Fände es schön, wenn aus dem thread noch eine intensivere Auseinandersetzung zum Thema Panantukan und dessen Hintergründe werden könnte.
Hier eine etwas längere Zusammenfassung über die Inosanto – Panantukan Connection, die ich bereits an anderer Stelle (Konkurrenzforum
) reingestellt habe.
Da im Allgemeinen Einigkeit darüber herrscht, das der Panantukan-Hype, wenn nicht gar der "Markenname" aus dem Umfeld Inosantos stammt, ist das ein sinnvoller Anfang.
Der früheste mir bekannte Text, in dem „Panantukan“ vorkommt, ist eine Ausgabe von Dan Inosantos „Filipino Martial Arts“ von 1980 (glaubt man einer Schweizer JKD Website, dann wurden über Inosanto Aspekte des Panantukan bereits 1970 in das JKD/Jun Fan eingebaut.). Inosanto widmet mehrere Seiten den Escrimadores, von denen er verschiedene Aspekte der FMA gelernt hat. Was den Empty Hands Bereich angeht, wird dieser bei John La Coste, Ben Largusa, Max Sarmiento (übrigens der „Begründer“ des systematisierten „Kadena de Mano“ als Teilbereich im Serrada) und Lucky LucayLucay nur sehr kurz erwähnt. Über Lacostes, Largusas und Sarmientos Beiträge zum Empty Hands Bereich schreibt Inosanto: „From Master Lacoste I learned the versatility of the Filipino Martial Arts and the use of trapping and checking hands. (...) Master Largusa has taught me the theories and applications of the various weapons and empty hand techniques of Kali. (...) Mr. Sarmiento taught me the proper use of the empty hand skills of Escrima.“ Bei Lucky LucayLucay fällt schließlich und ZUM EINZIGEN MAL IM GESAMTEN BUCH das Wort „Panantukan“: „He gave us a background in Sikaran (Filipino Footfighting) and Panantukan (Filipino Boxing).“ Während alle anderen erwähnten auch und vor allem in den Waffenbereichen gewürdigt werden, wird Lucky LucayLucay AUSSCHLIESSLICH und nur mit diesem Satz wegen Sikaran und Panantukan erwähnt.
In der dem Panantukan gewidmeten DVD seiner Filipino Martial Arts Reihe, verweist Inosanto ca. 20 Jahre später ebenfalls auf LucayLucay UND Lacoste als Quellen für sein Panantuikan, von dem er übrigens hier zugibt, dass er keine Ahnung habe, ob es als „art“ auf den Philippinen existiere. Er sei ein „american filipino“ und sei nie auf den Philippinen gewesen. Er habe es in den USA kennengelernt.
Interessant für die Antwort auf die Frage „was ist Panantukan“ ist auch die von Inosanto und seinen Schülern benutzte Terminologie in der Beschreibung von Techniken: Neben Termini aus dem westlichen Boxen (v.a. Schläge und Meidbewegungen) tauchen beim Thema Trapping immer wieder Bezeichnungen aus dem Wing Chun / JKD auf (Pak Sao, Lop Sao usw.). Nicht, dass es nicht ähnliche Trappings auch in den „klassischen“ FMA gäbe, aber die Terminologie aus dem JKD anzuwenden, spricht hier für sich. Auch Harley Elmore, Rick Faye, Marc Halleck und, last but not least, Ron Balicki verwenden diese Wing Chun / JKD-Termini in ihren DVDs zum Thema Panantukan bzw. Filipino Boxing.
