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Thema: Taiji für Gesundheit vs Taiji als Kampfkunst?

  1. #1
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    Standard Taiji für Gesundheit vs Taiji als Kampfkunst?

    Endlich mal wieder etwas Zeit fürs Forum:

    Ein Thema, das in letzter Zeit immer wieder aufkommt ist die Differenzierung zwischen Gesundheitstaiji, oft auch als "Hausfrauentaiji" bezeichnet, und Taiji als Kampfkunst.

    Ich muss zugeben, ganz unschuldig an dieser Trennung bin ich nicht, habe ich mich früher ja auch oft über unzulängliches "Gesundheitsturnen" aufgeregt.
    Und tatsächlich gibt es auch heute noch mehr als genug Kurse, in denen "sich alle lieb haben" und auf sanfte Weise gemütlich durch die Gegend wackeln, weil es ja so gesund ist.
    Haltungsfehler oder so Mühsames wie Lösen, Sinken, Gelenke öffnen oder richtig gewichten sind dabei eher nebensächlich.
    Aber das sind natürlich nicht alle.

    In den Jahren, die ich inzwischen unterrichte, habe ich immer deutlicher festgestellt, wie wichtig für gutes und richtig ausgeführtes Taiji eine solide Basis ist.
    Also von Anfang an Fangsong, Sturktur und Zusammenschlüsse zu entwickeln, den Körper korrekt auszurichten, richtig zu gewichten, aufzupassen, daß keine unnötigen Anspannungen den natürlichen Fluß oder die spontane Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen, die Im-Körper-Wahrnehmung zu entwickeln etc.

    In dieser Zeit war meine Erfahrung, daß die Basis für tatsächlich gesundes Taiji, das seine volle gesundheitliche Wirkung entfalten kann und die Basis für Taiji als Kampfkunst gleich sind:

    Wer sich einfach nur irgendwie bewegt, um vom Sofa wegzukommen, kann nur einen Bruchteil des Gesundheitspotential von Taiji für sich nutzen und entfalten und riskiert im schlimmsten Fall sogar unnötige Belastungen oder Verschleiß, mentale Unausgeglichenheit u.a.

    Ein "angehender Kampfkünstler", der nicht genug Geduld für langsame Basisarbeit, Fangsong und die innerkörperliche Warhnehmung aufbringt, wird irgendwann später an seine Grenzen stoßen, wenn es wichtig wird, daß innen und aussen sich ergänzen, Jinkraft sich entfalten kann und gegnerische Kraft nicht nur gefühlt, sondern durch weiche Spiraligkeit abgeleitet wird usw...

    Letztendlich ist mein Fazit, daß richtiges Taiji nunmal richtiges Taiji ist und als solches sowohl gesundheitlich, als auch- mit einigem Ergänzugstraining und etwas mehr physischer Anstrengung- als Kampfkunst praktikabel ist. Während man im rein gesundheitsorientiertem Taiji Schrittbreite, Tiefe Intensität der Übungen etc. einfach etwas sanfter, aber in sonstiger Ausfürhung auch nicht anders anleitet.
    (mal abgesehen davon, daß man spezielle Fajin- und Athletikübungen o.ä. weglässt.)

    Die Trennung Hausfrauen- oder Gesundheitsaiji ist also nicht ganz richtig, es sei denn, man bezeichnet damit schlampige Ausführung unter Vermeidung jeglichem "Sich-Mühe-Gebens".

    Ich habe hier bewusst etwas polarisiert, um auf das Thema aufmerksam zu machen und würde mich für Eure Erfahrungen und Meinungen dazu interessieren.
    (Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, daß ich mich auf das grundsätzliche Training beziehe; weiter fortgeschrittene "Kampfkünstler" werden natürlich intensiver und anders trainieren, als rein Gesundheitsorientierte, ebenso, wie man bei Kampfkunst-Orientierten von Anfang an das Grundlagen- und Formentraining entsprechend ergänzen kann)

