfkuenste einer breiten Masse zugaenglich gemacht werden sollten. Und dazu musste man vereinheitlichen. Deswegen haben das Kendo und das Iaido seine heutige Form. Itosu duerfte als einer der ersten genau aus diesem Grund heraus die ersten Veraenderungen eingefuehrt haben. Karate galt als sehr gesundheitsfoerdernd, und davon sollten moeglichst viele profitieren. Es ging nicht laenger um Selbstverteidigung, also konnten diverse Elemente ausser Acht gelassen werden. Die Trainingsformen wurden geaendert, Training im Geheimen war auch nicht mehr notwendig. Persoenlich meine ich, dass wir uns in einer Welt, in der die Voelker wie selten zuvor gegen den Krieg demonstrieren, es nicht mehr erlauben sollten, ueber "geheime Toetungstechniken" und deren Wiedereinfuehrung zu diskutieren. Aber das nur am Rande.

Auf die Frage "wie viele Kata gibt/gab es" habe ich vor kurzem gelesen, dass es unzaehlige gegeben haben muss. Nun, warum gibt es sie nicht mehr, wenn es doch einen Verlust an Wissen darstellt? Die Antwort war, dass die meisten dieser alten Kata nicht veraenderbar waren, weil sie zu sehr auf ihren Schoepfer zugeschnitten waren. Und daher waeren sie auch zur Selbstverteidigung unbrauchbar gewesen.

Man muss sich jetzt persoenlich fragen, sind das Verluste, oder sind das Weiterentwicklungen? Wenn ich all die alten Sachen mit drin haben will, dann muss man halt sein Buendel schnueren und ab nach Okinawa, oder nach China. Aber bitte keine Kritik am (japanischen) Karate oder unsachliche Texte auf Websites veroefffentlichen, in denen man Nakayama kritisiert.

Genauso wie das Karate nur ein persoenliches sein kann, deswegen gibt es keinen "Verrat", wenn man sich zwar auf Shotokan-Karate beruft, aber von anderen lernt. Das ist stilbezogenes Denken, das es nur bei uns gibt.

Gruss

Michael1
17-03-2003, 10:54
Auch wenn es eine persönliche Meinung ist, hälst du es für sachlich gerechtfertigt Karate mit heutigen Spannungssituationen oder der heutigen Kriegsführung in einen Topf zu werfen?
Eine Diskussion über "geheime Tötungstechniken" sehe ich hier auch nicht.

Ich denke nicht das wir mehr Kata brauchen, oder das wir unbedingt alte Kata brauchen und nach Okinawa oder China zurückgehen müssen. In unseren Kata steckt noch einiges drin, trotz diversem "herumwurschteln" in den Kata.
Es ist nur unendlich Mühsam es selbst herauszuarbeiten wenn es kaum Leute gibt die dabei helfen können nach "richtig" und "falsch" zu sortieren. Und sich andere Türen zu erschließen als nur die oberflächlich Sichtbaren, das wird in meinen Augen vernachlässigt.
Ich brauche für Kakie keine anderen Kata, keine Reise nach China, Okinawa oder Japan, sie steckt in den jetzigen. Zum Beispiel Kakiwake-Uke in Hejan Yondan und Jion oder Kaki-Uke in Nijoshiho ... - nur muss man lernen sie zu sehen. Zu lernen zu "sehen" kann man alleine oder auch durch einen Lehrer. Nur haben unsere Lehrer das vermitteln dieser Fähigkeit in meinen Augen in weiten Teilen versäumt weil es für den Sport nicht notwendig war.

Ob es einmal mehr Kata gegeben hat kann ich nicht sagen, aber deine Schlussfolgerung ist zumindest zweifelhaft. Ebenso gut kann man behaupten das sie kein weiteres relevantes Wissen enthielten und deshalb nicht weiter gelehrt wurden. Einen Verlust an Wissen würden sie dann nur aus historischen Gründen darstellen, nicht inhaltlich.

Das auch gleich zum Thema "unsachliche Kritik" an Herrn Nakayama oder sonstwem.
Jeder zieht seine eigenen Schlussfolgerungen... "Herr L. aus B" (Warum schreibst du hier nicht Herr Lind aus Bensheim?) ebenso wie du und ich.
Ich erkenne die Leistung von Nakayama im Bereich der Verbreitung von Karate an, das ist überhaupt keine Frage. Aber das macht ihn für mich weder zum besten Karateka noch zum beste Lehrer, es bedeutet nicht einmal das er viel Ahnung von Karate haben muss (schließt es aber auch nicht aus).
Das gleiche kann ich auch über Lind sagen. Ich erkenne die Leistung von Lind im Bereich des Karate an denn er hat die Aufmerksamkeit einer größeren Masse auf Dinge gelengt die vorher wenig beachtung fanden. Das macht ihn in meinen Augen aber weder zum besten Karateka... (siehe oben).
Wenn du dir hier die Kritik an (japanischem) Karate verbietest, dann müstest du sie konsequenterweise auch am Karate von Funakoshi, am okinawanischen Karate, am chinesischen Karate, usw. unterlassen.

