Wer ist denn der Lehrer und welche Richtung des Aikido ist es, in der Atemi zentral sind?
Grüße
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Für den französischen Lehrer meines ersten Lehrers, der so etwa die ersten zehn Jahre meines Übens geprägt hat, war nodo tsuki, also das atemi zum Kehlkopf, die grundlegendste Technik des aikidô. Die Basis der Basis. Und zwar nicht als Reaktion auf einen Angriff gedacht. Sondern als Aktion von tori, die einer Aktion des Gegners zuvorkommt.
Falls nodo tsuki funktionieren sollte, "c'est finis". Das wäre dann optimales aikidô.
Falls nicht, ergeben sich aus der Antwort des Gegners all die anderen interessanten Dinge, die man so übt.
Dabei wurden die Techniken der kata nicht verstanden als Techniken, die für das Kämpfen geeignet sind, sondern als didaktische Formen, die ein bestimmtes Körpergefühl entwickeln sollen. Die sog. Anwendungen waren deutlich unterschieden von dem kihon waza.
Dieses aikidô war stark geprägt von atemi und irimi.*
atemi auch mit dem Ellenbogen, weniger mit dem Knie. Meist mit den Händen, in unterschiedlicher Form.
Vor allem aber ging es immer darum, die Körperachse des Gegners zu betreffen. Gern auch mit tai atari.
Interessanterweise finde ich diese Aspekte auch in dem aikidô von Endô sensei wieder, auch wenn es äußerlich betrachtet so ganz anders aussieht und eher wie "albernes" "pas de deux" wirkt.
Auch bei ihm ist das nodo tsuki eine grundlegende Technik.
Und er versteht die Verbindung von tori und uke als atari. Das ist im Japanischen derselbe Wortstamm wie in atemi und bedeutet in etwa "Treffer".
* Ich weiß nicht, wie ich das richtig beschreiben soll. Aber das grundlegende "Gefühl", die maßgebliche "Orientierung" in dem aikidô , das ich kennengelernt habe, geht immer zu Hals oder Gesicht des Gegners. Alles andere ergibt sich aus dieser grundlegenden Orientierung. Und es geschieht so etwas wie eine "Rollenumkehr" des klassischen Musters: Die Rolle von tori, also eigentlich des Angegriffenen, wird zu der aktiven Rolle, die die Initiative übernimmt.
So ungefähr ...
Um die Basis zu üben. Aikido ist ein ziemlich komplexes Übungssystem mit aufeinander aufbauenden Stufen, wie bereits erwähnt, wobei eben auch immer wieder grundlegende Dinge geübt werden.
Richtige Winkel, Struktur, Positionierung, dann timing, blending, ma-ai, Richtungswechsel, Beinflussung des Angreifers durch Atemi und andere Dinge, dann Kuzushi durch Aiki.
Oft wird irgendwie auf einer Stufe irgendwo in der Mitte begonnen, und dann hapert es an den Basics, oder es wird eben nur ein Aspekt herausgenommen weil es ja so schön harmonisch ist, runde und fließende Bewegungen zu machen.
Der richtige systematische Aufbau ist wichtig.
Dieses "nodo tsuki" ist eine eher fortgeschrittene Technik zur Störung des Rhythmus des Angreifers, es ist meines Wissens eine Technik aus dem Schwertkampf, genauer gesagt wahrscheinlich aus der Onoha Itto ryu. Es ist nicht die eigentliche Technik, sondern eher ein Störmanöver, um die anschließende Technik einzuleiten.
Sehr schwierig, weil eben erst mal grundlegende Dinge verstanden werden müssen.
Wie man weiß, stecken die höchsten Prinzipien aber oft in den ersten Techniken die geübt werden, und werden dann nach und nach, mit steigender Entwicklungsstufe "entpackt". So funktioniert das meiner Ansicht nach.
Die erste Technik die man im Aikido übt, ist Ikkyo omote waza aus shomen uchi, am besten aus suwari waza (auf den Knien).
Wenn Ueshiba ins Dojo kam und er sah dass diese Technik geübt oder vom Lehrer gezeigt wurde, war er immer sehr zufrieden. Wenn die Leute die noch nicht sehr weit waren, mit Waffen rumgefuchtelt oder kokyu-nage oder ähnliches gemacht haben, war er sauer, weil das für ihn Spielerei war, die mit seinem Aikido nichts zu tun hatte.