  2. #2
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    Zitat Zitat von scarabe Beitrag anzeigen
    Ein "angehender Kampfkünstler", der nicht genug Geduld für langsame Basisarbeit, Fangsong und die innerkörperliche Warhnehmung aufbringt, wird irgendwann später an seine Grenzen stoßen, wenn es wichtig wird, daß innen und aussen sich ergänzen, Jinkraft sich entfalten kann und gegnerische Kraft nicht nur gefühlt, sondern durch weiche Spiraligkeit abgeleitet wird usw...
    Jemand der nicht genug Basisarbeit seines eigenen Stils macht, wird sogar ziemlich schnell an Grenzen stossen. Nämlich dass er nicht eine einzige Kernkompetenz seines eigenen Stils hat, sondern nur halbgar auf 500g schwere Pratzen einschlagen kann die ihm einer hinhält.
    "Man kann Leuten nicht verbieten, ein ***** zu sein." (Descartes)

  3. #3
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    Ich finde, da hast du völlig Recht, scarabe. Und das gilt nicht nur für Taiji, sondern auch für andere Kampfkünste. Vielleicht ist es nur im Taiji weiter verbreitet als anderswo, aber m.W. gibt es z.B. auch im Karate ein „Wohlfühlkarate“ (Sound-Karate vielleicht?), das die kämpferischen Aspekte weitgehend außen vor lässt.

    Bruce Frantzis hat in „Die Kraft der inneren Kampfkünste“ sinngemäß geschrieben, die beste Art, Taiji (oder Xinji oder Bagua) für Gesundheitszwecke auszuüben, sei, diese Kunst als Kampfkunst zu lernen. Das heißt, Mühe muss man sich schon geben, auch wenn man „nur“ gesund werden oder bleiben und nicht unbedingt ein Kämpfer werden will.

    Ich lerne jetzt seit etwa 5 Jahren Taiji, es macht mir auch viel Spaß. Zu einem Kämpfer bin ich damit leider nicht geworden. Dazu habe ich zu selten Training (mehr als 3 Std. pro Woche sind einfach nicht drin) und außerdem ist es nicht gerade kämpferisch ausgerichtet. O.k., manchmal werden auch zu einzelnen Bildern Kampfanwendungen besprochen und ich kann Pushhands üben (was freilich auch noch wenig mit Kämpfen zu tun hat), doch Entspannungs- und Gesundheitsaspekte stehen eher im Vordergrund.

    Wer kämpfen lernen will, geht z.B. zum Boxen. Taiji ist vermutlich so ziemlich das letzte, an das man da denkt. Daher werden sich zum Taiji überwiegend Leute anmelden, die etwas für ihre Gesundheit tun (und eher keinen Körperkontakt) wollen, also z.B. Hausfrauen und Büroarbeiter wie ich. Für Taiji-Schulen, die richtiges Taiji (im Sinne von Kämpfen) unterrichten wollen, ist das sicherlich eine etwas schwierige Ausgangssituation.

  4. #4
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    Ich halte das auch für wenig wünschenswert, weil "Taiji-Kämpfen" nunmal entweder reines Neutralisieren und Wegschubsen ist bis der Angreifer die Lust verliert. Oder es ist nicht sozialkompatibel, weil es mit schweren Verletzungen einhergeht. Taijiquan ist eben nicht Links-Rechts-Lowkick wie offenbar irgendwelche Leute aus dem chinesischen Fernsehen einem verkaufen wollen, sondern mit grosser Körperkraft rammen, slammen, kaputt machen. Das hat Ma Jianbao ein einziges Mal angedeutet als ich dabei war, und das sah nicht schön aus. Gut dass die Wand aus Pappe war und umgefallen ist.

    Mal ein Vergleich zwischen Training und was er so damit macht:
    .

