Vollständige Version anzeigen : Taiji im Alltag
Jochen Wolfgramm
04-02-2009, 21:34
Ne kleine Anekdote, muss ich einfach mal erzählen, weils so schön ist (bis zum Schluß lesen!):
Heute beim Training erzählte mir eine Teilnehmerin, das sie hin und wieder Probleme mit ihrer pubertierenden Tochter hat. Die ist nun fast gleich groß und etwas schwerer als die Mutter und nimmt es sich wohl hin und wieder raus, sie anzugehen, wenn sie so richtig sauer ist. :ups:
Vor ein paar Tagen ist Töchterchen wohl wieder ausgetickt und auf ihre Mutter zu gestürmt. Diese hat sich dann wie beim Push Hands "leer" gemacht und die anstürmende Tochter sprichwörtlich gegen die Wand laufen lassen. :respekt:
Die war platt und erstmal wieder ruhig. Der Mutter war es sehr peinlich. Ich finds richtig.
So, nichts besonderes? Jetzt kommts: die Teilnehmerin hat immer darüber geklagt, warum wir Push Hands üben, es würde ihr überhaupt nicht zusagen und sie sehe auch keinen Sinn darin es zu üben!!! :D Nun schon! hehehe
Da sieht man doch: beständiges üben prägt ein, ob man will oder nicht!
Mal abgesehen von den Abründen, die sich da auftun: :D
Ansonsten isses nur traurig.
Jochen Wolfgramm
05-02-2009, 10:22
Wieso traurig? Erkläre er sich etwas genauer! ;)
Killer Joghurt
05-02-2009, 10:26
naja schade um solch ein mutter-tochter verhältnis...
GilesTCC
05-02-2009, 10:42
Eben. Peng-jin und Lü-jin sind ganz gute Ausgangspünkte für zwischenmenschliche Beziehungen, aber - besonders bei engen Beziehungen bzw. Familie - braucht man ziemlich viel Differenzierung. Ein "Gegen die Wand laufen lassen" ist als reine Selbstverteidigung OK. Oder auf der Übertragungsebene, vielleicht adäquat bei einem Fremden oder einem Nerver. Aber mit dem eigenen Kind ist es aber eine schönere Lösung, wenn man "in die Leere leiten" mit "Auffangen/Halt geben" kombinieren kann. Auch das kann auf der rein körperlichen Ebene geübt werden. Ansonsten ist ein reines Lü - zwischenmenschlich gesehen - genauso als ein Angriff oder zumindest als eine Beziehungsverweigerung zu werten wie jemanden eine zu kleben...:(
Meiner Meinung nach bieten Elemente aus einer Bewegungsdisziplin wie ContactImprovisation eine ganz gute Ergänzung für reines Tai Chi Chuan, wenn es um den Transfer ins Beziehungsleben geht.
Schöne Grüsse,
Giles
Ronny Wolf
05-02-2009, 11:05
Ich würde ja eher die Tochter zum Taiji-Training schicken. Die scheint die Ruhe und Gelassenheit eher zu brauchen.
Jochen Wolfgramm
05-02-2009, 12:49
Oh man Leute, so langsam verliere ich hier den Glauben! :(
Schön, dass ihr alle super Musterfamilien zu Hause habt, wo es nie kriselt und immer völlig Taiji-mäßig argumentiert und gehandelt wird! :rolleyes:
Ich schätze Pu und Joghurt haben keine Pubertierende Tochter? Nun, ich hatte schon. Und da ist nicht immer heile Welt. Und da kommt es auch mal vor, dass man nicht Halt geben kann, auch wenn man möchte.
In eine reine Reflexhandlung mangelnde Wärme des Elternteiles hinein zu interpretieren ist schon echt der Knaller. :(
In Zukunft werde ich mir solche Beiträge hier echt sparen ... wußte nicht das hier lauter antiautoritäre Pädagogen rumspuken ... :o
Beruhige dich, Ich find solche aktionen Genial, denn mindestens 1 Mensch weiss jetzt wie gut es ist Taiji zu machen und das es FUNKTIONIERT!.
Ein gegen die Wand laufen ist zudem noch äußerst human, dafür das ich zwar auch erst 18 bin, sind damals an mir einige Kochlöffel zerbrochen. Und ich lebe immernoch. Manchmal finde ich dieses "man darf sein Kind blos nicht anfassen" unausgesprochen Schwachsinnig. Im Chisao lernt man ja auch mehr oder weniger durch Schmerz *g*
Danke Mantis für den Thread!
