Zitat:
Die Nato-war-schuld-Linken
Einige Linke stecken noch immer in alten Denkmustern fest. Statt zu Putin auf Abstand zu gehen, beschuldigen sie weiter die USA und die Nato.
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Schaut man auf die deutsche Debatte, muss man aber feststellen: Der tiefe Einschnitt, den der 24. Februar 2022 darstellt, ist bei einem gar nicht so kleinen Teil der Linken noch nicht richtig angekommen. Gemeint ist jener Teil der Linken, der sich all die Jahre so sicher war, dass Russlands aggressives Verhalten nur als Reaktion auf die Ausdehnung der Nato erklärt werden kann. Und da geht es nicht nur um Sahra Wagenknecht.
Beobachten lassen sich die Widerstände gegen ein Umdenken zurzeit in vielen Texten und Wortmeldungen, die alle einem ähnlichen Aufbau folgen. Zu Beginn verdammen sie Wladimir Putin als Aggressor, meist mit dem Satz: „Dieser Angriffskrieg ist durch nichts zu entschuldigen.“ Dann folgt ein großes Aber – und dieselben Textbausteine, die man schon all die Jahre verwendet hat: der vermeintliche Wortbruch der Nato nach der Wiedervereinigung, das Vordringen des Bündnisses in „russische Einflusssphären“, der Militarismus der USA und die Demütigung des stolzen Russlands.
Dass dabei Länder wie die Ukraine oder Georgien zu reinen Pufferzonen degradiert werden, deren eigener Wille als vernachlässigbare Größe gilt und denen man aus Deutschland – oft von oben herab – die Neutralität empfiehlt, wird geflissentlich ignoriert. Genauso wie die Tatsache, dass es sich um eine klassische Täter-Opfer-Umkehr handelt, wenn man die Westorientierung der Ukraine nach dem Euromaidan 2014 für den russischen Überfall mitverantwortlich macht.
Wer den Krieg in der Ukraine immer noch mit der Nato-Osterweiterung erklärt, weigert sich entweder dazuzulernen – oder er hat Putin nicht wirklich zugehört. Ginge es dem Diktator im Kreml tatsächlich um die Nato, bräuchte er nicht die kruden historischen Phantasmagorien, mit denen er in seinen Begründungen für die Invasion immer wieder hantiert: Die Ukraine sei eigentlich keine echte Nation, die Bolschewiki hätten Russland ausgeraubt, als sie große Gebiete der Ukraine zuschlugen, Lenin hätte vor 100 Jahren einen fatalen Fehler gemacht und so weiter.
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Hinter der Erzählung von der Nato-Osterweiterung als geopolitischer Ursünde verbirgt sich sehr oft ein linker Antiamerikanismus, dem es wichtiger ist, sich an die eigenen Glaubenssätze zu klammern, als die Wirklichkeit angemessen zu beschreiben. Die Kurzfassung der Erzählung lautet ja: Der Ami ist schuld.
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Denn die Erklärung mit der Nato-Osterweiterung verstellt den Blick auf das heutige Russland. Die Erzählung ist ja auch deshalb so bequem, weil der Westen sich dann nur mit sich selbst beschäftigen muss.
Auch darum hat man in den vergangenen Jahren nicht genauer hingeschaut, wie der Kreml die stockende wirtschaftliche Modernisierung des Landes mit einer extremen Militarisierung konterte. Wie Zivilgesellschaft und unabhängigem Journalismus seit dem nationalistischen Rausch der Krim-Annexion die Luft abgedrückt wurde, wie Putin das staatliche Fernsehen zu einer Hassmaschine umbaute und sich für seinen Neo-Imperialismus die Stichworte von dem rechtsextremen Denker Alexander Dugin lieh.
Ein Festhalten an der Nato-ist-schuld-Erzählung behindert zum anderen aber auch eine ehrliche Debatte auf der Linken über den 24. Februar – und was daraus folgt. Wladimir Putin führt in der Ukraine jeden Tag vor, wie er mit einem Land umgeht, das militärisch schwächer ist. Eine Linke, der daraufhin nur einfällt: „Aber die Nato …“ oder „Frieden schaffen ohne Waffen“, schließt sich selber aus dem Diskurs aus.