Dubois
01-02-2008, 18:19
Physik, die n-te ;) Nur ein kleiner Exkurs!
Das hier habe ich gefunden. Ist leider nicht so sauber aufgearbeitet, wie man sich es wünschen möchte, aber trotzdem nett als Einschub.
(Wen es interessiert: Die eigentlich grossen Threads zum Thema kommen erst noch :) )
Die Physik des Karateschlages
Das Bild des Karatekämpfers, der mit der bloßen Hand dicke Platten aus Holz oder Beton zerschlägt, ist vertraut (Bild 1 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild1)). Der Anblick ist dennoch so ungewöhnlich, daß viele Menschen glauben, eine Täuschung sei in Spiel. Das trifft jedoch nicht zu. Schon der Anfänger kann ein dickes Holzbrett zertrümmern, und bald ist er in der Lage, ganze Stapel davon zu zerschmettern. Wir haben untersucht, wie der Karatekämpfer (oder Karateka) mit der ungeschützten Hand Platten aus Holz oder Beton zerschlagen kann, ohne sich dabei zu verletzen. Wir fanden, daß die Hand des Karateka eine Spitzengeschwindigkeit von 10 bis 14 Meter pro Sekunde erreicht und eine Kraft von über 3.000 Newton auszuüben vermag. Diese Kraft entspricht dem Gewicht von 306 Kilogramm. Wird die Hand richtig gehalten, so übersteht sie den Aufschlag unversehrt.
Das japanische Karate entwickelte sich, als die Japaner im 17. Jahrhundert die Insel Okinawa eroberten. Sie nahmen den Besiegten alle Waffen ab und verboten deren Herstellung und Einfuhr. Nicht einmal Schwerter für zeremonielle Zwecke durften geschmiedet werden. Um sich dennoch verteidigen zu können, erinnerten sich die Bewohner der Insel alter Methoden des waffenlosen Kampfes, die ihnen von chinesischen Mönchen, Kriegern und Ärzten überliefert worden waren, und verfeinerten und vervollkommneten sie zum Karate. Ähnliche orientalische Kampfkünste sind Taekwon-Do, Kempo und Kung-Fu.
Obwohl es nicht zum Wesen des Karate gehört, Gegenstände zu zerstören, wollen wir uns hier damit befassen, denn wir wollen untersuchen, wieviel Energie ein gut geführter Karateschlag auf sein Ziel überträgt.
Für unsere Experimente benutzten wir Bretter aus trockenem, hellem Fichtenholz. Sie wogen 280 Gramm und hatten eine Länge von 28 cm, eine Breite von 15 cm und eine Dicke von 1,9 cm. Ihre Maserung lief ihrer Breite parallel. Außerdem verwendeten wir Betonplatten, mit denen sonst Gehwege gepflastert werden. Sie wogen 6,5 kg und waren 40 cm lang, 19 Zentimeter breit und 4 cm dick. Wir trockneten sie mehrere Stunden in einem Herd, damit sie sich in ihrem Bruchverhalten nicht unterschieden. Jedes Brett und jede Betonplatte legten wir auf zwei Stützen (Bild 2 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild2)), so daß die effektive Länge um vier Zentimeter unter der tatsächlichen Länge lag.
Wenn der Karateka eine Holz- oder Betonplatte spalten will, muß er sie im Bereich der Mittellinie treffen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß sich die Kraft in diesem Bereich gleichförmig verteilt. Der Aufschlag hat zur Folge, daß sich die Platte in der Richtung durchbiegt, in der sich die Hand des Karateka bewegt. Dabei verkürzt sich die Platte in ihrer oberen Hälfte. Die Längenänderungen sind zwar klein, wenn man sie mit den Abmessungen der Platte vergleicht, aber sie reichen aus, um die Platte zu zerbrechen. Da Holz und Beton Druckbelastungen besser aushalten als Zugbelastungen, beginnt die Platte an ihrer unteren Fläche zu reißen. Der Riß breitet sich schnell nach oben aus, während die Hand des Karateka fortfährt, die Platte nach unten zu stoßen.
Physikalisch gesprochen erzeugt die Hand des Karateka in der Platte eine Spannung, die parallel zur Längsrichtung wirkt und die untere Begrenzungsfläche der Platte dehnt. Überschreitet die Spannung einen kritischen Wert (die Bruchspannunghttp://www.arsmartialis.com/spektrum/sigma.gif), so reißt die Platte von unten her ein. Die Größe der Bruchspannung hängt von der Elastizität des Materials ab, aus dem die Platte besteht, und diese ist durch den Elastizitätsmodul E charakterisiert, der angibt, wieviel die Spannung im Material wächst, wenn man das Material dehnt.