Ich denke jeder soll das Karate machen das er für sich machen möchte, auch wenn man evt. damit Probleme hat mit Leuten anderer Auslegungen in einen Topf geschmissen zu werden die von sich behaupten sie würden Karate machen... ;).
Begrüßenswert fände ich aber das man vorher wirklich weiß wofür bzw. wogegen man sich entscheidet. Jemand der den Wettkampf nicht kennt und ihn ablehnt macht es sich zu leicht. Ebenso jemand der von Kakie und Würfen und den 5 Elementen keine Ahnung hat und diese Ablehnt.

Jens S.
17-03-2003, 13:49
Hallo Michael,

ja, das was Du Dir am Schluß Deines letzten Postings gewünscht hast, wäre wohl wirklich wünschenswert. Es liegt wohl aber in der Natur der Sache, ja in der Natur des Lebens, daß dies wohl nicht mehr als ein frommer Wunsch bleiben wird. In den seltensten Fällen weiß man vorher, was am Schluß herauskommt und in der Kampfkunst kommen die meisten zu ihrer "Überzeugung" wie die Jungfrau zum Kinde. Deswegen plädiere ich ja auch für Koexistenz, was aber nicht bedeutet, keine Meinung haben zu dürfen. Deshalb darf ich auch, ohne jemals südostmongolisiches Weiß-der-Geier-welches-Gungfu geübt zu haben, behaupten, daß mein Lehrer und dessen Lehrer es nie erwähnt haben, ich es nicht vermisse und daher wahrscheinlich auch nicht brauche.
Wer das anders sieht, soll es tun. Überhaupt kein Problem und alles tolles Karate!

Deine Überlegungen zur Kata kann ich nicht ganz teilen.
Meine "Abstraktions-Überlegungen" habe ich bereits dargelegt. Daraus folgt, daß alles offen daliegt, die Kata nur "richtig" ausgeführt werden muß.

