Alt gegen Neu [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Hongmen
20-03-2009, 21:39
hi leute

den alten stilen haben die meisten von uns wissen und können um die ima zu verdanken! doch gibt es auch "experimentierer" die innovativ alte vorgaben weiterentwickelt haben.
was meint ihr? sollte man lieber bei den alten vorgaben bleiben oder versuchen altes zu erneuern bzw. sogar zu verbessern? habt ihr erfahrungen gemacht was heutzutage "besser" funktioniert?

liebe grüße

hongmen

fei li
20-03-2009, 23:48
Man sollte immer versuchen etwas zu verbessern.
Konkret bei den Kampfkünsten stelle ich mir nur die Frage wie man verbessern soll, wenn die Kampfkunst nicht mehr wie früher ständigen Prüfungen durch die Realität ausgesetzt ist? Was damals nicht funktioniert hat, hat denjenigen Leben oder im besten Fall seine Anhängerschaft gekostet, was nicht realistisch war verschwand. Diese Kontrollmechanismen für Effizienz fehlen meiner Meinung nach heute in den meisten Fällen, wenn man von den wenigen Leuten absieht, die ihre KK immer noch auf die Probe stellen, wie Bodyguards oder diverse Polizei und Militäreinheiten etc.

Deswegen lieber so üben wie es schon vor 200 Jahren funktioniert hat
(wenn man das überhaupt so noch nachvollziehen kann…)

Klaus
21-03-2009, 10:25
Das Problem mit dem Verbessern ist dass man zuerst mal das können muss was die alten Praktiken schon förderten. DANN kann man Akzente anders setzen, so wie das im Taijiquan auch gemacht wurde. Wenn man den Äusserungen aus Chen-Dorf glauben mag, dann gab es da viele Praktiken vor ein paar hundert Jahren die man später weggelassen hat. Es ist heute zum Beispiel nicht richtig nötig, die Leute zu Pfeilen zu machen die, einmal abgeschossen, ihren Gegner zerlegen bis er tot ist. Wir leben in einer Welt wo man zum Supermarkt geht wenn man Hunger hat, zum Sozialamt wenn man kein Geld hat, und Räuberbanden laufen hier auch nicht umher. Es geht also um Hobby, Kulturpflege, und ein bischen dass was abfällt für Gesundheit, Athletik, und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Verbessern lässt sich das meiste nicht, wenn es vorher ausgegoren war (was durchaus nicht immer der Fall ist). Aber man kann halt Dinge weglassen die nicht so wichtig sind, und sich mehr auf Dinge konzentrieren die einem langfristig nützlicher sind. Von den Verbesserungen ala "isch habe diese uuuralte Form runder gemacht, weil man damit vieeeel besser punschen kann!" halt ich gar nichts. Formen und Praktiken zu importieren die andere Akzente betonen als die eigenen, zum Beispiel weiche Bewegungen usw., ist dagegen sinnvoll, und wurde sowieso schon seit zig hundert Jahren so gemacht. Völlig systemfremde Sachen wie eine "harte Karate-Kata" in sein "System" aufzunehmen ist dagegen vollkommen unsinnig, aber da hat man schon die komischsten Sachen gesehen.

Trinculo
21-03-2009, 10:43
Man muss erst einmal wissen, was man überhaupt macht, bevor man es verbessern möchte :)

nagual
21-03-2009, 11:06
Ein wichtiger Punkt ist meiner Meinung nach die Sache, dass die "wirklich alten" Methoden als Trainingsmethoden nicht sehr detailliert strukturiert sind, sondern stattdessen fast immer sehr viele Ideen oder Ebenen und Variationsmöglichkeiten "beinhalten". Gleichzeitig erfordern sie aber eine 100% genaue Umsetzung bestimmter Qualitäten, und es ist nicht einfach, herauszufinden, welche Aspekte zu 100% und immer pedantisch beachtet werden sollten, und welche Aspekte variierbar sind, und eigentlich sogar eine Variation über die Zeit erfordern.

Methoden, die im allgemeinen als "alt und authentisch" (usw.) gelten, werden IMO oft in der Richtung missverstanden, dass man sie immer stur und wie vom Video kopiert üben müsse, und nur so würde man es richtig machen. Dann kommt jemand, variiert ein bisschen, und glaubt dann, das wäre etwas neues. Wenn es aber die richtige Variation ist, wie sie als implizite Idee in den "alten" Sachen schon enthalten war, dann ist das nichts neues, sondern tatsächlich das alte, eben so, wie es eigentlich gemeint gewesen ist.