Ich weiß es zwar nicht gehe aber mal davon aus, das sie entweder gestoppt oder leichter touchiert haben. Sonst wäre die Partnerverschleißrate wohl ein bisschen hoch.
Könnte der Grund sein, warum sich einiges recht solide, breit umsetzbar und vernünftig anhört. Sobald ich mir dann die Beispielvideos anschaue sehr ich dann etwas fatales, von dem ich immer hoffe das es dem Demo-Character geschuldet ist
.
Die Angreifer geben immer jede Menge nicht stabilisierte Schwungmasse in Ihre Atemi / Greifbewegungen.
Nahezu jeder der mit ein bisschen Kontakt frei spielt, weiss das der Kontrollverlust über die Schwungmasse das Ende bedeutet.
Wäre die Gewichtung der Atemi anders (also in Richtung Bumms mit Kontrolle und auch als Angriff, als nicht nur single-direct-attacks), dann wäre vielleicht alles ziemlich anders.
Ich kann mir jetzt also vorstellen, dass jemand mit Aikido durchaus was anfangen könnte. Schade ist nur, das ich das bei YT nicht zu sehen bekomme (bisher). Aber das wäre auch nicht so ästhetisch.
Liebe Grüße
DatOlli
Partnerübungen zu Distanz und/oder Timing. Erst mal nur auf einer Linie. Und ganz, ganz zuerst mal nur einer bewegt sich. Dann beide, dann frei im Raum. Dann ohne festgelegt Rollen. Usw.
Alleine verschiedene Technikübungen zu Fauststößen. Bißchen Sandsack und Pratze auch.
Das Ziel war ausdrücklich nicht, alle Kehlköpfe dieser Welt immer treffen und zertrümmern zu können. Sondern es ging darum, eine innere Haltung zu entwickeln, die eher aktiv als passiv ist. Und eine Bewegungsrichtung zu finden, die einen Bezug zum Partner ermöglicht. Und insgesamt eher ein Gefühl von "in den Angreifer gehen" zu entwickeln, als ein Gefühl von ausweichen, durchlassen ...
Inryoku hat schon was dazu geschrieben.Zitat:
Warum dann mehr wie 90% der Zeit mit Handgelenkshebel und Wurftechniken aus dem Schwertkampf verbringen?
Anzumerken wäre noch, daß in dem aikidô, das ich kennengelernt habe, das Üben der Eingangssituationen, das Herstellen des Kontaktes und das Übertragen von aiki in den Gegner rein zeitmäßig 30-50% des Übens ausmachen. Bei Seminaren von Endô sensei haben wir einige Jahre lang überhaupt keine der klassischen Techniken geübt.
Und schließlich:
Ich bin nicht der Ansicht, daß die Techniken des aikidô "aus dem Schwertkampf" kommen. Ich kenne es im Gegenteil aus den kenjutsu, die ich kennengelernt habe, eher so, daß auch dort die Körperarbeit voransteht, da der Körper das Schwert bewegt ...
Alles wichtige Dinge was du schreibst. Nur scheint bei diesem komplexen Übungssystem ja nicht viel bei rum zu kommen, wenn es dann um die Anwendung geht. Ich weiß nicht, ich würde mich dann fragen ob das was ich da übe überhaupt zielgerichtet (für was eigentlich?) ist.
Das Problem ist, du wirst nie eine realistische Reaktion von jemanden bekommen, der nicht realistisch getroffen wird. Genau so wenig kannst du realistisch und effektiv treffen trainieren, wenn du nicht realistisch treffen willst und kannst. Die Chance dass die Wirkung eines derart ausgeführten Schlags dann in realität verpufft ist hoch, das müsstest du doch als Ex-Boxer (meine ich mich zu erinnern) wissen... genau so verhält es sich dann eben auch mit dem "grappling" part
Das ist ein Fehlschluss, denn, darum ist es ja gerade wichtig, dass das Üben nach der richtigen Systematik aufgebaut wird.
Lies doch erst mal richtig, was ich geschrieben habe.
bei dem Beispiel um das es hier geht, sieht man meiner Ansicht nach, dass dieser systematische Aufbau fehlt, bzw. nicht abgeschlossen wurde, und eben versucht wird diesen Mangel zu beheben indem substituiert wird, statt wirklich zu versuchen Aikido-Prinzipien umzusetzen.