Um dies zu verdeutlichen möchte ich ein Beispiel bilden:
Nehmen wir einmal an, auf Okinawa gab es für Zimmerleute eine "Wie-haue-ich-mit-dem Hammer-einen-Nagel-in-die-Wand"-Kata. Der Schöpfer, ein begnadeter Zimmermann, legte sein gesamtes Können und Wissen in die Kata, vom richtigen Aufheben und Festhalten des Nagels, vom Zielen ... bis zum lockeren und in Abhängigkeit von der Holzart wohldosierten Schlag, der den Nagel mit einem Hieb in die Wand treiben soll.
In der nächsten Generation dachte sich der Nachfolger des Gründers, daß es zwar schön und gut sei zu wissen, auf welches Holz man einschlage, da man so die Kraft besser dosieren könne, fragte sich aber, woher er die Kraft nehmen soll, für das festeste bekannte Holz die notwendige Härte im Schlag zu entwickeln, wenn er dies doch so selten übe. Auch könne er nicht wissen, ob sich unter einer weich aussehenden Schicht eine härtere verberge. Und ob er das festeste Holz überhaupt schon kenne,wüßte er auch nicht. Also änderte er die Kata dahingehend ab, daß von nun an das "Wohldosiert" in ein "An-entscheidender-Stelle-immer-volle-Kraft" gewandelt wurde. Er merkte auch, daß ihm das gut tat, denn er kam bei der Ausübung der Kata von nun an gehörig ins Schwitzen.
In der nachfolgenden Generation fragte sich der nächste Erbe des Meisters, ob die Kata nicht zu umfangreich sei, da in ihr so viele Umstände festgelegt seien, die aber von Baustelle zu Baustelle, Brett zu Brett, Nagel zu Nagel immer mehr oder minder stark voneinander abwichen. Nach langer Überlegung fand er nur eine einzige Sache, die alle in Betracht komenden Fallgruppen einte: den lockeren Schlag aus dem Handgelenk. Egal wie die Umstände auch aussahen, dies war immer vonnöten. Er strich daher munter drauflos, vereinfachte einerseits und hob andererseits die für ihn maßgebliche Bewegung hervor, so daß zum Schluß die Kata nur noch aus einem lockeren Schütteln des Handgelenks bestand.
Mit der Zeit fand die Kata große Verbreitung, weil sie sich zusammen mit der "Wie-rudere-ich-richtig-ein-Boot"-Kata und der "Wie-pflanze-ich-am-besten-Reis"-Kata hervorragend zur Körperertüchtigung eignete.
Aber auch andere Fähigkeiten schienen in der Kata verankert zu sein. Man erkannte, daß jedewede feinmotorische Tätigkeit der Hand ohne lockeres Handgelenk erschwert war, man z.B. stundenlang ohne Ermüdung schreiben konnte, wenn nur das Handgelenk locker bliebe. Deswegen plädierten einige Experten sogar dafür, die Kata in "Der-perfekte-Schreibstil"-Kata umzubenennen. Andere begannen zu bezweifeln, ob der alte Zimmermann tatsächlich nur Nägel in die Wand hauen wollte, denn dies könne man nicht mehr so ohne weiteres erkennen.
Und tatsächlich begannen immer mehr Menschen zu vergessen, was der Name der Kata zu bedeuten hatte. Sie übten sie aus den unterschiedlichsten Motiven.
Einige ganz Eifrige fingen hingegen damit an zu behaupten, daß, wenn man die Kata nicht mit dem notwendigen Wissen um das "wahre Nageln" übe, dies vollkommen falsch sei und inhaltslos und leer. Dabei blieben sie sogar, als Hämmer abgeschafft und durch Nagelpistolen ersetzt wurden.
Der Nachfolger des Meisters hingegen wußte genau, daß alle, bis auf die Extremisten, recht hatten. Die Kata war für's Nageln und für's Schreiben gut wie für alles andere auch, wenn nur eines sicher gestellt war: das lockere Handgelenk mit IRGENDEINER Tätigkeit vor Augen, bei der ein lockeres Handgelenk vonnöten ist. Deswegen erzählte er seinen Schülern auch recht wenig über das Bunkai der Nagelkata, sondern sehr, sehr viel über lockere Handgelenke, was die Vertreter der Lehre des "wahren Nagelns" für hirnlosen Sport hielten.

;-))))))

MfG
Jens Streich

ryuma
18-03-2003, 04:28
@Jens

Bravo, sehr gut (aber nicht dass ab morgen alle beim Karate nur noch nageln... :b)

@Michael

Ich habe weder Funakoshi noch Nakayama kritisiert, ich habe nur versucht, relevante Fakten einzubringen.


Auch wenn es eine persönliche Meinung ist, hälst du es fE sachlich gerechtfertigt Karate mit heutigen Spannungssituationen oder der heutigen KriegsfErung in einen Topf zu werfen?

Ja, das halte ich, denn Karate kann einen ganz anderen Beitrag leisten, als Selbstverteidigung. Karate ist nicht mehr so wie auf Okinawa, die Zeiten haben sich geaendert.

Noch etwas zum Schreibstil: "Geheime Toetungstechniken" stand in Anfuehrungszeichen und war damit ein sprachliches Mittel. Wer der Meinung ist, Karate sei Akupunktur oder man muesse in allem Kakie sehen... Der sucht nach so etwas.

Gruss

Dojokun
18-03-2003, 09:10
Original geschrieben von ryuma
[BWer der Meinung ist, Karate sei Akupunktur oder man muesse in allem Kakie sehen... Der sucht nach so etwas.
[/B]

Akupunktur etc. können das Karate erweitern, keine Frage!

Aber es stellt sich doch eine Frage:
Was bringt das Wissen über diese Dinge, wenn die Technik nicht reicht??

Und man achte auf die Formulierung: WISSEN!
Im Karate geht es IMHO um ERFAHRUNG....

Also:
Toleranz und v-i-e-l Training!!



