Taichi und Systema [Archiv] - Kampfkunst-Board

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relax
21-05-2003, 01:06
Hallo Peter J. und Andreas,
ich kenne sowohl Tai Chi (ITCCA und B.K. Frantzis) und Systema.
Nach meiner Erfahrung gibt es viele Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede:

1.) Gemeinsamkeiten:
-Man soll alle Bewegungen so entspannt wie möglich ausführen.
-Die Wirbelsäule soll gerade aufgerichtet sein.
-Das Gewicht soll nach unten sinken können.
-Alle Bewegungen sollen ununterbrochen sein.
-Man soll ständig atmen.
-Die Arme und Beine sollen immer gebeugt sein.
-Schultern und Hüftlinie sind stets horizontal (geborgt von Andreas Posting);) , man sagt im Tai Chi, dass das Rechteck (die Box), das von Becken und Schultern bebildet wird, sich nicht verbiegen darf.
-Man soll bei Kämpfen auch emotional entspannt bleiben.
-Das Aufnehmen oder und Umleiten der Angriffskraft des Gegners, im Idealfall so, dass es der Gegner nicht spürt.
-Die Anwendungsübungen, so wie ich sie im Tai Chi bei B.K. Frantzis kennengelernt habe, sind ähnlich.

2.) Unterschiede:
-Systema kennt keinen festgelegten Bewegungsablauf.
-Die Körper- und Energieprinzipien des Tai Chi sind genauer/feiner erklärt und ausgeführt.
-Tai Chi wirkt durch ständige Wiederholung einer Bewegungsabfolge, die Energiekreisläufe und Körperflüssigkeiten in bessere Zirkulation bringt.
-Systema wirkt in erster Linie durch verschiedene sehr vielseitige Einzel- und Partnerübungen, die keine festgelegten Abfolge haben (sehr wohl aber Prinzipien, ähnlich Tai Chi).
-Im Tai Chi wird viel Wert auf innere Kraft gelegt, im Systema auf Beweglichkeit und innere Kraft.
-Tai Chi legt mehr Wert auf Stabilität. Systema auf Beweglichkeit.
-Im Systema wird viel Fallschule und Bodenübungen trainiert, im Tai Chi nicht oder ich habe es jedenfalls im TC nicht kennengelernt.
-Tai Chi stellt sich bei Anwendungen jeweils eher einen Gegner vor, Systema auch oft mehrere Gegner.
-Tai Chi ist in erster Linie heutzutage eher Gesundheitsbezogen, d.h. die Trainer/Lehrer haben oft kein oder nur minimales kämpferisches Wissen im Gegensatz zum Systema.
-Tai Chi kann so gut wie ohne Alterseinschränkungen geübt werden (in meinen Tai Chi Gruppen sind bis über 70 Jährige dabei).
-Beim Systema sollte man doch eine gewisse Beweglichkeit mitbringen (ich habe bisher keine über 50 Jährigen beim Training gesehen).
...Mehr will mir im Moment nicht einfallen
:rolleyes:
Jeder ist herzlich eingeladen, mein eher bescheidenes Wissen zu verbessern oder/und zu ergänzen.
Grüsse an alle
Ralph

Dao
21-05-2003, 09:06
Hi Ralph,
das ist doch schon ganz viel, was dir da eingefallen ist.
Ein paar Sachen kann ich nur bestätigen einzelnes würde ich aus einer anderen Sicht der Dinge in Frage stellen. Aber nicht da ich sie für falsch halte, sondern dazu einen anderen Blickwinkel habe.

Eine Grund-Beweglichkeit ist auch ganz wichtig für Taiji. Je ausgeprägter desto besser. Bis zu dem Punkt wo das Gelenk über die Grenzen hinausschießt. Da muß begrenzt werden.
Der Wu-Stil bietet bei mir um die Ecke bietet auch Bodenübungen an. Für mich selbst habe ich wieder die hohe Notwendigkeit erkannt und entsprechend in mein Training eingebaut. Mit meinen Schülern übe ich es nicht. Da hast du vollkommen Recht.
Wenn du das Buch Taijiquan- die Fromenlehre von Z.J.Song liest, wirst du sehen, das in den (theoretischen) Anwendungen auch von mehreren Gegner ausgegangen wird.
Das kämpfersiche Wissen ist im Taijiquan vorhanden, leider nur in der obersten Spitze, in der Breite ist fast gar nichts da.

