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Thema: Auswendig lernen vs. Konzepte

  1. #1
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    Standard Auswendig lernen vs. Konzepte

    Ich möchte voraus schicken, dass das eine Beobachtung ist, die ich ausschließlich bei mir gemacht habe. Ich möchte sie weder verallgemeinern noch Stile oder Systeme damit in irgendeiner Form verurteilen etc.

    Ich habe vor dem BJJ mit dem No Gi Grappling angefangen. Lange Jahre lang habe ich den Gi als nicht attraktiv empfunden, No Gi Grappling fand ich bedeutend besser. Als ich dann mit dem Gi anfing zu trainieren, wurde ich fast erschlagen von der Anzahl der Möglichkeiten bedingt durch die unterschiedlichen Griffe an Ärmeln, Kragen, Jacke, Hose...

    Dabei habe ich im Laufe der Entwicklung eine Beobachtung gemacht, die ich jetzt auch bei den Hausaufgaben meines Sohnes wieder finde. Mein Sohn hat in der Schule grade das Multiplizieren. Dazu hat die Lehrerin einzelne Seiten mit dem kleinen Einmaleins ausgegeben. Die Kinder sollen die Aufgaben und Ergebnisse auswendig lernen.
    Da mein Sohn das Konzept des Multiplizierens früher schon verstanden hat (3 * 4 ist nicht anderes als 4 + 4 + 4) fällt es ihm sehr leicht und er muss das gar nicht auswendig können.

    Gleiches beobachte ich beim Gi.
    Techniken beim No Gi habe ich relativ schnell auswendig gelernt. Ich habe meine Positionen, meine Setups, Techniken und Konter immer wiederholt, bis sie saßen.
    Beim Gi ist mir die Menge an Stoff (im wahrsten Sinne) einfach zu viel. Ich kann nicht alle Positionen, alle Griffe, jede Drehung, Umgriff, Zug und Schub etc. auswendig lernen und drillen. Das übersteigt meine Fähigkeiten.
    Was ich aber gelernt habe, ist Gi nach Konzept zu kämpfen. So kann ich einen bestimmten Sweep auch machen, wenn ich Griffe "ersetze", woanders greife. Ich habe gelernt, meine Griffe für die gleiche Technik zu variieren, um meine Absicht zu verstecken. Solange wie ich mich an bestimmte Konzepte halte, ist es egal, wie ich die Technik ausführe. Beim No Gi ging das fast nie.

    Geht das anderen auch so oder habt ihr andere Erklärungsmodelle? Wie lernt ihr? Eher Technik, Drillen oder Konzepte?
    Frank Burczynski

    HILTI BJJ Berlin
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  2. #2
    Inushishi Gast

    Standard

    Ich persönlich lerne am besten dadurch das ich Beispiele auswendig lerne, wenn ich mich in ein völlig neues Themengebiet einarbeite.
    Natürlich geht es mir nicht darum alle möglichen Beispiele zu beherrschen, das wäre ja auch Bullshit.

    Ich denke es ist nur gut wenn man ein paar handfeste Beispiele hat, an denen man das Konzept für sich verstehen kann. Klar ist es langfristig das Ziel ein Konzept zu verstehen und es frei anwenden zu können.

    Aber was am besten wirkt hängt auch immer vom eigenen Level ab. Ich mein' einen Anfänger der erstmal versucht seine Gliedmaßen zu koordinieren kann man mit Konzepten zu knallen und er hat den lieben langen Tag nichts gelernt, weil er noch gar keine verinnerlichte bzw. auswendig gelernte Basis hat.

  3. #3
    JoHatsu Gast

    Standard

    Zitat Zitat von jkdberlin Beitrag anzeigen
    Wie lernt ihr? Eher Technik, Drillen oder Konzepte?
    Beides - aber mehr mit Betonung auf Konzepte. Neue, ungewohnte Bewegungen drille ich erst einmal, bis das Bewegungsmuster "drin" ist. Sobald ich sie flüssig abspulen kann, kommt das Problem der schnellen Abrufbarkeit. Da fahre ich eigentlich bisher ganz gut damit, indem ich mich an bestimmte Konzepte halte, die ich für mich heraus gefunden habe und die für mich funktionieren.
    Generell würde ich dir nach meinen Erfahrungen zustimmen: Je größer die Auswahl an möglichen Techniken ist, desto eher spielen für mich Konzepte eine Rolle.