Beim Schlag hat die Hand des Karateka eine Bewegungsenergie, die durch ihre Masse und ihre Geschwindigkeit gegeben ist. In dem Augenblick, in dem die Hand die Platte trifft, wird sie abgebremst und überträgt den größten Teil ihrer Bewegungsenergie auf die Platte. Wieviel Energie muß übertragen werden, damit die Platte bricht!
Zwischen der Hand des Karateka und der Platte, die auf sie schlägt, entwickelt sich ein kompliziertes System von Wechselwirkungen, das wir schrittweise analysieren wollen. Zunächst betrachten wir den einfachen Fall, daß die Hand auf die Plattenmitte eine Kraft ausübt, die sich mit der Zeit steigert, so daß die Platte schließlich bricht. Man findet dann zwischen der Größe der Kraft und der Durchbiegung der Platte den in Bild 3 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild3) dargestellten Zusammenhang, aus dem sich die Bruchspannung http://www.arsmartialis.com/spektrum/sigma.gif und der Elastizitätsmodul E ermitteln lassen. Diese Größen stehen mit dem Volumen V der Platte und dem zum Bruch der Platte führenden Energiebetrag (der Bruchenergie) in folgender Beziehung:
http://www.arsmartialis.com/spektrum/formel.gif
Die Formel besagt, daß man um so mehr Energie braucht, je größer die Platte ist, daß der Schlag um so kräftiger sein muß, je besser das Material der Platte einer Zugbelastung standhält, und daß Platten aus steifem Material (das heißt mit einem großen Elastizitätsmodul) schon unter schwachen Schlägen brechen.
Man errechnet auf diese Weise eine Bruchenergie von 32 Joule für eine Holzplatte der eingangs beschriebenen Art und von 10 Joule für eine Betonplatte. Ein Joule Energie wird verbraucht, wenn man ein Gewicht von einem Kilogramm um zehn Zentimeter hebt.
Nun übt aber die Hand des Karateka auf die Platte nicht nur einfach eine Kraft aus. Sie versetzt die Platte vielmehr in Schwingungen, was dazu führt, daß die Bruchenergie sinkt: Sie beträgt in Wirklichkeit nur 5,3 Joule für die Holzplatte und 1,6 Joule für die Betonplatte.
Allerdings sagen diese Zahlen nichts darüber aus, wie groß die Bewegungsenergie der Hand sein muß, denn diese Energie überträgt sich um so unvollständiger auf die Platte, je größer deren Masse relativ zur Masse der Hand ist. Die Holzplatte hat eine kleinere Masse und übernimmt die Bewegungsenergie der Hand wesentlich besser als die Betonplatte.
Eine weitere Komplikation besteht darin, daß ein Teil der Energie verbraucht wird, um die Hand beim Aufschlag zu verformen. Man erkennt das aus Bild 4 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild4): Wir versahen den Handrücken mit vier Markierungspunkten und photographierten den Schlag mit einer Frequenz von 1000 Bildern pro Sekunde.
Berücksichtigt man diese Verhältnisse, so ergibt sich, daß die Hand des Karateka eine Bewegungsenergie von 12,3 Joule haben muß, um eine Holzplatte der eingangs genannten Art zu zerbrechen, und daß der Wert für die Betonplatte 37,1 Joule beträgt.
Daraus wiederum berechnet man, daß die Faust eine Geschwindigkeit von 6,1 Metern pro Sekunde für die Holzplatte und von 10,6 Metern pro Sekunde für die Betonplatte erreichen muß. Liegen diese Geschwindigkeiten im Bereich des Möglichen!
Wir haben die Handbewegung eines Karateka photographiert, indem wir in einem dunklen Raum den Verschluß der Kamera öffneten, den Karateka baten, den Schlag auszuführen und gleichzeitig ein Blitzgerät in Gang setzten, das pro Sekunde 120 Blitze erzeugte. Bild 5 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild5) zeigt das Ergebnis für eine nach vorn gestoßene Faust, und Tabelle 1 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Tabelle1) faßt die Spitzenwerte zusammen, die wir für andere Karateschläge fanden. Man sieht, daß die zum Zerbrechen einer Holzplatte erforderlichen 6,1 Meter pro Sekunde von einem Anfänger aufgebracht werden können, daß aber 10,6 Meter pro Sekunde einige Übung verlangen.