Das Taijiquan zu lange auf seine Soloformen ohne konkrete Anwendungen abzielt, bringt Taijiquan leider immer wieder in den Ruf eine KK für Rentner oder gar keine KK zu sein.
Das ist leider sehr schade, da dann zu den Trainingseinheiten meist Leute kommen, die so aufs erste wenig mit KK zu tun haben wollen. Bzw. es kommen zu wenige die Taiji als KK betreiben wollen. Das ist ganz großer Bock-Mist.

Dao
21-05-2003, 09:10
Hi Ralph,
schreib doch mal auf was deine Erfahrungen waren, als du als Taijiler zu Systema gingst.
Was war dein Grund noch etwas anderes zu machen? Warum Systema?

Andreas Weitzel
21-05-2003, 10:36
Hallo, Ralph,

danke für diesen wunderschönen Beitrag! Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch ein paar von Dir angesprochene Punkte etwas präzisieren bzw. ergänzen ;)
Tai Chi legt mehr Wert auf Stabilität. Systema auf BeweglichkeitIm Systema wird auch viel Wert auf die Stabilität gelegt, sie wird wahrscheinlich etwas anders definiert. Es geht um die Stabilität sowohl im unbeweglichen Zustand (liegend, sitzend, stehend...), als auch in Bewegung (siehe verschiedene Druckübungen auf einem und beiden Beinen, übungen zum Halten des Gleichgewichts usw.). Im Kämpf geht es im Wesentlichen darum, daß man sein Gleichgewicht hält und das vom Gegner zerstört...
Beim Systema sollte man doch eine gewisse Beweglichkeit mitbringen (ich habe bisher keine über 50 Jährigen beim Training gesehen).Es liegt daran, daß die Systema-Gruppen in Deutschland noch zu jung sind :) Mit steigendem Wissen und Können entfällt die Notwendigkeit, auf die eigene Beweglichkeit zurückzugreifen. Wenn ich Rußland trainiere, werde ich von manchen "Opas" duch die Gegend gescheucht :D Auch bei Vladimir gibt es viele Studenten, die bereits über 60 sind.

Grundsätzlich ist es aber so, daß es durchaus von Vorteil sein kann, wenn man bestimmte Qualitäten mitbringt. Wenn man diese Qualitäten (z.B. Beweglichkeit) aber nicht besitzt, baut man sein Training auf anderen Schwerpunkten auf. Möglich ist alles :)

Nochmal ein Dankeschön an Ralph für die vielen Informationen :)

Gruß
Andreas

relax
21-05-2003, 15:11
@Peter J.
Wegen der Beweglichkeit im Systema:
Meiner Erfahrung nach hat Beweglichkeit im Systema eine andere Qualität wie im Tai Chi. Mach doch mal ein Probetraining mit, dann kannst Du dies selbst einschätzen.
Ich habe Systema angefangen, nachdem ich Videos von Vladimir Vasiliev und Michail Ryabko gesehen habe und von deren Kampfanwendung und Bewegungen begeistert war.
Ich finde, dass die formlosen Kampfanwendungsübungen im Systema denen des Tai Chi überlegen sind. Man lernt einfach schneller, effektiver und natürlicher zu reagieren.
Und da es sehr wenige sehr gute Tai Chi Kampfkünstler, die auch noch ereichbar sind, gibt und Andreas in meiner Nähe (ca. 70 km) wohnt, habe ich Systema bei ihm ausprobiert und bin nach wie vor begeistert und werde es wohl noch lange üben.
@Andreas
Klar gibt es im Systema auch Stabilität, habe ich ja auch schon kennen gelernt, nur finde ich dass im Tai Chi schon sehr viel mehr Wert auf einen stabilen Stand gelegt wird, ich meine zum Nachteil des Tai Chi, da dies die Bewegungen etwas träger machen kann.
Grüsse an alle
Ralph

Dao
21-05-2003, 16:00
Hi relax,
das hört sich doch ganz gut an.
Gebt zu ihr beide habt euch abgesprochen und wollt hier mal voll einen auf Werbung machen. Entlarvt :D !!!

