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Thema: Angst vor Kriminalität?

  1. #1
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    Standard Angst vor Kriminalität?

    Habe einen interessanten Bericht über Kriminalität und die Angst davor gefunden.
    Der Link: http://www.rrz.uni-hamburg.de/kriminol/lehne/evak96.htm
    Hab den Text aber trotzdem hierein kopiert, da man ja nie weiss, wie lange ein Link exisitiert.

    Hier der Bericht:



    Manuskript eines Vortrags, gehalten in der Evangelischen Akademie Hamburg, 9. Juli 1996

    Werner Lehne

    Bangemachen gilt nicht - Kriminalität und Unsicherheit in der Großstadt
    Steigende Kriminalität, wachsende Unsicherheit, zunehmende Störungen der öffentlichen Ordnung - Das alles sind Themen, die bezogen auf den städtischen Lebensraum regelmäßig diskutiert werden und quasi zum Standardrepertoire der Selbstproblematisierung der Großstadt gehören.

    Genauso wie es diese Problematisierungsroutinen gibt, gibt es ein Spektrum an routinemäßig vorgebrachten Problemlösungsstrategien. Ganz grob kann man zwei Linien unterschieden:

    - Die traditionelle Variante: verstärkte Polizeipräsens, härtere Bestrafung, Einführung neue Straftatbestände, erweiterte Befugnisse der Polizei;

    und

    - Die "sozialdemokratische" Variante: Kriminalprävention, Bürgerbeteiligung, Bearbeitung der sozialen Ursachen der Kriminalität.

    Man kann es natürlich auch mit B. Brecht halten, der einmal gesagt haben soll: "Haben sie Angst vor Kriminalität? Wechseln Sie Ihre Tageszeitung!"

    Was hat es mit Unsicherheit und Kriminalität wirklich auf sich?

    Ist die Großstadt tatsächlich ein Hort besonderer und zunehmender Unsicherheit und Kriminalität?

    Worin genau bestehen die konkreten Gefahren und Probleme für die BürgerInnen?

    Sind Polizei und Strafrecht die richtigen Antworten?

    Wie könnten Alternativen einer angemessen und gesellschaftsverträglichen Problembearbeitung aussehen?

    Das sind im Groben die Fragen, auf die ich in meinem Vortrag eingehen werde.

    Zu meiner ersten Frage:

    Was hat es also mit steigender Kriminalität und Unsicherheit in der Großstadt auf sich?
    Vorbemerkung:

    Wenn ich von Unsicherheit in Abgrenzung von Kriminalität spreche, dann verstehe ich unter Unsicherheit die subjektive Qualität des Sich-unsicher-Fühlens von Bewohnern der Großstadt. Diese Unsicherheit ist es, die für das Leben und den Alltag relevant ist, die uns ggf. beeinträchtigt und unsere Lebensqualität beeinträchtigt und die von daher besondere Aufmerksamkeit verdient.

    Davon abzugrenzen sind "objektive" statistische Sicherheitsrisiken wie sie sich aus der polizeilichen Kriminalstatistik ableiten lassen, die sogen. objektive Sicherheitslage.

    Ich vertrete in diesem Zusammenhang die in der Wissenschaft inzwischen weitgehende konsentierte These, daß subjektive Unsicherheit und Kriminalität zwei nur sehr lose miteinander verbundene Phänomenbereiche sind. Nicht nur, daß Sicherheitsrisiken z.B. für Leib und Leben oder für das persönliche Eigentum nur zu einem begrenzten Teil überhaupt etwas mit Kriminalität zu tun haben (man denke an Risiken wie Unfälle, Arbeitslosigkeit, Krankheiten); auch dort, wo ein Bezug zur Kriminalität besteht, also z.B. bei der Angst, überfallen zu werden, ist das subjektive Sicherheitsgefühl keineswegs schlicht der subjektive Niederschlag der objektiven Kriminalitätslage, sondern speist sich zusätzlich aus vielen anderen Quellen, führt oft sogar ein autonomes Eigenleben. Ich komme darauf später zurück.

    Aus den genannten Gründen werde ich also die Themen Unsicherheit und Kriminalität auseinanderhalten und nacheinander behandeln.

    Kriminalitätslage und Kriminalitätsentwicklung am Beispiel Hamburg

    Im Jahre 1994 wurden der Polizei in der Großstadt Hamburg 260.000 Straftaten bekannt, das sind rechnerisch 15 Straftaten pro 100 der Bevölkerung. Im Flächenland Niedersachen entfielen im gleichen Jahr nur halb so viele, nämlich 7,7 Strataten auf 100 der Bevölkerung.

    Registrierte Kriminalität ist also statistisch gesehen, wie allgemein vermutet wird, in Großstädten tatsächlich besonders ausgeprägt

    Warum das so ist, darauf kommen wir später zurück.

    Betrachtet man die Kriminalitätsentwicklung in den letzten 10 Jahren (1984-1994), dann liegen die Zahlen heute, wohl entgegen der allg. Wahrnehmung, leicht unter denen von damals (16/100 zu 15/100). (im Bundesgebiet Anstieg von 6,9 auf 7,7 = +12%) Innerhalb dieses Zeitraums gab es zwar phasenweise erhebliche Anstiege (z.B. 1992), diese wurden durch erhebliche Rückgänge in anderen Jahren (z.B. 93 u. 94) aber wieder ausgeglichen. Nimmt man längere Zeitspannen von 20, 40 oder noch mehr Jahren, so findet sich insgesamt allerdings ein kontinuierlicher und erheblicher Anstieg.