Im Augenblick des Aufschlags ist die Hand des Karateka Kräften ausgesetzt, die dem vierhundertfachen ihres Gewichtes entsprechen. Wie kommt es, daß sie durch diese Kräfte nicht selbst zerschmettert wird! Zum Teil liegt das daran, daß Knochen widerstandsfähiger sind als Beton: ein Knochen hat eine mehr als vierzigmal so große Bruchspannung wie ein Betonstück. Legt man einen zylindrischen Knochen von zwei Zentimeter Durchmesser und sechs Zentimeter Länge an seinen Enden wie das Brett in Bild 2 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild2) auf zwei Stützen, so kann man ihn in der Mitte mit 25.000 Newton (etwa 2.500 kg) belasten, ohne daß er bricht. Das ist das Achtfache der Kraft, die die Betonplatte auf die Hand des Karateka ausübt. Tatsächlich kann die Hand weit größere Kräfte aushalten, denn ihre Knochen sind beweglich, können sich beim Aufprall gegeneinander verschieben und können einen Teil der Kräfte an die Muskeln und das Bindegewebe weitergeben. Beispielsweise schützt der Beugemuskel des kleinen Fingers, der sich versteift und verdickt, wenn man die Hand zur Faust schließt, den fünften Handwurzelknochen an der unteren Kante der Faust. Wie ein Polster fängt er einen Teil des Schlages ab. Als nächstes nehmen die Sehnen des Handgelenkes einen Teil der Kräfte auf, wenn die Faust im Handgelenk nach oben knickt. Und schließlich kommt auch die Armmuskulatur ins Spiel.
Entscheidend bei alledem ist, daß der Karateka die Hand (oder bei Fußschlägen den Fuß) richtig hält, nämlich so, daß die Kraft, die zum Bruch eines Knochens führen würde, wesentlich größer ist als die Kraft, die erforderlich ist, um dem Gegenstand zu zerstören, den der Schlag trifft.
Ein geübter Karateka kann auf diese Weise nicht nur eine einzelne Platte, sondern auch ganze Plattenstapel zerschlagen (Bild 6 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild6)), sofern die Platten des Stapels durch dünne Holzstäbe voneinander getrennt sind. Trifft der Karateka die oberste Platte genau in der Mitte, so überträgt diese die Energie ihrer nach unten gerichteten Drehbewegung auf die nächste Platte und so fort, so daß insgesamt für einen aus acht Platten bestehenden Stapel weniger als das Achtfache der Kraft benötigt wird, die erforderlich ist, um eine einzelne Platte zu zerschlagen. Verfehlt der Karateka die Mittellinie der obersten Platte (Bild 6 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild6), rechts), so verschieben sich die Bruchstellen der folgenden Platten zwar zur Mitte, aber dabei geht Energie verloren, und es gelingt dem Karateka unter Umständen nicht mehr, den ganzen Stapel zu zerschlagen.
Bilder, Bildunterschriften und Tabellen
Tabelle 1
Spitzengeschwindigkeit einiger Karateschläge. Die Werte wurden in der Weise bestimmt, die in Bild 5 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild5) gezeigt ist. Beim Hand und Fußschlag werden der Fuß im Uhrzeigersinn und die entgegengesetzte Hand gegen den Uhrzeiger bewegt, während man beim Fußstoß mit Körperdrehung bei ausgestrecktem Bein den ganzen Körper dreht. Karateschlag Spitzengeschwindigkeit
in Metern pro Sekunde
Gerader Fauststoß
5,7 - 9,8
Hammerfaustschlag
10,0 - 14,0
Handkantenschlag
10,0 - 14,0
Hand- und Fußschlag
9,5 - 11,0
Fußstoß mit Körperdrehung
7,3 - 10,0
Gerader Fußstoß
9,9 - 14,4
Seitlicher Fußstoß
9,9 - 14,4
Bild 1
(Nicht wiedergegeben: Mann macht Bruchtest)
Ronald McNair, einer der Autoren dieses Aufsatzes, zerschlägt hier mit der bloßen Hand drei Betonplatten wie sie normalerweise zum Pflastern von Gehwegen verwendet werden. Jede Platte wog 6,8 kg und war 40 cm lang, 19 cm breit und 4 cm dick. Da die Handknochen vierzigmal größere Belastungen aushalten können als die Betonplatten aushalten können, und da das Gewebe der Hand und des Armes einen großen Teil der Kräfte aufnimmt, bleibt die Hand unverletzt, wenn sie richtig geführt wird. Bild 2
