Die Klassen geben ja einen unterschiedlichen Grad an Evidenz an. Ein Case-Report zu einem Einzelfall hat sicher weniger Aussagekraft, als eine Metaanalyse. Nicht jeder Beleg zu einem Verfahren ist der höchsten Evidenzklasse zuzuordnen.
Ich persönliche verstehe die evidenzbasierte Medizin als ein Ideal, das man anstrebt und auch anstreben sollte, aber kaum immer erreichen wird.
Ist das in deinen Augen eine Antwort auf deine Frage? Und geht es dir darum, dass Reiki ja legitim wäre (oder sein könnte), wenn auch andere und "anerkannte" medizinische Maßnahmen auch über keine so hohe Evidenz verfügen?
Wenn das die Richtung ist, um die es dir geht, dann bin ich da einfach anderer Meinung.
Zum einen sollte schon das Ziel möglichst hoher Evidenz angepeilt bleiben.
Das ist einfach ein Qualitätsmerkmal.
Zum anderen, wenn die Lage eigentlich so eindeutig ist, wie beim Reiki, also
-ein völlig unplausibles Erklärungsmodell,
-keine (eigene) Wirksamkeit des Verfahrens
dann finde ich hat das in der Patientenversorgung schlicht nichts zu suchen.
Was ich als Fakt zum Reiki sehe, mal abgesehen von der primären Faktenlage:
Da wird behauptet "Energie" zu übertragen, die etwas mit dem Menschen macht und mal funktioniert es und mal nicht.
Jetzt nehmen wir einfach mal für eine Sekunde Reiki ernst:
Wie soll ein verantwortungsvoller Behandler denn damit umgehen?
Da ist also eine Energie, die im Patienten wirkt. Wie und warum und worauf weiß man nicht. Glaube ich, dass es wirkt, dann ist die Behandlung damit doch ein potentieller Blindflug. Ich weiß ja gar nicht, was ich auslöse. Dann weiß ich auch nicht, was schief gehen kann. Denn alles, was wirkt hat auch Nebenwirkungen und ich muss doch einen Plan B haben.
Dieser Plan B ist nach meiner Berufserfahrung in der Anästhesie wirklich das A und O. Ich muss doch die Situation beherrschen und notfalls retten können.
Ich möchte dir ein praktisches Beispiel geben um es zu verdeutlichen:
Bei der Einleitung einer Narkose hört der Patient irgendwann auf zu atmen. Das heißt, ich muss den irgendwie beatmen.
Jetzt komme ich in die Situation, es geht etwas schief, sowas kann ja passieren. Dann muss ich doch wissen, was zu tun ist.
Ich kann den Patienten nicht intubieren, was der Plan war. Dann habe ich einen Algorithmus, wie ich jetzt vorgehe. Lageoptimierung des Patienten, Videolaryngoskop, fiberoptische Intubation usw. Also von Plan A zu Plan B zu Plan C usw. bis das Problem gelöst ist und in diesem Beispiel der Patient mit Sauerstoff versorgt wird.
Ich will damit sagen, wenn ich Reiki ernst nehme, also glaube, ich übertrage Energie und die macht dann was, dann kann die ja auch theoretisch etwas machen, was sie gar nicht soll. Wenn ich aber nicht weiß was sie macht und was dabei schief gehen kann, wie kann ich als verantwortungsbewusster zukünftiger Behandler denn damit auf meine Patienten losgehen.
Als Analogie: Würdest du eine Tablette nehmen, von der keiner weiß, was genau sie im Körper mit dir macht. Ich nicht. Ich würde sie weder selber nehmen, noch jemandem guten Gewissens dazu raten sie zu nehmen und ich würde sie nicht anwenden. Ich bin doch nicht verrückt.
Also kann man meiner Meinung nach im Falle Reii nur zu dem Schluss kommen, dass das in der Patientenversorgung nix zu suchen hat.
Glaube ich was behauptet wird, dann ist das Gefahrenpotential zu hoch - weil überhaupt nicht absehbar.
Glaube ich der Faktenlage, warum sollte ich es dann benutzen, wenn in der gleichen Zeit etwas Effektiveres gemacht werden kann? Und auch wenn es, wie Klaus erwähnte "nur" eine nursing technik ist... die haben bestimmt auch so schon genug um die Ohren und das bisschen Zeit, was die pro Patient haben, leider, sollte sinnvoller genutzt werden.
Und auch, um den Bogen zu deiner Frage, wie ich sie verstehe wieder zu schlagen, auch bei Anwendungen mit geringerer Evidenz weiß man dennoch in etwa, was man da tut. Ich denke als Beispiel an einen off-label-use von Medikamenten.
Ein Beispiel für off-label-use wäre es ein Allergiemedikament wie Fenistil bei Einschlafproblemen zu verwenden.
Ist dafür nicht gemacht, man weiß aber, wie es wirkt und kann es vertreten und es ist kalkulierbar