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Die HEMA Quellen sind ja schon recht umfangreich, ich habe mich jedoch gefragt wie solche Dinge heutzutage rekonstruiert werden. Gerade die Wirkung von Klingen im Körper und wie man sich bewegt um einen gewissen Effekt zu erzielen halte ich für einen der wichtigsten Bausteine in den KK.
Daraus ergeben sich Notwendigkeiten der Positionierung, also auch wichtig für die Beinarbeit, die Ausrichtung einer Technik, also der Kraftvektor eines Schlages, Stichs etc. und nicht zuletzt die Art und Weise wie ich mich überhaupt bewege von a nach b.
Es ist ein Unterschied ob ich jemanden den Schädel spalten will, große Gefäße im Bauch zerfetze oder welche im Brustkorb oder ob ich ihm die Kehle durchschneiden oder ihn Köpfen will. Von Angriffen auf die Extremitäten rede ich jetzt noch gar nicht, da die oft ja "vorbereitend" genutzt werden.
All das gehört ja zur "Taktik" dazu, Beinarbeit, Positionierung, Körperausrichtung etc. dienen ja dazu bestimmte Effekte am Gegner zu erzielen. Wenn ich nicht weiß was ich erreichen will, dann wird es irgendwie "willkürlich". Um zu wissen was ich erreichen will brauche ich aber auch eine Vorstellung über das was ich angreife.
In diesem Zusammenhang habe ich mich gefragt wie das in den HEMA rekonstruiert wird, daher die Frage.
Grüße
Kanken
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Zumindest bei den frühen Quellen findet man höchstens die Aufteilung des Menschen in die Blößen, die mit den drei Wundern angegriffen werden und je nach Schule in vier oder sechs Teilen, die senkrecht oder diagonal bezeichnet werden. Und dann halt noch die angaben zu den Angriffslinien, die auch wieder je nach Meister unterschiedlich steil sind. - Anatomiekenntnisse waren im 13-15Jhrd. in Europa wohl noch nicht wirklich vorhanden.
Man findet in der deutschen Schule höchstens Aussagen wie - so brich ihm den Arm ab oder falle mit deinem Knie in sein Gemächt, wenn es um das Ringen geht..
Was die Waffenwirkung betrifft, so gibt es zumindest Fundlagen von auf dem Schlachtfeld Verstorbenen und dann natürlich die Schnitttests an frischen Schweinehälften.
so wie ich das interpretiere, haben sich die alten Meister eher Gedanken über Geometrie und stabiele Winkel gemacht, wie man die Angriffslinien des Gegners blockiert und auf den eigenen möglichst viel Kraft entwickelt.
Also könnte man vereinfacht sagen, dass zumindest bis Meyer die Regeln:
1. lass dich nicht treffen
2. schlag richtig und mit guter Beinarbeit
3. ziel dahin, wo der Gegner ungedeckt ist
4. egal ob du getroffen hast oder nicht, schlag oder stich nochmal woanders hin
5. wiederhole Punkt 4. bis der Gegner nicht mehr kämpfen kann
6. zieh dich zurück und sichere dich dabei mit einem weiteren Hau zm Gegner
Anatomiekenntnisse nicht vorausgesetzt haben. :D
Entweder das oder alternative Vorgehensweise die man in älteren Quellen findet:
Besetze mit deinem Angriff die Mitte und triff den Gegner so, dass er nicht zu einem Gegentreffer in der Lage ist weil sein Schwert im Treffer gebunden ist, z.B. mittels Absetzen.
Zielvorgabe beim Absetzen ist nur allgemein als "Gesicht oder Brust" beschrieben.
Dunio, Dreiven: Gute Beiträge
Leider sind gerade solche grundlegenden Dinge wie genaue Ausführung von Schlägen und Stichen sowie Schrittarbeit nur sehr bedingt rekonstruierbar.Zitat:
In diesem Zusammenhang habe ich mich gefragt wie das in den HEMA rekonstruiert wird, daher die Frage.