http://www.arsmartialis.com/spektrum/bild2.gif
Eine auf zwei Stützen liegende Platte biegt sich durch, wenn sie von einem Hammerfaustschlag getroffen wird. Dabei verkürzt sie sich in ihrer oberen Hälfte und dehnt sich in der unteren. Hält das Material, aus dem die Platte besteht, Druckbelastungen besser stand als Zugbelastungen, so reißt die Platte von ihrer unteren Fläche ein. Bild 3
http://www.arsmartialis.com/spektrum/bild3.gif
Holz- und Betonplatten biegen sich verschieden stark durch, wenn man sie belastet. Aus dem Zusammenhang zwischen der Durchbiegung und der Kraft, die sie verursacht, ermittelt man den Elastizitätsmodul des Materials. Die Kraft, bei der die Platte bricht (und die Kraft endet), ergibt die Bruchspannung. Mit beiden Werten läßt sich berechnen, welche Energie aufgewendet werden muß, um die Platte zu zerbrechen. Bild 4
(Nicht wiedergegeben: Folge von 6 Bildern, welche den Einschlag einer Faust auf einem Brett darstellt)
Um die Verformung einer Faust beim Hammerfaustschlag zu bestimmen, wurden vier Markierungspunkte auf den Handrücken geklebt. Die sechs hier gezeigten Bilder wurden nacheinander im Abstand von jeweils einer Tausendstel Sekunde photographiert. Im Zeitpunkt 0 erreicht die Faust die Oberfläche der Betonplatte, aber erst vier tausendstel Sekunden später ist (im Teilbild 4) der Riß zu sehen. Beim Aufprall wird die Faust abgebremst und beträchtlich verformt, was an der Verschiebung der Markierungspunkte zu erkennen ist. Die Faust verhält sich also nicht wie ein starrer Körper, daß heißt ihr Schlag auf die Betonplatte ist zum Teil unelastisch. Bild 5
http://www.arsmartialis.com/spektrum/bild5.gif (Eine Stroboskop-Aufnahme von einem geraden Fauststoß / Oi-Zuki wurde nicht wiedergegeben)
Die oben wiedergegebene Aufnahme des geraden Fauststoßes entstand, indem der Verschluß der Kamera in einem dunklen Raum geöffnet blieb und mit dem Beginn der Bewegung ein Blitzgerät in Betrieb gesetzt wurde, das 120 Blitze pro Sekunde erzeugte. Die Photographie läßt deutlich erkennen, welche Wege die Hand in den Zeiten zwischen zwei Blitzen zurücklegt. Trägt man diese Wege gegen die Zeit auf, so erhält man die Kurve links unter der Photographie und daraus die rechte Kurve, die zeigt, daß die Faust eine Geschwindigkeit von mehr als 7 Meter pro Sekunde erreicht, wenn sie ungefähr 85% ihres gesamten Weges zurückgelegt hat. Auf gleiche Weise wurden auch für andere Karateschläge die in Tabelle 1 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Tabelle1) zusammengestellten Spitzengeschwindigkeiten ermittelt. Bild 6
(Nicht wiedergegeben: Zwei Bilder, die das Durchschlagen von Brettern darstellen)
Michael Feld, einer der Autoren dieses Aufsatzes, durchschlägt im linken Bild einen Stapel von 8 Holzplatten, zwischen denen jeweils am Plattenende Bleistifte als Stützen lagen. Im rechten Bild verfehlt er beim Aufschlag die Mitte der obersten Platte mit dem Erfolg, daß sich zwar die Bruchstellen der folgenden Platten zur Mitte hin verschieben, daß dadurch aber viel Energie verloren geht. Die verbleibende Energie reicht dann nicht mehr aus, um die unterste (in diesem Fall zehnte) Platte zu zerbrechen.
© Copyright by ‘Spektrum der Wissenschaft (http://www.spektrum.de/)’
Die Grafiken zu Bild 3+5 wurden für diese Homepage neu erstellt.
Dieser Artikel basiert auf einem englischen Original, welches u.a. 1983 im ‘American Journal of Physics’ publiziert wurde und in ‘The Physics of Sport (http://www.arsmartialis.com/literatur/physik.html)’ veröffentlicht wurde. Die Autoren gehörten zum ‘Department of Physics and Spectroscopy Laboratory’ am Massachusetts Institute of Technology. Der Originalartikel ist mathematisch und inhaltlich wesentlich umfangreicher. So schrecken die Autoren auch nicht vor brutalsten Differentialgleichungen 4. Ordnung zurück.
