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Kampfkunst Kurzgeschichten

Der Kampfkunstlehrer - Teil 3

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Normalerweise dauerte die Fahrt zum Trainingscenter keine 20 Minuten. Aber ausgerechnet heute musste ein schwerer Unfall auf der einzigen Zufahrtsstraße einen beeindruckenden Stau im Feierabendverkehr auslösen. Nervös trommelte er auf seinem Lenkrad herum. Er hasste es, zu spät zu kommen. Insbesondere, wenn er eine Vertretung übernahm und niemand anderes einen Schlüssel hatte. Da lichtete sich der Stau etwas und Philipp erkannte die Chance, noch schnell in eine Nebenstraße abzubiegen und somit das letzte Stück des Staus zu umfahren. Verdammt! Den Kleinwagen hatte er übersehen!
Mit Vollgas zwang er seinen eigenen klapprigen fahrbaren Untersatz dazu, noch knapp vor dem entgegenkommenden Verkehr in die Straße einzufahren. Lautes Reifenquietschen und Hupen quittierten sein Rettungsmanöver, welches mit aufflackerndem Blitzlicht auch für die Nachwelt festgehalten wurde: von einer Radarfalle. Mist! Er hatte wahrlich schon genug Punkte in Flensburg gesammelt.

Wenigstens kam er nicht zu spät. Obwohl es noch 10 Minuten bis zur ersten Trainingsstunde waren, warteten bereits vier Teilnehmer vor der Tür. Auf allen Parkplätzen standen Autos. Philipp entschloss sich, jetzt nicht suchen zu gehen, sondern für den Beginn des Trainings in der Ladezone zu parken. Kaum war er ausgestiegen und dabei sein Auto abzuschließen, sah er schon den alten Mann hinter dem Fenster im Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Mit Block und Stift notierte er etwas. Der Kampfkunstlehrer schüttelte den Kopf, setzte ein Lächeln auf und ging zu den Wartenden.
„Guten Abend“, grüßte er freundlich, als er sich mit dem Schlüssel der Türe nährte.
„Hallo. Kommt Max heute nicht?“, erhielt er als Antwort.
„Nein, er hat sich leider am Fuß verletzt.“
„Oh, das ist aber schade.“

Das Training hatte bereits vor zehn Minuten begonnen, als Günter in den Trainingsraum kam. Günter musste immer lange arbeiten und schaffte es daher für gewöhnlich nicht pünktlich. Freudestrahlend kam er direkt auf Philipp zu.
„Guten Abend, Meister“, sagte der ältere Teilnehmer. „Schön, dich heute hier zu sehen.“
„Guten Abend. Es ist auch schön, dich wieder zu sehen“, erwiderte der Kampfkunstlehrer, dem es trotz aller Erfahrung gerade schwer viel ein freundliches Gesicht zu machen.
„Weißt du, ich finde es hier einfach super. Ich komme immer sehr gerne her. So hauptamtlich Kampfkunst zu betreiben ist schon eine geniale Sache, oder? Du hast wirklich einen tollen Beruf gewählt. Das stelle ich mir sehr erfüllend vor.“
Philipp konnte keine Häme in den Augen des Mannes sehen. Nur ehrlich gemeinte Bewunderung war dort zu lesen. Daher antwortete er:
„Ja, da hast du vollkommen recht. Ich möchte tatsächlich nichts anderes mit meinem Leben anfangen als genau das.“

Ende.

PS: Diese Kurzgeschichte ist all jenen Meistern, Lehrern und Trainern gewidmet, die ihre Kampfkunst mit großer Leidenschaft beruflich oder als Hobby weitergeben. Lasst euch bitte die Freude an dem, was ihr liebt, niemals durch die Tücken des Alltags vermiesen.

Euer Magister Scriptor

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