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Thema: Gewalthandhabung im Rettungsdienst

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  1. #15
    yawara Gast

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    [Ich hoffe die Antwort hier wird nicht zu lang ;-)]

    Zunächst mal: Finde ich gut, dass du bewährte sowie leicht erlernbare Konzepte/ Strategien und Taktiken zur Eigensicherung vermittelst - häufig werden m.M. in solchen Kursen Inhalte vermittelt, die jahreslanges Training voraussetzen, unbrauchbar oder unverhältnismäßig sind.

    Ich bin mir allerdings unsicher, ob diese Konzepte nicht besser Teil eines Curriculums sein sollten, mit Schulung in weiteren Maßnahmen zur Gefahrendetektion, zur Einschätzung der Lage (inkl. Gefahrenscreening), zur Eigensicherung und zur Deeskalation sowie zur Entwicklung eines "Gefahren-Radars" (werden diese zusätzliche Skills nicht auch in dem ursprünglichen "Blauer-System" vermittelt?).

    Genauso sollten Einsatzkräfte (noch) mehr über Psycho-Diagnostik lernen, insb. in Kombination mit Selbst- und Fremdgefährdendes Verhalten.

    Die zentrale Frage ist: Warum nehmen die Übergriffe zu?

    Laut Untersuchungen umfasst das Einsatzspektrum von Notärzten und Rettungsdienstmitarbeitern heutzutage im zunehmenden Maße den Umgang mit bzw. die Versorgung von psychisch auffälligen bzw. psychisch Kranken Menschen. Inzwischen stellen diese Patientenkontakte aufgrund psychiatrisch relevanter Symptomatik die zweithäufigste Einsatzursache für den Rettungsdienst dar, direkt nach den internistischen, traumatologischen und neurologischen Notfällen.

    In konkreten Einsatzzahlen: Rettungsdienstmitarbeiter sehen zwischen 160.000 und 290.000 Patienten mit psychiatrisch relevanter Symptomatik pro Jahr. Bei diesen Patienten handelt es sich überwiegend um junge Männer im Alter zwischen 18 – 39 Jahren, bei denen folgende Problematiken bestehen:

    - Alkohol und Drogenassoziierte Störungen (ca. 30-45%)
    - Erregungszustände (ca. 15-25%) und
    - Suizidhandlungen (ca. 15-25%).

    Insbesondere bei der Kombination von Substanzmittelabusus oder akuter Intoxikation mit einer weiteren psychiatrischen Erkrankung, ist von einem erhöhten Maß an Gewaltbereitschaft auszugehen. Des Weiteren kann auch vom sozialen Umfeld des Patienten eine Gefahr für die Rettungsdienstmitarbeiter ausgehen, wenn diese beispielsweise zu notwendigen therapeutischen Maßnahmen (z.B. Einweisung in die Klinik aufgrund einer unmittelbaren Selbstgefährdung des Patienten oder Sicherungsmaßnahmen aufgrund akuter Fremdgefährdung durch den Patienten) greifen müssen.

    By the way: (Drogen-, Medikamenten-, Alkohol-) Intoxikation muss prinzipiell zunächst so lange psychiatrische Notfallsituation mit erhöhter Fremd- und Selbstgefährdung bewertet werden, bis diesbezüglich Entwarnung gegeben werden kann.

    Aggressivität und Gewalttätiges Verhalten tritt selbstverständlich nicht nur bei psychiatrischen Erkrankungen/ psychischen Notfall Situationen auf, sondern kann auch durch neurologische, internistisch-endokrinologische, sowie pharmakologische Ursachen bedingt werden.

    Anbei einige wichtige Merkmale (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), die auf eine erhöhte bzw. wachsende Fremdgefährdung durch den Patienten und/ oder sein Umfeld schließen lassen:

    ►Individuelle Merkmale:
    - Befindet sich der Patient in einer Psychosoziale Krise oder Konfliktsituation?
    - Hat der Patient aktuell wenig Perspektiven bzw. „viel zu verlieren“?
    - Sind vorbestehende psychische Erkrankung bekannt (insb. aus dem schizophrenen Formenkreis und aus dem Erkrankungsbereich Persönlichkeitsstörung)?
    - Steht der Patient unter Medikamenten- oder Drogeneinfluss (i. S. einer Enthemmung bzw. verminderten Steuerungsfähigkeit)?
    - Liegen beim Patienten Wahnerleben oder Halluzinationen vor?
    - Hat sich der Patient bereits zu einem früheren Zeitpunkt gewalttätig bzw. fremdaggressiv verhalten?
    - Spricht der Patient zunehmend lauter oder schreit sogar?

    ►Psychophysiologische Anzeichen:
    - Ist beim Patienten eine zunehmende muskuläre körperliche Anspannung festzustellen (z.B. Ballen der Fäuste, angespannte Kiefermuskulatur, gespannter Gesichtsausdruck,)?
    - Sind beim Patienten vegetative Anzeichen von Stress festzustellen (z.B. gerötetes Gesicht, starkes Schwitzen, Veränderung der Pupillen, „Wutschnauben“, Tachykardie, Dyspnoe)?
    - Ist beim Patienten eine erhöhte motorische Aktivität festzustellen (z.B. Auf- und Abgehen)?

    ►Interaktive Merkmale:
    - Wie zugänglich auf verbale Interventionen ist der Patient?
    - Werden Grenzsetzungen respektiert, Anweisungen befolgt?
    - Spricht der Patient den Anwesenden gegenüber Drohungen aus oder flucht vor sich hin?
    - Zeigt der Patient nonverbale Drohgebärden (z.B. Spucken, mit dem Fuß Aufstampfen, mit dem Gehstock oder anderen Gegenstand drohen)?

    ►situative Merkmale:
    - sind Zeichen von abgelaufener Gewalt erkennbar? (beschädigte Einrichtung, verängstigte oder verletzte Mitmenschen)
    - Wurden Waffen eingesetzt bzw. sind "gefährliche Gegenstände" verfügbar?

    Fakt ist: bei Einsätzen mit psychisch Kranken oder auffälligen Menschen, sowie bei Intoxikation kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Patienten bzw. deren Umfeld mit den Rettungsdienstmitarbeitern kooperieren - häufig muss sogar mit aggressivem Verhalten bis gewalttätigen Übergriffen gerechnet werden.

    Deshalb benötigen Rettungsdienstmitarbeiter verstärkt Kompetenzen in psychiatrischer Diagnostik und Pharmako-Therapie (z.B. "rapid tranquilisation"), sowie in „Psychologischer Erster Hilfe“; dies wird aber bislang in Aus- und Weiterbildung nur unzureichend berücksichtigt. Genauso wenig in entsprechenden Selbstverteidigungskursen.

    Dieses (diagnostische) Wissen in Kombination mit Maßnahmen zur präventiven Eigensicherung sowie den handlungsbezogenen Skills machen m.E. das Konzept rund - wahrscheinlich könnte man auf diese Art und Weise einige Gefahrensituationen im voraus besser einschätzen bzw. früher wahrnehmen, Eigensicherungs- sowie Patientensicherungs-Maßnahmen ergreifen und Eskalationen verhindern.

    Liebe Grüße_Roberto
    Geändert von yawara (21-05-2015 um 13:09 Uhr)

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