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Kampfkunst Kurzgeschichten

Straßenduell - Teil 4

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Auf was sich Thomas vorbereitete, hatte nichts mit Selbstverteidigung zu tun. Das betonte Klaus bei jeder Gelegenheit. Es galt, ihn für einen harten Kampfsportfight fit zu machen. Berkan hatte mit einem Kumpel von Georg die Regeln abgesprochen. Auf ein Signal der beiden noch zu bestimmenden Schiedsrichter sollte es losgehen. Wenn einer der Gegner kampfunfähig wäre, aufgab oder aus seiner Ecke ein Zeichen zur Kapitulation gab, dann war der Kampf vorbei. Augen, Hals, Genitalien, die Knie und die Wirbelsäule waren als Trefferzonen nicht erlaubt. Hebel durften nur bei großen Gelenken angesetzt werden. Abwärtsgerichtete Ellenbogentechniken und Tritte gegen liegende Gegner sollte es ebenfalls nicht geben. Ansonsten wurde mit leichten Sportschuhen und blanken Fäusten gekämpft. Alles im allem also ein Setup, das für Thomas eine gehörige Abreibung versprach. Wenigstens sollte ein Zahnschutz getragen werden. Den hatte sich Thomas nach Bekanntgabe der Regeln sofort besorgt. Aber seine Nase würde das nicht schützen.

Seine drei Freunde hatten einen ausgeklügelten Trainingsplan für Thomas erstellt. Trotz Schule und Schachverein galt es Montag bis Freitag jeden Tag 90 Minuten zu üben. Samstag und Sonntag standen sogar je zwei solcher Trainingseinheiten an. Dreimal die Woche hatte der Kämpfer sich mit Schnellkrafttraining fit zu machen. Liegestütze, Kniebeugen und Situps in verschiedenen Variationen bildeten dabei die Basis. Zudem musste Thomas eine strenge Diät halten. Süßigkeiten waren tabu und Eiweiß war sein ständiger Begleiter. Die acht Kilometer zur Schule hatte Thomas im Laufschritt zurückzulegen. Nach drei Wochen klappte dies auch ganz gut. Am Techniktraining und Sparring fand Thomas nach einer Weile sogar Gefallen. Seine Freunde wechselten sich mit den Privatlektionen ab.

„Am besten ist es, aus der Distanz des Gegners heraus zu bleiben und ihm einen Tritt nach dem anderen zu verpassen“, erklärte Jörg.
Jörgs Unterweisung bestand aus dem Sidekick mit dem vorderen Bein und dem Pushkick mit dem hinterem. Ansonsten verstand es Thomas nach einer Weile ganz gut schnell in Trittdistanz und wieder herauszukommen.
„Wenn Dein Gegner seine Handtechniken anbringen könnte, dann unterlaufe die Distanz und überfalle ihn regelrecht mit Deinen Angriffen“, wies ihn Klaus an.
Klaus zeigte seinem Freund, wie er die linke Hand effektiv zum Trapping der Arme nutzen konnte. Hatte Thomas erst einmal den gegnerischen Arm, zog er sich an den Gegner heran und arbeitete mit den Chain Punches. Klaus legte auch großen Wert darauf, waagrechte Ellenbogenschläge und Aufwärtskniestöße in Thomas' Repertoire zu überführen.

Berkan musste in gewisser Weise über seinen eigenen Schatten springen. Alle vier waren sich einig, dass Thomas aufgrund der überlegenen Größe und Stärke am Boden keine Chance gegen Georg haben würde. Genug Zeit, um den Kämpfer so gut im Bodenkampf zu machen, damit er dies ausgleichen könnte, hatten die Freunde nicht. Also mussten sie Thomas Fähigkeiten vermitteln, wie er aus der Mount seines Gegners entkommen könnte, ohne den Bodenkampf fortzusetzen. Eine Vorgehensweise, die dem bodenkampferfahrenen Berkan zuwider war. Nachdem er es zunächst entgegen der Absprache anders versuchte und feststellen musste, dass Thomas hier nicht gerade seine Stärke hatte, gab er nach und konzentrierte sich auf die Marschrichtung.
„Denk, Du bist eine Kugel“, witzelte Berkan. „Roll immer am Boden und bringe den Gegner in eine instabile Position, so dass er von Dir herunterfällt. Der richtige Zug und Druck ist entscheidend, dann ist es eigentlich ganz einfach.“
Einfach fand es Thomas nun wirklich nicht. Nach vier Wochen hatte er aber so viel verstanden, dass er Berkan auch bei fünfzig Prozent Gegenwehr von sich herunterbekam und schnell aufstehen konnte.

Das Kampftraining war zwar anstrengend, aber obwohl sich Thomas einiges an blauen Flecken und Prellungen einfing und sich die Hände an den Schlagpolstern taub schlug, war es für ihn bald mehr als die Vorbereitung auf eine Schlägerei. Das Training hatte einen unbestimmten Selbstzweck und erfüllte ihn. Diese Empfindung veranlasste ihn auch dazu, am Wochenende vor dem großen Kampf, als er seine drei Mentoren mal wieder zusammen auf einem Fleck hatte, eine Frage zu stellen:
„Warum trainiert Ihr schon seit so vielen Jahren Kampfkunst?“

Fortsetzung folgt ...
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