Es ist ja völlig ok was zusätzlich zu trainieren, aber die Ansage "Make Aikido great again" geht doch völlig ins Leere, wenn man sein System gar nicht richtig verinnerlicht hat, und es nicht als Basis nimmt sondern sofort versucht es zu ersetzen.
Ich habe nie geboxt.
Ich hatte mal einen Schüler, der vom Boxen kam.
Und ich habe in einem früheren aikidô-Leben ab und an mit Boxern gesparrt.
Zunächst mal ist es in der Realität doch ohnehin schwierig genug, den Kehlkopf überhaupt zu treffen. Sich bei so einem Angriff auf die Trefferwirkung zu verlassen ist also - jedenfals nach meiner Erfahrung - sowieso etwas überoptimistisch. Oder eben ein Ideal. Darum schrieb ich oben, dieser Angriff sei gewissermaßen als "Eröffnung" gedacht um dann mit der Reaktion des Gegners arbeiten zu können.
Du hast natürlich vollkommen Recht damit, daß man dazu auch auf eine Weise angreifen muß, die überhaupt eine Reaktion erfordert.
Diesem Aspekt kann man sich - Zum Zweiten - ein wenig annähern, wenn man zum Beispiel mit der flachen Hand (nicht Handballen) etwas unterhalb der Kehle auf das Brustbein arbeitet. Auf diese Weise kann man schon einigermaßen stark reingehen. Man hat dann zwar nicht die Wirkung eines Kehlkopftreffers, kann aber durch Impact mit einer etwas besseren Ahnung von Kontakt üben.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Hand zu öffnen und mit der weichen Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger dann tatsächlich Kontakt zum Kehlkopf aufzunehmen. So, als ob man den Hals greifen wollen würde. Dabei geht dann der Impact gegen Null, aber man hat den Kontakt an der richtigen Stelle und bekommt dafür ein Gefühl.
Durch diese und ähnliche Übungsformen können sich die Übenden an unterschiedliche Aspekt dieses Angriffs gewöhnen.
Und gibt es - Zum Dritten - durchaus Menschen, mit denen man sich dem eigentlichen Kontakt tatsächlich einigermaßen annähern kann. Endô sensei z.B. übt diese Technik durchaus immer wieder mal mit sehr leichtem Kontakt. Das reichit aber schon, um - im Wortsinne - einen Eindruck zu gewinnen.
Anyway ...
Wie schon oben gesagt:
Es geht dabei in erster Linie darum, Orientierung zu bekommen.
Initiative zu entwickeln und tatsächlich in den Gegner hinein arbeiten zu wollen - nicht warten, reagieren, durchlassen, fliehen ...
Und auf die Körperaches des Gegners zu arbeiten - nicht auf die Arme oder Hände zu fangen
Und schließlich:
Bei alledem geht es meiner Ansicht nach immer noch nicht darum, kämpfen zu lernen ...
... sondern um Körperschulung auf der Grundlage einer körperlichen Konfliktsituation.
Am Ende läuft es doch auf "Kämpfen lernt man nur durch durchs Kämpfen" hinaus.
Wenn ich lernen will mich gegen jemanden zu verteidigen der mir ins Gesicht schlagen will, dann muss ich mit jemanden trainieren der auch die Intention hat mir ins Gesicht zu schlagen. Wenn ich lernen will jemand anderen zu schlagen, dann muss ich mit jemanden trainieren der nicht getroffen werden will. Und wenn ich lernen will zu werfen, dann muss ich mit jemandem trainieren der stehen bleiben will.
Klar gibt man nicht von Anfang an 100% sondern man steigert kontinuierlich die Intensität. Dazu braucht man keine großartigen Systematiken. Da reichen der Drill, um die Techniken ansich üben zu können und dann das Sparring um das Kämpfen zu lernen.
Ich hatte schon einmal vor ungefähr 2 Jahren in dem Thread "Atemi gegen Vitalpunkte" deutlich gemacht, dass ich für so was keinerlei Verständnis habe und für mich ein Grund wäre, sofort in dem Dojo oder dieser Linie mit dem Üben aufzuhören. Diese Art Aikido zu üben ist mir in meiner Praxis auch noch nicht begegnet.