    Die Geschichte der Kriminalitätsregistrierung ist eine Geschichte des Kriminalitätsanstiegs. Interessanterweise fallen die stärksten Anstiege nicht in die Phasen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Krise sondern im Gegenteil in die der Prosperität. Entsprechend drängt sich eine Lesart der Kriminalitätsentwicklung auf, die Kriminalitätsanstiege nicht primär als Krisenphänomen, sondern als Modernisierungs-, Urbanisierungs- und Wohlstands-Begleiterscheinung versteht. In diesem Sinne ließe sich dann auch der Kriminalitätsanstieg in der ehemaligen DDR etwas anders als nur als Übergangsphänomen verstehen - nämlich u.a. als unvermeidlicher Preis für die Anpassung an die Prinzipien der sog. Wohlstandsgesellschaft, an die Prinzipien der Marktwirtschaft etc.

    Man könnte diese Überlegungen sogar so weit treiben, daß man behauptet, daß die aktuelle gesellschaftliche Krise sich in dem Nicht-Vorhandensein eines Kriminalitätsanstiegs ausdrücken und nicht wie allg. behauptet, in einer dramatischen Zuspitzung.

    Kommen wir aber von der Ebene der gesellschaftdiagnostischer Lesarten der langfristigen Kriminalitätsentwicklung zurück auf die aktuelle Situation.

    Es kann festgehalten werden, daß Kriminalität zwar im großen zeitlichen Rahmen ständig zunimmt und starken kurzfristigen Anstiegen und Abnahmen ausgesetzt ist, daß die Lage sich aber entgegen der verbreiteten Wahrnehmung heute nicht dramatischer als vor 10 Jahren darstellt.

    Es muß vielmehr sogar von einer Entspannung in den letzten Jahren gesprochen werden.

    Aber was genau bedeuten solche Zahlen?

    Die Gesamtzahl der registrierten Straftaten sagt sehr wenig aus, werden dort doch völlig verschiedene Sachverhalte in einen Topf geworfen und zusammengezählt. Eine angezeigte Schwarzfahrt schlägt hier z. B. mit dem gleichen Gewicht zu Buche wie ein Mord. Es gilt entsprechend zu differenzieren und die Äpfel und Birnen, die in einen Topf geworfen wurden, wieder auseinander zu sortieren. Dazu einige Punkte:

    1.) Viele der registrierten Straftaten beinhalten keine direkte Beeinträchtigung der BürgerInnen. In der Kriminologie spricht man von opferlosen Delikten (Fehlen eines individuellen Opfers): Ladendiebstahl (13%), Leistungserschleichung (Schwarzfahren) (4%), Verstöße gegen das Betäubungsmittel- oder Ausländer- und Asylgesetz (5%).

    Über 20% der gesamten Kriminalität sind solche "opferlosen" Delikte, die die Normalbevölkerung nur sehr vermittelt betreffen.

    2.) Hinter den reg. Straftaten verbergen sich Schädigungen sehr unterschiedlicher Schwere. Über 60% aller Registrierungen entfällt z.B. auf verschiedene Formen des Diebstahls. Allein der Diebst. aus Kfz und der Fahrraddiebstahl machen zus. 20% aller K. aus.

    Ohne Frage sind solche Vorkommisse ärgerlich, mit Kosten und speziell mit Zeitaufwand und Nervereien verbunden (Anzeige bei der Polizei, Meldung an die Versicherung, Wiederbeschaffung bzw. Reparatur etc.). Zweifellos ist diese Problematik ernst zu nehmen und zu überlegen, wie auf eine Abnahme solcher Schädigungssituationen hingewirkt werden kann.

    Gleichzeitig darf man aber auch nicht vergessen, daß angesichts von Versicherungsleistungen der Schaden für den einzelnen meist in Grenzen bleibt und die Sicherheit bzw. das Sicherheitsgefühl im eigentlichen Sinne von solchen Vorkommissen nicht berührt wird. Man mag zwar befürchten, daß das Fahrrad gestohlen wird, sich ärgern etc., hat aber keine Angst im eigentlichen Sinne, fühlt sich deswegen nicht unsicher.

    3.) Was an sicherheitsrelevanten, über materielle Schädigungen und Ärgernisse hinausgehenden Delikten bleibt, sind Kriminalitätsformen wie schwere/gef. Körperverletzung, Handtaschen- und Straßenraub, Vergewaltigung, Tötungsdelikte und Wohnungseinbrüche.

    Aber selbst hier ist eine Differenzierung und Relativierung angeraten!

    Schaut man sich diese Deliktbereiche näher an, dann fällt erst einmal auf, daß diese Delikte zahlenmäßig relativ selten sind, je schwerwiegender um so seltener: Tötungen= 7/100.000, Vergewaltigung = 15/100.000

    (Handtaschenraub=35/100.000, schwere Körperverletzung=150/100.000, Straßenraub 159/100.000, Wohnungseinbruch 667/100.000.)