Als zweiten Punkt darf man nicht vergessen, dass die traditionellen Methoden fast ausschließlich Solo-Übungen sind, d.h. Formen, Drills in Bahnen oder im Stehen, Stehübungen, Gehübungen usw.
Die bedurften auch damals schon ergänzenden Trainings, nämlich Anwendungsübungen im Sinne von abgesprochenen Partnerübungen und freieren Übungen, die ins Sparring übergehen können.
Jetzt kommen ja immer wieder mal Leute daher, und bauen sich ein "neues" Übungssystem, indem sie Partnerübungen und Sparringsmethoden "erfinden", welches von den alten Formen und Drills inspiriert ist, und glauben, dass die Leute früher so etwas nicht gehabt hätten, und ihre tollen Ideen wären ultraneue und weltbewegende Verbesserungen gegenüber den Dumpfbacken von damals.
Meistens ist aber das Problem, dass diesen "neuen" Partnerübungssystemen die Basisübungen fehlen, nämlich die Formen und Drills, die eigentlich erstmal die Körperstruktur aufbauen sollten, bevor man Würfe und Hebel übt, und sparringmäßig hin und her hüpft um Punkte zu sammeln.

Diese ganzen "neuen" Übungssysteme entstehen nur deswegen, weil von den alten Sachen eben praktisch immer nur der Kern überliefert wurde, und die Leute früher es für überflüssig gehalten haben, eine Zusammenstellung von Partnerübungen als "System" zu verkaufen. Denen reichte der Kern, und alles weitere haben sie davon nach Bedarf immer wieder neu erfunden, je nach Bedarf, was ein Schüler gerade braucht.

In der heutigen Zeit gibt es dann aber noch weitere "Ideale", die in den Raum der Möglichkeiten gesetzt wurden, nämlich insbesondere die sportlichen Qualitäten des Wettkampfs und der Vorführung (für Show-Wettkämpfe mit Punktrichtern usw.). Diese "Ideale" beeinflussen inzwischen massiv, was mit dem Kram gemacht wird, was früher mal die Kern-Übungen waren, und wie man diese Sache varrieren kann, und wie man sie zur Inspiration nutzen kann.

Um "alt" mit "neu" zu vergleichen, kommt es deswegen IMO darauf an, dass man die alten überlieferten Sachen lernt in dem Sinne zu verstehen, wie sie früher mutmaßlich gemeint gewesen sind, und in wie sie vermutlich früher varriert, weiter entwickelt und an konkrete Bedürfnisse angepasst wurden.
Dazu muss man IMO vor allem den modern Wushu-, Vorführungs- und Wettkampfskram in jedweder Hinsicht ausblenden, und sich mit der Denkweise beschäftigen, wie die Leute vor 100 und mehr Jahren vermutlich drauf gewesen sind.

In diesem Sinne läuft das mal wieder auf eine recht intellektuelle Aufgabe hinaus. Paradoxerweise quasi eine intellektuelle Rekonstruktion einer teilweise auch eher wenig intellektuellen Mentalität.

scarabe
22-03-2009, 14:01
ich denke, die wenigsten sind tatsächlich gut genug, um wirklich etwas zu verbessern. Bei den anderen ist es meist entweder Geltungsdrang/Selbstüberschätzung oder kommerzielles Interesse, etwas "Neues" gewinnbringender verkaufen zu können.

Oft wird auch etwas Altes neu verpackt (anders ausgedrückt oder sonstwie ohne wirkliche Veränderung als neue Errungenschaft angeboten), ebenfalls, um es besser anbieten zu können.

nagual
22-03-2009, 14:23
Was ich eigentlich sagen wollte, ist die Sache, dass die Bewegungsformen, die vermutlich tatsächlich weitestgehend "Kopien" aus dem Jahre 1895 sind, so rudimentär oder grundlegend sind, dass man immer auf bestimmte "neue" Ergänzungen angewiesen ist, d.h. man muss diese Formen immer wieder neu zum Leben erwecken und methodisch und didaktisch in die eigenen Skills und Übungsprogramme einbauen.
Heutzutage neigen wir dazu, diese Methoden systematischer und strukturierter zu gestalten, als das früher vermutlich gemacht wurde. Dennoch sind diese Sache, die wir häufig in "Systeme" reinpacken, selten wirklich neu, weil die meisten Elemente eben früher in eher unsystematischer Form ebenfalls vorhanden waren.

Kurz gefasst, das "Alte" bedarf des "Neuen", um sich in seiner Ursprünglichkeit entfalten zu können, aber das "Neue" ist nicht wirklich neu, sondern quasi in eingefalteter Form schon immer im "Alten" vorhanden gewesen.

