Zitat:
...Drosten: Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pandemie der Ungeimpften. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie. Und wir haben Menschen, die noch sehr gefährdet sind, die älteren Ungeimpften. Bei den über 60-Jährigen haben wir nur eine Impfquote von 86 Prozent vollständig Geimpfter, das ist irrsinnig, das ist wirklich gefährlich.
ZEIT: Aber warum haben wir keine Pandemie der Ungeimpften? Auf den Intensivstationen – auch bei Ihnen in der Charité – liegen doch gerade die.
Drosten: Wer nicht geimpft ist, infiziert sich mit seinem jeweils alterstypischen Risikoprofil. Viele werden dann auf der Intensivstation landen. Das überlastet die Intensivmedizin. Darum ist das akute Ziel, nicht zu viele Infektionen auf einmal zuzulassen. Die Delta-Variante hat leider die Eigenschaft, sich trotz der Impfung zu verbreiten. Nach zwei, drei Monaten beginnt der Verbreitungsschutz der Impfung zu sinken. Und wir haben ganz viele Menschen gerade in den relevanten Altersgruppen, die schon im Mai oder im Juni geimpft worden sind. Die verlieren jetzt allmählich ihren Verbreitungsschutz, und sie werden immer mehr. Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen – auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.
ZEIT: Was bedeutet das für den weiteren Infektionsverlauf?
Drosten: Wir haben zwei Wege, die wir bei der Impfstrategie gehen können: Der eine ist, die Impflücken mit aller Macht zu schließen. Rein wissenschaftlich gesehen, würde eine flächendeckende Impfung der gesamten erwachsenen Bevölkerung die Belastung auf den Intensivstationen nachhaltig reduzieren. Dann wäre jede Infektion ein Impfdurchbruch, und die sind deutlich weniger pathogen. ...
ZEIT: Wie blicken Sie auf das nächste Jahr?
Drosten: Dieses Virus wird endemisch werden. Wir können es auf keinen Fall wegimpfen, weil wir nicht die ganze Weltbevölkerung impfen können. Und bald kommen auch Immun-Escape-Varianten, gegen die die Impfung nicht mehr wirkt. Darum müssen wir bewusst in die endemische Phase eintreten. ...
Drosten: Die Impfimmunisierung wirkt systemisch, sie schützt die Lunge, man erleidet keinen schweren Verlauf mehr. Aber die Grundimmunität schwindet allmählich, und die Schleimhaut in Nase und Rachen ist wieder ungeschützt. Das ist bei allen anderen Coronaviren auch so. Alle eineinhalb Jahre holen wir uns jedes dieser vier Coronaviren, ob wir daran erkranken oder nicht. Dadurch wird unsere Immunität immer wieder upgedatet. Bei diesem Coronavirus müssen wir auch in diesen Modus kommen. ...
Ich habe immer wieder dasselbe gesagt: Die Impfung ist der Weg aus der Pandemie, die Impflücken müssen geschlossen werden. Viel mehr gibt es jetzt nicht mehr zu sagen.
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