    Wichtiger noch als diese relative Seltenheit sind aber zusätzliche, zu den einzelnen Delikten noch jeweils anzumerkende spezifische Einschränkungen:

    - Vergewaltigungen gibt es zwar mit Sicherheit in noch größerem Umfang als registriert (nicht angezeigt), es ist allerdings nur ein ganz kleiner Teil davon, der unter Fremden überfallartig in der Öffentlichkeit stattfindet (ca. 25%, dabei 50% Versuche). Das ändert nichts an der Ernsthaftigkeit des Problems, macht aber deutlich, daß die Angst vor überfallartiger Vergewaltigung in der Öffentlichkeit keine Basis in einem entsprechenden objektiven Risiko hat. Das Vergewaltigungsrisiko ist in der Familie und innerhalb von mehr oder weniger engen Beziehungen entschieden größer als in der anonymen Öffentlichkeit, dort (im sozialen Nahraum) müssen Maßnahmen ansetzten, die der Reduktion des objektiven Risikos dienen sollen.

    - Auch bei der schweren/gefährlichen Körperverletzung findet nur ein Bruchteil in der Öffentlichkeit unter Fremden statt. Meist handelt es sich um Auseinandersetzungen zwischen Männern bzw. männl. Jugendlichen innerhalb bestimmter Milieus, Milieus, die die Opfer in Kenntnis des Risikos aufsuchen und wo sie oft die körperliche Auseinandersetzung selbst suchen und an ihr teilhaben.

    Anders sieht es für Personen aus, die durch ihr Aussehen oder Auftreten zu den Zielgruppen gewalttätiger Gruppierungen gehören: z.B. Schwule, Ausländer, Obdachlose. Personen dieser Gruppen sind einem erhöhten und erheblichen Risiko in der Öff. ausgesetzt.

    "Otto Normalverbraucher" ist in seinem normalen Lebensumfeld relativ wenig gefährdet, körperlich angegriffen und verletzt zu werden, Frauen noch weniger.

    - Der Straßenraub fällt von daher etwas aus dem Rahmen, als er anders als die sonstigen Delikte, die in den letzten 10 Jahren rel. konstant waren, stark angestiegen ist (Verdreifachung der Häufigkeit). Aber auch hinter dem Straßenraub verbergen sich sehr unterschiedliche soziale Ereignisse, wobei die Situation eines entsprechenden Angriffs im normalen Lebensumfald des/der DurchschnittsbürgerIn die Seltenheit ist. Besonders ins Gewicht fallen hier wieder Auseinandersetzungen in spez. Milieus (Drogenszene, Rotlichtbezirke), Zechanschlußraube, und scheinbar zunehmend die Jagd nach den Statussymbolen der Kommerzkultur unter Jugendlichen und Gruppen von Jugendlichen (Mützen, Jacken etc.), die Demonstration von Männlichkeit und Macht in bestimmten Segmenten der Lebenswelt männl. Jugendlicher.

    Auch hier also wieder ein weitgehend personen- und situationsspezifisches Risiko.

    - Der Handtaschenraub ist ein Delikt, das kulturbedingt überwiegend Frauen und speziell ältere Damen betrifft. Das Aufkommen ist heute ungefähr so groß wie vor 10 Jahren. Die Dramatik des Ereignisses variiert sehr stark und ist abhängig von der Brutalität der Täter, dem Widerstand des Opfers und von Zufälligkeiten des Geschehens (z.B. Verletzungen in Folge eines Sturzes). Ohne Frage haben wir es hier mit einer besonders unglücklichen Konstellation zu tun, da gerade besonders verletzliche und wehrlose Gesellschaftsmitglieder eine besondere Tatgelegenheit bieten.

    - Der Wohnungseinbruch ist an der Schwelle zwischen einem reinen Eigentumsdelikt mit nur materiellem Schaden und einem sicherheitsrelevanten Eingriff in die Privatsphäre anzusiedeln. Er hat nicht mit dem Sicherheitsgefühl in der Öffentlichkeit, aber einiges mit dem generellen Sicherheitsempfinden im Alltag zu tun. Dank besserer Sicherungstechnik sind hier in den letzten Jahren Rückgänge zu verzeichnen und liegt das Niveau heute niedriger als vor 10 Jahren. Ansatzpunkte der Erhöhung von individueller Sicherheit liegen hier primär im Bereich der Taterschwerung und Sicherungstechnik.

    All dies zusammengenommen kann man sagen, daß das objektive Risiko für den/die NormalbürgerIn in ihrem/seinem normalen Lebensumfeld Opfer einer sicherheitsrelevanten Straftat zu werden, begrenzt ist, auf jeden Fall begrenzter, als die Zahlen suggerieren, und daß sich dieses Risiko in den letzten 10 Jahren eher reduziert hat. Gemessen an anderen Risiken für Gesundheit, Eigentum, Leben und Wohlergehen relativiert sich Kriminalität noch einmal zusätzlich.

    Die Relativität krimineller Gefahren angesichts anderer Risiken wird auch sehr gut in Bevölkerungsbefragungen deutlich. Werden Menschen befragt, was für sie die größten Probleme, Gefahren- und Besorgnisquellen sind und wird ihre Aufmerksamkeit dabei nicht auf Kriminalität gelenkt, dann rangieren Kriminalitätsrisiken hinter Problemen wie Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit.