Das hier habe ich gefunden. Ist leider nicht so sauber aufgearbeitet, wie man sich es wünschen möchte, aber trotzdem nett als Einschub.
(Wen es interessiert: Die eigentlich grossen Threads zum Thema kommen erst noch :) )
Die Physik des Karateschlages
Das Bild des Karatekämpfers, der mit der bloßen Hand dicke Platten aus Holz oder Beton zerschlägt, ist vertraut (Bild 1 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild1)). Der Anblick ist dennoch so ungewöhnlich, daß viele Menschen glauben, eine Täuschung sei in Spiel. Das trifft jedoch nicht zu. Schon der Anfänger kann ein dickes Holzbrett zertrümmern, und bald ist er in der Lage, ganze Stapel davon zu zerschmettern. Wir haben untersucht, wie der Karatekämpfer (oder Karateka) mit der ungeschützten Hand Platten aus Holz oder Beton zerschlagen kann, ohne sich dabei zu verletzen. Wir fanden, daß die Hand des Karateka eine Spitzengeschwindigkeit von 10 bis 14 Meter pro Sekunde erreicht und eine Kraft von über 3.000 Newton auszuüben vermag. Diese Kraft entspricht dem Gewicht von 306 Kilogramm. Wird die Hand richtig gehalten, so übersteht sie den Aufschlag unversehrt.
Das japanische Karate entwickelte sich, als die Japaner im 17. Jahrhundert die Insel Okinawa eroberten. Sie nahmen den Besiegten alle Waffen ab und verboten deren Herstellung und Einfuhr. Nicht einmal Schwerter für zeremonielle Zwecke durften geschmiedet werden. Um sich dennoch verteidigen zu können, erinnerten sich die Bewohner der Insel alter Methoden des waffenlosen Kampfes, die ihnen von chinesischen Mönchen, Kriegern und Ärzten überliefert worden waren, und verfeinerten und vervollkommneten sie zum Karate. Ähnliche orientalische Kampfkünste sind Taekwon-Do, Kempo und Kung-Fu.
Obwohl es nicht zum Wesen des Karate gehört, Gegenstände zu zerstören, wollen wir uns hier damit befassen, denn wir wollen untersuchen, wieviel Energie ein gut geführter Karateschlag auf sein Ziel überträgt.
Für unsere Experimente benutzten wir Bretter aus trockenem, hellem Fichtenholz. Sie wogen 280 Gramm und hatten eine Länge von 28 cm, eine Breite von 15 cm und eine Dicke von 1,9 cm. Ihre Maserung lief ihrer Breite parallel. Außerdem verwendeten wir Betonplatten, mit denen sonst Gehwege gepflastert werden. Sie wogen 6,5 kg und waren 40 cm lang, 19 Zentimeter breit und 4 cm dick. Wir trockneten sie mehrere Stunden in einem Herd, damit sie sich in ihrem Bruchverhalten nicht unterschieden. Jedes Brett und jede Betonplatte legten wir auf zwei Stützen (Bild 2 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild2)), so daß die effektive Länge um vier Zentimeter unter der tatsächlichen Länge lag.
Wenn der Karateka eine Holz- oder Betonplatte spalten will, muß er sie im Bereich der Mittellinie treffen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß sich die Kraft in diesem Bereich gleichförmig verteilt. Der Aufschlag hat zur Folge, daß sich die Platte in der Richtung durchbiegt, in der sich die Hand des Karateka bewegt. Dabei verkürzt sich die Platte in ihrer oberen Hälfte. Die Längenänderungen sind zwar klein, wenn man sie mit den Abmessungen der Platte vergleicht, aber sie reichen aus, um die Platte zu zerbrechen. Da Holz und Beton Druckbelastungen besser aushalten als Zugbelastungen, beginnt die Platte an ihrer unteren Fläche zu reißen. Der Riß breitet sich schnell nach oben aus, während die Hand des Karateka fortfährt, die Platte nach unten zu stoßen.
Physikalisch gesprochen erzeugt die Hand des Karateka in der Platte eine Spannung, die parallel zur Längsrichtung wirkt und die untere Begrenzungsfläche der Platte dehnt. Überschreitet die Spannung einen kritischen Wert (die Bruchspannunghttp://www.arsmartialis.com/spektrum/sigma.gif), so reißt die Platte von unten her ein. Die Größe der Bruchspannung hängt von der Elastizität des Materials ab, aus dem die Platte besteht, und diese ist durch den Elastizitätsmodul E charakterisiert, der angibt, wieviel die Spannung im Material wächst, wenn man das Material dehnt.
