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Kampfkunst Kurzgeschichten

Wirbelnde Fäuste - Teil 1

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Achmed war ein Mann in einer überaus glücklichen Situation. Seit einem dreiviertel Jahr war er freiberuflich und hatte die Leidenschaft zum Broterwerb ausgebaut. Noch waren die Brötchen, welche er so erhielt, recht klein, aber der athletische 1,74 große Selbstständige erzielte jeden Monat etwas bessere Umsätze. Dass es für ihn, seinen Sohn Peter und seine Frau Inge reichte, lag jedoch noch nicht an Achmed. Inge verdiente als Geschäftsführerin eines Mittelständlers mehr als genug, um die Familie über Wasser zu halten. So hatte er Inge auch kennengelernt. Als Außendienstler ihres größten Zulieferers. Glücklicherweise unterstützte sie ihn dabei, den Vertreter-Job an den Nagel zu hängen, und nun in einer gänzlich anderen Branche zu arbeiten. Im Moment war der Sohn libanesischer Flüchtlinge mit dem frisch geleasten Kleinwagen auf dem Weg zum ersten Termin an diesem Tag, als sein an die Freisprechanlage angeschlossenes Smartphone einen Anruf seiner besseren Hälfte kundtat.

„Hallo Schatz! Ich kann Peter leider nicht vom Turnen abholen, wir haben gleich wichtige Kunden da. Machst du das bitte? Meine Mutter erwartet euch schon“, fiel Inge in gewohnt dominanter Weise mit der Tür ins Haus.
„Hi! Aber ich muss bald loslegen und wenn ich ihn noch abhole, dann wird es verdammt knapp“, versuchte Achmed sein Glück.
„Das schaffst du schon, Schatz. Du sagst doch immer, dass du eigentlich gar nicht zu spät kommen kannst, oder? Ich muss jetzt schlussmachen. Die Kunden sind gleich da. Hab‘ dich lieb“, sprach‘s und legte auf.
Achmed grummelte vor sich hin, während er über die Freisprecheinrichtung das Telefon auflegte. Angeblich würden Araber ja ihre deutschen Frauen unterdrücken, hatte er irgendwo mal gelesen. Dass ausgerechnet er der treudoofe Trottel sein sollte, den seine Liebste nach Belieben herumkommandierte, führte zwar immer wieder zu halbherzigen Widerstandshandlungen, wie verspätetes Rasenmähen oder Müllrausbringen, aber das war es dann auch schon. Für wirksame Gegenmaßnahmen war er der großen Blondine mit dem strahlenden Lächeln einfach viel zu sehr verfallen. Sie kommandierte und Achmed folgte. Da sie fast nahezu in allem Recht hatte, war das auch nicht das Schlechteste.

Der leicht geknechtete Ehemann und Vater setzte also den Blinker und bog spontan ab, um zur Turnhalle seines Sohnes zu kommen. Glücklicherweise war die Kreissporthalle nicht allzuweit weg und verfügte über einen großen Parkplatz an der Eingangsseite, auf den Achmed schon nach nicht einmal zehn Minuten auffuhr.
Einem Routineblick war geschuldet, dass er bei all den Eltern, welche gerade auf der Parkfläche ankamen, einen alten Kleinbus wahrnahm, der sich mitten auf die beiden Behindertenparkplätze vor den Eingang stellte. Manche Menschen waren einfach rücksichtslos. Achmed schüttelte den Kopf und fuhr in eine nahegelegene Parklücke. Kaum war er ausgestiegen, hörte er schon das Brüllen von Timur, dem Vater von einem der Turnkameraden seines Sohnes Peter, mit dem er sich immer mal gerne unterhielt.
„Sag‘ mal spinnst du! Hier ist ein Behindertenparkplatz, mach‘, dass du wegkommst!“
Timur war etwas größer und kräftiger gebaut als Achmed, aber von der Statur her hatte der Enkel türkischer Gastarbeiter dem Fahrer des Kleinbusses nichts voraus. Der Mann erweckte auf Achmed den Eindruck, ebenfalls arabische Vorfahren vorweisen zu können und schien zudem einen wirklich schlechten Tag gehabt zu haben. Sein verwaschenes T-Shirt und die schäbige Jeans machten ihn auch nicht vertrauenswürdiger. Mit großen Händen stieß er Timur vor die Brust und schob ihn mit wenigen Schritten an die Wand des Gebäudes.
„Was machst du mich an, Hurensohn!?“, schrie der Mann und überrumpelte mit seiner spontanen Aggressivität sein Gegenüber völlig.
„Halt! Lassen sie den Mann in Ruhe!“, kommandierte Achmed wie er es tausende Male zuvor geübt und gelehrt hatte.
Schnell überbrückte er die Distanz und wiederholte dabei sein Kommando, ohne dass ihm bei dem Gebrüll überhaupt Beachtung geschenkt wurde. Mit beiden Händen voran und einem stabilen und kraftvollen Stand stieß er deshalb den Angreifer von Timur weg.

Der Aggressor stolperte einige Schritte zurück und sammelte sich. Dann stürmte er ohne zu zögern auf Achmed zu. Die heranfliegende rechte Faust brachte der Verteidiger mit seiner Linken von innen aus der Bahn, nur um den Schwung in die eigene Rechte zu übertragen. Pfeilschnell krachte die Hand in einer Kreisbahn geführt von außen gegen die Kieferaufhängung des Angreifers. Während der getroffene Gegner zurück stolperte, setzte Achmed nach. Eine linke Gerade diente zur Überbrückung, um das rechte Bein vorzusetzen. Ein weiterer Schwinger mit der Rechten schickte den Aggressor schlussendlich zu Boden, wobei der Verteidiger den ganzen Körper hinter den Schlag packte und dafür zur abgewandten Seite auswich.
„Das ist mein Papa“, verkündete der sechsjährige Peter stolz seinem gleichaltrigen Freund, mit dem er eben aus der Turnhalle gekommen war. „Er ist Choy Lay Fut-Meister und kann alle verhauen.“
„Was ist das?“, fragte sein Freund.
„Kung Fu“, erhielt er als Antwort.
„Ach so.“

Fortsetzung folgt ...

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