Da läuft dann letztlich viel über "Trial- und Error" sowie über "Frog-DNA". Mir hat zum Beispiel beim Themenkomplex "arbeiten" aus der Bindung (Winden, Duplieren, Mutieren, Absetzen...) meine Erfahrung aus dem WT sehr viel genutzt (fühlen und ausnutzen von Druckrichtung und Druckstärke).
Ohne eine echte Übetragungslinie lässt sich leider "lediglich" eine grobe Vorstellung davon entwickeln, wie mit den jeweiligen Waffen gekämpft wurde. Wie immer in den Geschichtswissenschaften bleibt dabei ein hoher Grad an Unsicherheit.
Aber genau da wird es ja spannend. Früher waren Tote und tödliche Auseinandersetzungen jetzt ja nicht so unüblich und nach einer gewissen Zeit "unter Waffen" hatte man genug "praktische Anatomieerfahrung"um grundlegende Waffenwirkungen zu verstehen. Wenn solche Leute später selber ausbildeten, dann wußten sie wie es aussieht wenn man die Halsschlagader durchtrennt und das es besser ist sich dann wegzudrehen weil 3-5 Meter Blutfontänen unschön sind. Grundlegende Kenntnisse von Schnittführungen am Bauch hatte man dann ja auch (wenn man jetzt mal von weniger gerüsteten Leuten ausgeht). Den rausquillenden Darm greifen um den Gegner zu bewegen? Warum nicht, wenn man weiß wie schnell Darmschlingen rausquillenden wenn das Peritoneum eröffnet ist, dann liegt das nahe.
Ohne grundlegende Anatomiekenntnisse kann man doch nicht verstehen wie Schnittführungen gehen, wie Druck vom Handgelenk ausgeübt werden muss und gegen welchen Knochen/Strukturen um bestimmte Effekte zu erreichen. Ich bin mir sicher dass die Leute früher so etwas durch praktische Anwendung wußten, da sie es oft genug gesehen haben/mußten.
Gibt es nicht ein paar Forscher/HEMA-Enthusiasten, die sich mit Gerichtsmedizinern/Ärzten zusammensetzen um zu überlegen was wie Sinn macht, wenn man schon keinen Zugang zu einer lebendigen Tradition hat?
Bücher sind meistens ja nur Gedächtnisstützen, solche Dinge sind ja auch nur schwer schriftlich, oder bildlich, festzuhalten. Wäre bestimmt eine spannende Forschung, allerdings wohl eher historisch wissenschaftlich als für einen "normalen" HEMA-Verein...
Grüße
Kanken
früher hat auch jeder selbst geschlachtet,- ganz ohne Schlachter, amtlichen Tierbeschauer usw.
das ist quasi Standardwissen gewesen, wozu also dokumentieren? wurde ja eh mündlich weitergegeben
wer konnte schon lesen?
wer hatte schon Vorstellungen von Perspektive, konnte diese darstellen/auf Bildern erkennen?
das Problem ist doch nicht "Techniken" wiederzubeleben, sondern sie in den richtigen Kontext zu setzen
ich finde zum Beispiel die Videos von Roland Warszecha sehr hochwertig, glaube aber nicht, daß sein I33 mit der Version von 1200 deckungsgleich ist, zu (ohne das in irgendeiner Form abwertend zu meinen) intellektuell, künstlerisch, modern in meinen Augen, gerade weil er das so intensiv erforscht
und ganz hervorragende Kenntnisse von Distanz und Timing besitzt
das was da rekonstruiert wird, ist ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eines Duells, hat keinen Vorkampf, sucht sofort und immer Bindung,....
das ist aber ganz sicher nicht Grundlagenwissen gewesen, sondern setzt auf
einer grundlegenden Struktur auf, die taktisch/combativ sicher ein anderes Spiel beschreibt, Kampf gegen mehrere, in Formation, unmatched weapons,....
wenn heutzutage Feindkontakt entsteht, schaffen das nur exzellent trainierte Truppen und Veteranen ihr Training im taktischen Kontext umzusetzen, guckt Euch doch an, was da üblicherweise an "spray and pray" nachher von bleibt
ich vermute mal, das Elitetruppen das Wissen sicherlich hatten, die dürften dann wohl in der Leibgarde des jeweiligen Chefs gedient haben oder als Assassine ihren Lebensunterhalt bestritten haben
na oder Fechtbücher geschrieben haben
Version von um 1300 ;)
Übrigens persische Quellen zum Lanzenfechten weisen darauf hin, wie man unterschiedlich stechen soll, also gegen Menschen in den Leib mit der Klinge flach zum Boden, gegen Tiere seitlich in den Leib mit der Schneide zum Boden. Um nochmal was zum Thema beizutragen.