    Was die Leute gerne vergessen ist, dass er eben das Training links auch gemacht hat, um da hinzukommen. Man beachte das Tempo in dem er das macht.
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  5. #5
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    Zitat Zitat von scarabe Beitrag anzeigen
    Und tatsächlich gibt es auch heute noch mehr als genug Kurse, in denen "sich alle lieb haben" und auf sanfte Weise gemütlich durch die Gegend wackeln, weil es ja so gesund ist.
    Es ist allerdings ärgerlich, wenn in einem Kurs (für den ja immerhin Geld gefordert wird) von der Leiterin, deren jahrzehntelange Tai Chi-Erfahrung in der Kursbeschreibung angepriesen wird, behauptet wird, Tai Chi sei gar keine KK, sondern nur "Qigong in einer Form". Hab' ich erlebt, hat mich wie gesagt sehr geärgert. Bin auch gleich wieder verschwunden. So was gibt es leider immer wieder, genau genommen gibt es in meiner Stadt leider nur solche Angebote. Weshalb ich mich auch allein durchschlage.
    Zitat Zitat von scarabe Beitrag anzeigen
    Haltungsfehler oder so Mühsames wie Lösen, Sinken, Gelenke öffnen oder richtig gewichten sind dabei eher nebensächlich.
    Aber das sind natürlich nicht alle.

    In den Jahren, die ich inzwischen unterrichte, habe ich immer deutlicher festgestellt, wie wichtig für gutes und richtig ausgeführtes Taiji eine solide Basis ist.
    Also von Anfang an Fangsong, Sturktur und Zusammenschlüsse zu entwickeln, den Körper korrekt auszurichten, richtig zu gewichten, aufzupassen, daß keine unnötigen Anspannungen den natürlichen Fluß oder die spontane Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen, die Im-Körper-Wahrnehmung zu entwickeln etc.

    In dieser Zeit war meine Erfahrung, daß die Basis für tatsächlich gesundes Taiji, das seine volle gesundheitliche Wirkung entfalten kann und die Basis für Taiji als Kampfkunst gleich sind:

    Wer sich einfach nur irgendwie bewegt, um vom Sofa wegzukommen, kann nur einen Bruchteil des Gesundheitspotential von Taiji für sich nutzen und entfalten und riskiert im schlimmsten Fall sogar unnötige Belastungen oder Verschleiß, mentale Unausgeglichenheit u.a.
    Na ja, Yang Zhenduo sagt in seinem Video (sofern die Übersetzung richtig ist), die Bewegungen der langen Yang-Chengfu-Form seien auch dann ungefährlich, wenn man sie falsch mache.
    (Ich halte es für gefährlich, die Drehungen auf dem Standbein auf nicht glattem Boden wie Gras oder Sand zu machen; da verdreht man sich das Knie! Das Problem tritt schonmal auf und muß vermieden werden. Aber das ist eine Ausnahme.)
    Ansonsten: Wenn man die ganze Form macht, schwitzt man schonmal. Ein Bruchteil des Gesundheitspotentials ist besser als gar kein gesundheitlicher Vorteil durch Bewegung.
    Der Unterschied zwischen einerseits "sich irgendwie bewegen" mit der Absicht von Tai Chi-Bewegungen und Entspannung zu andererseits tatsächlich gut ausgeführten Tai Chi-Bewegungen scheint mir nicht so groß zu sein, wenn man etwa die dadurch ausgelöste Anregung der Kreislauftätigkeit, usw. betrachtet.
    All diese Techniken, die Du anführst, sind doch innerliche Feinheiten, die man von außen meist nicht mal sehen kann. Bei manchen, wie dem korrekten Energiefluß ist noch nicht mal gesichert, daß es das überhaupt gibt.
    Ich denke, solche Feinheiten können sich im Lauf der Jahre möglicherweise entwickeln. Wenn man überhaupt täglich die Bewegungen einer Langform macht, hat man schonmal 3/4 der Miete. Der Rest kann dann später kommen.
    Mentale Unausgeglichenheit durch nicht gut ausgeführtes Tai Chi scheint mir unwahrscheinlich (jedenfalls bei einer "Dosis" von einmal täglich einer Langform). Dafür ist es insgesamt zu äußerlich. Bei schlecht ausgeführten Qigong-Übungen halte ich mentale Unausgeglichenheit als Folge für sehr viel wahrscheinlicher (und habe das leider auch schonmal erlebt).
    Zitat Zitat von scarabe Beitrag anzeigen
    Ein "angehender Kampfkünstler", der nicht genug Geduld für langsame Basisarbeit, Fangsong und die innerkörperliche Warhnehmung aufbringt, wird irgendwann später an seine Grenzen stoßen, wenn es wichtig wird, daß innen und aussen sich ergänzen, Jinkraft sich entfalten kann und gegnerische Kraft nicht nur gefühlt, sondern durch weiche Spiraligkeit abgeleitet wird usw...
    Das mag sein, aber auf ein solches Niveau, daß diese Dinge kämpferisch wichtig werden, muß ich gar nicht kommen. Wenn es wichtig wäre, bei einem Faustkampf gut abzuschneiden, würde ich wohl Boxen oder Kickboxen üben. Ist es aber nicht.
    Wichtig ist es, täglich Streß abzubauen und innere Kraft gegen die heutigen Herausforderungen aufzubauen.
    Wenn dabei zugleich noch eine leichte Steigerung der Selbstverteidigungsfähigkeiten herauskommen sollte, kann das auch nicht schaden, es ist aber nicht das primäre Ziel, jedenfalls nicht meins.
    Zitat Zitat von scarabe Beitrag anzeigen
    Letztendlich ist mein Fazit, daß richtiges Taiji nunmal richtiges Taiji ist und als solches sowohl gesundheitlich, als auch- mit einigem Ergänzugstraining und etwas mehr physischer Anstrengung- als Kampfkunst praktikabel ist.
    Irgendwie vermisse ich bei diesem Fazit den spirituellen Aspekt. Ich sehe Tai Chi als eine Mischung aus drei Komponenten: Kampfkunst - Gesundheitsübung - Spiritualität.
    Es kommt nicht nur darauf an, sich körperlich zu einem gesunden und effektiven Kämpfer zu entwickeln, Tai Chi ist auch als spiritueller Weg zu verstehen. Es heißt:
    "Wer regelmäßig Taiji übt, erwirbt die Geschmeidigkeit eines Babys, die Robustheit eines Holzfällers und die Weisheit eines Alten."
    Geschmeidigkeit und Robustheit ohne Weisheit wäre unvollständig. Für mich ist Tai Chi insbesondere auch ein Weg zu dieser Weisheit.

