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T. Stoeppler

Taktik des Liechtenauer-Fechtsystems

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Ich möchte in diesem kurzen Artikel die primäre Vorgehensweise dieser historischen Kampfkunst erklären.

Die Fechtweise der im 14. Jahrhundert begründeten Liechtenauer Tradition ist darauf ausgelegt, einen Kampf möglichst schnell und direkt zu entscheiden, indem der erste Angriff den Gegner sofort in die Defensive zwingt, oder, im angestrebten Idealfall, direkt ausschaltet.

Die Lehren von Johannes Liechtenauer umfassen alle ritterlichen Wehren, also Stangenwaffen, das Schwert, den Dolch sowie den Kampf zu Ross, jeweils in Rüstung und ungerüstet. Die Fechtlehre des langen Schwertes ist zweifellos die umfassendste und auch am besten dokumentiert. Das Kernprinzip des Systems ist das taktische Verständnis, dessen Grundlage die drei Begriffe „Vor“, „Nach“ und „Indes“ bilden.

Die Lehre des Langen Schwertes kennt 17 Kerntechniken(die „Hauptstücke“); 5 davon sind Erstschlagsmethoden, die „fünf Haue“ oder „fünf verborgenen Haue“ genannt. Sie sind spezialisierte Varianten eines einfachen, von der Schulter aus diagonal nach unten geführten Hiebes:

Zornhau – Ein direkter Hieb, in dessen Folge man mit der Spitze des Schwertes zum Gesicht stösst.
Krumphau – Ein Hieb, der zu den Händen des Gegners schlägt, während der Körper die Angriffslinie verlässt.
Zwerchhau – Ein horizontaler Hieb zum Kopf.
Schielhau – Ein Hieb, der während seiner Ausführung die Seite wechselt, und einen weiten Schwung des Gegners blockiert.
Scheitelhau – Ein mit Sprungschritt ausgeführter Hieb gerade abwärts.

Zu diesen Eröffnungen gibt es ein Repertoire an folgenden Techniken und Kombinationen, welche von dem Fechter wie in einer Bewegung ausgeführt werden sollen, entsprechend der taktischen Situation nach dem ersten Angriff.

Damit diese Angriffe ihren Zweck erfüllen, und nicht nur oberflächliche Qualitäten besitzen, müssen sie intensiv geübt werden. Alle Hiebe sollten mit minimaler Verzögerung und Vorwarnzeit eingesetzt werden, so daß der Gegner nicht angemessen darauf reagieren kann, ausser vielleicht mit einer hektischen, unpräzisen Parade, welche ihn für die Folgeaktionen öffnet.

Ein einfaches Beispiel ist der Zornhau: Befindet man sich in Reichweite und der Gegner schlägt bereits, oder befindet sich noch in dessen Ansatz, so bringt man seinen Hieb vor, und trifft noch bevor der Hieb des Gegners einen selbst erreicht.

Mit einiger Übung ist es durchaus möglich, den Gegner sofort zu treffen; sollte der Gegner aber seine Angriffsbewegung zu einer Parade verändern, so wird diese ihn notgedrungen an anderer Stelle deutlich blossgeben, und man zieht indessen („indes“, s.u.) das Schwert zurück und schlägt oder sticht erneut zu.

Damit diese oder andere Angriffskombinationen erfolgreich sind, muss der Ausführende Fechter ganz genau wissen, ob der Gegner nun aktiv oder reaktiv agiert; hat man den Gegner in die Reaktivität gezwungen, nennt man dies das „Vor“. Im Gegensatz dazu gibt es das „Nach“ was bedeutet, dass der Gegner in der Position ist, einen Angriff vorzubringen, dem man zuerst begegnen muss. Ein weiterer taktischer Begriff ist das „Indes“, welches Aktionen bezeichnet, die in dem Zeitfenster einer gegnerischen Handlung ausgeführt werden.

Das Liechtenauer System präferiert es daher, mit dem ersten Angriff (dem Vorschlag) das taktische „Vor“ zu erreichen, welches die Reaktionen bzw Verteidigungen des Gegners dadurch meist deutlich betonter ausfallen lässt; dies erleichtert es „indes“ die Situation einzuschätzen und zu agieren.

Zur Diskussion zu dem Artikel: Blog: Taktik des Liechtenauer-Fechtsystems - Kampfkunst-Board

Aktualisiert: 23-11-2008 um 13:24 von jkdberlin

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