Oss

Dojokun :D

Michael1
18-03-2003, 16:42
Wer der Meinung ist, Karate sei Akupunktur oder man muesse in allem Kakie sehen... Der sucht nach so etwas.
Stimmt. Ich suche nach dem Sinn dessen was ich tue, und das auf verschiedenen Ebenen.
Als Anfänger fragt man sich "Wozu ist denn Age-Uke da?" und dann zeigt jemand einem das man damit einen angreifenden Arm nach oben schlagen kann. Dann ist man erst einmal zufrieden... und dann lernt man das man damit auch den Hals angreifen kann. Das sind dann schon zwei Anwendungen für ein und die selbe Sache und man nutzt mal das eine und mal das andere, so wie es einem gerade zu passen scheint.
Und so ist es auch mit Kakie und Vitalpunktstimulation, man sieht in einer Bewegung mehrere mögliche Anwendungen und nicht eine einzige. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung mit dem Thema Stock, z.B. in Meikyo, Kanku-Sho, Bassai-Sho und vielleicht ja auch noch in anderen Kata?
Das ganze funktioniert natürlich nicht nur wenn man etwas gezeigt bekommt, man kann auch selbst auf vieles kommen - nur dauert es dann oft länger.
Das dumme daran ist das dadurch vieles nicht einfacher sondern schwieriger wird, denn welche ist nun "die richtige" Anwendung?

Ich habe "in Sachen Vitalpunktstimulation" minimales Wissen und so gut wie keine Erfahrung. Mit dem Wissen tun sich auf einmal Blickwinkel auf die ich zumindest weiter erkunden will. Ich werde sehen ob Vitalpunktstimulation mein Karate bereichert oder ob ich es wieder "über Bord schmeisse". Das mache ich aber erst wenn ich mich damit auseinandergesetzt habe und nicht bevor ich überhaupt etwas darüber weiß.
Ähnlich sieht es mit dem oben erwähnten Stock aus, mal sehen wohin es führt.
Bei Kakie habe ich schon mehr Erfahrung und ich bin sicher das ich es nicht wieder über Bord schmeiße.

Du magst weder Nakayama noch Funakoshi kritisiert haben, aber sicher "Herrn L. aus B.", oder wie ist das sonst zu verstehen?
Japanisches Karate ohne den "chinesischen Kram", genau das ist es. Das hat L. aus B. nicht kapiert.

Jetzt erinnere ich mich auch woher ich deinen Namen kenne :), schwirrte schon eine ganze Weile in meinem Kopf herum. Im zusammenhang mit dem BSK habe ich vor Ewigkeiten mal eine Diskussion in einem anderen Forum verfolgt in dem ich viel gelesen aber nicht gepostet habe. Da war dann aber so wenig los das es sich einfach nicht mehr lohnte..





Ich hatte den Thread hier für mich eigentlich weitgehend für beendet erklärt, ich habe keinen "missionarischen Eifer".
Deshalb auch kein "Anti-Beispiel" zu der "Hammer-Kata"... selbst wenn am Ende nur noch der Gedanke "lockeres Handgelenk" steht das überall benutzt wird, egal ob es gerade Sinn macht oder nicht ;).

Wie gesagt, ich denke die Standpunkte sind hinreichend klar. Daran wird sich auch durch weitere Diskussionen an dieser Stelle nichts ändern.

Jens S.
18-03-2003, 20:18
Hallo Michael,

alles, was Du schreibst, ist irgendwie richtig, sorgt aber auf der anderen Seite für ein Grummeln in meinem Magen.

Zwar weiß ich nicht, ob Dein letztes Posting an mich oder Stephan (Ryuma) gerichtet ist, da Du weder Anreden, dafür aber Bezugnahmen quer durch Postings verschiedener Absender benutzt, gehe aber davon aus, daß wir beide gemeint sind.

Obwohl Du auf meine Hammer-Kata-Story nicht näher eingehen willst, Dir ein paar grundsätzliche Bauchschmerzen, die Du dann auch nebulös andeutest, nicht zu verkneifen können scheinst, sehe ich mich veranlaßt, da nochmal nachzuhaken.

In die Geschichte über die Hammer-Kata habe ich so gut wie alles hineingelegt, was ich von einem toleranten, verständnis- und respektvollen Umgang miteinander weiß, so daß die Geschichte ganz bewußt sehr tiefsinnig ausgelegt ist, was einige auch zu verstehen scheinen. Erste Stufe für ein solches Verstehen ist richtiges Lesen, was Du ganz offensichtlich nicht tust. Ansonsten hättest Du gemerkt, daß "sinnloses Handgelenkschütteln" gerade nicht gemeint war. ... Man liest halt, was man lesen will.