Beim Schlag hat die Hand des Karateka eine Bewegungsenergie, die durch ihre Masse und ihre Geschwindigkeit gegeben ist. In dem Augenblick, in dem die Hand die Platte trifft, wird sie abgebremst und überträgt den größten Teil ihrer Bewegungsenergie auf die Platte. Wieviel Energie muß übertragen werden, damit die Platte bricht!
Zwischen der Hand des Karateka und der Platte, die auf sie schlägt, entwickelt sich ein kompliziertes System von Wechselwirkungen, das wir schrittweise analysieren wollen. Zunächst betrachten wir den einfachen Fall, daß die Hand auf die Plattenmitte eine Kraft ausübt, die sich mit der Zeit steigert, so daß die Platte schließlich bricht. Man findet dann zwischen der Größe der Kraft und der Durchbiegung der Platte den in Bild 3 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild3) dargestellten Zusammenhang, aus dem sich die Bruchspannung http://www.arsmartialis.com/spektrum/sigma.gif und der Elastizitätsmodul E ermitteln lassen. Diese Größen stehen mit dem Volumen V der Platte und dem zum Bruch der Platte führenden Energiebetrag (der Bruchenergie) in folgender Beziehung:
http://www.arsmartialis.com/spektrum/formel.gif
Die Formel besagt, daß man um so mehr Energie braucht, je größer die Platte ist, daß der Schlag um so kräftiger sein muß, je besser das Material der Platte einer Zugbelastung standhält, und daß Platten aus steifem Material (das heißt mit einem großen Elastizitätsmodul) schon unter schwachen Schlägen brechen.
Man errechnet auf diese Weise eine Bruchenergie von 32 Joule für eine Holzplatte der eingangs beschriebenen Art und von 10 Joule für eine Betonplatte. Ein Joule Energie wird verbraucht, wenn man ein Gewicht von einem Kilogramm um zehn Zentimeter hebt.
Nun übt aber die Hand des Karateka auf die Platte nicht nur einfach eine Kraft aus. Sie versetzt die Platte vielmehr in Schwingungen, was dazu führt, daß die Bruchenergie sinkt: Sie beträgt in Wirklichkeit nur 5,3 Joule für die Holzplatte und 1,6 Joule für die Betonplatte.
Allerdings sagen diese Zahlen nichts darüber aus, wie groß die Bewegungsenergie der Hand sein muß, denn diese Energie überträgt sich um so unvollständiger auf die Platte, je größer deren Masse relativ zur Masse der Hand ist. Die Holzplatte hat eine kleinere Masse und übernimmt die Bewegungsenergie der Hand wesentlich besser als die Betonplatte.
Eine weitere Komplikation besteht darin, daß ein Teil der Energie verbraucht wird, um die Hand beim Aufschlag zu verformen. Man erkennt das aus Bild 4 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild4): Wir versahen den Handrücken mit vier Markierungspunkten und photographierten den Schlag mit einer Frequenz von 1000 Bildern pro Sekunde.
Berücksichtigt man diese Verhältnisse, so ergibt sich, daß die Hand des Karateka eine Bewegungsenergie von 12,3 Joule haben muß, um eine Holzplatte der eingangs genannten Art zu zerbrechen, und daß der Wert für die Betonplatte 37,1 Joule beträgt.
Daraus wiederum berechnet man, daß die Faust eine Geschwindigkeit von 6,1 Metern pro Sekunde für die Holzplatte und von 10,6 Metern pro Sekunde für die Betonplatte erreichen muß. Liegen diese Geschwindigkeiten im Bereich des Möglichen!
Wir haben die Handbewegung eines Karateka photographiert, indem wir in einem dunklen Raum den Verschluß der Kamera öffneten, den Karateka baten, den Schlag auszuführen und gleichzeitig ein Blitzgerät in Gang setzten, das pro Sekunde 120 Blitze erzeugte. Bild 5 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild5) zeigt das Ergebnis für eine nach vorn gestoßene Faust, und Tabelle 1 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Tabelle1) faßt die Spitzenwerte zusammen, die wir für andere Karateschläge fanden. Man sieht, daß die zum Zerbrechen einer Holzplatte erforderlichen 6,1 Meter pro Sekunde von einem Anfänger aufgebracht werden können, daß aber 10,6 Meter pro Sekunde einige Übung verlangen.
