Ich eröffne mal dieses immer wieder beliebte Thema mit einem kleinen Artikel von mir, der vielleicht für den ein oder anderen nützlich ist und/oder zu einer produktiven Diskussion anregt:
Das Problem der "Doppelten Gewichtung"
Gerade die Übenden des Tajiquans haben mit der Beschreibung des grundlegenden Problems der "doppelten Gewichtung" zu tun, aber der Begriff selbst ist nur ein Platzhalter für ein Defizit in der Körpersteuerung ganz allgemein. Im Taijiquan gilt es "von der ersten Bewegung an leicht und wendig" zu sein; das gilt für das Pushing Hands und die formellen Übungen. Dabei handelt es sich natürlich um ein Ideal - man versucht sich diesem graduell anzunähern. Ich werde hier einmal die verschiedenen Möglichkeiten der "Doppelten Gewichtung" erörtern. Das Konzept im Sinne von Problem und Lösungsstrategie(n) selbst ist natürlich auch auf diverse Alltagssituationen übertragbar, allerdings soll das hier nicht Thema sein.
Ganz allgemein gesprochen ist man "doppelt gewichtet", wenn der Körper passiv durch Arretieren seiner strukturellen Elemente sich selbst (vermeintlich) stützt. Das vielleicht klarste Bild einer doppelt gewichteten Struktur ist eine Brücke, deren tragender Bogen sich zwischen zwei Pfeilern aufspannt. Im menschlichen Körper nennt man diese Art der Ausrichtung eine geschlossene kinematische Kette und sie ist verständlicherweise sehr stabil, aber nicht sehr mobil.
Eine klassische Anweisung im Taijiquan ist das Unterscheiden von "Voll und Leer" - also dass der Übende immer genau zwischen einer lasttragenden Körperseite und der freien Körperseite entscheiden kann.
Als einfachstes Beispiel dient der normale Stand - man versucht, immer ein Bein "voll" also belastet zu haben, während das andere Bein "leer" also frei für jedwede Bewegung ist. Bewegt man sich einen Schritt vor, soll der Übende immer ein Bein belastet und eines frei haben.
Selbstverständlich ist dies nicht möglich. Es gibt immer einen Moment, an dem beide Beine lasttragend sind - einbeiniges Hüpfen mal ausgenommen, aber das ist nicht gemeint - Es geht vielmehr darum, den Schrittwechsel zwischen Standbein und Spielbeinphase so auszuführen, dass beide Beine nur möglichst kurz beiderseits das Gewicht tragen müssen und auch ohne das lasttragende Bein fest und steif anzuspannen. Tritt man auf den Boden auf und fühlt den Aufprall des Fusses auf den Boden bis in die Hüften/das Becken "zurückschlagen" so ist das Bein fest und statisch. Stattdessen versucht man eine permanente Bewegung in den Knien aufrechtzuerhalten, damit dies nicht geschieht.
Eine weitere bekannte Anweisung lautet, sich "nicht am Gegner aufzuhängen" - damit ist gemeint, gerade beim Pushing Hands, sich nicht an den Gegner zu lehnen. Drücken zwei Leute, gegenüberstehend, ihre Hände gegeneinander, so bildet sich auch hier so eine Art "Brücke" - jeder Akteur wird sozusagen zu einem Pfeiler, während die Hände den Bogen der Brücke bilden. Unser Körper erkennt natürlich sofort den effizientesten Weg, diese Ausrichtung "stabil" zu bekommen und arretiert die Gelenke soweit, dass beide Übenden stabil gegeneinander lehnen. Selbstverständlich kann man so nicht auf sich dynamisch ändernde Kraftrichtungen reagieren, aber sobald beide Übenden genau das gleiche machen, wird ihre ganze Bewegung sich (unbewusst) um diese Statik organisieren. Es fällt also quasi nicht auf, ausser man "pusht" mit jemandem, der um diese Falle weiss. Dann wird man schnell "entwurzelt" oder einfach ausmanövriert.
Zuletzt gilt es, bei den Bewegungen - und auch in Ruhe - das zentrale Gleichgewicht zu halten. Es gibt viele Übungen, die statisch oder sehr langsam ausgeführt werden, was ja eigentlich der "doppelten Gewichtung" in die Hände spielt. Bei einer Übung wie der stehenden Säule z.B. wie soll man dort - rein praktisch - voll und leer in den Beinen unterscheiden und nicht beide gleich belasten? Üblicherweise wird gesagt, man soll entspannen - aber das geht nur bis zu dem Punkt, an dem man in sich zusammensacken würde. Also wird der Körper irgendwann zu einer "Brücke".
Das gleiche Problem hat man übrigens auch im einbeinigen Stand - der Körper arretiert eben das eine Standbein, um sich selbst zu tragen. Biomechanisch konstruiert der Körper ebenfalls eine geschlossene Kette für eine optimale Statik. Das auch gar nicht zu verhindern - aber hier kann man tatsächlich, allein durch die Visulisierung einer Bewegung, den Körper davon überzeugen, dass jetzt nicht der Zeitpunkt für ein bequemes Einrasten gekommen ist. Man muss also eine Bewegung permanent im Sinn haben, auch wenn man steht - und zwar eine, die konträr der unbewussten Absicht des Körpers ist, sich selbst nur aufrechtzuerhalten. Es gibt dabei viele Möglichkeiten, die je nach persönlichem Geschmack mehr oder weniger gut funktionieren.
Eine schöne Testmöglichkeit ist diese: Man steht in einem mittelmässig tiefen Ma Bu / Reiterstand und hat sein Gewicht schön doppelt auf beide Beine verteilt. Nun versucht man, einen Schritt gerade vorzugehen. Man merkt natürlich sehr deutlich, wenn man beispielsweise mit rechts vor geht, wie sich erst das Gewicht nach links verlagert (Von einer Statik in die andere Statik) und erst dann der Schritt erfolgt. Manch einer wird den einen Fuss eher vorwärtstreten, wobei dann die rechte Seite kurz wegkippt und man etwas nach hinten aus dem Gleichgewicht gerät.
Um dieses Umgewichten zu verringern, kann man sich beim Wiederholen einige Bewegungen als Bild verinnerlichen. Diese Bewegungen werden natürlich nur vorgestellt und finden nicht tatsächlich (von einer Mikrobewegung mal abgesehen) statt. Hier sind mal drei Beispiele:
-Ein nach unten und nach vorne Rollen des eigenen Körperschwerpunktes.
-Eine spiralförmig von den Füssen aufsteigende Bewegung.
-Eine konträr nach-hinten vorgestellte Bewegung.
Man probiert so lange herum, bis man eine Steuerung gefunden hat, die den Wechsel aus der Statik in die Bewegung direkt und ohne Umschweife erzeugt, mit möglichst minimiertem Umlasten und Lehnen.
Wenn man meint, eine gute Lösung gefunden zu haben, nimmt man einen Übungspartner, der einem beispielsweise mit beiden Händen gegen den Oberkörper drückt - und man schaut, ob der Partner einen in der Bewegung hindert oder auf einmal irgendwie doch recht leicht "mitgenommen" wird.
Gruss, Thomas