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Kampfkunst Kurzgeschichten

Der Besen-Stil – Teil 1

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Der lange Gang zur großen Gebetshalle bot mit seinen Öffnungen zum Garten und zu den nahegelegenen Feldern hin keinen Schutz vor dem Wind, der immer wieder Staub und Unrat hinein wehte. Dennoch hatte er schon in jenen Tagen, die von heute aus gesehen Jahrhunderte zurückliegen, so manchen demütigen Mönch entlangschreiten sehen. Auch der junge Novize mit seinem kahlgeschorenen Kopf, den schmalen Mandelaugen und den hohen Wangenknochen versuchte, nicht die notwendige Demut fehlen zu lassen. Hier in diesem kleinen Kloster des Shaolin-Ordens war er angekommen, um die tiefe Weisheit der Kampfmönche zu erfahren und sich in ihrer Kunst zu beweisen. Doch gerade heute hatte ihn sein Meister gescholten. Als talentiertester Schüler war er hochmütig gewesen, und sollte sich nun in der Gebetshalle auf das Wesentliche besinnen. Obwohl es vom Trainingsplatz kürzere Wege gegeben hätte, wurde er angewiesen genau hier, den langen Gang entlang zu schreiten.

Sein Weg brachte ihn dazu, unweigerlich einem älteren Ordensbruder zu begegnen, den alle Mönche und auch der Abt schlicht als den „Besenmann“ bezeichneten. Der erfahrene Shaolin war geradezu unscheinbar durchschnittlich in seiner orangenen Robe. Weder war er groß, noch war er kräftig, dennoch konnte der Novize ihn nicht als klein oder schwächlich ansehen. Diesen älteren Bruder, der vielleicht ende fünfzig sein mochte, hatte er nie bei einem Kampftraining gesehen. Bei allen Gebeten war er immer zuerst zugegen und ging als letzter aus dem Raum. Beim Essen verhielt es sich genau andersherum. Der „Besenmann“ kam als Schlusslicht an die Tafel des Abts und verließ sie als erster, um wieder seiner Aufgabe nachzugehen. Es war geradezu eine heilige Berufung, mit der dieser ältere Mönch die Gänge, Flure und Hallen des Tempels sauber hielt. Dessen wurde sich der Novize jetzt erneut bewusst, während er den schweren Besen über die Steine des Weges streichen hörte.

Konzentrationsfähigkeit und Hingabe sind entscheidende Charakterzüge für alle erfolgreichen Schüler der Kampfkunst. Gerade von einem Mönch der Shaolin wurden sie stets verlangt. Der junge Novize wusste das, und hatte sich bis heute auch immer die größte Mühe gegeben, diesem Ideal zu folgen. Die vollkommene Versunkenheit, mit der jedoch der unscheinbare Besenmann hier einen Streich mit dem Werkzeug nach dem anderen tat, um Staub und Unrat zu kleinen Haufen zusammen zu bringen, übertraf seine eigenen Bemühungen um ein vielfaches. Der demütige Mönch arbeitete nicht schnell, er zelebrierte die Reinigung der alten Steine vielmehr gründlich. Während er sich dem Mann mit gemessenen Schritten nährte, fiel ihm erneut auf, dass der Griff so überhaupt nicht der Art entsprach, wie der Novize selbst einen Besen gehalten hätte. Die Hände waren etwas mehr als schulterbreit voneinander entfernt. Die Daumen des Besenmannes zeigten aufeinander zu. Nach je drei Besenstrichen wechselte er nicht nur die Seite, auf der er zum Werkzeug stand. Auch die Position seiner Füße, die Haltung des Oberkörpers und ebenso die Gewichtsverlagerung auf die Beine, wurde beständig von ihm verändert. Für den jugendlichen Betrachter ergab dies überhaupt keinen Sinn.

Fortsetzung folgt ...

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Stichworte: historisch, shaolin, stab
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