Im Augenblick des Aufschlags ist die Hand des Karateka Kräften ausgesetzt, die dem vierhundertfachen ihres Gewichtes entsprechen. Wie kommt es, daß sie durch diese Kräfte nicht selbst zerschmettert wird! Zum Teil liegt das daran, daß Knochen widerstandsfähiger sind als Beton: ein Knochen hat eine mehr als vierzigmal so große Bruchspannung wie ein Betonstück. Legt man einen zylindrischen Knochen von zwei Zentimeter Durchmesser und sechs Zentimeter Länge an seinen Enden wie das Brett in Bild 2 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild2) auf zwei Stützen, so kann man ihn in der Mitte mit 25.000 Newton (etwa 2.500 kg) belasten, ohne daß er bricht. Das ist das Achtfache der Kraft, die die Betonplatte auf die Hand des Karateka ausübt. Tatsächlich kann die Hand weit größere Kräfte aushalten, denn ihre Knochen sind beweglich, können sich beim Aufprall gegeneinander verschieben und können einen Teil der Kräfte an die Muskeln und das Bindegewebe weitergeben. Beispielsweise schützt der Beugemuskel des kleinen Fingers, der sich versteift und verdickt, wenn man die Hand zur Faust schließt, den fünften Handwurzelknochen an der unteren Kante der Faust. Wie ein Polster fängt er einen Teil des Schlages ab. Als nächstes nehmen die Sehnen des Handgelenkes einen Teil der Kräfte auf, wenn die Faust im Handgelenk nach oben knickt. Und schließlich kommt auch die Armmuskulatur ins Spiel.
Entscheidend bei alledem ist, daß der Karateka die Hand (oder bei Fußschlägen den Fuß) richtig hält, nämlich so, daß die Kraft, die zum Bruch eines Knochens führen würde, wesentlich größer ist als die Kraft, die erforderlich ist, um dem Gegenstand zu zerstören, den der Schlag trifft.
Ein geübter Karateka kann auf diese Weise nicht nur eine einzelne Platte, sondern auch ganze Plattenstapel zerschlagen (Bild 6 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild6)), sofern die Platten des Stapels durch dünne Holzstäbe voneinander getrennt sind. Trifft der Karateka die oberste Platte genau in der Mitte, so überträgt diese die Energie ihrer nach unten gerichteten Drehbewegung auf die nächste Platte und so fort, so daß insgesamt für einen aus acht Platten bestehenden Stapel weniger als das Achtfache der Kraft benötigt wird, die erforderlich ist, um eine einzelne Platte zu zerschlagen. Verfehlt der Karateka die Mittellinie der obersten Platte (Bild 6 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild6), rechts), so verschieben sich die Bruchstellen der folgenden Platten zwar zur Mitte, aber dabei geht Energie verloren, und es gelingt dem Karateka unter Umständen nicht mehr, den ganzen Stapel zu zerschlagen.
Bilder, Bildunterschriften und Tabellen
Tabelle 1
Spitzengeschwindigkeit einiger Karateschläge. Die Werte wurden in der Weise bestimmt, die in Bild 5 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Bild5) gezeigt ist. Beim Hand und Fußschlag werden der Fuß im Uhrzeigersinn und die entgegengesetzte Hand gegen den Uhrzeiger bewegt, während man beim Fußstoß mit Körperdrehung bei ausgestrecktem Bein den ganzen Körper dreht. Karateschlag Spitzengeschwindigkeit
in Metern pro Sekunde
Gerader Fauststoß
5,7 - 9,8
Hammerfaustschlag
10,0 - 14,0
Handkantenschlag
10,0 - 14,0
Hand- und Fußschlag
9,5 - 11,0
Fußstoß mit Körperdrehung
7,3 - 10,0
Gerader Fußstoß
9,9 - 14,4
Seitlicher Fußstoß
9,9 - 14,4
Bild 1
(Nicht wiedergegeben: Mann macht Bruchtest)
Ronald McNair, einer der Autoren dieses Aufsatzes, zerschlägt hier mit der bloßen Hand drei Betonplatten wie sie normalerweise zum Pflastern von Gehwegen verwendet werden. Jede Platte wog 6,8 kg und war 40 cm lang, 19 cm breit und 4 cm dick. Da die Handknochen vierzigmal größere Belastungen aushalten können als die Betonplatten aushalten können, und da das Gewebe der Hand und des Armes einen großen Teil der Kräfte aufnimmt, bleibt die Hand unverletzt, wenn sie richtig geführt wird. Bild 2