Diese etwas paradox klingende Logik ist meiner Einschätzung nach auch in dem Denken vorhanden, dass die Ursprünge sämtlicher Stile fast immer auf irgendwelche Praktiker, Daoisten, Mönche usw. zurückgeführt werden, obwohl man überhaupt nicht konkret weiß, was diese Leute früher wirklich gemacht haben. Man weiß halt nur, dass es im Bereich des Kämpfens und der Energiearbeit seit sehr langer Zeit nicht viel wirklich neues gibt, und man immer vermuten kann, dass jede Übung in ähnlicher Art immer schon im Bereich der Fähigkeiten der Leute gewesen ist, die was drauf hatten.

Mit anderen Worten, man weiß zwar überhaupt nicht, ob General soundso aus dem Jahre 1734 tatsächlich so etwas wie Taiji oder Xingyi gemacht hat, aber man geht eben davon aus, dass er so gut war, dass die bedeutenden Taiji- oder Xingyi-Ideen irgendwo auch in seinen persönlichen Skills realisiert gewesen sein dürften.

scarabe
22-03-2009, 18:06
ich würde das mal pragmatisch als völlig normale Entwicklung bezeichnen, ohne gleich auf die Idee zu kommen, es als große Neuerung anzupreisen......(?)

BanYan
24-03-2009, 11:43
Hallo,

mein Tip: erstmal lernen (und das verbessern wollen vergessen).

Bis jetzt ist es noch jeder Generation von Stilvertretern passiert, daß sie zusätzlich zu dem, was sie gelernt haben, noch etwas anderes gefunden haben, was das vorhandene noch angenehmer, noch gesünder, noch effektiver gemacht hat (Verbesserung??).

Vielleicht sind dabei ja ein paar alte Techniken auf der Strecke geblieben, oder der Nachbar hat sie in sein Repertoire aufgenommen.

Meine Devise: Lernen, lernen, fühlen, umsetzen, zusammenführen.

Aus Wollen wird "Wulst".
Nur Könner beherrschen die Kunst.

So Long
Gruß
BanYan

Klaus
24-03-2009, 15:40
Was leicht möglich ist, je nach Reifegrad der Praktiken, ist dass jemand der sich ausreichend damit beschäftigt plötzlich Verschlimmbesserungen die mal jemand vorgenommen hat intuitiv wieder entfernt. Wenn man sich diverse Dinge ansieht, kommt es immer mal vor dass einem eine Praktik von Branch X irgendwie äusserst "clumsy" vorkommt gegenüber Branch Y vom gleichen Stil. Besonders wenn jemand nur kurz bei kompetenten Leuten gelernt, und sich Sachen falsch gemerkt, oder selbst dazugefummelt hat, kann es gut sein dass jemand der intuiv besseren Zugang hat auf Ideen kommt die tatsächlich besser sind. Es gibt keinen Grund warum jemand heute schlechter sein muss als ein "Meister" vor 500 Jahren, wenn er sich viel mit seinem Tun praktisch beschäftigt und intelligent ist. Es gibt natürlich auch die Anderen, die etwas "verbessern" müssen ohne dass es nötig ist.

tengri
24-03-2009, 18:58
Hallo Klaus,
ich wollte Dich direkt anmailen und lande aber im board. Könntest du mich unter schuetzth@web.de mal kontaktieren; Sorry Vielen Dank im voraus.

Mit sportlichen Grüßen
Thomas

Dodge71
31-03-2009, 09:02
sollte man lieber bei den alten vorgaben bleiben oder versuchen altes zu erneuern bzw. sogar zu verbessern?
Meine Meinung dazu ist, das nur der etwas altes verbessern kann, der das alte auch komplett beherrscht.
Mit halbwissen etwas neues zu Formen erscheint mir falsch und evtl. sogar gefährlich?
Ab diesem Punkt (also wenn man etwas gemeistert hat) ist eine Änderung aber scheinbar unvermeidlich.
Wenn ich mir nur einmal die TaiChi Form der Yang Form ansehe, dann hat sich in 100 Jahren da scheinbar mehr geändert, als gleich geblieben ist.
Keine Ahnung ob diese bei anderen IK auch so ist, vermute es aber.
Ist aber eigendlich bei allem so, vieles im Leben der Menschen hat sich mit der Zeit gewandelt.
Beispiele: Fliessend Wasser, Strom, Telefon, Internet, machinell hergestellte Schuhe etc. pp.

Aber ich bin neu, da kann ich evtl. einen falschen Eindruck vom Ganzen gewonnen haben.
Lasse mich gerne korrgieren, wenn ich da einen Gedankenfehler begehe.