  4. #4
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    Standard

    Bei mir war es so, das ich die ersten Jahre fast nur gerollt und durchs rollen gelernt habe, weil ich überhaupt keinen Lehrer hatte und nur von Kassetten gelernt habe. Das hat mir geholfen einfache Dinge zu beherrschen und die halt extrem athletisch durchzuziehen. Die Feinheiten haben gefehlt, aber dafür hatte ich halt die Sparringserfahrung auf meiner Seite.

    Wirklich verstanden habe ich das BJJ aber nicht. Ich wusste das man bestimmte Positionen erreichen muss und von dort aus Submissions machen konnte, aber Feinheiten wie Armhaltungen, usw. waren nicht bekannt.

    Danach kam mit Roy Harris die Phase der unzähligen Wiederholungen. Eine Technik immer wieder üben, bis man sie perfektioniert.

    Was ich dabei aber gemerkt habe, war, das es einfach Techniken gab die einem Lagen und andere die einem nicht Lagen, egal wie oft man sie geübt hat, das hat nix geändert.

    Nach 2008 kam dann für mich die Phase die bis heute andauert. Ich trainiere überhaupt keine Techniken mehr, sondern mache nur einige spezielle Übungen für mich alleine, bzw. Partnerübungen und rolle.

    Techniken zeige ich nur während ich unterrichte. In dieser Phase hab ich komischer Weise die größten technischen Fortschritte gemacht, neue Submissions für mich entdeckt und mein Spiel relativ neu gestaltet.

    Heute sehe ich das Ganze so:

    Der Körper ist wie ein PC und um den PC nutzen zu können, braucht man ein grundlegendes Verständnis.

    Dieses Verständnis erarbeitet man sich im BJJ durch das Drillen von Techniken und das Rollen. Damit bekommt man eine Idee vom BJJ.

    Neben dem Computer, also dem Körper, gibt es aber auch noch das Internet, aus dem man sich alle Informationen ziehen kann, wenn man einen schnellen Zugang hat.

    Für mich ist die Arbeit heute, das ich meinen Körper so trainiere, das ich einen schnellen "Internet" Zugang habe, also das mein Körper so funktioniert, wie er natürlich funktionieren sollte. Dadurch entstehen einfach Feinheiten, oder komplett neue Moves und ich brauch mir keine Gedanken mehr zu machen, der Körper macht das automatisch.

    So unterrichte ich auch. Ich hab für eine Technik keine Feinheiten im Kopf. Ich zeige sie langsam, bzw. erlaube meinem Körper sie frei zu zeigen und dann stoppe ich und erkläre die Details die mein Körper mir gerade zeigt.

    Ich kenne noch von Roy Harris das Gefühl von Techniken überwältigt zu sein und ich konnte nie, egal wie ich mich bemüht habe, BJJ mit dem Verstand meistern, oder es verbessern.

    Als ich angefangen habe, meinen Körper mein BJJ verbessern zu lassen, gingen neue Türen auf.

    Heute sehe ich das so. Mein Partner stellt mir eine Aufgabe und wenn mein Körper frei ist, erschafft er die Antwort aus allen Möglichkeiten.

  5. #5
    Teashi Gast

    Standard

    Zitat Zitat von jkdberlin Beitrag anzeigen
    Beim Gi ist mir die Menge an Stoff (im wahrsten Sinne) einfach zu viel. Ich kann nicht alle Positionen, alle Griffe, jede Drehung, Umgriff, Zug und Schub etc. auswendig lernen und drillen. Das übersteigt meine Fähigkeiten.
    Was ich aber gelernt habe, ist Gi nach Konzept zu kämpfen. So kann ich einen bestimmten Sweep auch machen, wenn ich Griffe "ersetze", woanders greife. Ich habe gelernt, meine Griffe für die gleiche Technik zu variieren, um meine Absicht zu verstecken. Solange wie ich mich an bestimmte Konzepte halte, ist es egal, wie ich die Technik ausführe. Beim No Gi ging das fast nie.