Ich kann da nur für mich sprechen. Meine letztes und intensivstes "Forschungsobjekt" war das I33 (über das ich auch mit Roland in Kontakt kam), da hatte ich noch mehr als genug damit zu tun, die Stücke nach und nach nachzuvollziehen. In Richtung Waffenwirkung / Waffenführung blieb es daher bei der Analyse von Verletzungen (u.a. aus Visby) sowie Schnitttests (plus Frog DNA).Zitat:
Gibt es nicht ein paar Forscher/HEMA-Enthusiasten, die sich mit Gerichtsmedizinern/Ärzten zusammensetzen um zu überlegen was wie Sinn macht, wenn man schon keinen Zugang zu einer lebendigen Tradition hat?
Der von Dir vorgeschlagene Ansatz wäre sicher sehr interessant. Gerade heutzutage wo man im HF schon viel weiter ist, als zu der Zeit, zu der ich noch aktiv war.
Das mit den persischen Quellen ist ein guter Hinweis, wenn es um Kontext geht - im geografischen Europa war das Denken wohl noch sehr stark christlich geprägt - der Mensch als Ebenbild Gottes und es wäre Blsphemie gewesen, versuchen ruszufinden, wie der Mensch aufgebaut ist und funktioniert, was sich auch in dem Zeigt, was wir heute über die medizinische Versorgung im Mittelalter wissen. Anatomisches wissen von Hausschlachtung von Vieh auf den Menschen zu übertragen hätte wohl bedeutet, die Stellung des Menschen als Vollendung der Schöpfung in Frage zu stellen.
Und von heutigen Schnittests und den Knochenfunden kann man erahnen, dass die Waffenwirkung stark genug gewesen sein musste, bei guter Hiebausführung beträchtlichen Schaden anzurichten - habe mal von gespaltenen Kieferknochen gehört, bei denen sogar einzelne Zähne durchtrennt wurden, ohne auszubrechen.
Deshalb denke ich, dass die alten Meister ihre Schwerpunkte auf Technik, Taktik und allgemeine Grundprinzipien des Kampfes gelegt haben - auch wenn meine Aufzählung sehr stark vereinfacht war...
Ich muss aber zugeben, mich bisher nur mit dem ungerüsteten Zweikampf zwischen zwei Personen zwischen 1430 und 1600 beschäftigt zu haben.
Nun ja, nach ein wenig Praxiserfahrung hatten die Leute da wohl sehr genaue Kenntnisse über die menschliche Anatomie, denn sie sahen ja die Folgen Ihres Tuns.
Das Problem mit "Skelettforschung" (wie Visby und andere) ist ja das man nur knöcherne Verletzungen sieht und da oft nur den Schädel, die Unterarmknochen, oder die Schlüsselbeine. Welche Art von Weichteilverletzungen stattfanden oder "Schnittmarken" an der Wirbelsäule läßt sich oft nicht mehr sagen, da man oft nicht unterscheiden kann was perimortem war oder was postmortem war. Der Schädel macht es einem da einfach...
In den CMA ist der Angriff gegen den Schädel/das Gesicht oft ja nur das Ende einer Kette von Angriffen (und der daraus resultierenden Verletzungen). Was da im Vorfeld war würde man an einem Skelett oft gar nicht sehen.
Ich glaube man sollte nicht denken die Soldaten/Söldner damals hätten Skrupel gehabt sich die Leichen mal genauer anzusehen um zu schauen wie man so etwas das nächste mal effektiver gestalten kann. Wenn man sich die Bilder anschaut, dann kann man sehr wohl ahnen was sie wußten, z.B. auch auf dem Bild was hier schon mehrfach verlinkt wurde (https://upload.wikimedia.org/wikiped...hoffer_031.jpg. Nur fehlt bei solchen Bildern halt die Beschreibung, was man machen muss um sicher gewisse Dinge IM Körper zu treffen. Die Tatsache das man durch das Bild aber, mit anatomischen Wissen, ahnen kann was der Urheber vor hatte läßt darauf schließen das er auch über dieses Wissen verfügte, sonst hätte er nicht so gezeichnet.