    Wird hingegen das Thema Kriminalität als Antwortmöglichkeit vorgegeben, dann rückt es häufig an die erste Stelle. In diesem Fall wird offensichtlich eine Problematisierungsroutine reproduziert, die in der öffentlichen Diskussion sehr prominent und beeindruckend ist. Das Einstimmen in die allg. Klage der wachsenden Kriminalität bedeutet nicht, daß die entsprechenden Personen sich persönlich stärker gefährdet sehen.

    Trotz aller Einschränkungen haben wir es auch bei den Kriminalitäsrisiken natürlich mit nicht wegzudiskutierenden Schädigungen und Ärgernissen zu tun und muß sich die Frage nach angemessenen Gegenmaßnahmen gestellt werden.

    Brauchen wir vielleicht doch mehr Polizei, härtere Strafen, erweiterte Befugnisse der Polizei, um diese Risiken zu minimieren?

    Ich meine nein!

    Polizei und Strafrecht haben zumindest unter den Bedingungen ihrer Finanzierbarkeit und der Gesellschaftsverträglichkeit der Bekämpfungsmaßnahmen für eine nicht-totalitäre Gesellschaft, nur sehr begrenzte Möglichkeiten, das Kriminalitätsaufkommen wesentlich zu beeinflussen.

    Straftaten direkt verhindern kann die Polizei naturgemäß so gut wie gar nicht, wird sie doch in aller Regel und ihrem Auftrag gemäß erst dann eingeschaltet, wenn eine Tat bereits geschehen ist.

    Gemäß dem offiziellen Selbstverständnis des strafrechtlichen Programms soll Strafverfolgung dadurch Kriminalität reduzieren, daß über die Bestrafung erwischter Täter der Täter selbst, und auch andere potentielle Täter von entspr. Taten für die Zukunft abgeschreckt werden. Außerdem soll Kriminalität dadurch reduziert werden, daß die verletzte Norm symbolisch verdeutlicht und daß der Täter im Strafvollzug resozialisiert wird.

    Jenseits der massiven Zweifel an der Resozialisierungsfunktion des Strafvollzugs kann man vielleicht davon ausgehen, daß speziell der "generalpräventiven" Wirkung eine gewisse Bedeutung zukommt - sprich ohne Strafandrohung und exemplarische öffentliche Bestrafung vielleicht doch mehr Leute die eine oder andere Straftat begehen würden.

    Wie kann diese Wirkung aber intensiviert werden? Nach der einschlägigen Forschung am ehesten über eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos, nicht über eine Verschärfung der Strafe. Genau da sind der Polizei aber klare Grenzen gesetzt. In der Regel hängt es nicht primär von der polizeilichen Arbeit, sondern von der Zulieferung von verwertbaren Informationen durch Opfer und Zeugen (häufig Nennung TV) ab, ob ein Fall aufgeklärt werden kann oder nicht.

    Liegen solche Informationen, wie in etwa der Hälfte aller Straftaten, nicht vor - weil es sich um einen unbekannten Täter handelt und keine relevanten Spuren vorhanden sind -, dann hat die Polize mit vertretbarem und finanzierbarem Aufwand keine Chance, den Täter zu ermitteln. Eine gewisse Ausnahme stellen vielleicht wenige ausgewählte spektakuläre Fälle (Reemtsma, Mordfälle etc.) dar, bei denen mit enormem Aufwand ermittelt wird. Ein solcher Aufwand bezogen auf die Massenkriminalität würde aber mit Sicherheit den Staatsbankrott bedeuten.

    Prinzipiell denkbare Ansätze, diese Misere zu verändern, führen zwangsläufig in eine andere, eine totalitäre Gesellschaft, in den Polizeistaat.

    Jede offene Gesellschaft muß mit einem bestimmten Maß an Kriminalität leben, das weniger Ergebnis der Effektivität der Strafverfolgung als der vielschichtigen Gesamtbeschaffenheit der Gesellschaft ist. Die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Kriminalität ist eine totalitäre, eine terroristische (F. Sack).

    Sozusagen das Gegenprogramm zum Ausbau des Repressionsapparates, der Königsweg der gesellschaftlichen Reaktion auf Kriminalität, bestünde natürlich in der Beseitigung der gesellschaftlichen und sozialen "Ursachen" von Kriminalität. So gut das auch klingt, ist es doch ein Ansatz, der wenig Chancen auf Überführung in folgenreiche Politik hat. Was sind denn die gesellschaftlichen Ursachen der Kriminalität? Armut? Soziale Benachteiligung und Ungleichheit? Ungünstige Lebensbedingungen? Defizite im Schulsystem und in der familiären Erziehungen? Mangelnde Lebensperspektiven? Ungleiche Chancenverteilung?

    Das alles sind natürlich Defizite, deren Behebung, u.a. zum Zwecke der Reduktion von Kriminalität eingeklagt werden kann und auch muß; aber daß wir diese Defizite haben, hat leider weniger damit zu tun, daß die Zusammenhänge zum Kriminalitätsaufkommen oder zu anderen Negativfolgen unbekannt sind - es hat mehr zu tun mit grundsätzlichen Strukturen, mit konkurrierenden Zielsetzungen und Interessen, mit Fragen der Finanzierbarkeit etc. Kriminalitätsursachen sind keine isolierbaren Pathologien der Gesellschaft. Es handelt sich um die notwendigen Begleiterscheinungen von dem, was als moderne, offene Gesellschaft, als Wohlstandsgesellschaft, als Marktwirtschaft etc. positiv besetzt ist und als erstrebenswert gilt. Nur ein Umdenken genereller Natur, ein grundlegender Umbau der Gesellschaft böte hier eine langfristige Chance der Bearbeitung der Kriminalitätsursachen, vielleicht wären aber auch nur andere Erscheinungsformen der Kriminalität die Folge.

