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Julian Braun
Interessanterweise hast du auf den ersten Teil meines Postes hin dich auf den Studiengang Evangelische Theologie bezogen, während ich ausdrücklich von den Kirchen (und sich als Christen verstehenden Menschen die ich kenne) gesprochen habe.
Ich habe aus mehreren Gründen ganz bewußt so geantwortet.
Zunächst, weil du in deinen Nachfragen immer wieder die Unterscheidung von Theologie als Wissenschaft und Spiritualität als Lebensvollzug vermissen läßt. Beide sind aber nicht identisch.
Übesrpitzt formuliert ist die gelebte Spiritualität eben der Gegenstand wissenschaftlicher Theologie.
Geisteswissenschaft betet nicht.
Geisteswissenschaft feiert keine Liturigie, sie tauft nicht und bestattet nicht.
Geisteswissenschaft erschafft nicht Lebenssinn. Und sie gestaltet nicht Biographie.
...
M.E. ist diese Unterscheidung fundamental.
Wenn Wissenschaft sich darauf einläßt, daß einer wohl schon irgendwie übers Wasser gelaufen ist. Und zwar ohne Schwimmflügel oder versteckte Trittsteine, dann verliert sie den Boden unter den Füßen und läuft leer.
Wenn Spiritualität den wissenschaftlichen Beweis braucht, dafür, daß da etwas war an in um bei mit durch Jesus, das die Menschen veranlaßt hat, zu berichten, daß er sogar über Wasser gehen kann - Wenn Spiritualität also nicht auf die ihre je eigene Weise diese Außer-Ordentlichkeit Jesu unmittelbar erfährt, erlebt und lebt, dann hat sie keinen Grund auf dem sie stehen könnte. Dann ist sie leer.
Unterschiedliche Weisen von Weltbetrachtung und Welterfahrung.
Mit unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten.
Darum ist es m.E. wichtig, die Fragen zu sortieren.
Sodann impliziert deine Frage, es gäbe konsensfähige Antworten der "meisten Kirchen und sich selbst als Christen verstehenden Menschen" in Bezug auf Glaubensfragen. Solche konsensfähigen Antworten gibt es nicht. Das höchste der Gefühle ist eine "versöhnte Verschiedenheit", wie es einmal ein Papier der EKD ausgedrückt hat.
Ich kenne nicht deine Erfahrungen mit Glauben, Christen oder Kirche. Ich kann aufgrund meiner Erfahrungen und Kenntnisse nur sagen, daß sich die Aussagen christlicher Kirchen und sich als Christen verstehender Menschen z.T. fundamental unterscheiden oder gar widersprechen.
Der Eindruck einheitlicher Glaubensvorstellungen ensteht lediglich dadurch, daß bestimmte christliche Gruppen zu bestimmten Zeiten eine Deutungshoheit errungen haben und so ihr Anschauungen durchsetzen konnten. Auch wenn die weder repräsentativ noch konsensfähig waren.
Dieser Prozeß spiegelt sich bereits im Neuen Testament. Die Auswahl gerade der vier Evangelien, die wir im Kanon haben, gibt nur einen ganz bestimmten Ausschnitt der Berichte von Erfahrungen mit Jesus wieder. Wenn man die übrigen Evangelien und Texte hinzunimmt und sich das gesamte Spektrum der Überlieferung anschaut, wird schnell deutlich, wie die Tradition enggeführt wurde.
Und auch steht die zentrale Bedeutung der Theologie des Paulus für uns heute wohl in keinem Verhältnis, zu seiner tatsächlichen Position im Kontext seiner Zeit. Aber, wie es so schön heißt: "Wer schreibt, der bleibt."
Ich persönlich finde es wichtig, dieser Hetergenität Rechnung zu tragen. Und zwar ebenso in meiner Eigenschaft als Theologe, wie auch als spirtueller Mensch.
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Wenn ich einen Blick in den Heidelberger Katechismus (oder andere) werfe, scheint es mir nun aber ganz und gar nicht mehr so, dass da eine Beliebigkeit im Glauben vorherrscht.
Pardon, aber der Gedanke, es herrsche Beliebigkeit, bzw. meine Aussagen würden die Beliebigkeit christlicher Aussagen bedeuten, kam von dir, nicht von mir. Ich bestreite diesen Gedanken.
Jedoch:
Es gibt den Heidelberger Katechimus der in bestimmten reformierten Kirchen in Geltung steht.
Es gibt den Großen Katechismus Dr. Martin Luthers, der im Bereich der lutherischen Kirchen in Geltung steht.
Es gibt den Katechismus der Katholischen Kirche, der im Bereich der römisch-katholischen Kirche gilt.
Im je eigenen Geltungsbereich machen diese Katechismen klare, normative Aussagen. Natürlich. Aber für mich als lutherischen Christen haben doch weder der Heidelberger Katechismus, noch der Katechismus der Katholischen Kirche eine normative Bedeutung?
Dein Beispiel, das du benutzen möchtest, um eine Einheitlichkeit christlicher Anschauungen zu demonstrieren, ist doch nun gerade eines, das die Heterogenität christlicher Lehre zeigt.
Diese Katechismen haben doch historisch betrachtet gerade die Aufgabe, die je eigene abgrenzend gegen andere Auffassungen darzustellen.
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Gehört es zumindest nach kirchlich-christlichem Verständnis nicht dazu, speziell die Person Jesus Christus als maßgeblichen Heilsbringer anzusehen und anzuerkennen?
Die Auffassungen darüber, was wie wer Jesus gewesen sei, sind nicht einheitlich.
So auch die Frage, ob Jesus als ein besonderer Mensch "lediglich" den Weg zum Heil gewiesen habe. Also entweder als Lehrer zu sehen sei. Oder als Typos aller Menschen. Oder als Mystiker.
