Hallo alle zusammen,
ich bin neu hier bzw. glaube ich, ich war vor Jahren schon mal in diesem Forum unterwegs.
Also vorweg: Mir geht es NICHT um Shotokan-Bashing; im Gegenteil. Schließlich betreibe ich diese Kampfkunst zweimal die Woche; und das seit vielen Jahren... aber der Frust und der WTF-Faktor greift auch ein wenig um sich.
Nun könnte ich mir gleichzeitig die Frage stellen: Was will ich überhaupt? Wenn ich eigentlich nur zweimal die Woche in diesen Dorf-Karateverein gehe, damit ich sportlich nicht total einroste und eine Dosis exotische, asiatische Bewegungen mit ganz viel "Oss" und "Kiai" abbekomme, dann müsste doch gut sein, oder?
Aber ich war schon immer jemand, der - bei egal was es ist - zumindest die WAHRHEIT (TM) erfahren möchte.
Ich weiß, da mache ich jetzt ein ganz schönes Fass auf! Außerdem wurde das Thema Shotokan innerhalb der letzten Jahre vermutlich schon mehrmals zu Tode diskutiert.
DKV-Shotokan scheint ja sowieso als Lachnummer angesehen zu werden.
Jetzt sage ich persönlich: Das MÜSSTE aber nicht so sein. Aber wer bin ich denn? Gerade mal den ersten Braungurt um die Jacke und schon den großen Reformator spielen wollen?
Ich meine, man muss ja nicht Bruce Lee gelesen zu haben, um sich zu fragen, was sinnfreie Katas sollen, die NIE wirklich erklärt werden und die (wie im deutschen Schulsystem) nur dazu dienen, damit man die nächste Prüfung besteht.
A propos Deutsches Schulsystem bzw. westliche Leistungsdnenke: Das sehe ich bei den Mitglieder hier auch; in diesem "Hausfrauen- und Rentner Karateverein": Da machen sich diese Anfänger mit Gelbgurt total verrückt und laufen halbgar irgendwelche Katas und machen ihre lächerlichen "Kumite" Übungen, weil sie ja unbedingt den nächsten Gürtel haben wollen.
Was Sie mit diesem "nächsten" Gürtel dann machen, bzw. was sie davon eigentlich haben außer GAR NICHTS, das hinterfragen sie nicht.
Der Verein, in dem ich bin, hat meiner Meinung nach eh die typisch deutsche Vereins-Meierei-Krankheit; soll heißen: Das Bier nach dem Training ist wichtiger als das Training selbst.
Und die ganzen Schwarzgurte feiern sich gegenseitig - und machen alles andere als den Eindruck, dass sie sich noch irgendwie weiterentwickeln wollen.
Wohin auch?
Die Trainer sind inzwischen alle mehr oder weniger im Rentenalter; kommen aber aus einer Generation von Karateka (das erzählen Sie dann doch mit einer gewissen Nostalgie) als das Karate in Deutschland noch neu und fast schon "underground" war. Doch jedes Mal kommt auch irgendwie die große Erkenntnis, dass man "Karate SO ja gar nicht mehr lehren könnte, weil viel zu hart und anspruchsvoll und Verletzungsgefahr zu hoch usw."
Tja, und jetzt? Ist das Karate so langsam dazu verurteilt, ein der Demographie angepasster Gesundheitssport zu werden; oder ist das schon längst der Fall? In dem Dorfverrein hier scheint die deutsche Realität und Mentalität längst angekommen zu sein. War vermutlich nie anders. Nur inzwischen sind die Trainer alt und unflexibel (körperlich UND geistig) und antworten auf Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge mit Sätzen wie: "Ach, das haben wir vor Jahren schon mal probiert... hat keinen Interssiert"
und natürlich Klassikern wie: "Das haben wir schon immer so gemacht."
Und was meine ich mit Wahrheit? Nun, dank des Internets kann man inzwischen unzählige Artikel und auch Videos zu allen möglichen Themen finden. Und wenn man dann so langsam herausfindet, dass das Karate eigentlich schon in Japan mehr oder weniger verhunzt und vereinfacht bzw. versportlicht wurde... und dass auf Okinawa die Sache aber dermaßen anders ausschaut...
Jetzt müsste man sich doch fragen: Wenn die Deutschen (ähnlich den Japanern) doch so Traditionsversessen sind, dann müssten Sie doch mit OFFENEN ARMEN die Erkenntnis begrüßen, dass es ja ein noch VIEL TRADITIONELLERES KARATE (C) gibt!