Beim Inosanto-Schüler Harley Elmore ist in seiner Panantukan DVD von LucayLucay keine Rede mehr. Hier werden ausschließlich Lacoste und Inosanto gewürdigt. Allerdings, und das ist eine Feinheit, auf die man achten sollte, behauptet Elmore an keiner Stelle, dass das Panantukan aus der Lacoste Linie stammt. Er erläutert vielmehr den 7. Teilbereich des „Lacoste-Inosanto System of Kali“, das sog. Pangamut (als zusammenfassender Terminus für „Waffenlose FMA“), in dem „Panantukan – Boxing“ eine Unterkategorie neben „Pandiakman or Sikaran – Kicking, Hubud – Trapping, Angkat Pagkusi – Biting & Pinching, Dumog – Grappling“ und „Layug & Buno – Throwing and Sweeping“ darstellt), zählt auf, wo Pangamut und seine Bestandteile (darunter angeblich auch Panantukan) auf den Philippinen vorkommt (Visayas) und erklärt den Silat-Einfluss auf das Lacoste-Inosanto Pangamut durch Lacostes Kontakt mit Silat Stilen und Kuntaw auf den südlichen, v.a. von muslimischen Bevölkerungsggruppen bewohnten Philippinen. Dass neben LucayLucay auch Lacoste an der Entwicklung des (Inosanto-)Panantukan beteiligt war, wie es Inosanto auf seiner DVD erläutert, ist schon allein deshalb glaubwürdig, da Balicki in seinem Filipino Boxing 3-Teiler bei der Vorführung einer Technikkombination ausdrücklich darauf hinweist, dass sie von Lacoste stammt (was faktisch heißt, dass er sie entweder von Lacoste gelernt hat oder dass sein Lehrer es von Lacoste gelernt hat). Auch von Lacoste ist bekannt, dass er, neben seinen Fähigkeiten im Bereich der waffenlosen FMA (inklusive Silat & Kuntaw), auch eine fundierte boxerische Ausbildung hatte. Das er aber nicht die Quelle des Terminus ist, darauf deutet ja die Nicht-Erwähnung in diesem Sinne im Buch von 1980 hin.
Etwas später greift Elmore den bekannten und von der Inosanto-Schule ausgehenden Mythos von der „Modernisierung“ des US-Amerikanischen Profi-Boxens durch Einflüsse des Boxstils von Philippinos zu Beginn des 20. Jh. Auf. Bis dahin habe man die alte Grundposition mit relativ unbeweglichem Oberkörper, leichter Rücklage und fast ausgestreckten Armen genutzt. Die Philippinos hätten dann die US-Boxer mit ihrer quirligen Beinarbeit, pendelnden Meidbewegungen und vor allem durch die sehr enge Deckung irritiert – alles aus dem Knifefighting, das sehr hohe Mobilität und Flexibilität verlange und keine zu weit vorgestreckten Arme erlaube. Dies habe zur modernisierung und zur heutigen Struktur des Boxens beigetragen. Diese Geschichte wird in ALLEN DVDs über Panantukan aus der Inosanto-Linie von Inosanto selbst bis zu Balicki thematisiert. Unabhängig von der sehr fragwürdigen Behauptung, dass die FMA die Grundlage für das moderne westliche Boxen geliefert hätten, ist hier vor allem die Verbindung von Knifefighting und Filipino Boxing interessant, da Ted LucayLucay, der Sohn von Lucky LucayLucay darauf hingewiesen hat, dass er Panantukan als Hybrid von Boxen und der Bewegungslehre und technisch-taktischer Aspekte des Visayan Knifefighting kennengelernt habe.
Von Lucky LucayLucay hört man übrigens immer wieder er habe als Boxer UND Escrimadero schlicht und ergreifend „Crosstraining“ betrieben und dabei sei eben sein persönlicher empty hand stil entstanden – das passt auch zu Lacoste, der zwar nicht den „Namen“ ins Spiel brachte, aber dessen waffenlose FMA-Variante wohl kaum von seiner boxerischen Ausbildung unberührt geblieben sein dürfte - klingt einleuchtend, oder?
