Wellness-Taiji: Yes! [Archiv] - Kampfkunst-Board

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bluemonkey
23-11-2008, 07:27
Ich war gestern auf einem Formenseminar.
Am Anfang des Tages fühlte ich mich nicht besonders, und hab mich schon auf eine Quälerei eingestellt.
Durch das dauernde Wiederholen von und Einlassen auf Formteile in einer extrem ruhigen Atmospäre ging es mir allerdings immer besser.
Am Ende des Tages, (im Supermarkt) ruhte gefühlsmäßig ein offener, durchlässiger Körper fest auf beiden Füßen.
Ein total tolles Gefühl: Frei, durchlässig und verwurzelt (objektiv natürlich auf einer sehr bescheidenen Level, mein Lehrer würde das anders sehen:rolleyes:).

Dieser Zustand stellt IMHO die Grundvoraussetzung für die Anwendung von Taijiquan als Kampfkunst dar und ihn zu erarbeiten ist sicher keine Zuckerschlecken.
Daher ist Wohlfühlen, Gesundheit und Kampftauglichkeit im Taijiquan für mich kein Widerspruch sondern werden aus der gleichen Quelle gespeist: der harten, korrekten Arbeit mit dem eigenen Körper und dem Taijiquanprinzip.

Oberflächliches Gymnastik-Taijiquan bleibt in allen Bereichen oberflächlich:
Wohlfühlen, Gesundheit und Kampftauglichkeit.

Ich würde daher nicht zwischen Wellness-/Gesundheitstaijiquan auf der einen Seite und Kampfkunst auf der anderen Seite unterscheiden, sondern zwischen oberflächlichem und tiefen Verständnis des Gesamtpaketes. :)

Gruß, Bluemonkey

kanou65
23-11-2008, 10:13
Ich würde daher nicht zwischen Wellness-/Gesundheitstaijiquan auf der einen Seite und Kampfkunst auf der anderen Seite unterscheiden, sondern zwischen oberflächlichem und tiefen Verständnis des Gesamtpaketes.

Ich freue mich mit Dir und würde Deine positiven Erfahrungen sogar auf alle Kampfkünste erweitern.
:)

Netandi
23-11-2008, 10:51
Auch ich freue mich mit Bluemonkey.

Meine bisherigen, wenigen Erfahrungen decken sich damit. Mein Lehrer weist auch immer darauf hin, dass die einzelnen Seiten des TJQ die gleiche Wurzel haben und erst in Kombination "ihren Zauber entfalten". :)

cu
Netandi

pilger
23-11-2008, 11:40
Hallöchen bluemonkey,

Du sprichst da sicher einigen aus der Seele (mir auch).

Zwar liebe ich es, mich beim TCC auf gewisse Weise auszupowern, wenn man den Ausdruck überhaupt hier verwenden kann, indem ich Partnerübungen, Powerübungen für mich allein, Schlag- und Trittübungen u.a. mache.
ABER:
Das ist es eben nicht nur!
Wenn ich nicht jeden Tag, eben auch an den Powertagen, zum Abschluss meine Formen laufe, fühle ich mich nicht wirklich gut.

Die Formen geben mir dann eben genau die Ruhe und das Rooting, dass es zusätzlich zum Power-Training braucht, TCC als Kampfkunst anwenden zu können, zum anderen aber, um einfach den Tag in einer Tiefe zu genießen, die es ohne die Formen nicht erreichen würde.
Wenn ich die Form(en) mache und dabei ganz bewusst und aufmerksam bin, versinke ich in der Form und alles um mich herum versinkt in mir. Und trotzdem nehme ich noch alles wahr. Komisch zu beschreiben, klingt vielleicht gegensätzlich, ist es aber für mich gar nicht. Und das legt sich oft dann auf den Tag um.

Also, nen schönen Wochenausklang,
Pilger

scarabe
23-11-2008, 12:53
Wer sich mal mit Themen wie der Inneren Energiearbeit im Taiji o.ä. befaßt hat, weiß ja auch, daß die so erreichte "Vernetzung" (vgl. Seidenfäden oder auch die Stimulation beider Gehirnhälften usw), sowie die ebenfalls erreichte Lösung von Meridianblockaden oder ganz allgemein von Blockaden einen ganz starken Effekt auf Gesundheit und Wohlbefinden, sowie auf Zentrierung etc. hat (bewußte Dantien-"Arbeit" incl.).
Gerade dieser Aspekt des Taiji fördert die Gesundheit natürlich noch etwas mehr, als dies in anderen Kampfkünsten allgemein der Fall ist. (Auch wenn die Seidenfadenarbeit natürlich auch gute Grundlagen für den Kampf schafft).

