Wurzeln von Systema? [Archiv] - Kampfkunst-Board

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SQ
04-05-2003, 11:22
Hi Andreas,

kannst du mir was über die Wurzeln von Systema sagen? Der Begriff Systema ist ja relativ neu, gibt es im russisch-sprachigen Raum auch einen Namen dafür? Oder gab es früher einen Namen?

Wie ist die Relation/Beziehung zu den chinesischen Kampfkünsten? Geht das eher Richtung Shuai Chiao und andere Künste, die über die Mongolei verbreitet wurden oder haben die russischen KK ihren Ursprung in den Nordshaolin oder gar Wudang Künsten?

Andreas Weitzel
06-05-2003, 11:41
Hallo :),

hm... Du gibst mir aber nicht sehr viele Auswahlmöglichkeiten :) Gerade mal drei: Shuai Chiao, Shaolin und Wudang. Weder noch...

Systema hat ihre Wurzeln hier in Europa. Der Name ist zwar erst in der heutigen Zeit entstanden, aber die Kampfkunst existiert seit langem.

Um dies zu erklären, muß man sich die Art des Lehrens und des Lernens der Kriegskunst im mittelalterlichen Rußland anschauen. Man brachte einem zukünftigen Krieger keine Kampfkunst in dem heutigen Sinne (Name, Gründer, Stammbaum, Grundschule, Techniken, Formen etc.) bei, sondern man lehrte ihn konkrete Sachen, die er im Kampf und im Leben brauchte: Atmen, Beten, Reiten, Bogenschießen, Schwertkampf, Schlagen, Klettern, Werfen, Schwimmen, Laufen, Treten usw. Das waren Tätigkeiten, von deren Beherrschung sein Leben abhing. Auf die Idee, das alles zu formalisieren, kam zum Glück keiner. Deswegen ist die Russische Kampfkunst bis heute sehr frei und flexibel geblieben.

Die Trainingsmethodik der Kosaken war einfach. Als Kind lernte man das, wozu man fähig war: Atmen, Liegen, Sitzen, Stehen, Gehen, Laufen, Fallen... Dann kam das Reiten dazu. Dann der Umgang mit der Peitsche, mit dem Säbel, mit der Lanze... Der Vater zeigte das alles seinem Sohn und nannte es eben "Atmen" oder "Laufen", oder "Säbelkampf", oder "Reiten"... Mehr brauchte man auch nicht. Als Schußwaffen kamen, fing man an, damit nach den gleichen Prinzipien zu trainieren, wie das Laufen oder den Säbelkampf. Ganz einfach...

Oder haben deutsche, französische, englische Ritter auch im Shaolin gelernt? ;)

Gruß
Andreas

SQ
06-05-2003, 15:44
"Oder haben deutsche, französische, englische Ritter auch im Shaolin gelernt? "



Sicher nicht ,aber darum gibt es heute auch keine mehr....


:D :D :D :D


Aber danke deinen ausführlichen Erklärungen - ich dachte nur mal gehört zu haben, SYSTEMA wäre teilweise aus dem mongolischen Shuai Chiao entstanden....

Andreas Weitzel
06-05-2003, 16:13
Nun, die Ritter haben ihre Kampftraditionen unterbrochen. Sie haben sich nicht mehr der Entwicklung der Zeit angepasst.

Das haben die Kosaken anders gemacht. Sie haben auch mal Kettenhemde getragen und mit Streitäxten und Schutzschildern gekämpft. Allerdings sind sie im Gleichschritt mit der Zeit gegangen, haben dann die Rüstungen abgelegt, die Waffen etwas geändert und sind schließliech zu einer äußerst wirksamen leichten Kavallerie mit eigenen hochklassigen Spezialeinheiten geworden. Im zweiten Weltkrieg hatten diese Kavalleriedivisionen sogar Panzer- und Artellerieregimente... Sieht nicht besonders nach Shuai Chiao aus :D

Gruß
Andreas

Tengu
07-05-2003, 10:33
Hi Andreas,

ich würde es nicht unbedingt so sehen, daß die Ritter ihre Kampftraditionen unterbrochen haben. Auch sie haben sich angepasst. Ursprünglich waren es bewaffnete Reiter, die vom niederem Adel waren (http://www.blinde-kuh.de/ritter/ ). Wenn wir Ritter mit adeligem Elitekrieger übersetzten kommen wir schon weiter. Und die spielten ja ebenfalls bis zum WW2, nun eben als Offiziere, eine große Rolle beim Militär. Ich denke, Kosaken und Ritter ist wie Äpfel und Birnen vergleichen. Das eine ist eine soziale Schicht und Kosaken sind eigentlich recht territorial begrenzte Gemeinschaften von Frei- und Wehrbauern (was sicherlich auch eine soziale Schicht ist, aber eben regional begrenzt.) (http://www.kosaken.de/geschichte/kosaken.html ). Der einzige Grund, warum der "Ritter" verschwunden ist, war ein finazieller. Kein Herrscher konnte sich die Menge an reinen "Ritterheeren" leisten. Es war eben keine Gemeinschaft sondern eine Kaste. Der adelige Elitekrieger wurde immer mehr in den Söldnercharackter hineingedrängt.