MMunsei
21-05-2003, 16:57
nee, keine Werbung,

gute diskusion über Tai Chi und Systema!

MMunsei

Andreas Weitzel
21-05-2003, 20:35
@ relax:

Meinst Du die Standhaftigkeit in bestimmten Positionen? Das wird im Systema tatsächlich nicht so intensiv geübt, wie im Taichi. Ob das ein Nachteil für Taichi ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich kommt es auf den Zweck der Übung :)

Gruß
Andreas

Andreas Weitzel
09-07-2003, 20:34
Ich habe die Themen "Grundsäulen des Systema" und "Taichi und Systema" auf Vorschlag von relax getrennt.

Gruß
Andreas

Zaphod
12-07-2003, 23:41
Ich möchte noch hinzufügen, daß einige Vorübungen sehr stark an Chi Gung Übungen erinnern.
Es gibt eine Übung, die wie eine Zhan Zhuan Gong Haltung aussieht, jedoch liegt hier das Hauptaugenmerk darauf, den Atem in verschiedene Körperteile zu lenken.

Grtz.
Zaphod

Andreas Weitzel
13-07-2003, 12:44
Hallo, Zaphod,

was für "Vorübungen" meinst Du denn? Und was ist "Zhan Zhuan Gong Haltung"?

Gruß
Andreas

Zaphod
13-07-2003, 23:14
Hallo Andreas,

konkret meine ich damit die Übung im Stehen (Beine gebeugt, Arme nach vorne, durch die Arme ein und die Beine ausatmen & umgekehrt), sowie die statische Liegestützposition. Beide Übungen sehen aus wie Zhan Zhuan Gong (heißt auf deutsch übersetzt die "Stehen wie ein Baum" Übung - ich finde das trifft die Sache ganz gut), der Unterschied ist der, daß diese Übung - soweit ich weiß - im Chi Gung ausschließlich stehend ausgeführt wird. Die Gemeinsamkeit ist, daß die Übung ohne äußerliche Bewegung - aber mit innerer Bewegung, wie z.B. im konkreten Besipiel geschildert - ausgeführt wird.
Außerdem kenne ich im Systema, wie im Chi Gung, noch andere Möglichkeiten für innere Bewegungen die jetzt im einzelnen aufzuzählen würde jedoch zu lange dauern (damit könnte man spielend ganze Bücherregale füllen :D).

Grtz.
Zaphod

Andreas Weitzel
14-07-2003, 08:18
@ Zaphod:

Aha. Wenn Du das so beschreibst, dann gibt es diese Gemeinsamkeiten tatsächlich ;) Und es gibt tatsächlich noch eine ganze Menge von solchen Übungen im Systema (aber wahrscheinlich auch im Chi Gung/Qi Gong).

Die einzige Formulierung, mit der ich nicht einverstanden bin, ist die mit der "Vorübung". Der Punkt ist, daß genau solche Übungen nähmlich den Kern von Systema sind. Alles andere, was danach kommt, sind Anwendungen im Kampf, in anderen Situationen, im Leben...

Gruß
Andreas

Zaphod
17-07-2003, 22:37
Mit der Bezeichnung "Vorübungen" wollte ich diese Übungen keineswegs schlecht machen. Ich hab mir halt angwöhnt die Chi Gung Übungen vor dem Tai Chi als Vorübungen zu bezeichnen ;) .

Im letzten Punkt:
Alles andere, was danach kommt, sind Anwendungen im Kampf, in anderen Situationen, im Leben... kann ich mich Dir nur anschließen, das ist im Chi Gung/TaiChi genauso.

Grtz
Zaphod

Dao
17-07-2003, 23:04
schmökern auch unter
Zhang Zhuang
http://www.google.de/search?hl=de&ie=UTF-8&oe=UTF-8&q=%22Zhang+Zhuang%22&meta=lr%3Dlang_de

oder unter Stehenden Säule
http://www.google.de/search?q=%22Stehende+S%C3%A4ule%22&hl=de&lr=&ie=UTF-8&oe=UTF-8&start=10&sa=N

Andreas Weitzel
18-07-2003, 09:37
Danke für die Hinweise, Peter!