  6. #6
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    Ich weiß nicht, ob ihr diesen faszinierenden Kabarettbeitrag zu Gesundheitsübungen (wenn auch zu Yoga) nachvollziehen könnt. Hier, ab Minute 31:36 (ca. 5 Minuten):

    Ladies Night - WDR vom 14.09.2013 | 14.9. | 14. September 13 - YouTube

    Ich mache ja Tai Chi, kein Yoga, aber es ist ungefähr die dort gut beschriebene Wirkung, um die es mir geht. Auch wenn das Ganze dort ins Böse und zugleich Komische verdreht wird. Schwer zu sagen, könnt ihr (als ebenfalls Übende) das nachvollziehen? Würd' mich mal interessieren ...

  7. #7
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    Ich halte auch Taijiquan als "knallharte Kampfkunst" für überholt, ausser für ganz wenige Leute die aus welchen Gründen auch immer das brauchen. Es ist eine prima Sache, und wenn man das wofür der Kampfaspekt steht kann, dann ist es extrem wirksam. Da hinzukommen ist aber nicht einfach, oft nicht vorhersehbar, und wenn man es kann ist es gefährlich. Gerade bei Leuten die schon Erfahrungen mit echtem Kampf gemacht haben, und ihre Kraft nicht einschätzen können wenn sie kommt.

    Was aber viel interessanter ist, sind die "Nebeneffekte" von richtigem Training. Bessere Balance, Gesundheit, Ausdauer, Gewandheit wenn man mal unvorgesehen fällt oder von was umgeplästert wird (Auto, Fahrrad, Idioten die über ne Messe laufen). Es hat mir öfter geholfen auf glatter Fläche nicht sofort zu fallen, und wenn dann ohne Schaden. Dazu die Qigong-Effekte, die sich auf alle möglichen organischen Funktionen auswirken, Wärmehaushalt, Durchblutung, Sekretion, usw.

