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Zitat von rambat
ich persönlich hätte ja erwartet, dass jens spahn angesichts der unübersehbaren fehler, die er als gesundheitsminister zu beginn der corona-krise gemacht hat, rückgrat genug beweist, um die verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten.
ich hatte ganz vergessen, dass politiker so etwas heute nicht mehr tun ...
Nee, wird nicht passieren. Aber die müssen schnellstens von der Vollmacke runterkommen, in Kleingruppen statt echten Parlamenten einen Verfassungsbruch nach dem anderen zu produzieren, um als Mamas und Papas ihr Volk vor seiner eigenen Dummheit zu retten.
es wird ja nun sogar von ehemaligen verfassungsrichtern in deutlichen worten darauf hingewiesen, dass die entscheidungen, die weitreichende eingriffe in die grundrechte mit dem InfSchG rechtfertigen, verfassungsrechtlich zumindest sehr bedenklich sind.
manche juristen, darunter auch professoren für staatsrecht, die an universitäten lehren, gehen sogar noch weiter und postulieren einen offenen und vor allem fortgesetzten bruch der verfassung.
grundrechte, um das nochmal klarzustellen, sind die abwehrrechte des bürgers gegen übergriffigkeiten des staates, und nicht die rechte des staates gegen die bürger.
auch in der krise MUSS es in einem rechtsstaat nach recht und gesetz gehen.
setzt man sich darüber hinweg, beschädigt man den rechtsstaat udn damit das unabdingbar notwendige vertrauen der bürger in eben diesen rechtsstaat.
wenn dieses vertrauen erst weggebrochen oder zumindest schwer beschädigt wurde, fällt eine der tragenden säulen eines rechtsstaates weg. denn warum sollten sich bürger künftig an gesetze halten, wenn "der staat" (repräsentiert durch die in regierungsverantwortung handelnden politiker) das seinerseits in eklatanter weise auch nicht tut?
https://verfassungsblog.de/freiheit-auf-bewaehrung/
dort heißt es am 23. märz:
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„Wir werden uns das Verhalten der Bevölkerung an diesem Wochenende anschauen. Der Samstag ist ein entscheidender Tag, den haben wir besonders im Blick. Am Samstag verabreden sich die Menschen ja traditionell miteinander, weil sie frei haben. Aber das […] muss jetzt eingestellt werden.“
Mit diesen Worten hat am vergangenen Freitag Helge Braun im Interview mit dem Spiegel die bürgerliche Freiheit auf eine harte Bewährungs-, oder besser: Benehmensprobe gestellt. Das wäre schon in gewöhnlichen Zeiten bemerkenswert. Doch es sind eben keine gewöhnlichen Zeiten – und so verwundert dieser Tage umso mehr, welch grelles Feuerwerk von Ideen des frühneuzeitlichen Absolutismus der Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben bei der Bundeskanzlerin da gezündet hat.
Die Worte, von denen man wohl annehmen muss, dass sie sorgfältig und in Absprache mit der Bundeskanzlerin gewählt worden waren, machen deshalb so stutzig, weil die Annahme, man könne grundrechtliche Betätigung gleichsam „unter Bewährung“ stellen, auf einem ganz grundlegenden Fehlverständnis der Funktionsprinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaates beruht. Ihr liegt das bizarre Bild eines Staates zugrunde, der seinen Bürgern Freiheit nur solange gewährt, wie diese davon nach seinen Vorstellungen und gerade nicht nach ihrem Belieben Gebrauch machen.
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Wo immer der Einzelne – womöglich gar digital überwacht – diesen Vorgaben nicht gerecht wird, hebt der Staat zunächst den Finger zur Mahnung und anschließend die Freiheit wieder auf. Frei nach dem Motto: „Der Staat hat’s gegeben, der Staat hat’s genommen“.
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Grundrechtliche Freiheit wird dem Einzelnen nicht derart gönnerhaft vom Staat gewährt, sondern durch den Staat gewährleistet. Das ist weniger terminologische Petitesse als vielmehr sprachlicher Ausdruck einer historischen Errungenschaft, derer sich die Rechtsordnung nicht einmal im größten Notstand begeben kann, ohne sich selbst aufzugeben: Nicht der Bürger ist um des Staates willen da, sondern der Staat für den Bürger. Dieser entscheidet selbst, ob, wann und wie er von seiner Freiheit Gebrauch macht. Einem allgemeinen Ordnungsvorbehalt ist er dabei ausdrücklich nicht unterworfen.
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Carl Schmitt, der in der aktuellen Diskussion um den „Ausnahmezustand“ wieder häufiger bemüht wird, hat insoweit gewohnt anschaulich von einem „rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip“ gesprochen. Die öffentliche Gewalt ist prinzipiell begrenzt, die individuelle Freiheit dagegen prinzipiell unbegrenzt. Daraus folgt, dass nicht der Einzelne sich für die Ausübung seiner Freiheit, sondern der Staat sich für die Beschränkung dieser Freiheit rechtfertigen muss. Es geht mit anderen Worten um die Verteilung von Rechtfertigungs- und Begründungslasten, die das Grundgesetz gerade dem Staat für dessen Tätigkeit auferlegt.
... und genau das scheint die entscheidungen der gegenwärtig verantwortlichen politiker nicht sonderlich zu beeinflussen.
