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Kampfkunst Kurzgeschichten

Tigerkralle, Löwenzahn - Teil 7

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Der Boden ist feucht. Viel Wasser hat er in der vergangenen Stunde von dem bereitliegenden Schlauch aufsaugen müssen. Die zweimal zwölf Füße versinken bar jedes Schuhs im Schlick. Die Beine sind zu einem breiten und tiefen Stand geformt, geschlossene Fäuste warten an den Hüften. Die Lungen holen Luft, dann schießen die vom Dreck dunkelgefärbten Tigerklauen vor. Der Kampfschrei klingt nicht bei allen Kämpfern wie der einer großen Raubkatze, aber alle sind ganz in ihre Übung versunken und versuchen, sich in die Stimmung des majestätischen Raubtiers zu versenken. Erneut kehren die Fäuste an die Hüften zurück, dann werden die Rümpfe nach vorne gebeugt, ohne den festen Stand zu verändern. Die Klauen der Kämpfer schlagen in den aufgeweichten Boden. Erde und Wassertropfen spritzen, dann schließen sich ihre Finger um das Ziel und reißen es in einer Drehung heraus. Zumindest versuchen sie es. Nicht immer gewinnt die Tigerklaue auf diese Weise gegen den Löwenzahn.

„Wie Du das nur jedes Mal hinbekommst, Shifu“, meint eine zierliche dunkelhaarige Schülerin von Mitte Zwanzig. „Ich habe hier schon wieder so ein Mistding, das nicht rausgeht.“
„Denke daran, dass Du nicht nur aus dem Arm, sondern mit dem ganzen Körper reißen musst“, erklärt ihr Lehrmeister und wirft erneut zwei große Büschel Löwenzahn in den in seiner Reichweite bereitstehenden Eimer, ehe er diesen weiterschiebt. „Genau das will die Lektion uns doch verdeutlichen.“
„Eine klasse Idee, so unsere Techniken zu trainieren“, meint der Maurergeselle und geht mit der Gruppe wieder einen halben Meter nach vorne. „Ich habe jetzt schon ein viel besseres Gefühl für den Widerstand beim Auftreffen.“

Der Meister nickt und blickt hinter sich in den Garten, der einem Schlachtfeld gleicht. Zusammen mit seinen engagiertesten Schülern ist es ihm von Hand gelungen die Fläche umzugraben und das lästige Unkraut größtenteils mit der Wurzel auszureißen. Er selbst hat hierdurch viel über die tatsächliche Dynamik des Kampfstils lernen können und den Helfern sollte es ebenso ergangen sein. Ganz davon abgesehen waren alle wirklich eifrig und mit Spaß bei der Sache. Nach dem Training hätte er nur noch neuen Rasen einzusäen und die bereitstehenden Säcke mit Erde darüber zu geben.

„Ich habe noch eine Frage, Shifu?“, meldet sich nun der Familienvater von Anfang vierzig zu Wort und spricht nach einem Nicken seines Lehrmeisters weiter. „Wenn wir hier fertig sind, können wir dann noch in meinem Garten etwas weiterüben? Der hätte es nämlich ebenfalls nötig ...“
„Ich habe da auch noch Bedarf“, meldet sich eine andere Stimme und sie blieb nicht die Einzige.
Der Shifu lächelte. Ja, Kung Fu war wirklich harte Arbeit. Aber wer sagt, dass diese Anstrengung immer nur zum Selbstzweck zu erfolgen hätte?

Ende.
Stichworte: erfahrung, kung fu, tiger
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