Titel: G. Higaki: „Das versteckte Karate“
Beitrag von: Gibukai am April 22, 2009, 07:37:53
Hallo,
hier mal ein paar lose Gedanken zu einem Buch, welches den reizenden Titel „Das versteckte Karate“ (Kakusarete ita Karate) trägt. Es erschien schon vor einer Weile, 2005, auf japanisch und geraume Zeit danach in einer englischen Version. Ich kenne dieses englische Buch nicht und beziehe mich daher ausschließlich auf die japanische Urfassung. Ebenso wenig kenne ich den Verfasser.
Unter all dem entsetzlichen Schrott, der so an Karate-Literatur auf dem Markt erhältlich ist, gibt es tatsächlich manchmal kleinere Lichtblicke. Unter Umständen kann „Das versteckte Karate“ zu diesen seltenen Ausnahmen von der Regel gezählt werden. Zumindest wäre ein Indiz dafür, daß sich sein technischer Inhalt in bald besserer, bald schlechterer Nachahmung mancherorten auch in der deutschen Karate-Welt wiederfindet – aufschlußreicherweise nicht immer mit dem Hinweis auf die Quelle... Ich finde, dieses Buch ist durchaus eine Diskussion wert.
Sein Autor zog es vor, anonym zu bleiben, und so wählte er das Pseudonym „Higaki Gennosuke“ - ein Charakter aus A. Kurosawas (1910-1998) Film „Sugata Sanshirō“ von 1943. Er war auch konsequent genug, weder einen Gürtel zu verwenden, auf dem sein Name steht, noch einen Anzug mit seinem Namen zu tragen. Ein Kumpel von ihm, Y. Suzuki, ehemaliger Weltmeister in der Disziplin Kumite, schrieb ein Vorwort, in dem er Higaki als „eigensinnige Person“ charakterisiert. Jedenfalls gibt Higaki selbst zu Protokoll, daß er zunächst ab seiner Mittelschulzeit mit dem Sport-Karate begann. Später hatte er dann eine markerschütternde Begegnung mit S. Kubota (gest. 1994), dessen Karate er fortan lernte. Zu S. Kubota nur soviel: er begann 1935 in einem Universitäts-Karate-Klub Karate zu lernen. Sein Lehrer war G. Funakoshi (1868-1957) und später lernte er noch unter K. Mabuni (1889-1952). Er blieb G. Funakoshis ursprünglichem Dan-System treu und war daher bis zu seinem Tode ein Godan (5. Dan). Als er 1971 von der JKF einen Posten als „Technischer Ratgeber“ (Gijutsu Komon) offeriert bekam, lehnte er dankend ab, da dies nicht seiner Ansicht von Karate entsprach...
Schon im Vorwort von Y. Suzuki findet ein zentrales Thema dieses Werks Erwähnung: ein „Geheimes Abkommen“ (Himitsu Kyōtei), welches die Karate-Lehrmeister Anfang des 20. Jahrhunderts vor der Verbreitung des Karate auf den japanischen Hauptinseln getroffen haben sollen. Demzufolge wurden in Japan allein unbrauchbar gemachte Kata und Kata-Anwendungen gelehrt. Ab S. 57 elaboriert Higaki nun über die Möglichkeit des tatsächlichen Vorhandenseins eines solchen Geheimabkommens unter den Karate-Pionieren. Selbstverständlich kann man aus seinen Andeutungen folgern, daß es durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Tatsächlich handelt es sich um ein Totschlagargument! Denn wenn es ein „geheimes Abkommen“ gab, dann wurde das gewiß nicht öffentlich herumposaunt (es war ja schließlich geheim), d.h. es läßt sich wahrscheinlich in keiner frühen Literaturquelle verifizieren. Zumindest ist mir persönlich noch nichts dergleichen aufgefallen (was nicht heißen soll, daß es nicht eventuell irgendwo entsprechende Hinweise geben könnte). S. Kubota gehört nun zu den wenigen Auserwählten, die – trotz des „geheimen Abkommens“ – Zugang zu den alten Geheimnissen des Karate, dem „versteckten Karate“ erhielten.