    Ich finde es braucht sich keiner schämen, wenn er Taijiquan als "Kampfkunst" nur rudimentär in Form von ein bischen PH trainiert, und die Methodik von Leibwächtern mal als eine Sache von früher stehen lässt. Ich habe Einblick darin bekommen, und weiss wieviel da möglich ist, aber wie schwer man sich tut wenn sich dann Dinge automatisieren die herbe wirken wenn das einer voll abbekommt. Ich sehe nicht viele Gründe, warum die Dame aus der Teestube die abends ein bischen machen möchte und sogar das PH als spielerische Rauferei mitnimmt sich das antun sollte.
    "Man kann Leuten nicht verbieten, ein ***** zu sein." (Descartes)

  8. #8
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    Mein Fazit ist, es gibt inzwischen so viele VHS, Sportverein- und Krankenkassenkurse, dass das "Sich-Mühe-Geben" gar nicht mehr in's Bewusstsein gerückt wird.
    Googelt doch nur mal angebotenen Taichi-Lehrer Ausbildungen. Was glaubt ihr wie der Markt in 10 Jahren aussieht?

    Wir sollten unseren Ehrgeiz in unsere eigene Ausbildung stecken und Schüler die bei uns lernen wollen damit anstecken. Alle anderen sollen mit dem was sie unter Taichi verstehen glücklich werden.Wir können nicht die Taichi/Taiji Welt retten.

  9. #9
    martin3 Gast

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    (Kleine Definition vorab - im folgenden beziehe ich mich, wenn ich Tai Chi Chuan sage, auf das Tai Chi Chuan der fünf Familien-Stile Chen, Yang, Wu, Wu(Hao), Sun und deren moderne Ableger)


    Das Thema Tai Chi Chuan und Kampfkunst ist ja immer ein schwieriges. In der Zeit von Chen Wangting bis Yang Luchan war Tai Chi Chuan viel im militärischen Bereich zu finden, d.h. effizientes Töten eines Gegners war ein wichtiges Ziel (siehe auch die vielen Waffenformen im Tai Chi Chuan).

    Wenn nun heute von Tai Chi Chuan als Kampfkunst gesprochen wird, muss man das sicherlich relativieren. Die Kunst des Kämpfens steht wohl vor dem Kampf auf dem Schlachtfeld. Wer weiß, was wohl die alten Meister zu uns als Freizeit-Kampfkünstler gesagt hätten?

    Aber auch früher war, und hier sind die Tai Chi-Klassiker ganz eindeutig, Gesundheit und Kultivierung des Körpers ohne Kampfabsicht ein wichtiges Thema.

    Kampf und Kultivierung, zwischen diese Polen schwingt das Tai Chi Chuan auch heute bei uns. Wird es zu reinem Wellness und Feelgood reduziert, geht sicherlich sehr viel verloren.

    Meiner Meinung nach zu viel, um es noch Tai Chi Chuan zu nennen. Tai Chi-Gymnastik wäre wohl eher passend.

    Alle anderen Formen, Kultivierung oder Kampf und alles dazwischen, sind für mich OK. Man sollte nur auf die Verpackung schreiben, was man letztendlich erhält.

    Dieses diffuse Bild, diese weite an Interpretationsmöglichkeit ist es vielleicht, was das Tai Chi Chuan so populär gemacht hat. Aber es ist vielleicht auch der Grund, warum es so schwer ist, das Tai Chi Chuan qualitativ stärker zu entwickeln.

    Gruß

    Martin

  10. #10
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    Zitat Zitat von scarabe Beitrag anzeigen
    Und tatsächlich gibt es auch heute noch mehr als genug Kurse, in denen "sich alle lieb haben" und auf sanfte Weise gemütlich durch die Gegend wackeln, weil es ja so gesund ist.
    Haltungsfehler oder so Mühsames wie Lösen, Sinken, Gelenke öffnen oder richtig gewichten sind dabei eher nebensächlich.
    Ich könnte mir vorstellen, daß es für einen (bezahlenden) Anfänger einfach zu anstrengend und frustrierend ist, die Grundlagen richtig zu lernen. Er hat meinetwegen von Gesundheit und Kampfkunst gehört, und alles, was er erstmal tun soll, ist stillzustehen (etwa in der "Stehenden Säule", bei der eben die Haltungsfehler korrigiert werden sollen und auch Lösen, Sinken, Gelenke öffnen geübt wird). Wahrscheinlich kann er den Bezug zum Ziel nicht erkennen, und der Weg ist ihm auch zu lang. Wenn man auf eine größere Zahl von Schülern Wert legt, müßte man wohl auch darauf achten, daß der Unterricht Spaß macht und der Schüler seine Fortschritte in Bezug auf Form und Anwendungen erkennen kann. Ist sicher eine Herausforderung, Anspruch und Spaß immer im Gleichgewicht zu halten.