    Das sind natürlich keine Argumente, eine solche Diskussion, die ich als Gesellschaftskritik bezeichnen würde, nicht zu führen. Ganz im Gegenteil: natürlich ist eine permanente Selbstreflektion darüber, ob die Gesellschaft und speziell bestimmte Segmente derselben, so beschaffen sind, wie es anzustreben wäre, ganz wichtig. Ist ein Prinzip des Wirtschaftens und der Verteilung gesellschaftlichen Reichtums, das zwar auf der einen Seite zu relativem Wohlstand für viele führt, aber auf der anderen Seite notwendig auch zu massenhafter Armut und Arbeitslosigkeit, zu extremer sozialer Ungleichheit und letztlich auch zu bestimmten Kriminalitätsformen führt, tatsächlich das, was es zu verteidigen gilt? Jede Gesellschaft hat die Kriminalität, die sie selbst produziert - entweder müssen diese Kosten inkauf genommen, oder die Gesellschaft grundlegend umgestaltet werden.

    Vielleicht ist eine solche Beschäftigung mit dem Thema Kriminalität sogar von zentraler Bedeutung. Mein Argument ist nur, daß solche Diskussionen über soziale Ursachen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen auf einer Ebene angesiedelt sind, die kurz- und mittelfristig keine Chance auf realisierbare Konsequenzen in Form praktischer Maßnahmen hat. Entsprechend bietet diese Ebene kaum Ansatzpunkte für praktische bzw. praktikable Alternativen im Bereich innere Sicherheit.

    Praktische Alternativen müssen vielmehr von der Realität ausgehen, daß Kriminalität in der existenten Form der unvermeidliche Preis unserer real existierenden Gesellschaft ist, und es gilt nach pragmatischen Möglichkeiten der Steuerung, Schadensbegrenzung und Milderung der damit verbundenen Schädigungen zu suchen. Vor allem geht es dabei auch um die Suche nach Maßnahmen, die nicht selbst wiederum zu neuen, vielleicht noch größeren Problemen und Beeinträchtigungen, die nicht in den Polizeistaat führen.

    Vieles in dieser Richtung existiert bereits und kann ausgebaut werden:

    - Maßnahmen der Schadensbegrenzung für den Einzelnen, z.B. über Versicherungen und Opferhilfeeinrichtungen.

    Dabei wird der Gesamtschaden zwar nicht reduziert, aber besser auf alle verteilt und für die Einzelnen verkraftbarer.

    - Technoprävention: In einigen Bereichen (spez. Diebstahl und Einbruch) ist zweifellos durch technische Maßnahmen der Taterschwerung (Wegfahrsperren, bessere Schlösser, gesicherte Fenster etc.) eine erhebliche Reduzierung des Opferrisikos möglich.

    Auch hier darf man sich natürlich nichts vormachen: solche Maßnahmen haben oft nur einen Verdrängungs- oder Verlagerungseffekt. Trotzdem sind solche Strategien in dem Sinne geeignet, daß sie die Möglichkeit bieten, sowohl für besonders sensible Bereiche wie die Wohnung als auch für besonders besorgte/geängstigte/wehrlose Bürger zu einer erheblichen Reduzierung des individuellen Opferrisikos beizutragen.

    - Verhaltensanpassung: Eine Möglichkeit, das Risiko, Opfer bestimmter Kriminalitätsformen zu werden, zu reduzieren, kann auch in individuellen Verhaltensanpassungen bestehen. Wer ausschließen will, Opfer eines Handtaschenraubes zu werden, kann darauf verzichten offen eine Handtasche zu tragen. Wer das Überfallopfer reduzieren will, meidet die einschlägigen Gegenden und Milieus. Das ist u.U. unzumutbar, wenn es etwa bedeuten würde, die Mobilität und Teilhabe am öffentlichen Leben massiv zu reduzieren, kann aber auch unproblematisch sein, wen es darum geht, nachts Gegenden zu meiden, die für das eigene Leben keine Bedeutung haben.

    Das mag alles etwas zynisch oder resigniert klingen, ist aber in meinen Augen gar nicht so abwegig. Vergegenwärtigt man sich einmal den Umgang mit Risiken für Leib, Leben und Eigentum in nicht kriminellen Gefahrenbereichen, dann wird deutlich, daß Strategien der Meidung (unter Verzicht auf bestimmte Dinge oder verbunden mit Kosten), Strategien der Schadensbegrenzung ebenso wie bewußtes Inkaufnehmen der Risiken ganz gängige Reaktionsweisen sind, die jeweils individuell ausbalanciert werden.

    Kriminelle Schädigungen sind ein Form von Lebensrisiken in modernen offenen Gesellschaften und es sollte damit in gleicher Weise umgegangen werden wie mit den sonstigen Gefahren und Risiken auch. Auf der einen Seite ist natürlich nach Hintergründen und Gegenmaßnahmen zu fragen, auf der anderen Seite gilt es aber auch, mit diesen Risiken sich einzurichten und kompetent umzugehen.

