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Kampfkunst Kurzgeschichten

Das Herz des Kämpfers - Teil III

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Vielleicht erschrocken, aber zumindest überrascht machte der Rothaarige einen Schritt zurück. Johannes hatte einen 70 Zentimeter langen und drei Zentimeter breiten Kampfstock aus seinem Rucksack gezogen und damit einmal vor sich die Luft zerteilt. Das Rattanholz war rot gefärbt, wobei die Farbe schon an mehreren Stellen abgefallen oder ausgebleicht erschien. Ein schwarzes Tapeband war in der Vergangenheit mehrfach um den oberen Teil gewickelt worden, um ausgefaserte Gebrauchsspuren zu überdecken. Dies war Johannes Lieblingsstock fürs Training und er war verdammt froh, dass er ihn heute dabei hatte. Am rechten ausgestreckten Arm ließ er ihn hängen und hatte die zugehörige Schulter vom Gegner weggedreht. Seine linke offene Hand war am ebenfalls langen Arm auf den Rothaarigen ausgerichtet und hätte auch dem letzten Trottel signalisiert, dass es galt, Abstand zu halten.

„Bleib weg von mir!“, kommandierte der Kämpfer, dessen Herz nun wie wild in der Brust schlug. „Ich möchte dich nicht verletzten, aber wenn du mich zwingst, dann werde ich mich verteidigen!“
„Wie bist du denn drauf?!“, sagte der Rothaarige und klang mit seiner hektischen und gedrückten Stimme dabei keinesfalls mehr so souverän. „Ich wollte nur mit dir reden!“
„Ich aber nicht mit dir!“, erwiderte der kampfbereite und entschlossene Verteidiger. „Lass mich einfach in Ruhe!“
„Machst du irgend einen krassen Kampfsport?“, erhielt er als Frage.
Zunächst überlegte der Kämpfer kurz, ob er auch hierauf ablehnend reagieren sollte, aber dann entschied er sich anders.
„Ich lerne philippinische Kampfkünste“, sagte Johannes ruhig. „Und deshalb kann ich mit meinem Stock umgehen. Lass es also gut sein und mich in Ruhe.“
Der Rothaarige hob die Hände.
„Alles klar, Bro“, entgegnete er. „Dann bist du wohl doch nicht schwul.“
Johannes hatte jetzt kein Interesse daran mit diesem offenbar recht einfach gestrickten Zeitgenossen eine Diskussion zu beginnen, dass die Tatsache, eine Kampfkunst zu erlernen, keine gesicherte Aussage über die sexuelle Neigung zuließ. Daher nickte er nur und verengte dabei die Augen zu einem entschlossenen Blick.
„See you, Bro“, sagte der Rothaarige und ging zurück zu seinen Kumpels, mit denen er den Bahnhof dann durch die Passage zum Ortskern hin verließ.
„Ich hoffe mal nicht“, dachte Johannes und schaute den dreien nach, bis sie verschwunden waren, ehe er den Stock wieder im Rucksack verstaute. An diesem Abend würde er im Training wirklich einiges zu erzählen haben.

Ende.

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