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Kampfkunst Kurzgeschichten

Der siebte Kreis der Karate-Hölle - Teil 3

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Die Kata ist für einen Karateka von höchster Wichtigkeit. Selbst wenn die Bezeichnung „Kriegstanz“ für diese Übungsform häufig abfällig und abwertend genutzt wird, so trifft es dennoch den Kern der Sache. Der Karateka kämpft mit sich selbst und mit imaginären Gegnern. Das eigene Wachstum als Kampfkünstler steht im Vordergrund. Konzentration ist der Schlüssel zur Meisterschaft. Disziplin für das regelmäßige Training und Respekt vor der traditionellen Überlieferung sind fester Bestandteil des Weges. Keine dieser Tugenden vermochte Noah an jenem Abend bei den drei Weißgurten zu sehen.

Er war schon froh das Aufwärmen und die leichten Dehnübungen so hinter sich gebracht zu haben, dass sich dabei niemand aufgrund von Ungeschicklichkeiten selbst verletzte. Jetzt drohte ihm aber eine andere Gefahr: Augenkrebs. Diese Formulierung soll in keiner Weise respektlos gegenüber Menschen sein, die unter einem Karzinom im oder am Auge leiden. Augenkrebs bei einem Karate-Trainer führt nicht zur Blindheit. Die Stadien sind: 1. erhöhter Blutdruck, 2. verstärkter Faltenwurf im Gesicht und 3. verzweifelte Versuche das Gesehene ungeschehen zu machen. Auslöser sind für gewöhnlich die vollkommen unkoordinierten Unternehmungen total untalentierter Menschen die gezeigte Kampfkunst zu imitieren. Davon bekam Noah an diesem Abend einiges zu sehen.

Pia leitete grundsätzlich jede Frage und jede Antwort mit den Worten, „Also, früher beim Wing Tschun haben wir ...“ ein. Nachdrückliche Hinweise von Noah das bitte zu unterlassen, führten dazu, dass sie den Satz abbrach und sich entschuldigte. Wenn der Karate-Trainer jedes Mal nach „Also, früher beim Wing Tschun haben wir … Oh ... Tschuldigung“ nur ein paar Franken bekommen hätte, dann wäre sein neuer Gi schon finanziert gewesen.

Das gleiche Spiel hätte man mit Johann unternehmen können. Johanns Gedächtnis war in Bezug auf historische Ereignisse schlicht und ergreifend einer wandelnden Bibliothek gleichzusetzen. Er vermochte stundenlang über die verschiedenen Volksentscheide bis ins Jahr 2000 zu referieren. Wenn Noah ihn aber einmal die Kata alleine laufen lassen wollte, dann war alles Gezeigte, selbst bei einer einzelnen Bewegung sofort weg. Mit der gleichen Frankenentlohnung für „Wie war das nochmal?“ hätte es mit dem Gi so ebenfalls schon geklappt.

Und dann kam Luigi. Wenn eine Kata wie ein Kriegstanz war, dann zeigte sie Luigi auf einer Discotanzfläche umringt von schönen jungen Damen zu fetzigen Urlaubsrhythmen. Seine Bewegungen hatten keine Spannung. Sie hatten keine Explosivität und auch keine Präzision. Und vor allem: Er summte dabei! Noah wusste nicht, ob er beim Anblick des Pizzabäckers im blauen Jogginganzug weinen oder lachen sollte.

„Also kommt!“, sagte Noah. „Wir versuchen es nochmal mitenand.“
„Tue es oder tue es nicht, sagt Meister Yoda, es gibt kein Versuchen, odr?“, witzelte Luigi und erntete ein glockenhelles Lachen von Pia.
„Wer ist Meister Yoda?“, fragte Johann. „Prüft der uns etwa auf den Gürtel, odr?“
„Könnt Ihr Euch jetzt endlich mal konzentrieren!“, brüllte Noah mit hochrotem Kopf. „Ihr wollt doch Karate lernen, odr?!“
„Entschuldigung“, sagte Luigi.
„Sorry“, meinte Pia.
Noah schnaubte.
„Nun, mitenand, bitteschön.“

Taikyoku Shodan ist eine absolute Anfängerform im Shotokan Karate. Ein talentierter Weißgurt hat den Ablauf spätestens nach einer Trainingseinheit verstanden. Pia, Johann und Luigi gehörten nicht dazu. Pia drehte sich gerne um und führte statt dem tiefen Block mit geschlossener Faust eine Entsprechung mit offener Hand bei gleichzeitigem Fauststoß aus. Eine Technik, die sie aus ihrem früheren Stil hatte. Johann drehte sich grundsätzlich immer in die andere Richtung, als es vorgesehen war und hatte dabei jedes Mal erhebliche Mühe auf den Beinen zu bleiben. Und Luigi? Nun, ihm schien das alles Spaß zu bereiten. Aber egal was er da tänzerisch zeigte, mit Karate hatte das wenig gemein.

Genervt schüttelte Noah den Kopf.
„Bitte ganz langsam und Schritt für Schritt“, sagte er. „Wir bekommen das schon noch hin.“
„Ich habe da noch eine Frage“, sagte Pia.
„Bitteschön?“
„Warum holen wir bei dem tiefen Block vorher aus?“, fragte Pia. „Früher beim Wing Tschun haben wir … Oh, Tschuldigung.“
„Tiefer Block?“, fragte Johann. „Wo war da nochmal ein tiefer Block?“
Noahs Zähne knirschten für einen winzigen Moment hörbar aufeinander. Dann marschierte er zu Johann hinüber.
„Schau, wir machen das so“, sagte der junge Karate-Trainer und drehte sich mit dem tiefen Block nach links, bevor der Fauststoß folgte.
Johann nutzte zielsicher den falschen Arm und ebenso das andere Bein.
„Nein!“, schnauzte Noah. „Gerade anderes herum und außerdem zackiger!“
Er sah sich die nächsten drei verzweifelten Versuche des alten Mannes an und entschied sich dann selbst Hand anzulegen.
„Das Chnoche mües vor“, sagte Noah und zerrte gebückt mit beiden Händen an Johanns linker Wade, bis der alte Herr erschrocken den Schritt mit links nach vorne tat. Diesmal kam der tiefe Block geradezu perfekt auf den Punkt. Die geballte Faust schlug gegen Noahs linke Schläfe und schickte den Schwarzgurt zu Boden.
„Oh, Entschuldigung“, sagte Johann.

Fortsetzung folgt …
Stichworte: karate, kata, lustig, training
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