    Bevor ich auf das Thema Unsicherheitsgefühle komme, ganz kurz ein Einschub:

    Wieso das erhöhte Aufkommen an Kriminalität in der Großstadt?
    Die Konzentration reg. Kriminalität in der Großstadt ist Folge der spez. Lebensbedingungen undzwar der Lebensbedingungen, die auch die Attraktivität der Großstadt ausmachen:

    - In der Großstadt existieren andere Struktur der sozialen Kontrolle (in der Anonymität der Großstadt wird stärker formell über Anzeige als informell reagiert, Bsple: Diebst. im Tante-Emma-Laden, Diebstahl unter Kindern etc.)

    -Anonymität: durch die Anonymität in der Öffentlichkeit sind Delikte wie KFZ-, Fahrraddiebstahl, Wohnungseinbruch etc. leichter möglich ohne aufzufallen. Es stehen z.B. auch mehr Autos und Fahrräder auf der Straße statt in der Garage

    - Heterogenität versch. Bevölkerungsgruppen führt zu Konflikten und geringerem sozialem Zusammenhalt

    - Spez. Milieus: Rotlich-Viertel, Drogenszene, soziale Brennpunkte bringen zusätzliche Gelegenheiten und Probleme

    - Andere Gelegenheitsstruktur für bestimmte Straftaten: z.B. massiertes Vorhandensein von Selbstbedienungsläden, von ÖPNV

    - Jugend in der Großstadt: Einkaufszentren, Innenstadtbereiche als Erlebniswelt von Kindern und Jugendlichen

    Zweiter Abschnitt:

    Unsicherheit und Ordnungsprobleme in der Großstadt
    Wie ich am Anfang bereits angesprochen habe, betrachte ich Unsicherheit als eigenständige Problemlage jenseits von Kriminalitätsproblemen.

    In der Kriminologie ebenso wie in der Kriminalpolitik hat das Thema subjektive Sicherheit in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Traditionell wurde diese Thematik in der Wissenschaft unter der Überschrift Kriminalitätsfurcht bearbeitet und sich dafür interessiert, welche Bevölkerungsgruppen besonders unter KF leiden und ob die KF auf Opfererfahrungen und objektivem Kriminalitätsrisiko basiert.

    In der Regel wurden zu diesem Zwecke Menschen gefragt, ob sie, wenn sie abends allein in ihrem Viertel draußen unterwegs sind, Furcht verspüren, sich unsicher oder sicher fühlen.

    Die Ergebnisse waren relativ einheitlich, es sind speziell Frauen und speziell alte Menschen, die in solchen Befragungen verstärkt Unsicherheit äußern. Die Unsicherheit ist relativ unabhängig von entspr. Erfahrungen und widerspricht dem objektiven Opferrisiko, denn gerade alte Menschen und Frauen haben zwar die meiste Angst, sind statistisch aber am wenigsten gefährdet. Entsprechend wurde vom Kriminalitätsfurcht-Paradox gesprochen - die mit dem geringsten Risiko haben die größte KF.

    (Beispielergebnisse für Deutschland: ca. 35% haben Angst; 50% der Frauen; 20% der Männer)

    Diese Forschungen sind auf der einen Seite grundsätzlich zu kritisieren. Was mit der gestellten Frage erfaßt wird, ist nicht die Furcht vor Kriminalität, sondern sind subjektive Unsicherheitsgefühle bei Dunkelheit, allein und in der Öffentlichkeit. Daß für die Sicherheitsempfindungen in diesem Kontext die begründete Angst vor Überfällen nur eine unbedeutende Angstquelle ist, ist offensichtlich und erwartbar - kein Paradox. Man denke nur an die verbreitete Angst, allein in den dunklen Keller oder Wald zu gehen, eine Angst, die wenig mit objektiven Risiken und Kriminalität zu tun hat, sondern eher mit der Unübersichtlichkeit der Situation, mit dem Alleinsein, mit Angstphantasien etc.

    Auf der anderen Seite zeigen diese Ergebnisse entsprechend aber auch, daß subjektive Sicherheit der Bevölkerung eben nur sehr begrenzt mit der Kriminalitätslage zu tun hat und sie daher auch kaum durch Kriminalitätsbekämpfung reduziert werden kann. Es sind offensichtlich vielfältige Umstände, aus denen sich dieses Gefühl speist:

    Es sind

    - die eigenen Phantasien von dem, was einem zustoßen könnte (bei Frauen spez. Vergewaltigung u. sex. Beläst., sonst Überfälle)

    - die eigene Einschätzung, wie man solche Ereignisse verarbeiten könnte, wie gut man ihnen gewachsen wäre (alte Menschen schätzen sich z.B. i.d.R. als besonders verletzlich und wenig wehrhaft ein, Frauen haben besonders ausgeprägte Angst vor der Traumatisierung durch Sexualdelikte)

    - verschiedenste Merkmale des sozialen Raumes, in dem sich jemand bewegt: gibt es dort Personen, die einem verdächtig, gefährlich vorkommen? Ist die Gegend verlassen oder herrscht große Anonymität, so daß niemand zur Hilfe kommen würde, wenn etwas passiert? Ist die Gegend dunkel und unübersichtlich oder gut beleuchtet und übersichtlich? Wie wird der Zustand der Gegend eingeschätzt - intakte Wohngegend oder heruntergekommenes Viertel?

