Hallo Chris,
Ich habe den Post ein paar mal gelesen und bekomme beim besten Willen keine Kohärenz zu Stande. Macht aber nichts. Rants sind nicht dafür bekannt. Gestatte mir trotzdem einige Anmerkungen/Fragen.
Zitat:
Es ist auch interessant, zu lesen, dass jemanden die Geschichte, wo man herkommt und wie sich etwas entwickelt hat, nicht interessiert, weil man ja im hier und jetzt lebt.
Ich bin eine außerordentlich geschichtlich interessierte Person. Ich finde Geschichte interessant, weil sie einem ermöglicht, in gewissen Rahmen in die Zukunft zu sehen. Ich finde das putzig.
Ich habe mehrere Regalmeter Kampfkunstliteratur zu Hause, alles gelesen, noch mal gelesen und wieder gelesen. (Um hier mal etwas Werbung zu machen: Dazu gehört auch fast der gesamte Katalog des Palisander Verlags/, weil ich für meine Mitarbeit als technischer Sachverständiger (quasi Briegel), jeweils ein Freiexemplar abgreife.)
Ich würde mich in geschichtlicher und philosophischer Hinsicht in den Kampfkünsten schon als überdurchschnittlich belesen/gebildet ansehen. Nur spielt das für die Praxis meines Karates überhaupt keine Rolle.
Für die Biomechanik eines idealen Zuki, spielt es vermutlich keine Rolle, ob Funakoshi nun Uchi-Deshi von Azato war oder nicht. Auch ist es egal, ob er nun ein oder zwei Söhne hatte.
Solche Art historischer Feinheiten spielen für die Praxis des Karate (also mein Karate, also logischerweise kein Shotokan :)) keine Rolle.
Zitat:
Wie aber will man dann etwas betreiben, das Shotokan heißt, geschichtlich auf uns übertragen (und bis zum heutigen Tage extrem verändert) wurde?
Historisch gesehen, verändert sich jede Kampfkunst ständig. Das ist also kein Maßstab.
Zitat:
Man akzeptiert Pflügers Katabuch, aber nicht die Geschichte, die damit verbunden ist - verstehe ich auch nicht?
Pflügers Kata-Buch ist in vielen Dingen, hm, fragwürdig. Ich erinnere mich, und ich erzähle es im Training immer wieder mit Freude und Häme, wie dort zum Beispiel ein Bunkai für Nami-Ashi gezeigt wird, bei dem ein gegnerischer Mae-Geri zum Unterleib damit nach oben weggeschnippst wird. Unschlagbar.
Als Nachschlagewerk für Kataabläufe ist es spitze und war zu seiner Zeit einmalig. In der Tat sehen ich die darin enthaltenen Kata als stilprägend an. Auch wenn manchmal mit dem falschen Fuß vor- oder zurückgegangen wird.
Zitat:
Aber ich habe ja demnächst zu akzeptieren, dass die genannten vier Herren kein Shotokan gemacht haben, weil (ach, lassen wir das!)...
Ich verstehe das ständig wiederholte Argument, blah blah, macht kein Shotokan nicht. Das trifft auch Leute, von denen ich bisher felsenfest überzeugt war, sie würden es (Oblinger, Ratschke, Kase, ...). Könntest Du DEINE Definition angeben, damit ich das besser einordnen kann?
Zitat:
Aber wie will man dann den Seinen Karate vermitteln? Wieviele Formen und Arten des Ki-Ai gibt es, wie und wo und wann werden sie eingesetzt (ach ja, steht ja nicht im Shotokan-Lehrbuch drin, also lassen wir das auch).
Die Fragen stellen sich für mich nicht. Es gibt für mich die eineindeutige Zuweisung Karata <-> Kiai nicht.
In einem Buch Linds habe ich mal gelesen, dass er fünf Arten von Kiai kennt und betreibt. Einige davon konnte ich nachvollziehen, andere nicht. Aber wie gesagt, dass sollte ein anderer Thread sein.
Zitat:
Ob es "Meotode" ist, kann ich selber nicht beantworten - sofern ich meinen Ryukyu-Kempo-Lehrer verstehe, bezieht sich das immer nur auf den Einsatz beider Hände, die er als "verheiratet" bezeichnet. Gutes Beispiel ist der Shuto-Uke, wo die eine Hand den angreifenden Arm wegwischt, während die ausholende Hand anschl. ins Ziel trifft.
Das hört sich für mich an, wie die Doppelblockaden bzw. Techniken mit doppelter Wirkung, wie sie seit Jahren von Habersetzer, Fuchs, Götz und der ganzen CRB/Tengu-Linie verbreitet werden. Dies hatte allerdings einen sehr großen Einfluss auf mich.
Zitat:
Weiß ein R.L. was Meotode ist? Man sollte ihn mal fragen!
Und am Ende ist es Dir egal, wie "die" Shotokan definieren!?
Meine Vermutung: Nein, er weiß es nicht und ja, ist mir egal, wie die Shotokan machen und was die darunter verstehen.
Zitat:
Ja, nun was denn???
Die Antwort darauf ist recht unangenehm, vor allem für Leute die stark historisch/philosophisch geprägt sind. Wenn wir ganz ganz ehrlich sind und uns umsehen, was in vielen (ich würde sagen: allermeisten) Dojo gemacht wird, so ist es das Prüfungsprogramm mitsamt ein paar Modifikationen hier und da. Das Kihon, die Kata und das Kumite orientieren sich schlicht und einfach weitgehend daran.