Ronny Wolf
05-02-2009, 13:41
Ich finde es wirklich schön, dass Taiji funktioniert.
Aber mal ehrlich, was hattest Du denn erwartet, was wir hier antworten würden?
Ich fürchte, wenn das wirklich Alltag für die Mutter ist, dann hilft Taiji nicht wirklich, das Problem zu lösen. Und von daher ist es eben eher ein trauriges Beispiel.
Ja die Pubertät. Da kann sowas schon mal vorkommen. Die Hormone spielen verrückt neue verknüpfungen im Gehirn etc.
Passiert halt mal. Hatte mit meinen Eltern auch die ein oder andere Auseinadersetzung.
Das gehört einfach zum erwachsen werden dazu.
Sind aber immer diese Erfolgserlebnise, wenn man merkt, der Körper hats verstanden.Das ist schon ein bomben Gefühl.
PS:Schon mal chansi mit Marmeladengläsern versucht?:D
Ach herrje. Natürlich läuft nicht alles superharmonisch oder gar mustergültig. (Wär ja auch langweilig.)
Und verkappte Pädagogen und Harmonieler sind auch furchtbar im analysieren solcher Geschichten. Das sieht dann natürlich schnell nach "Wir sind ja die ultra Verständnisvollen" aus. Da haben so ziemlich alle Menschen merh oder weniger große Baustellen.
Aber es sagt viel über die Mutter-Tochter-Beziehung aus, dass es überhaupt zu einer solchen Situation kommt.
Wer da jetzt Gefühlsleere hat oder nicht, können wir alle hier eh nicht beurteilen.
Wer wollte ich nicht sagen. Kannste mal sehen, was so eine Geschichte hier wieder lostritt.
Im Übrigen:
Mein Professor (Theologe und Physiker) sagte: "Man kommt frühestens mit 65 aus der Pubertät." :D
bluemonkey
05-02-2009, 16:49
Ich schätze Pu und Joghurt haben keine Pubertierende Tochter? Nun, ich hatte schon. Und da ist nicht immer heile Welt. Und da kommt es auch mal vor, dass man nicht Halt geben kann, auch wenn man möchte.
Ich glaube, es ging den meisten (so geht es mir zumindest) eher darum, dass die Tochter die Mutter regelmäßig körperlich angreift.:(
Aber wenn das heutzutage normal ist...
Edit: Für die Mutter ist es allemal ein Fortschritt, gegenüber zurückschlagen, oder gar geschlagen zu werden.
Zitat von Giles
Ansonsten ist ein reines Lü - zwischenmenschlich gesehen - genauso als ein Angriff oder zumindest als eine Beziehungsverweigerung zu werten wie jemanden eine zu kleben...
Je nachdem ist das auch durchaus angemessen, meine ich. Manchmal muss man auch rüberbringen, hallo, so nicht. Und gegen die Wand rennen lassen. Die Frau hat spontan so reagiert und damit echt.
Die Tochter hat sich dadurch offenbar wieder eingekriegt - das ist doch was.
Da brauch sich die Mutter nicht schämen ob ihrer mangelnden Fürsorglichkeit, meines Erachtens.
GilesTCC
05-02-2009, 21:23
Für mich scheint das jetzt ein bisschen Mißverständnis zu sein. Zumindest ging mir nicht darum - und das is vielleicht nicht 'rübergekommen, dafür Entschuldigung - die Geschichte als völlig daneben darzustellen. Und natürlich ist es schön, daß das, was trainiert wird, auf einmal im Echt klappt, besonders bei einer solchen Dame.
Eher ging es für mich darum, daß die Tochter gegen die Wand laufen zu lassen - wenn natürlich besser als sich prügeln lassen - auch auf Dauer nicht die Wunschlösung ist. Daher fand ich die Geschichte nicht so super toll, obwohl die Veränderung offensichtlich ein Schritt vorwärts ist. Ich meine auch überhaupt nicht, daß die Mutter sich schämen sollte. Vielleicht war's in diesem Moment wirklich genau das Richtige - keine von uns kann das letztendlich beurteilen. Ich hatte aber selber eine Phase, wo ich in Konfliktsituationen sehr oft "weg" war, auch auf Dauer musste ich erfahren, daß das auch keine fruchtbare Lösung war. Jede hat die eigene Geschichte.