  11. #11
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    Es gibt Kurse da wird ausser ein bißchen Qi Gong und 24er Pekingform nichts anderes unterrichtet. Vielen Teilnehmer reicht das auch. Leider auch vielen Kursleitern.

  12. #12
    pilger Gast

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    Nun,

    auch ein "bißchen Qigong" wie du sagst, und ne kurze Form können, richtig und intensiv erlernt, durchaus sehr viele Monate des intensiven Übens in Anspruch nehmen.

    Von daher ist es normalerweise im ersten Jahr (oder auch etwas länger) gar nicht erforderlich, jemandem mehr beizubringen.

    Das Problem ist halt nur, dass kaum noch Menschen diese Geduld aufbringen und jeder möglichst schnell möglichst viel lernen will (ein Widerspruch zum Taiji ansich finde ich) und dadurch natürlich Leher, die mit Unterricht ihre Brötchen verdienen, sich entscheiden müssen welchen Unterrichtsweg sie gehen...sicher keine einfache Entscheidung.
    Und dann auch kein Wunder, dass vielleicht öfter mal Masse statt Klasse unterrichtet wird.

    Grüße
    Pilger

  13. #13
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    Ich möchte hier zwei Anstöße geben:

    Zum einen, natürlich ist korrekte Körperausrichtung/Bewegungsausführung für Anfänger mühsam. Warum sollte es das auch nicht sein?
    Lernen ist nunmal mühsam, ohne Fleiß kein Preis. Lesen, schreiben, radfahren, selbst sprechen und gehen lernt man nicht von heute auf morgen.

    Warum also eine Kampfkunst? Und wieso sollte etwas, das jahrelang angezüchtete Fehlhaltungen und Gesundheitsprobleme lindern kann, dem Praktizierenden auf dem Königsweg quasi mit links zufliegen?

    Aber selbst meine Anfänger haben schon oft festgestellt, daß es sich ganz anders anfühlt, wenn man eine Bewegung mit gelöstem Körper ohne unnötige Anspannung macht und daß man mit sauberer Struktur plötzlich auch eine ganz andere Kraft dahinter hat- ohne sonderliche Anstrengung. Daß natürlich jede körperliche Bewegung auch mal ein bisschen anstrengt, ist doch etwas so Natürliches, muss man darüber wirklich diskutieren? Dafür macht man ja Sport und Co....

    NAch einer Weile sind die Schultern nicht mehr so verspannt, der Rücken zwackt nicht mehr so oft, die Knie fühlen sich besser an... man ist irgendwie gelassener und fühlt sich frischer...
    und man fühlt plötzlich auch im Alltag, wenn man im Begriff ist, etwas aus falscher GEwohnheit unnötig anzuspannen.

    Es ist also eher ein Anspruch an Geduld und Gründlichkeit, als eine tatsächliche körperliche Anstrengung- nur gehts eben nicht gehudelt oder auf "Knopfdruck"... Aber genau dieses geduldig-vertiefende Training ist ja auch das, was den tiefen mentalen Entspannungseffekt bewirkt und sogar behilflich ist, allmählich den Weg zu meditativer Ruhe zu finden.