    Speziell für den letztgenannten Punkt - die Wahrnehmung des sozialen Raumes - scheinen Ordnungsfragen eine große Bedeutung zu haben. Verschmutzungen, Gruppen von verdächtig oder befremdlich wirkenden Personen (Jugendliche, Ausländer, Drogenabhängige, Obdachlose, Bettler), angeblich sogar Graffities an den Wänden werden von vielen Menschen als Signale für Verfall, für mangelnden Zusammenhalt im Viertel und mangelnde soziale Kontrolle, für Bedrohung gesehen und in Unsicherheitsgefühle umgesetzt.

    Diese Unsicherheits- oder besser Verunsicherungsursachen haben im Grunde nichts mit Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung zu tun und bewegen sich eher auf folgenden Ebenen:

    - der Ebene der Gestaltung, Pflege und Instandhaltung des öffentlichen Raumes

    - der Ebene des Verhältnisses zwischen Anwohnergruppen mit verschiedenen Lebensstilen und Ordnungsvorstellungen

    - der Ebene des sozialen Zusammenhalts, der informellen Sozialkontrolle und wechselseitiger Unterstützungsbereitschaft.

    Zu polizeibedürftigen Problemen werden diese Phänomene dann, wenn ihre Verursachung einer bestimmten Gruppe, meist von Außenseitern, zugeschrieben wird und diese als Störer polizeilich verdrängt oder sonstwie in Schach gehalten werden sollen. Das finden wir aktuell z.B. in St. Georg, wo die Mitglieder der sog. offenen Drogenszene für die Probleme im Stadtteil verantwortlich gemacht und polizeilich unter Druck gesetzt werden, mittels sog. Platzverweise und Ingewahrsamnahmen.

    Diese, in meinen Augen bedenkliche Linie der Bearbeitung von Sicherheits und Ordnungsproblemen in problembelasteten Großstadtquartieren, ist in den USA verbreiteter und kann dort in fortgeschrittener Form beobachtet werden.

    Dort hat sich eine Sicherheitsphilosophie durchgesetzt, die den angesprochenen Ordnungsproblemen (Verschmutzungen, Vandalismusschäden, Graffities, Bettler, Junkies, Alkoholiker etc.) zentrale Bedeutung für die gesamte Sicherheitslage im Viertel zuschreibt, sowohl für die subjektive Sicherheit als auch für die Kriminalitätslage.

    Es wird davon ausgegangen, daß all diese Unordentlichkeiten Symbole bzw. Elemente des Niedergangs des Gemeinwesens seinen und dazu führen würden, daß die anständigen Bewohner sich unsicher fühlen, sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, ggf. sogar aus dem Viertel wegziehen und so die Straßen den anderen, den Kriminellen, den Störeren etc. überlassen werden. So drohe ein ganzes Viertel zu kippen und jede kleine Unordentlichkeit sei ein Mosaikstein dieser erheblichen Gefahr.

    Um dieser Spirale des Verfalls entgegenzutreten, wird gegen die Verursacher der Störungen mit polizeilichen Mittels intensiv vorgegangen. Wer in einem Stadtteil nichts zu suchen hat, wird vertrieben, wer zu den ansässigen Problemgruppen gehört, hat sich an klare Vorgaben zu halten, wo er betteln, nächtigen, sich aufhalten darf, ansonsten wird er inhaftiert oder zumindest vertrieben.

    Die Logik dieser Politik besteht in einer Trennung zwischen anständigen Bürgern auf der einen und Störern auf der anderen Seite.

    Was ist an einer solchen Sicherheitspolitik so problematisch? mag sich der eine oder andere fragen

    M.M.n. liegt das Problem in der Ideologie der Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen, der Differenzierung in anständige Bürger vs. Störer bzw. Gefahrenträger. Mit welchem Recht oder besser mit welcher moralischen Rechtfertigung haben Obdachlose, Bettler, Drogenabhängige, Ausländer, bestimmte Gruppen Jugendlicher nicht das gleiche Recht auf Realisierung ihres Lebensstils wie die sog. anständigen Bürger? Wieso haben sie nicht die gleichen Abwehrrechte gegenüber polizeilichen Zwangsmaßnahmen?

    Daß konkurrierende Interessen und Lebensstile, sofern sie sich wechselseitig beeinträchtigen, eines Interessenausgleichs, der Herstellung eines Kompromisses bedürfen, ist dabei völlig klar.

    Aber eben eines ausgehandelten Kompromisses, was bedeutet, daß alle Beteiligten an der Aushandlung beteiligt sind und alle Seiten Zugeständnisse machen und sich nicht eine Seite mittels polizeilicher Gewalt gegen die anderen durchsetzt.

    Ich würde mich bestimmt auch beeinträchtigt fühlen, wenn Junkies in meinem Hausflur ihre Drogen konsumieren oder Obdachlose den Zugang zur S-Bahn-Station massiv behindern, und Abhilfe wünschen. Aber was ist in solchen Fällen mit den Interessen der Störer? Dem Bedürfnis des Obdachlosen nach einer wettergeschützten Schlafstelle oder des Junkies nach einem Ort für seinen Drogenkonsum unter Gleichgesinnten?