Natürlich habe ich genug von meinen eigenen Baustellen mit mir selber und in meiner Familie. Wo ich selber jede Menge Fehler gemacht habe und immer noch mache und versuche immerhin zu lernen. Allerdings weiss ich nicht so recht, was ein 'verkappter Harmonieler' sein sollte. Die Harmonie sprich Ausgeglichenheit ist ein sehr wichtiges Ziel - wer hier würde behaupten, daß er/sie nicht eine Harmonie anstrebt, auch wenn sie letztendlich nie ganz erreicht werden kann? Tai Chi (das Konzept) ist schliesslich eine grosse Harmonie, die man immer anstrebt ohne jemals zu erreichen. Ich verwechsele Harmonie jedenfalls nicht mit einem gedeckelten 'Friede, Freude, Eierkuchen' oder "immer ganz lieb tun" - falls Ihr das doch vermutet.
und... @ Mantis
Ich finde es gut, daß du die Geschichte erzählt hast. Ich kann die Begeisterung, die due gefühlt hast, gut nachvollziehen. Die Tatsache, daß sie auf mich ein bisschen anders wirkt, und daß ich die Sache relativieren möchte, bedeutet wirklich nicht, daß Häme, Ablehnung oder wie auch immer ausgedrückt wird. Das habe ich in keiner Post hier herausgelesen.
Schöne Grüsse,
Giles
Meine Tochter ist gerade 14 geworden und zwischen uns beiden geht es auch manchmal hoch her. Ich denke, das gehört zum Job. Netter Spruch: Wenn deine Kinder dich nie gehasst haben, dann hast du keine gehabt.
Allerdings gibt es Grenzen. Physisch und psychisch. Für Mutter und Tochter. Verbal trifft mich meine Tochter auch ein um das andere Mal ungebremst dahin, wo es richtig weh tut. Dann sage ich ihr, dass sie mich dahin getroffen hat, wo es richtig weh tut und warum es mich so schmerzt. Nach einer Weile kommt sie und entschuldigt sich bei mir. Und ich mich bei ihr, wenn ich ihre Grenze verletzt haben sollte. Peng - das ist meine Grenze, die zeige ich dir freundlich, aber bestimmt. Und die verteidige ich gegen dich. Vielleicht, indem ich mich zurücknehme und den Angriff an mir vorbeileite.
Ich wüsste nicht, wie ich reagierte, wenn meine Tochter mich körperlich angreift. Meist ist körperliche Gewalt das Endstadium einer vorausgegangenen, misslungenen Kommunikation. Ich gehe mal nicht davon aus, dass die Tochter so einfach aus dem Nichts auf ihre Mutter losgegangen ist. Psychische Gewalt kann übrigens auch furchtbar verletzen und noch dazu, ohne körperliche Spuren zu hinterlassen.
Da wir alle nicht wissen, was im einzelnen zu einer derartigen Reaktion und Eskalation geführt hat, sollten wir uns mit Urteilen zurückhalten.
Reine Spekulation: Wenn ich mir keine Grenzen setzen kann, wie soll ich sie dann anderen setzen? Vielleicht hat die Mutter erfahren, dass sie nicht so hilflos ihrer Tochter gegenüber ist, wie sie bis dahin glaubte. Und vielleicht hat auch die Tochter gemerkt, dass ihre Mutter nicht so hilflos ist, wie sie glaubte. Das wäre eine positive Erfahrung für beide.
Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass ich die Wirkung meines push-hands-Trainings nicht durch einen erfolgreich abgeleiteten Angriff meiner Tochter erfahren muss. Aber das taiji erleichtert es mir, Grenzen zu setzen und in den anderen hineinzuhören. Zu reagieren, bevor die Situation eskaliert.
Wenn man seiner inneren Macht gewahr wird und ihr vertraut, reicht es manchmal schon, einfach nur zu sagen "Du fasst mich jetzt nicht an!"
Ohnmacht, Hilflosigkeit und eigene Entwertung beeinflussen die eigene Aktion, Reaktion und die der anderen.
In diesem Sinne,
alles Liebe,
laoshu
GilesTCC
11-02-2009, 20:21
Danke für deine konstruktiven Gedanken und Erfahrungsmomente, Laoshu :)
Schöne Grüsse,
Giles
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