Wenn wir der Wahrheit in's Gesicht sehen, dann ist es so, das praktisch für das DKV-Shotokan das DKV-Shotokan-Prüfungsprogramm stilprägend ist.
Darum habe ich meinen Vorschlag auch wesentlich weiter aufgestellt, weil ich der Meinung bin, dass viel verloren gegangen/ unterrepräsentiert ist, was ich (persönlich) für wichtig halte. Das heißt aber nicht, dass es objektiv wichtig ist. So viel Selbsterkenntnis besitze ich dann schon noch.
(Und bevor jetzt der Aufschrei kommt: Jajaja, ich weiß. Bei speziell euren Dojo ist das natürlich anders. Ich rede vom Standard-0815-Dojo, bei dem der /die Trainer nach 9h auf Arbeit in die Halle fällt/fallen und sich schnell ein Training aus den Fingern saugt/saugen.)
Zitat:
Was bitte machen wir eigentlich? Hier beisst der Hund sich doch in den ******* wenn die Funktionäre des Verbandes selbst nicht wissen, was sie machen und es auch nicht wissen wollen!
Natürlich nicht, das sind Politiker. Oder anders gefragt: Schon mal einen Politiker getroffen, der Ahnung hat, von dem was er tut? Es geht um Geld, Macht und Ego, das eigentliche Feld, auf dem das ausgelebt wird, ist unwesentlich. Und unserem Fall halt zufällig Karate.
Zitat:
Dem von Dir zitierten Fritz hat man vorgeworfen, er mache in letzter Zeit ja sowieso überwiegend Kyusho.
Ich weiß, ich bin häufiger dabei. Aber so richtig fahre ich da nicht drauf ab. Ich habe noch Probleme auf ganz anderen Gebieten.
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Lothar ist kein Reinblüter, wie Voldemort, dessen Namen ich nur noch als R.L. in den Mund nehme - aber Kase war ja auch kein Shotokan'ler und Shirai auch nicht und Kanazawa, ach lange ists her, dass der Bundestrainer in D war (wahrscheinlich in der Sparte Mattentanz, sicherlich nicht Karate). Asai und die anderen haben wir vergessen, wo war Lothar noch, Abe glaub ich, bestimmt auch mal bei Meister Ziegenbart - jetzt fällt es mir wie Scuppen von den Augen: 1.000 Mae-Geri und 1.000 Gy-Zuki, und alle mit Ki-Ai und alle schwitzen und stöhnen und haben drei Tage Muskelbiber - das ist es: Shotokan-Karate!
In Filmen ist dies die Stelle, wo die Protagonisten lang gedehnt "Oookaayyy" sagen und beginnen, sich langsam rückwärts von der entsprechenden Person wegzubewegen. Ich bin hier komplett verloren.
Bei Lothar war ich schon seit einigen Jahren nicht mehr beim Training, was extrem schade ist. Sein Training war über Jahre extrem lehrreich. Leider ist das irgendwann gekippt und besteht jetzt zu großen Teilen nur noch aus Ansprachen und (tataaaa) Rants. Ich werde das aber im Auge behalten und wenn es sich wieder mehr in Richtung lehren bewegt, bin ich auf alle Fälle wieder dabei.
Zitat:
Ach, macht doch, was ihr wollt!
Und genau das tue ich auch.
Zitat:
Shotokan ohne Definition und ohne Inhalte, aber mit 100 Seiten Prüfungsordnung.
Es sind nur 57 Seiten und das meiste davon sind Vor-, Nachwort und Erläuterungen über das wieso und weshalb sowie eine Reihe technischer Erklärungen.
Ohne Definition und Inhalt kann ich nicht beurteilen, weil ich ja immer noch nicht weiß, was für Dich Inhalt und Form des Shotokan-Karate ist. Alles, was ich weiß, dass es alle anderen (inklusive mir) falsch machen.
Das kann durchaus sein. Aber eine Definition wäre trotzdem schön. Ich mag es, über Dinge nachzudenken.
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Ein Lehrgebäude ohne Fundament, ohne Plan, ohne gemeinsame und definierte Begrifflichkeit, ohne alles - geil!
Eine Lehre (welcher Art auch immer) hat einen Inhalt, ein Ziel und eine Didaktik.
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(Schon mal mit Japanern in einem Businessmeeting gesessen, wenn einer eine Folie an die Wand wirft und die Japaner anfangen, sich gegenseitig in die Handfläche Schriftzeichen malen, weil sie selber nicht verstehen, was der Vortragende vorne meint? So viel zu "gemeinsame Sprache"!)
Ich habe noch nie mit Japanern im Businessmeeting gesessen. Ich versuche, das Sitzen in Meetings generell zu vermeiden. Aber auch hier ist mir die Argumentation über die gemeinsame Sprache zu hoch.
Wird ein Ringer besser ringen, wenn er die grammatikalischen Feinheiten des Altgriechischen versteht? Vermutlich nicht.
Wir ein Fußballer besser spielen, wenn er Kurse zur englischen Grammatik nimmt? Vermutlich ebenfalls eher nicht. Viele Fußballer können kein Stück englisch und spielen trotzdem gut. (Viele können nicht mal Deutsch, wer's nicht glaubt, kann sich ja mal ein Interview mit Ballack antun.)
Grüße
SVen
P.S.: Ich wäre über die Beantwortung meiner Frage echt froh, aber wenn Du weiter Dampf ablassen möchtest: Rage Hard. Kein Problem.
SVen
2. P.S.: Und nein, es ist nicht rassistisch, wenn sich Sachsen über die Sprache anderer Sachsen lustig machen.