Higaki führt dann auf Seite 60 einen übersichtlichen Vergleich in Tabellenform durch, in welchem er das ihm bekannte moderne Sport-Karate dem „alt überlieferten Karate“ gegenüberstellt. Unter „alt überliefert“ versteht er das von S. Kubota gelehrte Karate. Hier mal die vollständige Tabelle, wobei ich die Phrase mit der „Leiche“ aus Bequemlichkeit unkommentiert wiedergebe (vereinfacht, denn es handelt ich um ein Kuden, geht es dabei um das Immobilisieren des Feindes bevor man zuschlägt):
Vergleichsgegenstand alt überliefertes Karate [Koden Karate] neuzeitliches Karate [Gendai Karate]
Namen für Bewegungen Gibt es nicht Gibt es
Zughand [Hiki-Te] Gegner wird gegriffen und gezogen Von der Hüfte aus stoßen
Vordere Hand Vordere Hand zum Angriff Vordere Hand zum Annehmen
Annahmetechniken
[Uke-Waza] Mit beiden Händen annehmen Mit einer Hand annehmen
potentieller Feind bei
der Kata Gegner ist grundsätzlich eine Person Gegner sind in der Mehrzahl
Auslegung der
Bewegungen der Kata Mehrere Bewegungen sind eine
Technik [Waza] Dinge sind an die grundlegende
Technik gebunden
Fußbewegungen Gehen mit Füßen Folgeschritt
Würfe [Nage] Gibt es In den Kumite-Regeln gibt es Würfe
Verdrehende Techniken
[Gyaku-Waza] Gibt es Es gibt ein paar
Kampfmethoden Eine Leiche machen und [dann] schlagen Treffen eines sich herum bewegenden Gegners
Gebrauchsweise des
Körpers Kraft herausnehmen Kraft wird hineingegeben
Kata Kata zum Gebrauch Kata zum Vorführen
Kumite Auseinandernehmendes Kumite Freies Kumite
Wettkampf [Shiai] Test des Einhängens [Kake-Dameshi] Wettkämpfe mit Regeln
Mündliche Überlieferungen
[Kuden] Gibt es Gibt es nicht
Waffenmethoden Zwei Räder [eines Wagens] Getrennt voneinander
Innerhalb dieser Gegenüberstellung lassen sich ein, zwei plumpe Induktionen ausmachen, die sich leicht widerlegen lassen, da sich selbst Higaki mit seinen Kumite-Vorführungen nicht immer in Einklang mit den hier getroffenen Aussagen befindet. Als augenfälliges Beispiel für einen Punkt, der durchaus als Widerspruch ausgelegt werden kann, möchte ich nur kurz seine Aussage, unbewaffnete und bewaffnete Methoden gingen im „alt überlieferten“ Karate Hand in Hand, anschneiden: An keiner Stelle im Buch bekommt der Leser eine Waffe vorgesetzt...
Eine der besten Stellen im Buch findet sich, meiner bescheidenen Meinung nach, im 3. Kapitel, „Probleme des Karate“. Er stellt richtigerweise fest, daß es im Karate kein ausgereiftes System zum Fortschritt gab und gibt. Zum Vergleich skizziert er auf S. 38 ein System zum Fortschritt im Jūdō und eines in der Kalligraphie (Shūji). In beiden Fällen vollzieht sich der Fortschritt in vier Etappen: Fundament (Kiso) → Grundlagen (Kihon) → Anwendung (Ōyō) → Veränderung (Henka).
So ordnet der Verfasser diesen vier Etappen im Falle des Jūdō zuerst Kuzushi ([Gleichgewicht] erschüttern), dann Waza (Technik), Kata und schließlich Randori zu. Angefangen beim Fundament kommt die Methode der 8 grundlegenden Striche in der Kalligraphie an erster Stelle, gefolgt von der Blockschrift, später der halbkursiven Schrift und zu guter Letzt der Kursivschrift.
Er meint, daß die Trainingsgliederung des neuzeitlichen Karate, die er vereinfachend auf K. Yabu (1866-1937) zurückführt, nicht hinreichend für den Unterricht der Fortgeschrittenen sei. Dieser Gedanke war Higakis Leitmotiv, wie man aus dem Buch herauslesen kann. Higaki errichtete folglich ein in sich schlüssiges Lehrgebäude, in welchem ein logischer Zusammenhag zwischen Kata- und Kumite-Training besteht. Allerdings muß klar sein, daß Higakis System inhaltlich anders gelagert ist, als beispielsweise das weithin bekannte JKA-Konzept (das fälschlicherweise auf Grund seiner beachtlichen Verbreitung als Alpha & Omega des Karate aufgefaßt wird – aber es ist „nur“ das in der JKA vermittelte System!), das DKV-Konzept (gibt es das überhaupt?) usw. Im historischen Shōtōkan (1938-1945) wurde eifrigst an einem kohärenten Unterrichtssystem gefeilt, welches bedauerlicherweise aus den bekannten historischen Gründen nie vollendet wurde. Auch damit läßt sich das Higaki-System nicht vergleichen.