    Leute, die aus dem Wushu kommen oder sehr sportlich sind und gewöhnt sind, etwas schnell nachzumachen mit entsprechendem Krafteinsatz, geraten gerade am Anfang oft in eine ungewohnte Geduldsprobe, wenn sie gewisse Muskeln nicht wie gewohnt anspannen sollen bzw. andere/ tiefere Muskulatur gebrauchen sollen, die noch nicht so recht entwickelt ist- und zwackt- was auch nicht selten das Ego zwickt...
    Wieso erst monatelang Tiefenmuskulatur aufbauen, um mit senkrechtem Rücken zu sinken, wenn man doch einfach in die Knie gehen kann?
    Daß dabei dann der Rumpf zu weit vorgebeugt wird und u.a. die Hüfte geschlossen wird, ist den meisten egal- dadurch kommt aber auch kein Energiefluß zustande- und wer ihn nicht selbst fühlen kann, neigt leicht dazu, ihn als Hirngespinst oder Einbildung abzutun. Schade.

    Natürlich sieht ein Laie nicht unbedingt einen Unterschied zwischen einem offenen oder geschlossenen Gelenk, viele merken ja nicht mal, wenn sich jemand zu weit vorbeugt. Aber dafür sind ja die Lehrer da- und nicht, um aus kommerziellen Gründen den Kunden nach dem Mund zu reden...

    Woher kommt eigentlich die Idee unserer modernen Gesellschaft, etwas dürfe keine Mühe machen?

    Der zweite Aspekt:
    In unserer New Age Generation wird Spiritualität großgeschrieben, aber ich bin der Meinung, man sollte Spiritualität nicht mit Weisheit gleichsetzen. Und die Definitionen von/Erwartungen an Spiritualität unterscheiden sich auch von Mensch zu Mensch:

    Die innere Kultivierung, bzw. die Ziele, die die traditionellen Taiji-Meister betrieben haben, wich doch oft erheblich von dem ab, was die moderne Gesellschaft in Taiji und Spiritualität im Allgemeinen hineininterpretiert.

    Immerhin lernte man damals Taiji, um sich damit wehren, d.h., ggf auch töten zu können. Auf die Idee, keine Tiere zu essen und Vegetarier zu werden, kam damals erst recht keiner...
    Dann mußte Meister Yang die verweichlichten Mitglieder des Kaiserhofs beglücken und nahm anspruchsvolle Kampfkunst-Elemente heraus, um den Herrschaften leichter nachzuahmende Bewegungen für Gesundheit und Fitness zu bieten.
    Ob diese Leute an wirklicher innerer Kultivierung interessiert waren, ist auch noch die Frage, bedenkt man all die Ränkespiele und Ego-Pflege in solcher Gesellschaft...

    Vieles wurde also erst im Nachhinein- oft auch nur im Westen- in Taiji hineininterpretiert.
    Jan sagte mal zu mir, als sie Taiji damals bei uns verbreiten wollten, war die Allgemeinheit nicht besonders interessiert an einer neuen Kampfkunst- also hat man über die Gesundheitsschiene (und mit ein bisschen Spiritualität) versucht, Fuß zu fassen. Was gelungen ist, aber eben auch o.g. Problem zur Folge hatte.

    Wäre es nicht auch ein bisschen viel verlangt, wenn Taiji jetzt auch noch das Bedürfnis nach Erfüllung statt innerer Leere, heiler Welt und Erleuchtung (überspitzt ausgedrückt) ausfüllen muss? (was es ja tut, aber eben nur, wenn man sich tatsächlich die Mühe macht, den langen klassischen Weg zu gehen )

  14. #14
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    Zitat Zitat von scarabe Beitrag anzeigen
    Ich möchte hier zwei Anstöße geben:

    Zum einen, natürlich ist korrekte Körperausrichtung/Bewegungsausführung für Anfänger mühsam. Warum sollte es das auch nicht sein?
    Lernen ist nunmal mühsam, ohne Fleiß kein Preis. Lesen, schreiben, radfahren, selbst sprechen und gehen lernt man nicht von heute auf morgen.
    Ja, dann wirst Du aber nur sehr wenige Leute ansprechen, die diesen steinigen Weg gehen wollen.
    Zitat Zitat von scarabe
    Dann mußte Meister Yang die verweichlichten Mitglieder des Kaiserhofs beglücken und nahm anspruchsvolle Kampfkunst-Elemente heraus, um den Herrschaften leichter nachzuahmende Bewegungen für Gesundheit und Fitness zu bieten.
    Offenbar hatte Meister Yang also dasselbe Problem und hat sich entschlossen, die Sache flexibler anzugehen.
    Zitat Zitat von scarabe
    In unserer New Age Generation wird Spiritualität großgeschrieben, aber ich bin der Meinung, man sollte Spiritualität nicht mit Weisheit gleichsetzen.
    Ach, das ist wahrscheinlich nur ein Übersetzungsproblem: Vor allem bei Konfuzius heißt es ja immer "Der Edle tut dies ...", "Der Weise tut das ...". Gemeint ist dasselbe. Man soll sich bemühen, eine Edler, ein Weiser zu werden. Wer das tut, geht einen spirituellen Weg.
    Im Buddhismus ist es ähnlich: Man geht den Edlen Achtfachen Pfad, um sich zu einem besseren Menschen zu entwickeln und, am Ende, vielleicht Erleuchtung zu finden. "Der Erleuchtete ist ein Weiser." Ich denke, das kann man so sagen ...
    Zitat Zitat von scarabe
    Wäre es nicht auch ein bisschen viel verlangt, wenn Taiji jetzt auch noch das Bedürfnis nach Erfüllung statt innerer Leere, heiler Welt und Erleuchtung (überspitzt ausgedrückt) ausfüllen muss? (was es ja tut, aber eben nur, wenn man sich tatsächlich die Mühe macht, den langen klassischen Weg zu gehen )
    Spiritualität ist (jedenfalls nach meiner Meinung) aber nicht nur den Meistern vorbehalten.
    Jeder kann beten, jeder kann eine Gebetsmühle drehen, jeder kann Gebetsstäbchen entzünden, jeder kann an einem Gottesdienst teilnehmen (in einer guten Dokumentation "Glaubenswege" habe ich mal einen taoistischen Gottesdienst mit Priestern und Gemeinde gesehen, auch das gibt es).
    Meditation ist dagegen eine höhere religiöse Praktik, die sich nicht jedem erschließt. Wenn ich nun meine Tai Chi-Form mache, dann ist das auch etwas meditativ und auch leicht spirtuell. Ein Meister mag damit auf noch höhere Ebenen vordringen, aber selbst die Form eines Anfängers hat schon einen spirituellen Gehalt: Man nimmt sich Zeit für sich selbst, zieht sich zurück, geht nach innen. Wenn man so will, ist das auch eine Form von geistlichen Exerzitien (allerdings nicht, wie im Link, christlich, sondern eben taoistisch).

    Ich mag euch Leute aus dem Chen-Stil, aber manchmal seid ihr mir an dieser Stelle auch ein bißchen zu orthodox.

  15. #15
    Kamenraida Gast

    Standard

    Ich finde deine Ausführungen insgesamt sehr treffend. Ich denke ähnlich - das Verständnis der Körpermechanik und das entsprechende Training (was du auszählst: sinken, zentrieren, etc) macht sowohl den gesundheitlichen Benefit des Taichi aus, wie auch letztlich seine Kampfkraft. Kein Widerspruch also.

    Andererseits finde ich die Sicht zu idealistisch, bzw. zu theoretisch.

    1.: Das AOK-Taichi ist wirklich in der Regel weit von einem tieferen Verständnis der Taichi-Körperarbeit entfernt. Klaro. Und dennoch ist es für viele Menschen eine Bereicherung und hat zweifellos gesundheitsfördernde Effekte. Ich kann die ewige Kritik daher nun bedingt nachvollziehen - ich sage einer Rentnerin im Schwimmbad doch auch nicht, dass sie mit ihrem 1xdieWoche-Training keinen Michael Phelps besiegen kann. Trotzdem tut ihr das Schwimmen gut.

    2. Praktisch gesehen gibt es sehr wohl einen "Zielkonflikt" zwischen kämpferischem Taichi und Gesundheitsorientierung. Wenn ich ernstes Kampftraining mache, muss ich eben sparren, werfen, hebeln, hauen - und das geht nicht ohne Verletzungen ab. Insofern denke ich, muss man sich schon entscheiden.

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