GilesTCC
23-11-2008, 20:30
Daher ist Wohlfühlen, Gesundheit und Kampftauglichkeit im Taijiquan für mich kein Widerspruch sondern werden aus der gleichen Quelle gespeist: der harten, korrekten Arbeit mit dem eigenen Körper und dem Taijiquanprinzip.


:klatsch::beer::blume:

Schliesslich braucht man sich nur das Taiji-Symbol anzuschauen. Es zeigt uns doch, daß anscheinende Gegensätze nicht nur "unter einen Hut zu bringen sind", sondern sich gegenseitig ergänzen und auf eine neue Ebene führen können :).

Schöne Grüsse,

Giles

nagual
24-11-2008, 12:18
Also ne ne, Wellness-Taiji oder -Qigong ist für mich echt ne Qual, also wenn weder tiefe Stellungen, noch Pizza-Korrekturen, noch ultralangsame Bewegungen o.ä. mich quälen, sondern alles easy sein soll, dann fängt die wahre Qual für mich an.. (schauder, wegrenn...)

GilesTCC
24-11-2008, 12:24
Also ne ne, Wellness-Taiji oder -Qigong ist für mich echt ne Qual, also wenn weder tiefe Stellungen, noch Pizza-Korrekturen, noch ultralangsame Bewegungen o.ä. mich quälen, sondern alles easy sein soll, dann fängt die wahre Qual für mich an.. (schauder, wegrenn...)

Hi Nagual,

Vielleicht BlueMonkeys Bericht nochmal in Ruhe durchlesen. Er hat nicht gesagt, daß es keine tiefe Stellung oder ähnliches gab, und er spricht sich deutlich gegen "oberflächliches Gymnastik-Taijiquan" aus.

Eher hat er einen Versuch unternommen, den Begriff "Wellness" (was im Ansatz doch etwas Tolles ist) zurückzuerobern.

Schöne Grüsse,

Giles

nagual
24-11-2008, 12:28
Ich wollte eigentlich keine Kritik üben, sondern nur dieses persönliche Statement machen.
Bluemonkeys Posting hatte ich gestern gelesen, war mir gerade aber nicht mehr 100% präsent.
Sowieso soll es ja jeder machen wie er mag.

Meine Kritik generell, die ich hier dann und wann äußere, betrifft ja praktisch immer nur Behauptungen über Trainingskonzepte und Wirksamkeit von Methoden. Wellness-Taiji an sich steht für mich auch nicht in der Kritik, ebenso wenig wie Mischungen aus Wellness- und KK-Künsten.

bluemonkey
24-11-2008, 20:32
Es ging mir mehr um das Gefühl nach dem Üben, nicht währenddessen.

Zugegeben, auf dieser Seite http://www.quaeldich.de/ hätte das Seminar nur einen bis zwei Sterne bekommen, aber das hängt bei Formseminaren ja teilweise auch von einem selbst ab.

Ich hab mich hinterher nur ein tolles Körpergefühl, was mir als Ziel von Taijiquan mindestens genauso erstrebenswert erscheint, wie andere besser verhauen zu können.
Ein gutes Gefühl kann auch wirkungsvolle Selbstverteidigung sein, weil man einige Konflikte "entspannen" kann.
Und es war eben nicht einfach das Ergebnis von Bewegung, die allein sicherlich auch schon einiges bewirken kann, sondern meiner Meinung nach die Tatsache dass ich (wie viele andere auch) während der stehenden Säule gleich dreimal von GM korrigiert wurde und irgendwas in meinem Körper wohl was verstanden hat.
Beim Stehen selbst hab ich das nicht als besonders angenehm empfunden, teilweise eher im Gegenteil, obwohl er mich nach oben und gewiss nicht "Pizza" korrigiert hat.

Bitter essen ist in meinen Augen Mittel zum Zweck und auch die entsprechenden Kompressionskorrekturen (ist ja auch irgendwo geil:rolleyes:).
Allerdings sollte man IMHO aufpassen dass die Quälerei nicht zum Selbstzweck wird, alà: "guck wie lange ich eine Pizzakorrektur aushalte" oder wenn man mich ewig auf einem Bein stehen lässt, obwohl ich schon total aus der Struktur bin und es nur noch "Willenskrafttraining" und in meinen Augen kontraproduktiv ist.

Auf jeden Fall ist es schön, wenn der Schmerz nachlässt:p

nagual
24-11-2008, 22:55
@Bluemonkey, ich kann sehr gut nachvollziehen, was du meinst, und ich kann mein Statement dazu auch in einem gewissen Maße relativieren, dass ich diese Aspekte, die du beschreibst auch sehr wichtig und richtig finde, und es selbst auch faszinierend finde.

