Zitat:
(...) Bedeutung für das Datenschutzrecht
Das Volkszählungsurteil ist der mit Abstand wichtigste Beitrag der Rechtsprechung zur Fortentwicklung des Datenschutzrechts, aber auch einer der bedeutendsten Beiträge des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsfortbildung. Als „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ erlangt der Schutz personenbezogener Daten Grundrechtsqualität. Eingriffe in dieses Recht sind nur durch Gesetz zulässig. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt dabei vom Gesetzgeber ein möglichst schonendes Vorgehen. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber von Verfassung wegen verpflichtet ist, bei solchen Gesetzesvorhaben jeweils wirksame Regelungen der Organisation und des Verfahrens - also konkrete Datenschutzbestimmungen - mit aufzunehmen.
In einer Vielzahl von Folgeentscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht das anfangs umstrittene Recht auf informationelle Selbstbestimmung weiter ausgebaut und verfeinert.
Praktische Konsequenzen
Zahlreiche Gesetze mussten den verfassungsrechtlichen Anforderungen angepasst werden, z.B. durch Schaffung oder Präzisierung von Ermächtigungsgrundlagen oder durch Ergänzung von Regelungen zu Datenschutzvorkehrungen. Die datenschutzrechtliche Prüfung ist inzwischen ein notwendiger Bestandteil der Gesetzesvorbereitung; der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ist daran zu beteiligen.
Den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht entsprechende Gesetze sind – soweit möglich – verfassungskonform, d.h. datenschutzfreundlich, auszulegen.
Die Betroffenen können bei Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ohne ausreichende gesetzliche Grundlage vor Gericht klagen, bis hin zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde beim BVerfG.
Datenschutz und Corona aus kritischer Sicht:
Zitat:
(...) Fazit
Die Pandemie ist nicht das Ende jeden Datenschutzes. Daher ist es an der Zeit, von den Landesregierungen und auch den Landesparlamenten eine Einhaltung der grundrechtlichen Vorgaben bei der flächendeckenden Sammlung von Kontaktdaten in geschlossenen Räumlichkeiten zu fordern.
Materielle Verfassungswidrigkeit:
Die derzeitigen Regelungen zur Sammlung von Kontaktdaten sind verfassungswidrig. Es fehlt an einer Regelung der Voraussetzungen, unter denen die Gesundheitsämter die Übermittlung der Daten verlangen können (“Doppeltür”).
Formelle Verfassungswidrigkeit:
Die derzeitigen Regelungen finden sich zudem in Rechtsverordnungen auf der Grundlage der §§ 28 und 32 IfSG. Ob dies den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (Regelung von Inhalt, Zweck und Ausmaß) genügt, ist mehr als zweifelhaft. Auch aus diesem Grund sind die Regelungen grundgesetzwidrig.
Folge für die Praxis:
Vereinzelt wird von Zugriffen der Ermittlungsbehörden auf die Kontaktdaten berichtet. Dies stellt einen zweckwidrigen Datenzugriff dar. Mangels einer gesetzlichen Grundlage für einen solchen Zugriff sollten sich Gastronomen weigern, Kontaktdaten an Ermittlungsbehörden herauszugeben. Zu einer solchen Herausgabe sind Gastronomen weder berechtigt noch verpflichtet...
Ganz so leicht wie der eine oder andere es gerne hätte, scheint sich der Datenschutz wohl nicht vom Tisch wischen zu lassen.