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Kampfkunst Kurzgeschichten

Straßenduell - Teil 1

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Thomas kaute nervös an seinem Fingernagel. Er war als Erster zum vereinbarten Zeitpunkt auf dem Schulhof angekommen. Jetzt, am späten Nachmittag, lag seine Schule wie ausgestorben da. Bald sollten die drei Kerle kommen. Echte Kämpfer waren es, die er herbestellt hatte. Er, der Junge mit den braunen Haaren und den dunkelgrünen Augen. Er, der noch nie einer Fliege etwas zuleide getan hatte und für den jede Sportstunde immer ein Martyrium war. Nein, eine Sportskanone war Thomas wirklich nicht. Hinter den dicken Brillengläsern begutachtete ein junger Mann die Welt, der das königliche Schach als die höchste Form seiner sportlichen Betätigung sah. Mit 1,72m Körpergröße und gerade einmal 69 Kilo Körpergewicht, das sich zudem in der Leibesmitte sammelte, war Thomas weit davon entfernt eine beeindruckende Erscheinung zu sein. Damit bildete er einen krassen Kontrast zu dem zweiten Burschen von 17 Jahren, der nun das Gelände des Gymnasiums betrat.

Thomas kannte Berkan noch von der gemeinsamen Zeit in der siebten und achten Klasse. Danach hatten sich ihre schulischen Wege getrennt. Auch wenn der stabile Junge mit den tiefschwarzen Haaren, der markanten Nase und den kräftigen Unterarmen sonst keiner Herausforderung aus dem Wege ging, zog er doch einen Hauptschulabschluss und eine Schlosserlehre dem weiteren Schulbankdrücken vor. Thomas bemerkte, als sich sein ehemaliger Mitschüler nährte, dass die Arbeit seiner Erscheinung zuträglich war. Berkan hatte in den letzten Jahren deutlich an Masse und Kraft zugelegt.

Noch bevor das Kraftpaket bei Thomas angekommen war, kam von der anderen Seite des Schulhofs der absolute Gegensatz zu Berkan dynamisch auf ihn zumarschiert. Jörg hatte die Figur eines Athleten und war einen halben Kopf größer als Thomas. Mit seinen schulterlangen blonden Haaren und den blaugrünen Augen machte er schon immer auf die Mädchen einen besonders guten Eindruck. Während Berkan der Stärkste in Thomas' Erinnerung war, hatte Jörg die Schnelligkeit auf seiner Seite. Es gab auf dieser Schule niemanden, der die 100 Meter schneller überwinden konnte als jener potentielle Olympionike. Und mit seinen Beinen vermochte Jörg nicht nur schnell zu rennen. Der Blondschopf konnte zutreten wie ein Pferd und Thomas erinnerte sich schmerzhaft, wie er sich mal einen Tritt eingefangen hatte, wenn es damals auch ein Versehen gewesen war.

Berkan war als Erstes bei dem Wartenden angekommen. Sein Blick verhärtete sich, als er Thomas sorgenvollen und unterwürfigen Ausdruck sah. Dann entspannten sich seine Gesichtszüge.
„Thomas, Alter! Mensch ist das geil, Dich mal wieder zu sehen“, sagte Berkan und nahm seinen Freund so kraftvoll in die Arme, dass dieser unwillkürlich die Luft ausstoßen musste.
„Hi! Ich bin froh, Dich zu sehen“, sagte Thomas.
„Ein Kanake und eine Brillenschlange. Was für ein Anblick ...“, versuchte eine scheinbar überhebliche Stimme die Wiedersehensfreude zu trüben.
„Wir haben Dich auch lieb, Du Opfer“, sagte Berkan, bevor Thomas und er den hinzukommenden Jörg ebenfalls herzlich begrüßten.
„Wo ist Klaus?“, fragte Jörg.
„Er wird jeden Moment kommen“, sagte Thomas. „Er hat mir eben noch geschrieben, dass er einen Bus später nehmen musste.“

Tatsächlich traf Klaus ein, noch bevor die drei Freunde sich vollständig den neusten Tratsch erzählt hatten. Der vierte im Bunde war weder so agil wie Jörg noch so stark wie Berkan. Aber er verband eine gehörige Portion von beidem miteinander. Das war auch mit ein Grund, warum Thomas so froh war, dass sie nun komplett waren.
„Dann schieß mal los“, sagte Klaus. „Was gibt es so Wichtiges, dass Du uns hier herbestellt hast?“
Thomas trat kurz nervös von einem Bein auf das andere, dann rückte er mit der Sprache heraus:
„Ich habe Georg zu einem Straßenkampf herausgefordert und werde mich ihm in zwei Monaten im Duell stellen.“
Drei Kiefer klappten vor Überraschung auf. Es war Berkan, der aussprach, was die drei dachten:
„Du bist sowas von tot, Alter ...“

Fortsetzung folgt ...

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