Die Geschichte sollte auch vermitteln, daß Deine Suche nach der "richtigen" Anwendung der Kata aus ganz objektiven Gründen scheitern muß.
Scheitern schon deshalb, weil zunächst der Terminus "richtig" definiert werden muß, denn es gibt vielerlei Ansatzmöglichkeiten. Meinst Du damit, was sich der Gründer dachte, und wenn ja, ist dasjenige das "Richtige", was sich der Gründer zu Beginn seiner Überlegungen dachte, oder das, was am Ende bestimmend und damit bereits die erste Veränderung war? Oder das, was die dutzenden Reformierer, die sich danach daran zu schaffen machten, dachten? Wenn ja, welcher? Und warum dieser? Kann es nicht auch sein, daß vielleicht der Gründer oder irgendeiner der Reformierer gar nicht so genial war, wie es den Anschein hatte, und erst später der "rechte Dreh" gefunden wurde, so daß "älter" als Unterscheidungskriterium auch nicht recht taugt. ...
KURZE PAUSE: Es wird deutlich, daß es einige "richtig" geben könnte.
Egal, wie man die obige Frage beantwortet, eines ist klar: Wenn man seine Defintion des "richtig" aufgestellt hat und WEIß, was die jeweilige Bezugsperson wollte und dies für einen selbst auch "richtig" erscheint, ist man am Ziel. Alle Kampfkunsterforschungszirkel können dann dicht machen.
Der Witz ist aber, daß man es in 99% der Fälle nicht weiß, so daß nahezu jedes heute angebotene Bunkai/Oyo auf der Grundlage eines "reverse engineering" entwickelt wurde.
Jetzt spätestens müßte es daß erste mal "Klick" machen. Frage: Die alten Meister wollten ihre Technik zwar in die Kata festschreiben, sie aber auch verschlüsseln, um sie zu schützen. Wie kann reverse engineering dann funktionieren?
Richtig! Indem man den Code findet. Den Code bekommt man beigebracht, oder man entschlüsselt ihn.
Beigebracht bekommen haben die ganzen Kampfkunsterforscher den Code nicht, denn ich glaube mich zu erinnern, niemals davon gelesen oder gehört zu haben, daß einer dieser Leute Uchi-deshi bei Funakoshi Sensei oder den Lehrern von Funakoshi Sensei oder wiederum deren Lehrern gewesen ist. (Oder konnte man sonst irgendwo den Code für Shotokan-Kata erlernen? Okay, vielleicht auch bei Meistern wie Kase Sensei, der allerdings, wie hier im Forum schon nachzulesen war, bezüglich seiner tausenden Uchi-deshi's Erinnerungslücken zu haben scheint.)
Also benötigt man einen Entschlüsselungsalgorithmus, der natürlich für jede Ursprungsquelle der Kata ein anderer sein muß, denn ich unterstelle, daß die alten Meister sich nicht öffentlich in der "Okinawa Times" darüber einigten, sondern vielmehr, daß sie sich gar nicht einigten. Alles andere macht schlicht keinen Sinn, den eine gemeinsame Verschlüsselung ist keine solche.
Jetzt muß es das zweite Mal klicken: Kann es sein, daß ein Algorithmus 10 oder 20 oder weiß wie viele Schlüssel, die allesamt verschiedenen Verschlüsselungstechnologien entsprungen sind, knacken kann?
Wenn Du mich fragst: Öh, weiß nicht. Wohl eher nicht.
Also benutzt man so etwas wie einen Universalschlüssel, der, siehe oben, bestenfalls manchmal halbwegs, aber niemals immer richtig passen kann, da es ihn eigentlich gar nicht gibt. Aber gut.
Wie kommt nun dieser Universalschlüssel zustande?
Richtig! Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Oder etwas weniger pathetisch ausgedrückt: Man sieht das, was man sehen will. Die Psycholgen haben dafür einen Lehrsatz: Niemand ist rückhaltlos offen.
WIEDER KURZE PAUSE: Es zeigt sich, daß es immer mehr "richtig" geben muß.
...
Jetzt könnte ich weiterschreiben und weiterschreiben, habe aber so meine Zweifel, ob das auch "richtig" gelesen wird. Ich hab' da so meine Erfahrungen. ;-)

Deshalb mache ich es kurz: Es bedarf nicht einmal einer Definition von "richtig". Es gibt nämlich kein "richtig", weil es ein "falsch" impliziert. Oder vielleicht doch, dann aber in tausendfacher Ausprägung. (Steht alles in der Hammer-Story.)