Wenn man nodo tsuki so üben könnte, dass es in einer SV-Situation funktionieren würde, dann wäre es meiner Meinung ein Notwehrexzess, abgesehen davon dass ich in meiner Freizeit nicht ohne Grund potenziell tödliche Kampftechniken einüben will. Wird der nodo tsuki wie andere Atemi nur angedeutet, wie z.B. von dem Atemi-Experten in dem Werbevideo für sein Buch "Atemi. The Thunder and Lightning of Aikido", dann halte ich das für Traumtänzerei. Hinzu kommt, dass der Angriff von Uke durch die Kata so festgelegt ist, dass er sich für ein nodo tsuki öffnet, weil es die Kata so erfordert. Das überzeugt mich nicht (O.K. ich habe aber auch keinerlei Erfahrung mit SV-Situationen). Oder in einer SV-Situation erfolgt der nodo tsuki halbherzig, also für den Gegner als Stoß zum Kehlkopf erkennbar, aber wirkungslos; dann würde das die Auseinandersetzung erst recht eskalieren - also das genaue Gegenteil von dem, was ich als das Ideal des Aikido ansehen würde.
Ich finde es dann aber merkwürdig, dass er einige oder nicht wenige direkte Schüler mit pazifistischen Idealen hatte. Zum Beispiel Kanshu Sunadomari, Japaner, uchi dechi in den 40er Jahren, später 9. Dan und Omote-Anhänger. In seinem Buch "Einlightment through Aikido" zitiert er Ueshiba mit folgenden Worten:
Das Prinzip des kooperativen Übens ohne Widerstand zu leisten, ist für mich gerade das Charakteristische und Faszinierende am Aikido.Zitat:
The mission of budo is to put an end to conflict and fighting.
Aikido is the principle of non-resistance. In being non-resistant one wins from the very start... Furthermore, we must cease in pursuit of power and giving rise to our higher spirit*, and advancing forward based on the principle of non-resistance which neither competes nor collides with our partners.
Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass ich den Effekt des Entstaubens der Schultergelenke erfahren durfte. Als Wiederanfänger mit 50+ werde ich ohnehin nicht Aikido in seiner ganzen Tiefe und Breite verstehen und begreifen, wie Carsten mal geschrieben hat. Also konzentriere ich mich auf die Interpretationen, die den heilsamen und "kommunikativen" Aspekt betonen. (Beispiel: Interview mit Nevelius, Lyly, Osthoff 2004). Oder gehe einfach trainieren ohne viel Gedanken über die Zukunft und den Sinn von Aikido zu machen.
Die Lehre, die ich aus der Aktion und den Erfahrungen von Rokas ziehe, ist simpel die, dass es für die meisten Aikidoka (mich natürlich eingeschlossen), die nur einen kleinen Bruchteil der Zeit wie Rokas üben können, aussichtslos ist, mit Aikido kämpfen und selbstverteidigen zu lernen. Und es dann lohnender ist, sich auf das zu konzentrieren, was mit dem Üben von Aikido möglich ist.
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*) Damit ist wohl 魂 (tamashii) gemeint, also die Seele, die zum Himmel geht im Gegensatz zu 魄 (Homonym: tamashii), die im Körper bleibt nach der Shinto-Mythologie. Siehe auch Goldsburys 7. Kolumne Transmission, Inheritance, Emulation
Ellis Amdur zitiert Kisshomaru Ueshiba mit den Worten: "Mein Vater war kein Pazifist" als Antwort auf die Frage eines Seminarteilnehmers, wie alt Morihei war, als er den Pazifismus angenommen habe. Weiterhin, dass Kisshomaru gesagt habe, Aikido sei eben nicht "non-violent", sondern befinde sich außerhalb der üblichen Definition von Gewalt und Nicht-Gewalt (Duelling with O-Sensei S.161)
Das Buch ist ohnehin sehr empfehlenswert, da es viele der in der Diskussion angesprochenen Punkte aufgreift.
@ Aiki 50+:
Ich sehe in deiner Argumentation einen Widerspruch oder mindestens einen Bruch:
Du entscheidest dich - wenn ich es richtig verstehe - ganz bewußt und ausdrücklich für eine bestimmte Übungsweise, die Aspekte, wie Gewalt, Widerstand, Kampf etc. ausschließt: Rokas Leonavicius hat seinen eigenen Aussagen nach solche Aspekte, wie z.B. punches in seinem aikidô schlicht nie kennengelernt.