Doch das Problem mit konservativen Menschen scheint zu sein, dass das, was man selber über Jahrzehnte gemacht hat jetzt nicht plötzlich über den Haufen geworfen werden kann. Wo kämen wir denn da hin? Das könnte ja unbequem oder anstrengend werden? Und es könnte ja die heilige Authorität des Wissens anzweifeln. Sowas hat ja schon fast religiösen Charakter.
Ironischwerweise wären aber doch gerade die höheren, natürlicheren Stände GENAU DAS, was viele ungelenkige Deutsche, die ein paar mal die Woche ein wenig Sport machen wollen, begrüßen würde.
Im Grunde stehen nämlich eh die Meisten (inklusive meiner Wenigkeit) unter aller Sau im Zenkutsu Dachi :-D
Und komisch auch, dass im Einzelgespräch (Trainer wie totale Anfänger) dann doch ganz oft herauszuhören ist, dass dies oder jenes (sei es Kobudo oder ein wenig über den Tellerrand schauen...) eigentlich ganz toll wäre.
Man fragt sich manchmal, WER eigentlich immer dagegen ist... oder ob das nur jeder vom Anderen glaubt... welch Ironie.
Kurz nochmal zum Thema Kata: Der Verein ist seit Jahren ganz schön zusammengeschrumpft (kaum Werbung, NULL Nachwuchs -> Alte Trainer, die sich Kindertraining nicht mehr antun wollen - wobei ich das verstehe... Fünfjährige Kiddies, die nur durch die Gegend hüpfen... wozu?)
Und die Kata-Trainings-Einheiten:
Die Katas, welche man natürlich speziell für die mehrmals im Jahr stattfindenden Gürtelprüfungen ständig durchzieht, sind ja schon ein Witz - aber die Krönung ist dann die Bunkai-Einheit - das, was ich inzwischen als Karate-Theater oder schlechten Ausdruckstanz bezeichne: Da machen dann diese Hausfrauen und Rentner mit ihren Blau- Braun- und Schwarzgurten mehr Schlecht als Recht ihre Bunkai aus der Kata, die man über mehrere Einheiten geübt hat. Mit ALLEM; was schlechte Choreographie ausmacht: Jeder spielt mit, selbst wenn die Angriffe nicht mal eine 90jährige Frau mit Rollator aus den Hausschuhen hauen würde; inklusive zaghaftem Kiai etc. p.p.
Noch besser: Da man solche Techniken im Grunde einbauen kann, werden dann auch WÜRFE! gemacht. Das finden die Schwarzgurte - besonders die Ex-Wettkämpfer - toll - ich find's zum Kotzen. Denn wir üben NIE (!) Fallschule. Aber DANN, wenn man mal so tut, als würde man auch die Techniken des Shotokan üben, die man sonst geflissentlich totschweigt, soll man sich plötzlich professionell auf einen harten Turnhallenboden fallen lassen.
Also, ähem... Trainigsdidaktik schaut anders aus.
Sorry für den Roman hier, aber ich versuche, Lösungen zu finden. Letztlich ist die Konsequenz vermutlich genau jene, dass ich auf Dauer in dem Verein nicht glücklch werde, es sei denn, ich gewöhne mir das Biertrinken an und finde mich damit ab, dass Bayerisches-Shotokan eben mehr mit Vereinsgetue zu tun hat, als mit Kampfkunst aus Okinawa.
Ich weiß jetzt auch nicht, wie viele von Euch in ihrem Dojo ein Makiwara stehen haben - oder wer auch Kobudo-Waffen ins Training einbringt?
Als ich neulich mal einem der alten Trainer den Spruch "Ein Dojo ohne Makiwara ist kein Dojo" nahe bringen wollte, wurde ich nur blöd angeschaut. Er fühlte sich wohl nicht beleidigt oder kritisiert - es kam vielmehr so rüber wie: "Was willst DU denn, du hast doch keine Ahnung"
In der Tat - ich HABE keine Ahnung - und davon jede Menge! Aber ich suche nach Möglichkeiten, wie man aus keine Ahnung viel Ahnung machen kann.
Also, zum Schluss - da war jetzt ganz viel Auskotzen dabei; aber mein Anliegen ist es, dass ich gerne hören würde, wie es bei Euch im Dojo so läuft? Ich will das Shotokan nicht mal hinschmeißen. Ich will weder kämpfen, noch auf Kata-Meisterschaften gehen.
Aber ich will bzw. würde gerne diese schöne Kampfkunst so trainieren, wie es mal gedacht war - und nicht eine mehrmals verwässerte Version, auf der sich irgendwelche alte Herren ausruhen.
In diesem Sinne.