Noch eins zum Schluß:
Was Herr L. aus B. macht, ist mir schlicht und ergreifend egal, da er häufig nur seine Meinung sagt, was er auch darf. Er hat sogar schon einige recht kluge Dinge losgelassen (meine Meinung) und insgesamt tut er ein gutes Werk.
Jedoch findet die Freiheit der Meinung rechtlich seine Grenzen bei Tatsachenbehauptungen (soweit will ich jetzt nicht mal gehen), und moralisch gesehen an der Meinung und den Gefühlen anderer.
Beispiel gefällig? > Nehmen wir einmal an, ich fände 90% aller Frauen stockhäßlich. Wenn ich nun ein Schild schriebe und mit mir herumtragen würde, auf dem steht "90% der Frauen sind stockhäßlich.", so hätte ich Probleme. Ich könnte aber auch schreiben "Ich finde 90% der Frauen stockhäßlich." Geht schon eher, tue ich aber auch nicht. Man nennt dies die Regeln des Anstandes.
Aus diesem Grund unterläßt man es, einem Meister den Sachverstand abzusprechen, obwohl viele Millionen Menschen diesem Meister hingebungsvoll folgen und einige von ihnen sogar ihr Leben daran ausgerichtet haben. Der Anstand gebietet es, den eigenen Weg darzulegen, wenn man sich das schon nicht verkneifen kann, und den Rest unausgesprochen sein zu lassen.
Schlicht und ergreifend Anstand.
Und was macht man mit jemandem, der einem ohne Anstand begegnet? Man wendet sich ab oder verteidigt sich, je nach Mentalität.

Zu den Regeln des Anstandes gehört es im Übrigen auch, daß eine Diskussion dann beendet ist, wenn beide Seiten dieser Meinung sind.

MfG
Jens Streich

xyto
18-03-2003, 21:54
ad "Definition" bzw. "richtiger Ausführung" von Kata / Karate:

Vielleicht es eine Überlegung wert zu bedenken, dass es sich mit Karate ganz ähnlich wie mit anderen Künsten oder Spielen verhält:

Sie alle haben ihre Wirklichkeit und Wahrheit nur durch die Ausführung.
Theoretisieren ist nicht Karate, über Karate zu reden ist nicht Karate, eine Idealkata auf dem Reißbrett zu konstruieren ist nicht Karate - Karate ist nur durch Tun und hat seine Wirklichkeit nur im Gemacht werden. .... glaube ich...


Soll keine Kritik an irgendjemanden sein, nur ein Einwurf....


Freundliche Grüße,

xyto

Jens S.
18-03-2003, 22:23
Hallo Xyto,

ich glaube Dir, daß Du "nur" glaubst, was Du glaubst.
Ich hingegen glaube, daß stimmt, was Du glaubst.
... glaube ich ...

;-)))))

MfG
Jens Streich

xyto
18-03-2003, 22:51
hehe ;)

naja im Karate von Wissen zu sprechen ist ja generell problematisch.
Denn sagte man, dass man weiß was dies und jenes ist müsste man es auch begründen können....
Fragte man nach, nach und nöcher dann könnte man irgendwann vielleicht nur mit den Schultern zucken und müsste zugeben ... tja.. wieso, wieso weiß ich - glaube ich zu wissen - dass Karate X ist?
Weil ich es erfahren habe.
Erkläre es!!
Wie sollten Worte je gereichen zu dem die Tat allein vermag den Weg zu weisen...?


wuahaha *g*
sorry bin ein bisschen schlaftrunken, gute Nacht allen

xyto


@ Jens Streich

Du studierst nicht zufällig Philosophie? Deine Wortwahl ist verdächtig.... ;)

Jens S.
18-03-2003, 23:16
Hallo Xyto,

Studium? Leider schon drei oder vier Donnerstage her. ;-)
Wenn ich auch recht lang studiert habe (zweimal: Kriminalistik und Recht), so jedenfalls aber leider keine Philosophie. War mir zu kompliziert ... ;-) ... und wir Karate-Gemüter sind ja eher schlicht.

MfG
Jens Streich

Michael1
18-03-2003, 23:37
Hallo Jens,

mein letztes Posting war mehr an ryuma gerichtet. Diesen hatte ich zu beginn Zitiert, seinen Namen jedoch versehentlich abgeschnitten. Hätte mein Posting noch einmal lesen sollen...

Mein Kommentar zu deiner "Hammer-Story" endet mit einem ";)". Mit diesem Augenzwinkern wollte ich zum Ausdruck bringen das mein Kommentar nicht wirklich ernst gemeint ist. Das hast du offenbar überlesen oder Mißverstanden, das unsorgfältige lesen gebe ich also gerne zurück :D ;).