Einen wenigstens ungefähren Einblick in die technischen Grundlagen des Panantukan aus der Inosanto-Linie können einige Zitate von Rick Faye liefern. Sie stammen aus: Faye, Rick 2000: A Guide to Panantukan (the Filipino Boxing Art). Minneapolis
„Panantukan is a boxing Art. We are using the term „boxing“ in the broadest sense. (…) body manipulations were used to enhance the punching system. (…) It encourages the use of a large arsenal of body tools. Elbows, knees, fingers, thumbs and forearms are used between punches or combinations. (…) Although Panantukan is not the only art to use some of these methods, it does have a very unique combination of tactics that gives the art a look and feel all it’s own. 1.) To manipulate before you hit: (…) one of the operating principles is to manipulate the body into a position that is easy to hit (…) in many ways and includes pulling and levering the arms, moving the head and pushing or pulling on many parts of the body. 2.) To use more tools in different ways: (…) Not only is a variety of body tools used, but they are also used in very creative ways. The Hand, for instance, is used for straight punches, raking blows, thumbs- and finger jabs. (…) 3.) Limb Destruction: (…) The concept is to hit the arms and legs as they attack you. (…) Limb destructions form very economical entries, requiring you to use less motion than your opponent. 4.) Angling and lead switching: From the weapon training Kali practitioners learn to angle away from incoming attacks. This puts the defender in a better position to counter attack. The freedom and the training to switch leads when necessary allows you to put your opponent in positions that are easy to hit. 5.) Sectoring and accounting for the next attack: (…) This habit stems from the necessity of watching for the next line of attack with a weapon and from the counter for counter approach to Kali training. We are constantly taught to look for the opponent’s next counter and to create positions that respond to that attack easily.“
Es folgt eine Auflistung der „Basic Striking Tools“ und deren Kombinationen, die bis auf Backfist, Bolo Punch, diverse Ellenbogen-Schläge/Stöße und Knie-/lowline Tritttechniken (später auch „Groin Strikes“ u.a.), mit denen des Boxens identisch sind, sowie Methoden/Techniken diese „Striking Tools“ zu blocken, weiterzuleiten, und zu kontern. Hier werden, neben den im Boxen üblichen Techniken wie Deflections, Parries und Meidbewegungen, des weiteren erwähnt (bezieht sich hier alles beispielhaft auf den Jab): „Cup: As the Jab comes in, fold your Hand over the top and follow it back when it retracts. This effectively prevents him from jabbing again and puts you in a position to elbow or manipulate. Waslik (throw the hand away): Using the side of your hand, scoop the incoming jab outward. This should be done forcefully. As you do this check the rear hand in it’s chambered position. Inward Gunting: (…)“. Dazu brauch ich wohl nix zu sagen. „Secoh: In this tactic simply raise your elbow into the fist as it comes in. Use your parrying hand to guide it and to enhance the impact. Follow by advancing the same hand you used to elbow into either an eye poke or a blind. Note that this motion also picks up the next line of attack. Outside Gunting: (…)“ kennen wir auch alle. So geht das ne Weile weiter. Es kommen noch boxerische Meidbewegungen wie Slip, Roll und Bob&Weave, sowie Salute/Vertical Gunting, Horizontal Gunting und Elbow Roll hinzu. („Elbow Roll: As the Cross passes over your front guard, roll your arm upward to parry with your forearm and elbow. Backhand as you come out of this motion.“). Dann gibt es noch (gegen Schwinger und nicht allzu enge Haken) Shoulder Stop, Biceps Stop und Straight Arm Deflection, sowie „Insert and roll: Insert your hand inside the arc of the hook as though you were going to shoulder stop. If the pressure is too tight, roll at the elbow to deflect the blow. A.) Contact the rear hand then push rear shoulder – cross – hook – cross. B.) Contact the head and pull – left cross- hook - cross“. Usw. usf.
Weitere Kapitel befassen sich mit Follow ups nach Gunting-entries, inklusive Armwrenches/-breaks und diverse Body-manipulations, mit diversen Hubud-varianten und anderen typischen FMA-Trainingmethoden für den „Flow“ und für’s Impact-Training (Pratzendrills und Ping-Pong Sparringgames).
Da es viel zu weit führen würde, darauf auch noch im Detail einzugehen, sei hier nur kurz erwähnt, dass auch die Verbindung zwischen dem Silat-Hybrid Inosantos (früher Maphilindo Silat, heute Silat Majapahit genannt) und dem, was heute als Panantukan präsentiert wird, kaum ein technischer Unterschied besteht. Einzig die Gewichtung von „schlagendem“ Anteil einerseits und den Takedowns/Würfen und Bodentechniken ist verschieden. Dies zeigt zb. ein Vergleich der Maphilindo Silat Serien von Gibson und Tucci mit den Panantukan DVDs von Balicki und Halleck (letzterer nennt seine eigene Variante des Inosanto-Panantukan konsequenterweise und korrekt „Panantukan-Silat Combatives“).