Eine Technik wie auf dem Bild würde dazu führen dass der Getroffene sofort bewußtlos wird und innerhalb kürzester Zeit stirbt, jedenfalls wenn sie richtig ausgeführt wird.
Grüße
Kanken
itto Ryu Vielen Dank für das Erwähnen der persischen Quellen zum Lanzengebrauch. Als Interssierter an den alten persischen Quellen sind solche Dinge immer nett zu lesen. :)
Und noch was wenn auch zum Thema beitragen zu können eine kleine Spekulation von mir:
Gemessen an den Sammlung von Geschichten in den Büchern Swordsmen of the British Empire und more Swordsmen of the British Empire von D.A Kingsley scheinen diese "One Hit Kill Techniken" wie Kanken sie in den CMA erlebt hat im Europa der frühen Neuzeit nicht bekannt gewesen zu sein oder zumindest in Vergessenheit geraten zu sein. Gibt Berichte von Leuten die trotz massiver Verletzungen noch weitergekämpft haben.
Da war das korekte anatomische Wissen im Sinne der CMA wie Kanken es kennengelernt hat wohl nicht so verbreitet.
Ist aber wie gesagt nur reine Spekulation von mir. Vielleicht habe ich Kanken auch falsch verstanden. Hab das so verstanden das in CMA anatomisches Wissen gibt, was den CMA Praktiker in der Lage versetzt den Gegner mit wenigen Waffenanwendung mit absoluter Sicherheit auszuschalten.
Das ist so ziemlich konträr zu den Augenzeugen Berichten in Kingsleys Büchern wo die "Protagonisten ihre Feinde manchmal richtig mit massivster Gewalt "kaputt" kloppen mussten bis der Kampf entscheiden war..
Lassen wir noch meinen Lieblings Youtuber in Sachen HEMA Matt Easton
https://www.youtube.com/watch?v=iF_K-P0AwfI
zu Wort kommen der ein paar Auszüge aus dem Buch in dem Video hier vorträgt.
Wie gesagt, ich beziehe mich bei meinen Aussagen auf den ungerüsteten Kampf zwischen zwei Personen im deutschsprachigen Raum bis 1600 - und dort wird halt nur explizit erwähnt, zu welcher Blöße man angreifen soll und wie der Hieb oder Stich richtig ausgeführt wird.
Plump gesagt ist es eigentlich auch völlig egal, ob ich nun weiß, dass im Abdominalbereich die Pfortader läuft, wenn der Gegner kampfunfähig wird, wenn ich ihm diesen aufschneide...
Das nicht-getroffen-werden steht meiner Interpretation nach im Vordergrund - deshalb wird in der Lichtenauertradition auch darauf hingewiesen, dass die Fechtzeiten Vor, Nach und Indes zu kennen und diese richzig einzusetzen besonders wichtig sei, ohne die alle Kunst nutzlos ist...
Was Weichteilverletzungen betrifft, so schaue man sich die Versuche an Tierkadavern an, bei denen schon mit geringer Kraft erhebloicher Schaden angerichtet wird, solang die Klingenführung und er Schnittwinkel passt. - Deshalb gibt es ja Momentan auch die Diskussion, wie hart auf Turnieren gearbeitet werden sollte - was heute bei manchen Wettkämpfen zu sehen ist, wäre von den alten Meistern noch verächtlich als Büffel bezeichnet - dabei könnte man auch mit stumpfen Waffen ode den Fechtfedern so erhebliche Verletzungen beim ungeschützten Gegner erzielen, dass dieser schnell kampfunfähig wäre - wenn man bedenkt, dass der Ernstkampf mit geschärfter Klinge geführt wurde, lässt sich ableiten, dass Treffer an Kopf oder Torso massiv genug gewesen sein müssen, um einen Kampf schnell zu beenden...