Die von dir und ja auch von Rokas Leonavicius erlebte mangelnde Tauglichkeit des aikidô für Kampf oder Selbstverteidigung führst du dann aber nicht auf deine persönliche Entscheidung - oder dessen eingeschränkte Erfahrung - zurück, sondern auf mangelnde Zeit für das Üben:Das ist aus meiner Sicht ein logischer Bruch in der Argumentation.Zitat:
Die Lehre, die ich aus der Aktion und den Erfahrungen von Rokas ziehe, ist simpel die, dass es für die meisten Aikidoka (mich natürlich eingeschlossen), die nur einen kleinen Bruchteil der Zeit wie Rokas üben können, aussichtslos ist, mit Aikido kämpfen und selbstverteidigen zu lernen.
Natürlich ist es interessant, wieviel Zeit man mit Üben verbringen kann. Aber aus meiner Sicht ist für das Thema SV oder Kämpfen vor allem ausschlaggebend, was man und und wie man übt.
Ganz abgesehen davon halte ich es für schwierig, das Üben bestimmter Pesonen allein aus Literatur zu beurteilen:
Obwohl insbesondere Jan aikidô in einem ganz ähnlichen Sinne als spirituelles Üben versteht, ähnlich wie ich auch. ..
Und obwohl Jorma in seinen Seminaren ausschließlich an einem sehr weichen, wiewohl sehr klaren Kontakt übt, ähnlich wie ich auch ...
... und so weiter ...
... haben wir doch vor gar nicht allzu langer Zeit alle gemeinsam bei einem Seminar eines Lehrers, an dem wir uns gleichermaßen orientieren, miteinander nodo tsuki geübt ...
Kann ich gut verstehen, ich finde aber gerade das an Aikido spannend. Einerseits das entfalten der Techniken (entfalten im Sinne von auspacken). Ich bin immer wieder fasziniert davon wie viele verschiedene Aspekte über die Jahre hinzukommen die man erst entwickeln muss. Anderseits finde ich gerade das an Aikido spannend, was sich der einfachen Logik der direkten Nützlichkeit widersetzt und damit auch einen inhaltlichen Gegenpool zu meinem alltäglichen Leben darstellt. Diese Gewichtung hat sich über die Jahre aber auch verschoben. Versteh mich nicht falsch, ich finde es immer wieder seltsam wenn Menschen Aikido trainieren ohne je kritisch mit sich und Aikido ins Gericht zu gehen, aber Aikido (es wird redundant) ist keine SV und kein KS, wenn man das machen will dann ist man im Aikido erst mal falsch. Das Besondere von Aikido liegt mMn außerhalb dieser Aspekte.
Zwischenfrage von einem der von Aikido fast keine Ahnung hat:
Gibt es irgendeinen Prinzipienorientierten Grund, die Bewegung von "nodo tsuki" ausschließlich gegen den Hals auszuführen? Klar steckt das für die Technik schon im Namen deswegen Frage ich nach der Bewegung.
Die läßt sich doch problemlos auf verschiedenen Ebenen und mit angepassten Winkeln ausführen und eignet sich deshalb doch sowohl zur Aufnahme (Block, Bridging u.s.w.) gegen verschiedene Angriffe, als auch um selbst Anzugreifen (und eventuell eine gewünschte Reaktion zu provozieren), genauso wie zum Einschneiden wie auch zur Gleichgewichts- bzw. Strukturbeeinflußung (takedown).
Darf man das aus Aikido-Sicht so betrachten?
Weil falls ja, verstehe ich das Problem nicht. Wer kämpferisch unterwegs ist, gibt mehr Anteil in den Atemi-Teil und sparrt (kann man ja auch ohne VK) mit seinem Partner bis zur Bodenlage. Wenn man sich dann noch am "normalen Standkampf (Boxen, MT, KB u.s.w.)" orientiert, sehe ich da kaum mehr SV-Probleme. Für den Bodenbereich, sofern gewünscht, gibt es doch gute leicht erreichbare Zusätze wie z.B. BJJ,LL, Ringen und fast überall in der Republik zu finden, Judo.