http://www.arsmartialis.com/spektrum/bild2.gif
Eine auf zwei Stützen liegende Platte biegt sich durch, wenn sie von einem Hammerfaustschlag getroffen wird. Dabei verkürzt sie sich in ihrer oberen Hälfte und dehnt sich in der unteren. Hält das Material, aus dem die Platte besteht, Druckbelastungen besser stand als Zugbelastungen, so reißt die Platte von ihrer unteren Fläche ein. Bild 3
http://www.arsmartialis.com/spektrum/bild3.gif
Holz- und Betonplatten biegen sich verschieden stark durch, wenn man sie belastet. Aus dem Zusammenhang zwischen der Durchbiegung und der Kraft, die sie verursacht, ermittelt man den Elastizitätsmodul des Materials. Die Kraft, bei der die Platte bricht (und die Kraft endet), ergibt die Bruchspannung. Mit beiden Werten läßt sich berechnen, welche Energie aufgewendet werden muß, um die Platte zu zerbrechen. Bild 4
(Nicht wiedergegeben: Folge von 6 Bildern, welche den Einschlag einer Faust auf einem Brett darstellt)
Um die Verformung einer Faust beim Hammerfaustschlag zu bestimmen, wurden vier Markierungspunkte auf den Handrücken geklebt. Die sechs hier gezeigten Bilder wurden nacheinander im Abstand von jeweils einer Tausendstel Sekunde photographiert. Im Zeitpunkt 0 erreicht die Faust die Oberfläche der Betonplatte, aber erst vier tausendstel Sekunden später ist (im Teilbild 4) der Riß zu sehen. Beim Aufprall wird die Faust abgebremst und beträchtlich verformt, was an der Verschiebung der Markierungspunkte zu erkennen ist. Die Faust verhält sich also nicht wie ein starrer Körper, daß heißt ihr Schlag auf die Betonplatte ist zum Teil unelastisch. Bild 5
http://www.arsmartialis.com/spektrum/bild5.gif (Eine Stroboskop-Aufnahme von einem geraden Fauststoß / Oi-Zuki wurde nicht wiedergegeben)
Die oben wiedergegebene Aufnahme des geraden Fauststoßes entstand, indem der Verschluß der Kamera in einem dunklen Raum geöffnet blieb und mit dem Beginn der Bewegung ein Blitzgerät in Betrieb gesetzt wurde, das 120 Blitze pro Sekunde erzeugte. Die Photographie läßt deutlich erkennen, welche Wege die Hand in den Zeiten zwischen zwei Blitzen zurücklegt. Trägt man diese Wege gegen die Zeit auf, so erhält man die Kurve links unter der Photographie und daraus die rechte Kurve, die zeigt, daß die Faust eine Geschwindigkeit von mehr als 7 Meter pro Sekunde erreicht, wenn sie ungefähr 85% ihres gesamten Weges zurückgelegt hat. Auf gleiche Weise wurden auch für andere Karateschläge die in Tabelle 1 (http://www.arsmartialis.com/spektrum/karate.html#Tabelle1) zusammengestellten Spitzengeschwindigkeiten ermittelt. Bild 6
(Nicht wiedergegeben: Zwei Bilder, die das Durchschlagen von Brettern darstellen)
Michael Feld, einer der Autoren dieses Aufsatzes, durchschlägt im linken Bild einen Stapel von 8 Holzplatten, zwischen denen jeweils am Plattenende Bleistifte als Stützen lagen. Im rechten Bild verfehlt er beim Aufschlag die Mitte der obersten Platte mit dem Erfolg, daß sich zwar die Bruchstellen der folgenden Platten zur Mitte hin verschieben, daß dadurch aber viel Energie verloren geht. Die verbleibende Energie reicht dann nicht mehr aus, um die unterste (in diesem Fall zehnte) Platte zu zerbrechen.
© Copyright by ‘Spektrum der Wissenschaft (http://www.spektrum.de/)’
Die Grafiken zu Bild 3+5 wurden für diese Homepage neu erstellt.
Dieser Artikel basiert auf einem englischen Original, welches u.a. 1983 im ‘American Journal of Physics’ publiziert wurde und in ‘The Physics of Sport (http://www.arsmartialis.com/literatur/physik.html)’ veröffentlicht wurde. Die Autoren gehörten zum ‘Department of Physics and Spectroscopy Laboratory’ am Massachusetts Institute of Technology. Der Originalartikel ist mathematisch und inhaltlich wesentlich umfangreicher. So schrecken die Autoren auch nicht vor brutalsten Differentialgleichungen 4. Ordnung zurück.