Ich habe deine Geschichte durchaus gelesen, und ich denke im wesentlichen auch verstanden. Ich hatte sie als für mich als einen versönlichen Abschluss des Themas betrachtet. Da ich mich aber noch einmal zu ryuma geäußert habe konnte ihn mir einen (wie oben schon geschrieben nicht ernsthaft gemeinten) Kommentar nicht verkneifen.
Durch Sätze wie
Dabei blieben sie sogar, als Hämmer abgeschafft und durch Nagelpistolen ersetzt wurden. sagst du Sinngemäß "Sie blieben bei ihren alten Sachen obwohl die inzwischen vollkommen überflüssig waren". Die Hämmer wurden abgeschafft, es gibt sie nicht mehr. Leute die damit umgehen können braucht man also nicht mehr, gehören also ebenso abgeschafft?? Nein, so habe ich es nicht wirklich verstanden, aber man könnte... ;).
Mit
Deswegen erzählte er seinen Schülern auch recht wenig über das Bunkai der Nagelkata, sondern sehr, sehr viel über lockere Handgelenke, was die Vertreter der Lehre des "wahren Nagelns" für hirnlosen Sport hielten. würfst du den Vertretern des "wahren Nagelns" intolleranz vor.
Den Schuh habe ich mir nicht wirklich angezogen, aber wie ich oben schon schrieb konnte ich mir als ich schon einmal dabei war den nicht ernst gemeinten Kommentar dann doch nicht verkneifen.

Soweit also dazu, wenn du dich durch meinen Kommentar auf den Schlips getreten fühlst bedauere ich das denn es lag nicht in meiner Absicht.



Was "richtig" ist (das richtig steht auch in meinem Orginaltext in Anführungszeichen) ist sicher nicht eindeutig festgelegt. Deshalb steht es ja in Anführungszeichen. Es gibt aber doch insofern ein "richtig" das etwas der genannten Zielsetzung des Ausführenden entspricht oder nicht. Um es deutlich zu machen:
Ich kann nicht sagen "für mich ist Karate Selbstverteidigung" wenn ich dabei vollkommen realitätsfremde Annahmen mache (...eine 50 kg Frau kann mit einem Zuki jeden 100kg Mann zu Boden schicken...).


Zu den Schlüsseln:
Entschlüsseln ist sicher nicht einfach. Es gibt unbekannte Parameter, aber nach wie vor haben die meisten Menschen ähnliche Körper (Arme, Beine,..) mit ähnlichen Reaktionen (wer einen Finger ins Auge bekommt wird versuchen den Finger herauszubekommen), usw...
Wenn ich eine Kata entschlüsseln will brauche ich etwas mit dem ich das tun kann, einen "Schlüsselbund". Der Schlüsselbund besteht aus meinem Wissen das ich mir entweder selbst erarbeitet habe (durch Denken und Probieren) oder die ich von anderen bekommen habe (Lehrer).
Mein Schlüsselbund besteht aus Schlüsseln (oder grob geformten Rohlingen) zur Technik wie z.B. Schlagen, Treten, Blocken, Ausweichen, Hebeln, Werfen, Greifen, Kakie,... die ich z.T. auch ausserhalb des Karatetraining gefunden habe aber für mich passen. Dann gibt es auch noch weitere Schlüssel wie Taktik, Gesundheit (auf biomechanischer Ebene wie Muskeltraining, Koordination,... aber auch auf energetischer Ebene wie Vitalpunktstimulation), Philosophie, die Lehre der 5 Elemente, die 5 Kampftiere der Shaolin .... und damit fehlen mir vielleicht noch etliche Schlüssel von denen ich noch nicht einmal Ahne das es sie gibt.
Das wühlen in der Vergangenheit ist für mich die Suche nach weiteren Schlüsseln. Ich suche nicht nach der entschlüsselten Kata ihrer selbst willen. Eine entschlüsselte Kata liefert mir aber evt. einen Schlüssel den ich bisher noch nicht kannte und mit dem ich die anderen Kata "bearbeiten" kann, oder er liefert mir Verbesserungen für meine vorhanden Schlüssel so das sie noch besser passen, das aus einem Rohling ein Schlüssel wird. So ist also jede entschlüsselte Kata (egal von wem sie stammt) wertvoll für mich. Genau so sind unterschiedliche Versionen einer Kata hilfreich für mich weil ich dadurch vielleicht eigene Schlüssel entwickeln kann.
Wenn ich mit einem Schlüssel für mich keinen Erfolg habe entferne ich ihn evt. ganz von meinem Schlüsselbund. Das ist für mich nicht schlimm wenn es ein Schlüssel war der bei mir nie passte, z.B. weil eine Taktik nicht meinem Charakter oder meinen körperlichen Vorraussetzungen entspricht. Wenn ich Unterrichte kann ich ihn aber nicht weitergeben, mein Schüler erhält also evt. einen Schlüssel der bei ihm oft gepasst hätte weniger. Vielleicht vergesse ich sogar das es diesen Schlüssel gab, und dann kann ich meinen Schülern nicht einmal sagen "da gibt es einen Schlüssel, wenn du ihn findest kann er dir vielleicht eine neue Tür öffnen". Und Meine Schüler schmeissen von meinem Schlüsselbund vielleicht auch noch ein paar Schlüssel weg mit denen sie nichts anfangen können und geben diesen noch kleineren Schlüsselbund an ihre Schüler weiter.... :(.
Dann habe ich als Lehrer in meinen Augen versagt.