Mein Favorit, wenn ich das so schreiben darf, ist Kapitel 7 (S. 69), „Mündliche Überlieferungen zum Auseinandernehmen der Kata“, in welchem er 21 Kuden anführt und aus seiner Sicht erklärt. Higaki beschreibt Kuden als „Schlüsselworte“, die er so von S. Kubota gelehrt bekommen haben will. Er behauptet – und, sofern es sich um eine „historische“ Partnerübung auf der Grundlage einer Kata handeln soll, teile ich diese Auffassung –, daß die Kuden für das Auseinandernehmen der Kata notwendig seien. Ich halte den Großteil seiner Kuden für authentisch, da sie sich schlichtweg in alten Quellen so oder in ähnlicher Form nachweisen lassen. Was sich dagegen nicht überprüfen läßt, ist die Frage, inwiefern sie der Autor tatsächlich von seinem Karate-Lehrer aufgriff. In dem ein oder anderen Fall treten erhebliche Zweifel zu Tage, doch dazu später.
Im eigentlichen technischen Teil stellt er die fünf Heian-Formen sowie Naihanchi Shodan (Tekki Shodan) vor, indem er zuerst eine Kurzübersicht zum Ablauf der Kata präsentiert und jeweils im Anschluß daran recht ausührlich die Erläuterungen seines auseinandernehmenden Kumite (Bunkai) aufzeigt. Erfrischenderweise zeigt Higaki keine allzu institutionalisierten Kata-Fassungen à la JKA/JKF. Um sein „Bunkai“ herzuleiten, bedient er sich der mündlichen Überlieferungen (Kuden), verweist manchmal auf Körpermechanik und reißt in ein, zwei Fällen sogar die psychologische Dimension (Angst) an. Alle diese Krücken stützen sein „Bunkai“, können aber von einem anderen Standpunkt aus unter Umständen ebenso als Beleg für das Gegenteil eingesetzt werden.
Der Autor meint, daß bestimmte Bewegungen aus der Kata verändert werden müssen, damit sie ihren wahren Sinn erhalten. Beispielsweise soll die hebende Annahme zur oberen Stufe (Jōdan Age-Uke) eigentlich ein Fausthieb zum Gesicht sein. Der folgende Link zeigt ein Filmchen mit Higakis Age-Uke-Anwendung:
http://vision.ameba.jp/watch.do?movie=826116 (
http://vision.ameba.jp/watch.do?movie=826116)
Er führt auf S. 99 zwei Bilder aus historischer Literatur (Motobu 1936 und Mutsu 1933) auf, um anzudeuten oder zu belegen, daß es diese Technik so gab. Dummerweise entsprechen beide Bilder nicht der Ausführung von Higakis Age-Uke-Angriff. Im Fall von Motobu wird allein mit dem linken Arm agiert, also nicht mit beiden Händen angenommen, wie von Higaki gefordert; Motobus Arm bewegt sich in einer anderen Bahn und ist am Ende gestreckt – im großen und ganzen erinnert Motobus Technik eher an eine Geste aus der Kata Tekki (Naihanchi). Auch in Mutsus Technik fehlt der Hinweis auf eine beidhändige Annahme; zudem gleicht sie eher einem Aufwärtshaken gegen das Kinn (ein drittes Detail spielt wahrscheinlich eher eine geringe Rolle beim Vergleich von Higakis und Mutsus Technik). Bloß weil in allen drei Fällen ein direkter Konterschlag gegen das Gesicht ausgeführt wird, handelt es sich noch lange nicht um dieselbe Technik. Demgemäß sind diese historischen Vergleiche oder Anspielungen hier unangemessen und irreführend.
Nun soll das nicht heißen, daß seine Idee schlecht ist, es ist bloß nicht wirklich nachvollziehbar, daß es sich tatsächlich um eine alte „versteckte“ Ausführung dieser Geste handelt. Denn die Art und Weise den Körper zu positionieren und die Arme zu bewegen unterscheiden sich in der Version der Heian Shodan von G. Funakoshi und der „Bunkai“-Bewegung von Higaki. G. Funakoshis Form der Age-Uke in Heian Shodan/Nidan ähnelt den Age-Uke von C. Hanashiro (1869-1945), C. Chibana (1885-1969) , K. Mabuni und S. Gusukuma (1890-1954) sehr. Als Grund kann natürlich wieder das geheime Abkommen herhalten...