Als Statement über mich selbst wollte ich allerdings sagen, dass das sogenannte "Bitter essen" bis zu einem bestimmte Ausmaß für mich tatsächlich zu einem Selbstzweck geworden ist, d.h. ich stehe halt tatsächlich auf einen bestimmten Level der Intensität, wobei das allerdings keine extreme Selbsttortur ist, oder ein "ich kann noch tiefer noch länger stehen"-Gewichse, sondern ich suche hier auch immer nach einem möglichst produktiven Kompromiss von Leistungssteigerung+Selbstüberwindung, aber auch Erhalt der Motivation+Freude am Training+angenehmen Trainingsgefühlen.
Manchmal liegt das Trainingsziel darin, bestimmte Übungen 1-2min, 5-10min oder 45-60min durchhalten zu können, und das zwar einerseits halbwegs bequem, aber auch so, dass ich nach dem Ende der 1min, 5min oder 45min dennoch einigermaßen gar bin, aber eben nicht völlig ko für den Rest des Tages. Diese drei Zeitlängen von Übungen sind gewisse typische Kategorien, die Sinn machen.

Außerdem stelle ich in meinem Alter inzwischen fest, dass ich zwar die meisten Sachen, die ich vor ca. 10 Jahren noch ziemlich hemmungslos geübt habe, zwar glücklicherweise noch immer kann, aber dennoch spüre, dass ich sie nicht mehr so intensiv üben sollte, weil sonst damit in 5 oder 10 Jahren Schluss sein könnte, und das will ich vermeiden, weil ich noch ca. 20-50 Jahre weiter trainieren will, incl. Bitter-essen-gefühl.
--
Also ich gehe auch gerne auf Seminare mit 4 oder 5 quäldich.de-Sternen, aber 5 Sterne nur, wenn es echte Qualitätssterne sind, aber keine stumpfen Abholz-Sterne.

scarabe
25-11-2008, 15:20
Nichts gegen "bitter essen", aber wenn es im Taiji dazu führt, daß Bewegungen nicht mehr in ruhigem Fluß sondern vornehmlich mit starker Muskelkraft und damit leider oft einhergehender Verkrampfung/ Blockieren desselben ausgeführt werden, landet man wieder bei den harten äußeren Kampfkünsten und bräuchte also kein Taiji machen.
Ein tiefer Stand vor der Zeit ausgeführt bremst den Energiefluß durch die Knie ebenso ab, wie dies mit meiner Limo passieren würde, würde ich den Trinkhalm zusehr abknicken...
Hier gilt: weniger ist oft mehr und besser erst dann tief, schnell und spektakulär, wenn man es auch von Innen heraus in Gelöstheit und Bewegungsfluß ausführen kann.
Taiji als Innere KK eben und nicht als "oberflächliches" wushu...(auch wenn das auch mal Spaß machen kann und gerade auf wettkämpfen oft gesehen wird).

nagual
25-11-2008, 16:49
Mit dem "bitter essen" kann man auch im Taiji sofort anfangen, wenn man sich eben um (dem Lernstand entsprechend) genaue Korrektur bemüht. Beim Anfänger ist die Korrektur noch nicht so gut, aber dafür umso "bitterer", weil eben das Training vorher fehlt. Ebenso wie für den Anfänger-Jogger 3km härter sein können als 10km für den Laufprofi.

Vermeidet man "bitter essen", vermeidet man Korrektur und geht langfristig an der Sache vorbei, auch wenn's gut gemeint ist mit dem Entspannen und Durchlässig-werden.

Der Clou ist ja nur, dass man den "Bitter-Effekt" eben durch Korrektur und nicht durch künstliche Anstrengung und Quälerei herbeiführt. Das ist eine Sache, um die sich auch Anfänger sofort bemühen können, wenn es auch dauert, bis man tatsächlich begreift, wie es funktioniert, und wo die Punkte sind, an denen man die Sache ausrichtet.

bluemonkey
25-11-2008, 22:52
Ich bin einem Lehrer sehr dankbar, der mich nicht nur, wie andere, sehr bitter korrigiert hat, sondern der mich durch gute verbale Anweisung in die Möglichkeit versetzt hat, Seidenübungen so zu praktizieren, dass ich nach einer Runde aufgeben muss, bzw. bei der Form nach der zweiten Bewegung (das ist natürlich subjektiv, ich dusche auch gerne warm :p:rolleyes:).



