Fäuste tanken - Teil 1
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am 27-01-2018 um 15:29 (2289 Hits)
Es war stockfinster und die Digitaluhr des Autoradios zeigte 6:28 Uhr an. Wolfgang tippte schnell mit den Fingern der rechten Hand gegen das Lenkrad. Er hatte eine weite Strecke vor sich. Bis nach Düsseldorf waren es an jenem kalten Januarmorgen insgesamt zweieinhalb Stunden zu fahren. Der zwanzig Jahre alte Kfz-Mechaniker tourte zum ersten Mal alleine zu einem Wettkampf. Intensive Bitten reichten nicht aus, um seine Vereinskameraden zum Mitfahren zu begeistern. Aber Wolfgangs Motivation war so groß, dass er eben alleine fuhr. Er rechnete zwar nicht mit einem Siegerpokal, aber eine Platzierung im oberen Drittel war realistisch. Leider hatte sein Trainer Mehmet keine Zeit ihn zu begleiten. Eine dringende Familienangelegenheit war ihm dazwischengekommen. In den vergangenen Wochen erhielt Wolfgang im Training alles, was er brauchte, um optimal vorbereitet zu sein. Mehmet organisierte zudem, dass sich ein befreundeter Trainer beim Turnier um seinen Schützling kümmern würde. Dafür war Wolfgang ebenfalls dankbar.
Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr den Zubringer zur Umgehungsstraße entlang. Heavy Metal-Klänge drangen aus den Boxen des Kleinwagens, als Wolfgang beschleunigte und seine Gedanken sich fest auf das Turnier fokussierten. Seit fünf Jahren trainierte er schon Kickboxen. Sein großes Vorbild war Weltmeister Rico Verhoeven. Der niederländische Schwergewichtler verkörperte alles, wonach Wolfgang selbst strebte. Mehmet half dem jungen Mann, den Kampfstil Verhoevens zu imitieren, und das gelang im Großen und Ganzen. Zugute kam ihm dabei eindeutig, dass er mit 193 Zentimeter Körpergröße und 112 Kilo Kampfgewicht seinem Vorbild schon nahe kam. Mit Nehmerqualitäten ausgestattet überlegte der junge Mann, eine Profikarriere einzuschlagen. Beim Amateur-Leichtkontakt hatten sich die Erfolge bisher nicht so recht eingestellt. Nach einem halben Jahr Vorbereitung standen heute seine ersten Kämpfe im Vollkontakt an.
Was der Tag ihm brächte? Bekam er furchtbar aufs Fressbrett oder würde er Spaß haben? Während sich Wolfgang diese Fragen stellte, fiel sein Blick auf eine Anzeige des Armaturenbretts. Dort leuchtete im klaren Rot ein stilisierter Autoreifen. Verdammt! Das hatte ihm jetzt gefehlt. Der Luftdruck stimmte nicht. Hoffentlich hatte er keinen Platten. Dann hieß es den Meister anrufen und erklären, dass er schnell in der Werkstatt den Reifen wechseln würde. Wenn das notwendig war, dann wäre die Zeit knapp. Er hatte sich bis um 9.30 Uhr in Düsseldorf zu melden. Das Auto seiner Eltern ausleihen, entfiel als Möglichkeit. Die waren über das Wochenende weggefahren und unterstützten sein Hobby ohnehin nicht. Verdammt nochmal! Ausgerechnet heute.
Zuerst galt es schnell den Luftdruck zu checken. Wolfgang nahm die nächstmögliche Abfahrt. Zum Glück gab es hier eine Tankstelle. Erleichtert stellte er fest, dass schon geöffnet war. Er lenkte im absoluten Tunnelblick sein Auto zu dem hell erleuchteten Areal und dort direkt zu der Luftdruckstation. 2,2 Bar sollten es sein. Er nahm das Zuführungskabel von der Station und prüfte vorne rechts. 2,1 Bar, alles in Ordnung, nur etwas nachfüllen. Dann checkte er den Reifendruck hinten rechts. 1,6 Bar. Verdammter Mist! Da steckte doch sicher was im Reifen drin.
„Ha’t Du Feuer?“, hörte Wolfgang jemanden in gebrochenem Deutsch fragen.
„Nein, habe ich nicht!“, antwortete er, genervt und vollkommen darin versunken das Kabel vom Reifen zu entfernen.
Nachdem der Aufpumpvorgang abgeschlossen war und die Station 2,2 Bar zeigte, hatte Wolfgang sein Ohr am Reifen. Er lauschte leise, wie die Luft entwich. Aber er hörte zudem etwas anderes. Sich nähernde Schritte.
„Du Geld für uns? Wir Zigaretten kaufen“, sagte eine Person schräg hinter ihm.
Wolfgang drehte sich in der Hocke um und sah drei Burschen mit tiefschwarzen Haare, die in etwa in seinem Alter waren. Der Erste, der offenbar mit ihm gesprochen hatte, war eineinhalb Köpfe kleiner als Wolfgang und brachte dafür vermutlich fast gleichviel auf die Waage. Der Zweite hatte dieselbe Körpergröße wie sein Freund, war aber drahtig gebaut. Etwas hinter den beiden Stand ein Typ, mit auffällig breiten Schultern. Er überragte seine Kumpel um einen Kopf. Wange bis Hals waren vernarbt, so als ob er hier einmal furchtbare Verbrennungen erlitten hatte.
„Sorry, Leute“, sagte Wolfgang und stand auf. „Ich hab‘ kein Geld an Euch zu verschenken!“
Die Antwort war etwas barsch aber ehrlich gemeint. Er hielt dabei seine Arme tief und hatte die Handflächen geöffnet. Wolfgang hatte nichts gegen Ausländer und verstand, warum die Kerle hier versuchten, Kippen zu schnorren. Aber er hatte andere Probleme. Zumindest dachte er das.
„Du was gegen Auslander?!“, fragte der Erste wieder und ein Anflug von Zorn lag in seiner Stimme, während er den Oberkörper etwas in Richtung von Wolfgang streckte.
„Hey! Mach‘ mal keinen Stress!“, sagte der Kampfsportler und hob die geöffneten Hände vor sich. „Ich gebe Euch kein Geld. Ich warne Euch! Ich trainiere Kickboxen beim Mehmet Durmaz.“
Diese Ansage hatte er mal als Tipp von seinen Trainingskameraden mitgenommen. Der Name des einst lokal so erfolgreichen Kickboxers würde demnach in entsprechenden Kreisen dafür sorgen, dass man in Ruhe gelassen wurde. Offenbar hatten aber die drei Typen nichts davon gehört. Der Kerl mit den Brandnarben stand plötzlich neben ihm und eine Rechte war auf dem Weg. Wolfgang richtete sich aus, brachte aber die Deckung nicht mehr rechtzeitig hoch. Die Faust fand krachend sein Kinn und schickte den Kickboxer zu Boden.
Fortsetzung folgt ...