Überhaupt kann festgestellt werden, daß Higaki immer wieder mal historische Abbildungen zur Untermauerung seiner Gedanken benutzt, was nicht schlecht ist. Doch leider reißt er manchmal Bilder aus dem Zusammenhang, so daß er ernsthaft unglaubwürdig wird. So stützt er seine Anwendung der ersten Geste aus Heian Nidan, die er so von S. Kubota gelernt haben will, durch einen Verweis auf ein Photo aus G. Funakoshis 1935er „Karate-Dō Kyōhan“. Er zieht diesen Vergleich gleich zwei Mal im Buch heran (S. 62 und115). In der Tat ähneln sich beide Positionen. Zwar erklärt er, daß G. Funakoshi diese Technik im Kumite-Teil seines Buches und nicht als „Bunkai“ von Heian Nidan darstellt (jemand, der Ahnung hat, würde jedoch erkennen, daß sie zur Kata gehöre), aber er verschweigt, daß es sich dabei um eine Zwischenbewegung handelt, der ein Jūji-Uke wie in Heian Godan vorausgeht. Im Bild von G. Funakoshi wird das gegnerische Handgelenk ergriffen (was auch sein Text fordert), während bei Higaki im entsprechenden Bild nicht gegriffen wird.
Wer sich ins Gedächtnis ruft, daß es thematisch um das „versteckte Karate“ geht, wundert sich dann schon stellenweise über die Fülle an historischen Bildern, auf die sich der Autor bezieht – zumindest geht es mir so. Entsprechend haben wohl alle Karate-Pioniere auf diesen Bildern das „geheime Abkommen“ gebrochen. Denn genau diese in Buchform veröffentlichten (also kaum mehr als „versteckt“ zu bezeichnenden) Techniken, machen einen Teil von Higakis „Bunkai“ aus. Wie eben schon geschrieben, verdreht er jedoch manchmal bewußt oder unbewußt den Zusammenhang historisches Bild – Higaki-Technik...
Rätselhaft erscheint mir auch ein Kuden (die Kuden will Higaki ja von seinem Karate-Lehrer, S. Kubota, haben), welches er zur Erklärung eines „Bunkai“ auf S. 96 anbietet. Zum einen handelt es sich um einen Anglizismus – jawohl, in einer japanischen Kampfkunst! – , nämlich „Double Twist“. Dann erzählt er, daß C. Tani (1921-1998), Gründer des Tani-Ha Shitō-Ryū, der Pate dieser Angelegenheit sei. Zumindest in dem Fall wird deutlich, daß der Verfasser nicht wirklich ausschließlich „alt überliefertes“ Karate unters Volk bringt...
Seiten 151-155: Bunkai der Bewegungen 11 bis 17 (Ellbogenannahme [Hiji-Uke], Rückseitige Faust [Uraken])
Ich wähle dieses Beispiel aus Heian Sandan, weil meine Argumentation mit leicht zugänglichen (deutschsprachigen) Quellen nachvollziehbar ist. Higaki zieht drei Kuden für sein Bunkai dieser Stelle heran:
(1) Nehmen Sie mit beiden Händen an
(2) Greifende Hand
(3) Schrittwechsel
Anhand dieser Unterweisungen kommt er zu zwei Bunkai, bei denen jeweils in der ersten Phase der gegnerische Angriffsarm von der Außenseite her angenommen wird. In der zweiten Phase folgt ein Konterschlag mit dem Faustrücken, dem sich in der dritten Phase jeweils eine werfende Technik anschließt. Laut Higakis ausführlichem Prolog, handelt es sich bei seinen Bunkai um die versteckten Techniken des historischen Karate.