    Geht das anderen auch so oder habt ihr andere Erklärungsmodelle? Wie lernt ihr? Eher Technik, Drillen oder Konzepte?
    Deswegen lernt man im Judo die Prinzipien und nicht die einzelnen Techniken.
    Die schier Anzahl an möglichen Variationen der Techniken, ist fast unmöglich zu erlernen oder braucht sehr viel Zeit.

    Wobei ich merke, das Anfänger eher Techniktraining, also das auswendiglernen, bevorzugen, da sie die Techniken nachmachen. Fortgeschrittene erforschen die Möglichkeiten mehr und mehr selbstständig und erkennen auch die Zusammenhänge.

    Wiederholungstraining (drillen) und Techniktraining sind jedoch nicht zu vernachlässigen, da sie das Prinzipientraining sinnvoll ergänzen. Wobei jeder soll sich das Konzept aussuchen, welches für ihn am besten passt.

  6. #6
    wiesenwurz Gast

    Standard

    Mir ist das auch besonders beim Verteidigen von Submissions aufgefallen. Wenn ich weiß wie eine Submission funktioniert, kann ich sie auf verschiedene Arten verteidigen (oder zumindest verzögern). Auch auf Arten die mir noch kein Coach gezeigt hat.

  7. #7
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    ich hab bei mir (bei jeglichem lernen) festgetsellt, dass ich dinge, die "nur" auswendig gelernt habe, schnell wieder vergesse. wenn ich hingegen das zugrundeliegende konzept verstanden habe, brauche ich auch nach jahren nur kurz die details nachzuschlagen oder zu wiederholen und alles ist wieder da.
    Kannix, 24.06.2010, 14:17 Uhr: "Also ich hab noch oben ein Luftgewehr, ganz normal. Bei Katzen jedenfalls gibts keine sichtbaren Verletzungen"

  8. #8
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    Zitat Zitat von Teashi Beitrag anzeigen
    ...
    Wobei ich merke, das Anfänger eher Techniktraining, also das auswendiglernen, bevorzugen, da sie die Techniken nachmachen. Fortgeschrittene erforschen die Möglichkeiten mehr und mehr selbstständig und erkennen auch die Zusammenhänge.

    ...
    gerade erst gelesen, sehe ich auch so. am anfang muss man gezwungenermaßen nachmachen, auswendig lernen, beispiele kennenlernen. aber nur, um das dahinterstehende prinzip zu verstehen.
    Kannix, 24.06.2010, 14:17 Uhr: "Also ich hab noch oben ein Luftgewehr, ganz normal. Bei Katzen jedenfalls gibts keine sichtbaren Verletzungen"

  9. #9
    Shinobu Gast

    Standard

    Ich denke auch, dass es mit Auswendiglernen anfängt, um die Synapsen zu bilden und je nachdem Drills verwendet werden können um das motorische Gedächtnis zu schulen und zu festigen. Mit dem Verständnis für die Prinzipien und Konzepte würd ich persönlich aber nicht zu spät anfangen, weil es auch ein gewisses Maß an Selbstkorrektur ermöglicht und erleichtert ähnliche, neue Dinge zu lernen. Deshalb mag ichs ganz gern auch mal das Tempo runterzuschrauben um im Detail zu sehen was ich mache und was da so passiert. Da es ja auch um motorisches Gedächtnis geht, nicht bloß um rein kognitives Verstehen, finde ich verschiedene beispielhafte Anwendungsvariationen sehr hilfreich um die Prinzipien ins "Gefühl" zu bekommen.

    Konzepte erleichtern später neben Lernen, finde ich, vorallem auch das sinnvolle und zur Situation passende Anwenden, Kombinieren und die Kreativität in der Anwendung.

  10. #10
    JoHatsu Gast

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