Wer daran kein Interesse hat, beschäftigt sich mehr damit Schwungmasse zu leiten und zu lenken, das ist harmonisch und vermutlich auch gesund.
Dann sind doch sowohl die "Kämpfer" als auch die "Pazifisten" zufrieden.
Was übersehe ich denn hier?
Liebe Grüße
DatOlli
Nein, natürlich nicht. Mit meinem Beitrag bezog ich mich auf die Interpretation des "nodo tsuki" von "Carstens französischem Lehrer seines ersten Lehrers" als potenziell tödlichen Fauststoß zum Kehlkopf:Ein Problem bei der Diskussion ist oft, dass die japanischen Bezeichnungen unscharf oder mehrdeutig sind oder verwendet werden. Lenny Sly (Tenshin Aikido) zeigt hier einen "nodo tsukiage", wo die Hand eher zum oberen Brustbereich bis Halsansatz geht und das mit einem Wurf verbunden wird. Das kann man kooperativ üben und fällt dann für mich in die Kategorie "Kokyu Nage" und wäre also kein prinzipielles Problem für mich. Geübt oder gesehen habe ich das in meinem Dojo aber (noch?) nicht.Zitat:
Falls nodo tsuki funktionieren sollte, "c'est finis". Das wäre dann optimales aikidô.
Es ist halt hier so üblich, dass Kampfkünste oft nur nach äußerem Anschein bewertet werden. Dabei ich es in nahezu jedem System so, dass sich bestimmte Inhalte erst nach Jahren erschließen, und vielen erschließen sie sich gar nicht, weil sie an diesen Punkt der Entwicklung gar nicht kommen. Das wäre der erste Punkt - auch Aikido hat kämpferisches Potential, je nachdem, wie es trainiert wird. Das kann, wie du richtig sagst, der für sich selbst entscheiden, wie weit er das entwickeln will.
Wo man es dann nicht mehr (bewußt) entscheiden kann ist die Notsituation. Im Falle einer unumgänglichen körperlichen Auseinandersetzung wird auch Aiki50+ auf Skills aus seinem Training zurückgreifen. Gleichgewicht, Schritte, Fallen - das erledigt sein Körper für ihn. Ob das dann reicht, kann keiner vorher sagen. Aber es haben auch schon Leute auf die Fresse gekriegt, die aggressivere Methoden trainieren, was bedeutet: Aikido kann reichen, oder auch nicht, genau so wie ggf. ein anderes System mir helfen kann, aber keine Garantie bietet. Zu unterschiedlich die Situationen und Konstellationen, Angreifer, Kontext usw.
Dein Beitrag fasst es gut zusammen, denke ich. Es ist eine persönliche Entscheidung, wie ich meine KK betreibe, die (selbstverständlich) von objektiven und subjektiven Bedingungen abhängt.
Ok, ich glaube ich hab's verstanden, du fandest nur die spezifische Ausführung zum Hals ein bisschen "over the edge", weil Tötungsabsicht dahinter steht.
Danke. Allerdings verstehe ich die Diskussion jetzt immer weniger. Liegt scheinbar wirklich "nur" an dem Gewaltproblem (Pazifismus oder nicht) und dem daraus resultierenden Training. Dann hätte der Herr um den es Eingangs ging, nur sein Training umstellen müssen (über einen längeren Zeitraum würde mal schätzen so 1-3 Jahre) und Cross-Training betreiben. Also gezielt die auftauchenden Lücken ausgleichen. Anstatt direkt sein langjähriges Hauptsystem aufzugeben.
Liebe Grüße
DatOlli
Es ist also ein Fehlschluss, dass dabei nichts rum kommt? Gut... dann wären wir wieder mal an dem Punkt wo ich (und andere) gerne mal dieses hoch effiziente und wirksame Aikido sehen würden. Wirklich, ich glaube deine Vorstellung von Aikido existiert primär nur im Kopf. Es mag ja sein, dass die Basis bzw. der Ursprung aus dem die Techniken stammen hoch effizient ist und dass eine ähnliche ursprüngliche Form des Trainings, wie sie im Aikido heute zu Teilen noch (zumeist) "hohl" implementiert ist, für gewisse Leute, die bereits ein tiefes Verständnis und fundierte kämpferische Ausbildung besitzen, zielführend war, aber welchen Teil der Trainierenden macht dass denn heute noch aus und hat es ausgemacht? Was sagt es über dieses komplexe Übungssystem aus?