Herr Lind aus Bensheim ist mir persönlich einfach nicht bekannt. Ich habe Bücher von ihm in denen das ein oder andere interessante steht, ich kenne auch Karateka aus dem BSK mit denen ich trainiert habe ... das wars.
Was mich gestört hat war das hier der Name nicht genannt wurde. Entweder man sagt wen man kritisiert oder man läßt es (Meine Meinung). Ich denke die meisten wissen wer mit "Herr L. aus B." gemeint ist, es hält aber den weg frei sich herauszureden (womit ich ryuma nicht unterstelle das er das wollte, aber mich stört diese offene Tür etwas. Wenn man meint was man sagt braucht man sie nicht).

Jens S.
19-03-2003, 00:12
Hallo Michael,

da sieht man wieder einmal, wie es kommen kann. Und über smilies und deren Bedeutung weiß ich offensichtlich zu wenig.

Nein, daß man es so verstehen KÖNNTE, daß ich gemeint haben kann, daß Hämmerer abgeschafft gehören, nur weil es keine Hammer mehr gibt, oh nein, das ist ein bißchen viel.
Nur wenn Hämmerer durch die Lande ziehen und behaupten, sie seien im Besitz der wahren Lehre, wird spätestens mit der Abschaffung der Hämmer zur Lachnummer. Das ist alles.

Ja, die Vertreter des wahren Nagels sind intolerant, wenn sie behaupten, nur sie seien im Besitz der Lehre. Das ist noch nicht so schlimm, ABER SIE URTEILEN und würdigen herab, wenn sie die Tätigkeit anderer, die diese mit Inbrunst ausüben, als inhaltlos bezeichnen.

Zum "richtig": Ja, eben, deswegen gibt es viele "richtig" und nichts, was auch nur annähernd in die Nähe einer wahren Lehre kommt, weswegen sich Urteile wie oben verbieten.

Zu den Schlüsseln: Ja, sehe ich auch so. Deine Schlüssel, meine Schlüssel, viele Schlüssel ... und viele Fundorte für Schlüssel. Jeder sucht da, wo er möchte. Also wieder: keine wahre Lehre und somit keine Urteile.

Herrn Lind kenne ich auch nicht persönlich, so wie man jemanden eben nicht persönlich kennen kann, wenn man alle dessen Bücher gelesen und alle dessen Videos gesehen hat.
Das mit "L. aus B." hat historische Gründe, gab es doch in der Vergangenheit auch in einem anderen Forum diesbezügliche Threads, in deren Folge das Thema BSK/Lind und diesbezügliche eindeutige Bezugnahme ausdrücklich unerwünscht war.

MfG
Jens Streich

Michael1
19-03-2003, 00:44
Original geschrieben von Jens S.
Ja, die Vertreter des wahren Nagels sind intolerant, wenn sie behaupten, nur sie seien im Besitz der Lehre. Das ist noch nicht so schlimm, ABER SIE URTEILEN und würdigen herab, wenn sie die Tätigkeit anderer, die diese mit Inbrunst ausüben, als inhaltlos bezeichnen.

Man hat halt für sich etwas tolles entdeckt, jetzt will man den anderen zeigen was man da gefunden hat... und wenn es die dann nicht interessiert weil es für sie langweilig oder uninteressant ist, dann ist das frustrierend und vollkommen unverständlich. Das ist wie wenn du einem Kind sein erstes Fahrrad schenkst und dann interessiert es keinen wenn es darauf fahren kann. ;)
Nachdem ich an der Interpretation eines Stücks einer Kata rumgetüftelt hatte und für mich das Gefühlt hatte "die Stelle hast du jetzt Begriffen, jetzt ist es Sonnenklar" habe ich einem Trainingskollegen davon erzählt... sein Kommentar zu einigen anderen war "Schaut euch den an, dessen Augen glühen richtig". ;)


Und das "Herr L. aus B." Tradition hat kann man ja auch dazuschreiben ;).