Hallo,
gestern ist mir das erste Mal die Idee "Retzev" im KM hier im Forum begegnet. In den 2 Jahren, die ich KM trainierte, habe ich dieses Wort nie kennengelernt, auch im Forum hat es niemand benutzt, nun kommt es auf einmal als DAS Schlagwort daher. Nun frage ich mich, inwiefern "Retzev" überhaupt umgesetzt wird.
Vorerst möchte ich aber beschreiben, wie ich Krav Maga kennengelernt und trainiert habe, um den Zugang zu erleichtern.
Das erste Jahr ging ich regelmäßig zum Training bei Defcon. Dort gab es im Basicbereich zwar kein Sparring, dafür aber jede Menge Abhärtungstraining und Drillings zum Ende jeder Trainingseinheit, die darauf ausgerichtet waren, den Gegner unschädlich zu machen. Im wesentlichen war das ein schnelles reingehen in den Infight, Gegner kontrollieren und mit Knien und Ellenbogen bearbeiten, bis die Gefahr neutralisiert wurde. Das Training hatte einen hohen Konditionsfaktor, war aber technisch nicht sonderlich ausgereift. Schwerpunkt war eben Stressresistenz und im Rahmen seiner natürlichen Möglichkeiten agieren. Nach einem Jahr war es langweilig, weil man immer das gleiche machte und durch das fehlende Sparring und die fehlende technische Ausbildung hatte man keine großen Verbesserungsmöglichkeiten außer im Konditionsbereich.
Nach 2 Probetrainings bei der IMAG, wo ich auch beim MMA Sparring mitgemach hatte, wusste ich relativ gut, wo ich technisch stehe und bin dann später von Defcon zu Krav Maga Germany gewechselt, nachdem ich ein Seminar von Gö und Co angesehen und mir das Training des lokalen Instructors angesehen habe (der nun leider verstorben ist, was der Hauptgrund für meinen Wechsel zum MMA war). Das KMG Training hat mich begeistern können: nicht nur Drillings, sondern Sparring und eine Technikschulung. Das Training war so wie ich es von klasssichen Kampfsportarten kannte, nur mit zusätzlichem Stresstraining und dass es keine Tabuzonen am menschlichen Körper gab, sondern im Sparring auch offene Hände, Würger im Standup, Schläge auf Hinterkopf und Rücken (natürlich eher angedeutet) und Tritte in den Genitalbereich erlaubt waren.
Mir gefiel hierbei die kämpferische Ausrichtung.
Nach dem Tod meines Instructors war ich einige Wochen beim Philipp Bayer VT und habe dort die Idee des permanenten Angriffsflusses kennengelernt - ist wohl ein allgemeines Wing Chun Ding und kenne es auch von Leuten, die WT trainieren.
Sehen wir mal vom Defcon Training ab, das mit seinen Drills so etwas wir Retzev umzusetzen scheint, war es mir doch im Zusammenhang mit Krav Maga im allgemeinen neu, dass es so etwas zu geben scheint. Das mache ich an etlichen Diskussionen und Erfahrungsberichten hier fest:
Fast ausnahmslos alle EPler / Alpha System Trainierenden, die das KM kennengelernt habe, sehen in diesem Angriffsfluss, den das EP auszumachen scheint, einen maßgeblichen Unterschied zum KM, wo man erstmal an den Reaktionsmustern arbeite;
als wir hier eine Diskussion über KM Sparring hatten, wurde von einem Vertreter der doch anerkanntesten KM Organisation gesagt, dass er wirkliches KM Sparring - also das aggressive Vorwärtsgehen - erst im Instructorenlehrgang gesehen habe;
in Büchern der IKMF gibt es auch Highkicks gegen Messerbedrohungen, das scheint für mich auch nicht im Einklang mit so einem "aggressiven Vorwärtsgehen" bei gleichzeitigem Beachten des Selbstschutzes zu stehen.
Insgesamt habe ich KM (abgesehen von Defcon) eher als "sportlich" in seiner Trainingsweise kennengelernt, Lowkicks, Jabs, Crosses, Haken, Uppercut, offene Hände, Sparring - das hat mir auch sehr gefallen, weil es einfach solide war.
Nun lese ich hier auf einmal was von "Retzev", dem aggressiven Vorwärtsgehen, Angriffsfluss etc - scheint aber auch bei der IKMF nicht so ausgeprägt zu sein, und die ist doch zumindest repräsentativ, was KM angeht, auch bei den Sparringvideos der GKMF sehe ich mehr "sportliches" Sparring.
Wenn nun Retzev so fundamental ist, wie es hier dargestellt wurde, wieso wird es dann scheinbar nicht konsequent durch oder umgesetzt?
Insgesamt ist mir die "Angriffskontinuität" etwas befremdlich vom Grundgedanken her, für mich war KM nie verbunden mit irgendwelchen Idealkonzepten, sondern mit bodenständigem Kampftraining.
Diese "Kontinuität" kenne ich eher aus dem schon erwähnten Wing Chun, deshalb gibt es da auch keine runden Angriffe, weil es eben nicht der direkte Weg ist. Interessant ist übrigens, dass sich EWTO Vertreter damit schmücken, dass die Idee des permanenten Angriffsflusses erst durch ihre Seminare in den 80ern ihren Weg in die SV Hybriden gefunden haben.
Wo kommt nun Retzev auf einmal her und warum wurde darüber nie gesprochen und warum wurde es scheinbar bisher in den meisten Verbänden nicht wirklich umgesetzt?
Gruß,
Lars