Nehmen wir als Beispiel einmal Muay Thai und BJJ. Beides extrem vielschichtige, tiefgehende Systeme an dessen technischen Details man auch noch nach Jahrzehnte feilen kann. Trotzdem werden Leute die in diesen Systemen Trainieren innerhalb kürzester Zeit ihre Wehrhaftigkeit dramatisch verbessern. Und vor allem sie scheuen den Vergleich nicht, da dieser (mehr oder weniger) unkooperative Vergleich zentraler Bestandteil des Übungssystems ist, das macht sie gut in dem was sie tun.
Dieses: es ist ein extrem komplexes Übungssystem dessen Schichten man erst mal Jahrzehnte lang durchdringen muss, und dann, ja aber DANN ist es effektiv... sry, dass kauf ich keinem mehr ab.
Das ist der Knackpunkt. Wie möchte man mit einer realistischen Reaktion umgehen, wenn man diese nicht übt. Ich persönlich haue da lieber ins Gesicht (und lass mich hauen), dafür aber realistisch, wie anstatt einen Kehlkopfschlag nur anzutäuschen und dann von einer gewissen Reaktion auszugehen.
Wenn das nur jeder so kommunizieren würde....
Das mit dem äußeren Schein und dem verstehen von Prinzipien gilt ja mal für so ziemlich jede trad. KK. Vieles lässt sich erst verstehen, wenn bestimmte, notwendige Skills entwickelt wurden. Das mit dem "persönlich" entwickeln ist dann wieder nicht ganz so einfach, dafür benötigt man auch einen, besser mehrere, willige Trainingspartner. Das kann dann je nach Dojo vielleicht schwierig werden.
Du hast selbstverständlich recht, Stresshormone fahren die Kognitiven Fähigkeiten soweit runter, das nur das übrig bleibt, was tatsächlich verinnerlicht wurde.
Jemand der versucht gewalt- und verletzungsfrei (für den Gegner) zu agieren, wird sich nicht groß wundern, falls er in einer "Gewaltsituation" untergeht. Jedenfalls die paar "Gewaltverweigerer" die ich kenne, sind sich Ihrer Situation voll bewusst.
Und ja, auch da gebe ich dir Recht. Letztendlich ist jeder selbst dafür verantwortlich wie und was er trainiert. Das es im Aikido ausreichend Möglichkeiten gibt "SV-lastig" zu trainieren, hat mir dieser Thread gezeigt.
Meine Sichtweise hat sich also durch den Thread ziemlich geändert. Danke dafür.
Liebe Grüße
DatOlli
Naja, ich habe diesen "Kehlkopfschlag", eher ein Stoß mit einem Gegenstand den ich in der Hand hielt, erfolgreich auf der Straße in einer SV-Situation angewendet.
Ich brauchte dass nur mit etwas mehr Druck und Überzeugung machen als im Dojo geübt, die Reaktion war verblüffend. Also ich weiß, wovon ich ausgehen kann.
Es sagt das Gleiche aus, was man über andere Übungssysteme, z.B. Karate oder Judo, in denen ähnliches zu beobachten ist, auch sagen kann.
Ich habe mich lange genug in verschiedenen Dojos und Vereinen umgesehen, die breite Masse trainiert als Freizeit- oder Breitensport, und nicht um Kämpfen zu lernen. Es wird ein bisschen Randori oder Freikampf geübt, was vielen das Gefühl gibt, sie würden eine effektive Selbstverteidigung lernen. Mit echter Gewalt werden die wenigsten konfrontiert.
Das trifft für die Ausübenden diverser Kampfkünste und Kampfsportarten gleichermaßen zu, Aikido ist da sicher keine Ausnahme.
Der Vergleich hinkt, da es im Karate und Judo trotzdem immer noch eine Gruppe von Leuten gibt die auf hohem Niveau kämpft oder gekämpft hat, und das nachweislich.
Im Karate selbst haben sich mehrere VK Sparten entwickelt und aus beiden Stilen haben Techniken auch in anderen WKformaten Einzug gehalten.
Nichts davon trifft auf das Aikido zu, zumindest nichts was über das Hörensagen hinausgeht.
