Zitat:
...Die Volksrepubliken Donezk und Luhansk sind sehr junge Gebilde, die unter den Bedingungen eines andauernden bewaffneten Konflikts existieren. Darin unterscheidet sich ihre Situation von jener der Sezessionsgebiete in der Republik Moldau und im Südkaukasus, die seit Mitte der 1990er Jahre bestehen und begrenzt funktionsfähige, de-facto-staatliche Strukturen aufgebaut haben. Sie verfügen zwar nicht über internationale Anerkennung, wohl aber über ein gewisses Maß an Legitimität gegenüber ihrer Bevöl*kerung. Davon sind die beiden Volksrepubliken im Donbas weit entfernt. Ihre Entstehung ist wesentlich stärker auf gezieltes russisches Eingreifen zurück*zuführen als die der »alten« De-facto-Staaten. Sie sind nicht nur wirtschaftlich vollständig von Russland abhängig, sondern werden auch politisch direkt aus Moskau gesteuert. Offen bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ob die beiden Volksrepubliken auf längere Sicht den anderen De-facto-Staaten ähnlicher werden könnten – waren doch auch diese, in unterschied*lichem Maße, während ihrer Entstehungsphase durch dezentrale Herrschaft irregulärer Kräfte und durch exzessive Gewalt geprägt...
Der Ursprung der Anti-Maidan-Proteste im Osten der Ukraine ist bis heute höchst umstritten. Die einen gehen davon aus, dass sie von Beginn an das Ergebnis russischer Manipulation waren und ohne diese nicht stattgefunden hätten. Andere schreiben sie einer autochthonen Bewegung zu, die ohne russisches Zutun entstand, zu deren Schutz Russland jedoch später eingreifen musste. Wieder andere gehen von russischer Einmischung aus, räumen lokalen Akteu*ren aber beschränkte Handlungsautonomie ein. Die*Frage nach Ursprüngen, Motivation und Ziel*setzung des Aufstands ist gleichzeitig die Frage da*nach, wer für den Ausbruch des Krieges verantwortlich ist. Die Antwort entscheidet darüber, welche Konfliktlösungswege für realistisch gehalten werden. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass in der Bevölkerung des Donbas ein hinreichendes Maß an politischer Frustration vorhanden war, um in der aufgepeitschten Atmo*sphäre des Frühjahrs 2014 Proteste gegen Kyiw aus*zulösen. Ethnisch motivierter Separatismus lässt sich jedoch weder vor noch nach Ausbruch des Krieges feststellen...
Das frühe Eingreifen russischer Akteure ist vielfach belegt. Unter den bewaffneten Aufständischen fand sich neben lokalen Freiwilligen und Mitgliedern lokaler Eliten eine zunehmende Anzahl russischer Staatsangehöriger und Personen, die lange in Russ*land gelebt hatten. Viele von ihnen waren in den sowjetischen und russischen Streitkräften oder Ge*heimdiensten tätig gewesen. Andere hatten enge Verbindungen zur extremistisch-nationalistischen Szene in Russland. Auch Kosakenverbände beteiligten sich aktiv an den Kampfhandlungen...