ich stehe halt tatsächlich auf einen bestimmten Level der Intensität

Intensität ist ein gutes Wort in diesem Zusammenhang:).
Intenstität ist das, was man hinter der Bitterkeit spürt und auch sucht.
Der Schmerz, das Anstrengungsgefühl ist der Indikator für die Intensität, unterscheidbar von Schmerz durch Verspannung (nach meiner Erfahrung gibt es zwei Methoden, mit Blockaden umzugehen: sanft lösen, oder heiß durchschmelzen).
Dabei ist natürlich sicherlich ein Großteil einfach extreme Muskelerschöpfung (meist in den Beinen), aber eben auch eine starke Empfindung, die den ganzen Körper und den ganzen Geist in Beschlag nehmen kann. Eine sehr intensive Körpererfahrung wie leidenschaftlicher Sex oder auch Sport an der Leistungsgrenze, wenn auch teilweise auf anderer Ebene.
Fehlt der Formbewegung die gewohnte Intensität, dann fühlt sie sich leer an, als hätte ich die Verbindung zu der Bewegung verloren.
Ich würde das Intensitäts-Gefühl also als Teilaspekt meinem Wellness-Begriff einverleiben (auch wenn er mit Anstrengung und evtl. Schmerzen verbunden ist), denn dann macht die Sache Spaß, fühlt sich gut an, weil eine starke Verbindung da ist.




Mit dem "bitter essen" kann man auch im Taiji sofort anfangen, wenn man sich eben um (dem Lernstand entsprechend) genaue Korrektur bemüht. Beim Anfänger ist die Korrektur noch nicht so gut, aber dafür umso "bitterer", weil eben das Training vorher fehlt. Ebenso wie für den Anfänger-Jogger 3km härter sein können als 10km für den Laufprofi


Durch das Training wird es zunächst sogar bitterer, weil man auch immer besser korrigierbar ist, bis die Muskulatur und das Nervensystem an die Anstrengung adaptiert sind, und die subjektive Anstrengung eventuell wieder abnimmt.
Es gibt wohl aber auch Lehrer, die Anfängern suggerieren, im Taijiquan geht es nur um Mühelosigkeit und effektive Bewegung (wir strengen uns nicht an), den steinigen Weg dahin aber verschweigen (sei es aus Unkenntnis oder aus Marketinggründen, um die Schüler nicht gleich am Anfang zu verjagen).
IMO ensteht die Mühelosigkeit durch das intensive Üben wie auch bei anderen Künsten.
(Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie Leute, wie der späte Ueshiba oder auch Torsten Kanzmeier, die persönlich einen intensiven Kultivierungsweg hinter sich haben, nach außen wirken.)

Auf dem Weg zu meinem Wochenkurs komme ich übrigens immer an einem Haus vorbei, auf dessen Fassade in großen Lettern steht:

Bedenke wer vorübergeht, an diesem schönen Garten: mancher sieht das Blumenbeet, aber nicht den Spaten


Mein Wellnessbegriff umfasst Blumenbeet und Spaten;)

GilesTCC
26-11-2008, 09:38
Hi Bluemonkey,

nochmals sehr schöne und anregende Gedanken.

"Wellness" bedeutet ja "Wohlbefinden", was ja heutzutage von der Weltgesundheitsorganisation als ein offizielles Ziel ihrer Arbeit angestrebt wird. Der Gebrauch von dem Begriff "Wellness" im heutigen kommerziellen Bereich ist so problematisch, weil er - in der Umsetzung - das Wohlbefinden hauptsächlich als ein Resultat von Außenwirkung verkauft. Nicht, "ich erarbeite mein eigenes Wohlbefinden", sondern "ich lasse mich bedienen; andere tun es für mich". "Wellness" also im Sinne einer Dienstleistung, die mit Yoga oder Tai Chi "light" anfängt und, über Sauna und Massage, in dem Nagelstudio endet :rolleyes:. Das fällt schliesslich alles unter dem Rubrik "Konsum" und bedeutet meistens in der Praxis, daß man sich vorläufig besser fühlt, aber sich nicht verändert bzw. entwickelt. Veränderung/Entwicklung tritt meistens nur auf, wenn man an sich arbeitet. Natürlich kann das auch mit der Hilfe anderen geschehen, aber das ist nicht das Gleiche wie, "OK, ich lehne mich zurück und Sie verwöhnen mich".

Mit dieser passiven Einstellung wird also "Wellness" zum (oft teuer verpackten und bezahlten) Trostpflaster. Kurzfristig geht es einem besser, der innere Druck ist weg, aber bald muß man wieder antreten, um einen neuen Dosis abzuholen. Dazu hat natürlich auch jeder das Recht (wenn er/sie auch das Geld dafür hat), aber es hat nichts mehr mit traditionellen Künsten mit gesundheitlichen Wirkung wie Yoga, Qigong und (von der Kampfkunst mal zu schweigen) Taijiquan. Und ebenfalls nichts mit moderneren Bewegungskünsten wie z.B. Feldenkraismethode zu tun, wo man auch mit dem Geist "hart arbeiten" muß. Hier heißt es immer: erstmal selber arbeiten und investieren, um ein nachhältigeres und tieferes Wohlbefinden zu bekommen. Blumenbeet und Spaten, gelle...? ;)

Schöne Grüsse,

Giles