Man braucht ja nicht unbedingt das große Thema Selbstverteidigung beackern als Freizeitsportler. Was mir zu denken gibt, ob es nicht auch Turniererfahrung braucht, auch für die Persönlichkeitsentwicklung, die immer gerne betont wird. Das klingt bei Rokas sehr zivilisiert, aber seht selbst:
https://www.youtube.com/watch?v=Tu2fh1ta8Yw
Ja. Das genau ist es, was ich mit "Orientierung" meinte.
U.a. genau das hatte ich ja als eine mögliche Übungsform beschrieben.
Nichtsdestotrotz:
Mit meinem ursprünglichen Hinweis auf das nodo tsuki meinte ich eine initiierende Aktion. So wie es nach Ueshiba tori ist, der der shomen uchi ikkyo durch den Angriff zum Gesicht des Gegners initiiert.
Interessanterweise ist Ueshibas Aussage, daß man den Gegner mit aller Kraft ins Gesicht schlagen soll, die sich in der englischen Ausgabe von "budô" findet, in der deutschen Übersetzung, die im eher pazifistisch orientierten Kristkreitz-Verlag erschienen ist, unter den Tisch gefallen. Einfach verschwunden ...
Angriffe zum Gesicht gibt es im aikidô ja auch. Es gibt ja mit irimi nage und tenchi nage sogar definierte Techniken die das Gesicht angreifen. Das ist doch kein Entweder-oder sondern eine Frage der Situation?
Der Vorteil den der Kehlkopf als Ziel bietet, besteht m.E. darin, daß sich aus diesem Angriff eher ein guter Kontakt zu Körperachse ableiten läßt, als wenn ein Angriff zum Gesicht ausgependelt wird.
Klar, da haben sich halt Wettkampfformen entwickelt, was der Begründer des Aikido ja immer strikt abgelehnt hat.
Wäre es nach dem Willen der Shotokan- und Judo Begründer gegangen, wäre die Entwicklung da ja auch eine andere gewesen.
Wobei sich vom Kampfverhalten guter Karateka die meisten Aikidoka schon was abgucken könnten, was z.B. das konsequente "in den Angriff hineingehen" angeht. Das mindset sollte ja im Aikido ebenso sein, das kommt gleichermaßen aus dem Schwertkampf. Diese "Leben und Tod - Philosphie war aber nicht das was man im Nachkriegsjapan in die Welt tragen wollte, zumindest der 2. Doshu des Aikido wollte das nicht.
Darüber wie und warum sich Aikido nach dem Krieg entwickelt hat, habe ich schon mal woanders was geschrieben.
Nichtsdestotrotz hat aber, was nun wieder die SV angeht, Mas Oyama, der Begründer des Kyokushinkai-Karate, sein SV-System (das bis heute wohl noch unterrichtet wird) auf Basis der Daito-ryu Techniken aufgebaut, die er von einem Schüler Sokaku Takedas gelernt hat.
Er scheint also schon einen Unterschied zwischen SV und Wettkampf gesehen zu haben, und dafür eben nicht die Kampftechniken seines Karate, sondern eben die Aiki-Jujutsu-Techniken, die auch Ueshiba unterrichtet hat, für sinnvoll anwendbar gehalten zu haben.
Die Techniken des Aikido gibt es in vielen Stilen, die können auch funktionieren. Es kommt nur auf das Gerüst an in das sie eingebettet sind und wie sie trainiert werden.
Und was wird ein Kyokushinkai eher anwenden, das was er unter Stresst trainiert hat oder das ihm durch ne Kata angeblich vermittelt wird? ;)
Der Rest hat leider nix mit meiner Aussage zu tun.
Dazu muss man definieren was eine Kata ist, und was nicht mehr.
Warum glaubst du, dass Kata-Training unbedingt stressfrei sein muss? Kata, so wie ich das verstehe, beinhaltet Drill, beinhaltet Widerstand, beinhaltet Tempo und Rhythmus, und vieles mehr. Nicht einfach eine formal abgespulte Bewegung. So dachte ich mal, und habe deswegen auch die Idee abgelehnt wir würden Kata trainieren. Inzwischen hat sich meine Denkweise da etwas erweitert.
Was das Gerüst angeht, klassisches Aikido ist denke ich schon ein passendes Gerüst, um Aikido-Techniken zu trainieren.