Gruß

Tengu

Andreas Weitzel
07-05-2003, 22:08
Hallo, Tengu,

wenn die Ritter bzw. "Ritter" ihre Traditionen erhalten haben sollen, dann freut es mich umso mehr.

Was die Kosaken angeht, so muß ich Dir in einigen Punkten widersprechen. Kosaken werden heute oft irrtümlich für eine Ansammlung von irgendwelchen Bauern gehalten, die angeblich im 15. Jh. an die Grenzen Rußlands geflohen seien und von dort aus Rußland beschützt haben... Blödsinn (nicht an Dich adressiert :)).

Die Kosaken gab es bereits ein paar Jahrhunderte später, und zwar als professionelle (!) Kriegerkaste. Sie durften nicht mal Landwirtschaft betreiben. Später (nach dem Sturz der ersten Zarendynastie) wurden viele (aber nicht alle) von ihnen zur Sicherheit an die Grenzen geschickt. Also möglichst weit weg von der Hauptstadt und den neuen Machthabern. Daher kommen die Märchen über ihre Entstehung.

Es gab zu der damaligen Zeit keine Freibauern in Rußland. Die Kosaken waren logischerweise frei, weil sie keine Bauer, sondern Krieger waren. Auch waren sie niemals territorial begrenzt, sondern lebten in gesamten Rußland.

Gruß
Andreas

Tengu
08-05-2003, 10:20
Mhhh, Andreas, ich bin da selber etwas verwirrt. Einerseits wird da immer von (ok, keine Frei-) aber Wehrbauern in den Grenzregionen gesprochen, die anderen meinen damit durchaus Soldaten ("Diese Ansicht stützt sich allein auf die Herkunft des Wortes Kosak aus der tatarischen Sprache. Bei den Tataren wurden damit kleine, leicht ausgerüstete Heeresabteilungen bezeichnet."). Auch was die Bauern als solche betrifft hast Du natürlich recht ("Abgesehen von ihren Feldzügen trieben sie vor allem Fischfang und Jagd. Als der Ackerbau, der anfänglich am Don noch nicht existierte, im 17. Jahrhundert zu entstehen begann, traf die Heeresversammlung die Entscheidung, Bodenbearbeitung bei Strafe zu verbieten." bezieht sich auf die Donkosaken).

Ist schon ein ganz schönes Durcheinander. Übrigens genau wie bei den Heiducken. Sie sollen sogar gemeinsame Ursprünge haben.

Gruß

Tengu

Andreas Weitzel
08-05-2003, 10:27
Hallo, Tengu,

Kosaken und Heiduken haben tatsächlich gemeinsame Ursprünge.

Und im Restlichen ist es ganz einfach. Eine provokante Frage: Welche Originaltexte über/von Kosaken aus dem 10-18. Jh. hast Du bereits gelesen? :) Die Verwirrungen kommen aus einem einfachen Grund: Jeder diskutiert darüber, aber alle lesen nur Beschreibungen von dem, was jemand anderer gehört haben soll von jemandem, der einen Originaltext gesehen haben soll ;) Verstehst Du?

Gruß
Andreas

Tengu
08-05-2003, 10:34
Hi Andreas,

ich glaube auch nicht, daß ich wirklich Orginaltexte lesen könnte. Schon allein von der Sprache her. Leider kann ich auch kein Latein, was ebenfalls eine möglich Aufzeichnungssprache gewesen sein kann. Ünd mit den Übersetzungen ist es wie "Stille Post". Es kommt immer was anderes raus.

Gruß

Tengu

Andreas Weitzel
09-05-2003, 01:07
Alles klar :) Dann können wir aber weiter darüber plaudern, wenn wir uns nochmal persönlich treffen. Was meinst Du?

Gruß
Andreas

Tengu
09-05-2003, 08:21
Jo, Andreas alles klar, spätestens zum Nicolauslehrgang bei Mike. Evtl. klappts auch eher. Egal, ich freu mich.

Gruß

Tengu

Andreas Weitzel
09-05-2003, 10:10
Ich freue mich auch darauf :) Dann kann ich Dir vielleicht Gesellschaft leisten :beer: ;)

Gruß
Andreas