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Diese Lasten sind umso größer, je schwerer der Eingriff in grundrechtliche Freiheit wiegt. Und wie viel schwerer könnte eine Ausgangssperre wiegen, die praktisch das ganze Land unter Quarantäne stellt? Die flächendeckend nicht etwa konsentiert gemeinschädliches, sondern alltägliches Verhalten sanktioniert? Gegen die der Einzelne sich nicht wirksam wehren kann, weil er dazu ja das Haus verlassen müsste? Gegen die selbst eine Mehrheit der Gesellschaft Protest bestenfalls über Online-Petitionen organisieren, ihr Missfallen aber nicht auf die Straße tragen kann? In Rede steht, um im Bild der Stunde zu bleiben, ein vollständiger „shutdown“ fast aller bürgerlichen Rechte, der an den Grenzen der Verhältnismäßigkeit und speziell an Art. 19 Abs. 2 GG jedenfalls gefährlich scharf kratzt.
Nun ist es ja nicht so, dass es dafür keine guten Gründe gäbe. Tatsächlich gibt es mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und mit den Funktionsgrenzen der medizinischen Versorgung, um die Ärzte, Pfleger und Apotheker derzeit bis an den Rand der eigenen Belastbarkeit ringen, sogar sehr gewichtige Gründe für fast alle der bereits getroffenen ebenso wie für die bisher nur erwogenen Maßnahmen.
Diese Gründe aber muss der Staat darlegen, auch weil im Rechtsstaat der Zweck nicht jedes Mittel heiligt. Vor allem muss er sie zur öffentlichen Diskussion stellen. Und er muss erklären, warum eine Ausgangssperre für alle gilt und nicht bloß für diejenigen, die bereits erkrankt sind, die sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben oder denen das Virus in besonderem Maße zusetzen und deren Erkrankung das Gesundheitssystem tatsächlich belasten wird; warum der Gang zur Arbeit erlaubt ist, nicht aber der Gang zum Gericht; warum die Sperre für vier Wochen angeordnet wird und nicht lediglich für drei; oder warum überhaupt die Grundrechte in Haftung genommen werden für die vom Staat selbst zu verantwortenden Schwächen eines über Jahre auf Kosteneffizienz getrimmten und chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystems.
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Hier offenbart sich das wahre Problem der Pandemie: Öffentliche Diskussion samt Widerspruch, der Wettstreit der Ideen, der Kontrolle sichert und Demokratie am Leben hält, das alles findet während der Krise faktisch kaum noch statt und ist nach dem „shutdown“ erst recht nicht mehr effektiv möglich. Die Ankündigung der Bundesregierung, nun die Bürger „auf die Probe“ zu stellen, entpuppt sich vor diesem Hintergrund als verzweifelter Versuch, mit dem Verteilungsprinzip zu brechen. Der „nervöse Staat“ streift seine Rechtfertigungspflichten eigenmächtig ab und verlagert sie auf den Bürger. Er erklärt dem Einzelnen nicht mehr, warum dieser das Haus nicht verlassen darf, sondern verlangt vom Einzelnen die Erklärung, warum dieser das Haus verlässt. Damit ist einer wesentlichen „Grundverabredung“ zwischen Staat und freier Gesellschaft die Geschäftsgrundlage entzogen.
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Neu ist aber die Nonchalance, mit der weite Teile der Bevölkerung über schwerwiegende und beispiellose Grundrechtseingriffe hinweggesehen und stattdessen die Grundrechtsbetätigung anderer ächten. Haben Menschen wirklich über Jahrhunderte dem Staat individuelle Freiheitsrechte abgetrotzt, nur um diese einander in Krisenzeiten abzusprechen?
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Staatliche Vernunfthoheit kann es ohnehin nicht geben. Die Grundrechte entziehen das bürgerliche Leben weitgehend einer solchen paternalistischen Bevormundung, schon weil sie das Selbstverständnis des Einzelnen zum Maßstab erheben und dessen Selbstbestimmung schützen. Das gilt selbst dann, wenn eine überwältigende Mehrheit das staatliche Unvernunftsurteil teilt: Eingedenk des Minderheitenschutzes ist die „Herdenvernunft“ allein kein rechtliches Argument.
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Noch eine Bemerkung sei in diesem Zusammenhang erlaubt. Vielfach war zuletzt zu lesen, die Krise sei die Stunde der Exekutive. Auch das ist ein Irrtum, der schon in der europäischen Staatsschulden- und in der Flüchtlingskrise begegnet ist: Das Herz der repräsentativen Demokratie schlägt selbst im Ausnahmezustand nicht in der Exekutive, sondern im Parlament. Die notwendige Diskussion hat ihren Ort weder im Bundeskanzleramt noch in der Bayerischen Staatskanzlei. Es sind die unmittelbar legitimierten gesetzgebenden Körperschaften, die unter den Augen der Öffentlichkeit die für die Grundrechtsentfaltung und -verwirklichung wesentlichen Regelungen treffen und einen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen ausloten müssen. An diesem Verantwortungsarrangement darf nicht einmal der schnelle Takt, den das Virus vorgibt, etwas ändern.
nachsatz: ich bitte die mods ausdrücklich um entschuldigung für das zitieren langer abschnitte des verlinkten artikels. ich bin jedoch der meinung, dass dies unmittelbar zu den die corona-krise betreffenden themen und fragestellungen gehört.