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Kampfkunst Kurzgeschichten

Der Kampfkunstlehrer - Teil 1

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Philipp war Kampfkünstler mit Leib und Seele. Seit über 30 Jahren trainierte er und mehr als 20 davon konnte er an Unterrichtspraxis vorweisen. Seine Selbstständigkeit dauerte nun schon zehn Jahre an. Wiederum vor fünf Jahren war ihm bewusst geworden: Sein Chef war ein Trottel.
Philipp war Kickboxer für den Wettkampf, Thai Chi betrieb er für die Gesundheit, Krav Maga hatte ihn für die Selbstverteidigung überzeugt und beim HEMA lebte er die Leidenschaft für Waffen aus. Die Schule war einst ein kleines Fitnessstudio gewesen. Mit der finanziellen Unterstützung seiner Frau hatte er es seinen Wünschen entsprechend umgebaut und nun verbrachte er jede Woche viele Stunden darin. Von montags bis freitags gab es in diesem Trainingscenter zwei Trainingseinheiten jeden Abend. Grundsätzlich unterrichtete er Kickboxen und Krav Maga parallel. Fürs HEMA wurde die gesamte Fläche benötigt und Thai Chi-Unterricht gab es zu den frühen Einheiten, damit auch die älteren Teilnehmer gerne im Winter vorbeischauten.
Samstags bot er fast immer Seminare oder Privatunterricht an. Den Sonntag hielt er sich frei und seit einem Jahr konnte er sich auch am Montag, seinem traditionellen Verwaltungstag, abends um die bessere Hälfte kümmern. Ein Assistent machte dies möglich.
Es war heute wieder ein Montag. Die beiden Kinder, Robert 10 und Jule 8, saßen an ihren Hausaufgaben und Philipp hatte gerade die Küche aufgeräumt und war in sein Büro gegangen, als das Telefon klingelte.
„Hallo, Meister, hier ist der Max“, quakte es aus dem Hörer.
„Hallo, Max“, erwiderte Philipp, dem nichts Gutes dabei schwante, dass sein Assistent um diese Zeit anrief.
„Du, ich habe mir heute auf dem Nachhauseweg von der Uni den Fuß am Bordstein verstaucht. Du sagst ja auch immer, dass es eine doofe Idee ist ständig aufs Smartphone zu gucken. Jetzt weiß ich das auch.“
Philipp seufzte. Er wusste, was jetzt gleich kommen würde.
„Oh, das hört sich schlimm an.“
„Ich kann leider kaum laufen und heute das Training nicht übernehmen“, stellte Max fest.
„Schon ok. Mache Dir keine Gedanken und werde wieder fit. Ich springe natürlich ein.“
„Danke, Meister. Bis bald“, sprach’s und legte direkt auf.
„Tschüss“, sagte Philipp gegen das Tuten.

Der Selbstständige fuhr den Rechner hoch und warf einen Blick auf die E-Mails. Drei waren von seinen Kursteilnehmern und hatten in unterschiedlichen Versionen das Wort „Kündigung“ im Betreff. Kurz überflog er jede einmal.
„... kündige ich hiermit per sofort unseren Vertrag, da mir das Training schon lange keinen Spaß mehr macht ...“
Philipp schüttelte den Kopf. Für diese junge Dame mit den zwei linken Händen hatte er sich beim Kickboxen immer extra Zeit genommen.
„... bin ich davon überzeugt, dass Ihr Selbstverteidigungsangebot nicht mehr der heutigen Zeit entspricht, und kündige daher zum nächstmöglichen Termin ...“
Jener ältere Herr war schon seit einem halben Jahr nicht mehr im Training gewesen und hatte auch vorher peinlich darauf geachtet, dass er nicht ins Schwitzen kam oder gar einen blauen Fleck erhalten könnte.
„... melde ich meinen Sohn schnellstmöglich ab, da wir uns den Monatsbeitrag nicht mehr leisten können ...“
Den Jungspund hatte er in letzter Zeit ein paar Mal zurechtweisen müssen. Dass man mit 18 immer noch so ein Kindskopf sein konnte, war schon faszinierend. Vielleicht lag das auch daran, dass er nach wie vor von der Mama mit dem dicken und nagelneuen SUV vom Training abgeholt wurde.
Philipp öffnete die E-Mail vom Inkassobüro seines Vertrauens mit der Wasserstandsmeldung zu den aktuellen Aufträgen. Zwei ehemalige Mitglieder hatten nun einen Offenbarungseid abgelegt. Der dritte säumige Zahler war ausgewandert.
Der Kampfkunstlehrer grunzte. Trotz guter Neuzugänge würde er auch in diesem Quartal sein geplantes Umsatzziel nicht halten können. Gut, dass seine Liebste so viel verdiente.
„Aua!“, brüllte es aus dem Flur vor dem Büro.

Fortsetzung folgt ...

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