Oder ob Jesus selber identisch sei mit dem Heil. indem er nämlich selbst ganz und auschließlich Gott ist, unter dem Schleier menschlicher Gestalt.
Oder ob er beide Anteile gleichermaßen in sich trägt. Wahrer Gott und wahrer Mensch gleichzeitig ist.
Je nachdem, welche Position man hier vertritt, gibt es die Möglichkeit Jesus entweder ohne jede Parallele im sonstigen weltlichen Geschehen zu verstehen. Oder aber ihn zu sehen in einer Reihe mit anderen von Gott ausgesonderten "Söhnen Gottes".
Ja.
Aber es besteht keinerlei Einigkeit darüber, was nun exakt das Besondere war an dem Menschen Jesus.
Zitat:
Gehört es nicht dazu, an den realen Tod und die reale Auferstehung von Jesus zu glauben?
Es gab und gibt christlich Gruppen, die der Anschauung sind, Jesus sei nicht am Kreuz gestorben und entsprechend auch nicht auferstanden. Es gibt gerade in Asien bis heute Gruppen, die tradieren, Jesus habe dort gelebt und gelehrt, sei dort begraben. Diese Gruppen schicken allerdings keine Kandidaten zur Papstwahl ...
Rudolf Bultmann, ein führender Neutestamentler des 20. Jahrhhunderts hat die Auffassung populär gemacht, Jesus sei nicht leibhaft, sondern "in das kerygma, die Verkündigung hinein" auferstanden. Es hat lange gedaurt, bis man als evangelischer Theologe in Deutschland wieder offen sagen konnte, daß man "als Mensch" schon glaubt, das Grab sei wohl vielleicht irgendwie leer gewesen ...
Nein.
Es gehört für den Mainstream ganz sicher dazu. Aber es ist nicht die einzig mögliche Antwort und ist es nie gewesen.
Zitat:
Gehört es nicht dazu, an die bewusste und gewollte Schöpfung durch Gott und an ein Ende der Zeit zu glauben?
Ja. Ich glaube, das ist tatsächlich mal unstrittig.
Aber auch da: Was genau heißt das denn?
Ich habe ein naturwissenschaftliches Abi gemacht vor etwa hundert Jahren und ich habe - außer in einer evangelikal-fundamentalistischen Phase der Dummheit - nie einen Widerspruch zwischen Glaube und Naturwissenschaft erlebt.
Was ich aber inzwischen sehe, sind starke Parallelen ganz unteschiedlicher Kosmologien. Insbesonder zwischen daoistischen Anschauungen und der Darstellung in der Hebräischen Bibel. Inzwischen kann man wohl sogar zeigen, daß diese Parallelen tatsächlich auf einen kulturellen Austausch zurück gehen.
Und daß wir am Ende der Zeiten in der Sonne verglühen, ist ja nun auch kein spezifisch christlicher Gedanke ...
Also: Ja. Aber ...
Zitat:
An eine Seele, die den Tod überdauert?
Es gibt auch die Auffassung, daß der Mensch ganz stirbt. Leib und Seele enden. Und "am jüngsten Tag" wird der Körper von Gott verwandetl neu beseelt
Daher: Nein.
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Und: Jesus ist also nicht unbedingt von einer Jungfrau geboren... Aber ohne menschliche Zeugung geboren???
Touché. Ich persönlich finde diese Formulierung an dieser Stelle etwas "feige".
Der Gedanke, Jesus sei ganz normal gezeugt worden, ist in der evangelischen Theologie ein völlig unspektakulärer. Eine Auffassung, die mal etwas lapidar "Adoptionstheorie" genannt wurde, geht davon aus, Jesus habe ein stinknormales Leben geführt und sei zu einem gewissen Punkt von Gott erwählt und ausgesondert worden. Gern wird als Zeitpunkt dabei seine Taufe durch Johannes aufgefaßt.
Zitat:
Insofern vielleicht noch mal die Frage: Bedeutet Christ-Sein im Verständnis der Kirche nicht den Einschluss bestimmter und den Ausschluss gewisser anderer Anschauungen?
In der römisch-katholischen Kirche gelten der Urkunden der Lehrverkündigung. Nachzulesen im Neuner-Roos.
Ich bin ordiniert auf die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherichen Kirche.
In andern Kirchen gelten entsprechende Lehrsätze.
Aus meiner Sicht das Entscheidende an dem Lehrgebäude der lutherischen Kirche ist u.a., daß es weder ein Lehramt gibt, noch Dogmen oder dergleichen. Sondern daß es darum gehen muß, in eingener Verantwortung und Freiheit aus den Texten der Bibel einen persönlichen Zugang zu finden zu dem Gebilde aus Gott und Glauben.
Insofern bedeutet Christ-Sein aus meiner Sicht, sich in den Fluß dieser Tradition zu stellen, sie zu lernen, zu üben, zu erfahren ...
Tradition meint dabei die Weitergabe der Erfahrungen von Menschen, die sie an, mit und durch Jesus gemacht haben. Und die Erfahrungen von Menschen, die mit diesen Erfahrugnen umgegangen sind und sie weitergetragen haben.
soke, shihan, deshi - ryû. Sehr ko ryû. Aber diese ryû wird nicht allein durch kata tradiert, sondern muß sich jeden Tag im Alltag beweisen. Es geht nicht darum, diese Tradition zu kennen und zu wissen, sondern darum, sie zu leben. Das aber bedeutet auch, daß sie selber lebt und sich dadurch verändert. Durch die Zeit. Und auch den Ort.
Ich meine den Vergleich nicht bildhaft, sondern sehe hier tatsächlich ganz konkret parallele Strukturen.