Einmal handelt es sich um Silat mit Panantukan Eingängen und das andere mal um Panantukan (im eigentlichen „boxerischen“ Sinne) mit Silat Follow Ups.
Auch bei Inosanto selbst wird dies im Video-Vergleich überdeutlich. Am offensichtlichsten ist hier die VÖLLIGE Gleichheit von Kombinationen aus seiner Panantukan DVD und aus einer der Silat Serak DVDs von Victor de Thouars, in der Inosanto als „Gastdozent“ in der VDT-Academy gemeinsam mit Balicki (!) und anderen prominenten Schülern aus der Inosanto-Linie der „Kali/JKD – Familie“ mit seiner Silat-Variante auftritt.
Bleibt noch zu erwähnen, dass selbst in der Darstellung des Maphilindo-Silat, Trappings mit Bezeichnungen aus dem Wing Chun / JKD erläutert werden.
Was Inosanto und damit DEN Katalysator und Multiplikator des Panantukan angeht, kann ich nun mit ruhigem Gewissen sagen: Panantukan im Sinne Inosantos und damit im Sinne der Person, die Panantukan erstmals einer größeren Öffentlichkeit als „Subsystem“ der FMA präsentierte, ist ein Hybrid aus westlichem Boxen, „klassischer“ waffenloser FMA, Silat und JKD/Jun Fan, wobei die strukturelle Grundlage ganz ausdrücklich die des Boxens ist. Alle waffenlosen Teibreiche der diversen FMA-Stile, die keine boxerische Struktur aufweisen, sind demnach auch kein Panantukan – insbesondere nicht, wenn man von der Quelle ausgeht, die Inosanto erst auf die Panantukan Spur gebracht hat. Dort stand das Boxen im Panantukan noch viel stärker im Zentrum, als bei der Vielfach-Hybridisierung durch Inosanto.
Im Moment sortiere ich noch das Material, dass ich über Lucky und Ted LucayLucay habe und einige sehr aufschlussreiche Aussagen von Philippinos und auf den Philippinen lebenden und der Sprache ihrer Region mächtigen US-Amerikanern über die Existenz oder besser die Nicht-Existenz von Panantukan als Terminus und als spezifischer waffenloser FMA-Stil auf den Philippinen in der Zeit
vor Internet und DVD. Dazu gibt’s in den nächsten Wochen noch mal ein posting.
So viel sei schon jetzt verraten: Es ist sehr wahrscheinlich ein „generic term“, also ein Wort, dass in einigen der philippinischen Sprachen wohl einen Sinn ergibt, aber als solches nicht existierte, bis es als Zusammensetzung verschiedener Wortteile „erfunden“ wurde. Und: tatsächlich ist die wahrscheinlichste Hypothese bezüglich seiner Entstehung, dass es das Produkt des Pinoy Boxen-Escrima Crosstrainings von auf Hawaii lebenden Philippinos ist, die einerseits als ganz „normale“ Boxer mit der ein oder anderen stilistischen Extravaganz und andererseits als Stickfighter, an Wettkämpfen teilnahmen. Und das Ergebnis konnte Inosanto im Sinne seines (und Mr. Lees) Grundsatzes „absorb what is usefull“ hervorragend gebrauchen und mit weiteren Elementen ergänzen. Allem Anschein nach hat Lucky LucayLucay diesem „West-Ost Hybrid“ nur einen Namen verpasst – so etwas brauchen wir „Westler“ nämlich und nach so was fragen wir ja auch ständig, sonst bekommen wir Probleme mit unseren Einordnungen und ohne Einordnung keine „Marke“. Da musste sich der alte Lucky schon was einfallen lassen. Auch Inosanto wird das sehr klar gewesen sein, dann er hat das für die Zwecke seiner Vorstellung von Martial Arts als Pool für sinnvolle Hybridisierungen vor dem FMA-Hintergrund gekonnt genutzt – deren Vermarktung übrigens auch
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uff....