K. Mabuni war einer der beiden Lehrer S. Kubotas, von dem Higaki vorgeblich sein Bunkai-Wissen erhielt. K. Mabunis Sohn, Kenei (geb. 1918), äußert sich in seinem Buch „Einladung zum Budō-Karate“ von 2001, das 2007 auf deutsch als „Leere Hand“ herauskam, u.a. zum Bunkai. Dabei erwähnt er ab S. 103, daß ein bestimmter Bewegungsablauf nur dann vollständig verstanden werden könne, wenn man um die „ganz bestimmten örtlichen, historischen und gesellschaftlichen“ Verhältnisse Okinawas weiß. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Haltung der „Hände am -eigenen- Busen“ (Futokoro-De), was eine ziemlich wörtliche Übersetzung für eine Haltung ist, die wir in Deutschland in mehr oder weniger ähnlicher Weise als „Hände in den Taschen“ kennen. Bedingt wurde diese Haltung natürlich durch die spezielle japanische Kleidung. K. Mabuni erklärt damit eine Geste aus der Kata Gojūshiho, doch es ist leicht nachvollziehbar, daß es sich um dieselbe Geste wie eben in Heian Sandan handelt. Bei einem plötzlichen Angriff kann der Karateka ohne Veränderung seiner Haltung unverzüglich den gegnerischen Arm annehmen. Dieselbe Geste wird bei Higaki aber in der dritten Phase zu einem Wurf.
General C.K. Ch'i (1528-1588) beschrieb in einem seiner Militärhandbücher eine Geste, die ich ganz klar als Vorläufer der Bewegungen 11 bis 17 aus Heian Sandan ausmache (vgl. mein Buch ab S. 86). In den Anmerkungen C.K. Ch'is findet sich kein Hinweis auf eine werfende Technik – vielmehr handelt es sich um eine durchgehend schlagende Aktion zur Niederwerfung des Feindes. Wohlgemerkt handelt es sich dabei sozusagen um die historische Uranwendung.
Ich will damit nun nicht ausdrücken, daß diese Bewegungen nicht als Würfe oder was auch immer interpretiert werden dürfen – allein die historische Grundlage, mit der sich Higaki ja zu legitimieren sucht, ist – wie eben in diesem Beispiel – nicht immer wirklich gegeben!
Ferner bezeichnet Higaki seine Anwendungen mit Namen, die so im Daitō-Ryū Aiki Jū-Jutsu auftauchen, nämlich „Bunkai 1“: Arm-Verwickel-Wurf (Ude-Garami-Nage) und „Bunkai 2“: Verwickelnder Wurf (Karami-Nage). Daß im Autorenprofil Daitō-Ryū als eine von Higaki studierte Kampfkunst auftaucht, ist somit auch kein Zufall. Selbstverständlich bleibt die Frage, ob er die Würfe, die er als Bunkai für diese Bewegungen angibt, nun von S. Kubota lernte oder einfach aus dem Daitō-Ryū übernahm und diesen Bewegungen anheftete, unbeantwortet bzw. sie wird gar nicht erst gestellt.
Schließlich gebraucht Higaki quasi denselben Wurf wie für sein „Bunkai 2“ an dieser Stelle bereits 10 Seiten zuvor (S. 144). Dort erläuterte er sein „Bunkai“ für die Bewegungen 4 bis 7. Obwohl die Bewegungen an den beiden Stellen der Kata sich dann doch ziemlich unterscheiden, schafft er es, daß beide dieselbe Anwendung erhalten (abgesehen von zwei Kleinigkeiten). Steht das für Ökonomie im „alt überlieferten“ Karate – 20 Gesten in einer Kata und zwei (fast) identische Würfe als „Bunkai“? Um die Stellen wenigstens nominell zu unterscheiden, fügte er der Bezeichnung „Verwickelnder Wurf“ hier noch „Hand“ hinzu, d.h. er nennt ihn „Verwickelnder Handwurf“.
In den Weiten des Internets gab es mal einen Film, in dem Higaki sein „Bunkai“ demonstrierte, aber der wurde entfernt; sicherlich weil es nicht wirtschaftlich ist, den technischen Inhalt des Buches kostenlos zu veröffentlichen (was ich hundertprozentig nachvollziehen kann). Ein paar kurze „Bunkai“ von Higaki sind im folgendem Film zu sehen, bloß Higaki selbst taucht nicht auf. Zumindest eröffnet er einen kleinen Einblick in Higakis Ansatz:
http://vision.ameba.jp/watch.do;jses...7?movie=826238 (
http://vision.ameba.jp/watch.do;jses...7?movie=826238)
Zusammengefaßt finde ich das Buch aus technischer Sicht für Leute, die das System von Higaki trainieren bzw. trainieren wollen, ziemlich gut. Wer etwas über das Problem der Kuden und speziell ihren Bezug zur Kata erfahren will, findet ebenso recht gute Informationen. Aus historischer Sicht ist es eher mittelmäßig.
Grüße,
Henning Wittwer
PS: Zu den Kuden schrieb ich hier im Forum bereits einen kleinen Beitrag