    Wenn diese Bedürfnislagen berücksichtigt werden und nach einem Interessenausgleich gesucht wird - Bereitstellung von weniger störenden und für die Betroffenen gleichzeitig akzeptablen Orten zur Übernachtung oder für den Drogenkonsum- dann ist eine sozialverträgliche Problembearbeitung möglich, dann ließe sich u.U. auch eine polizeiliche Vertreibung von den problematischen Orten rechtfertigen. Wenn es solche einfachen Lösungen aber nicht gibt, und das ist oft der Fall, dann muß nach echten Kompromissen gesucht werden. Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, die Schlaflagerplätze in der S-Bahn-Station etwas einzugrenzen oder den Drogenkonsum nicht gerade im Hausflur sondern außerhalb des Eingangsbereichs zu praktizieren. Vielleicht geht es im Winter aber auch nicht anders, als daß zugunsten der Überlebensinteressen der Obdachlosen die Fahrgäste entsprechende Belästigungen vorübergehend hinnehmen müssen.

    Ich weiß, daß das alles sehr idealistisch und weltfremd klingt, vielleicht sogar ist. Letztlich ist es natürlich eine Frage der Ethik in der Politik und im gesellschaftlichen Umgang verschiedener Gesellschaftsgruppen miteinander. Entscheidend ist dabei die Frage, ob den Mitgliedern gesellschaftlicher Randgruppen die gleichen Rechte zugestanden werden wie den sog. anständigen Bürgern oder ob letztere allein zum Bezugspunkt gewählt werden.

    Im Prinzip sind solche Rechte natürlich nach dem Grundgesetz für alle Menschen gleichermaßen zu gewähren, gibt es Rechtsstaatsprinzipien und eine Bürgerrechtstradition - aber das Grundgesetz und dessen Auslegung ggf. sogar Änderung ist eben auch nur eine Ausdruck der herrschenden Wertvorstellungen.

    Abschließend möchte ich noch auf einen aktuellen Trend der deutschen Sicherheitspolitik eingehen, der mit der vorgenannten Problematik in Beziehung steht.

    Auf dem Hintergrund der richtigen Erkenntnis, daß die subjektiv empfundene Sicherheit der Bürger viel mit den Gegebenheiten in ihrem direkten Lebensumfeld zu tun hat und daß traditionelle Polizeiarbeit, speziell Strafverfolgung, dabei nur begrenzt effektiv ist, werden zunehmend auf kommunaler Ebene (Gemeinden, kleiner Städte, Stadtteile in Großstädten) Gremien ins Leben gerufen, die sich Präventionsräte, Sicherheitspartnerschaften o.ä. nennen. Auch in Hamburg gibt es in drei Stadtteilen entsprechende Modellversuche.

    Ziel dieser Gremien, an denen Vertreter verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen und Institutionen teilnehmen sollen (Schule, Polizei, Vereine, Behörden etc.) ist es, koordiniert Maßnahmen zur kommunalen Kriminalprävention und Förderung der Sicherheit zu entwickeln und umzusetzen. Es wird sich dabei bewußt weder auf polizeiliche und strafrechtliche Maßnahmen, noch auf Kriminalitätsprobleme beschränkt. Kriminalität und Unsicherheit sollen dort an den Wurzeln angegangen werden, wo sie entstehen - im Stadtteil.

    Das hört sich gut an und scheint auf den ersten Blick ein Schritt in die richtige Richtung - nicht Strafverfolgung und Bekämpfung von Störern, sondern Ursachen beseitigen.

    Schaut man sich aber die Praxis und die realen Möglichkeiten solcher Einrichtungen an, dann werden die Grenzen und Probleme deutlich.

    Kriminalprävention im Sinne der Beseitigung der sozialen Ursachen von Kriminalität scheitert nicht daran, daß ungenügendes Wissen über selbige existiert, sondern daß diese Ursachen die Folge bzw. der Preis grundlegender gesellschaftlich gewollter Strukturen und Entscheidungen sind. Dieses Problem hatten wir ja bereits.

    Selbst praktische Umstände, z.B. die Gelegenheitsstruktur betreffend, sind "Folge-Kosten" andersgelagerter Entscheidungen, bei denen keine Bereitschaft besteht, etwas daran zu ändern.

    Bspl.: Selbstbedienungsläden mit zum Diebstahl animierenden Auslagen, ÖPNV ohne Schaffner. Beides sind kriminalitätsproduzierende Strukturen, deren Veränderung deshalb unrealistisch ist, weil sie auf der anderen Seite zu enormen Kostenersparnissen für die Betreiber geführt haben und ökonomisch gewollt sind.

    Wenn sich Präventionsräte ernsthaft mit kriminalitätsfördernden Bedingungen beschäftigen, dann stoßen sie systematisch auf Kriminalitätsursachen, die, weil sie in einer anderen Perspektive notwendige oder unvermeidliche Merkmale unserer Gesellschaft sind, gar nicht behebbar sind. Was dann letztlich dabei herauskommt, sind Apelle und symbolische Akte wie eine Geldsammlung oder Sponsorenorganisation für den Bau eines Spielplatzes.

    Was hingegen besser funktioniert und deshalb schnell auf die Tagesordnung gerät, das sind traditionelle Aktionen wie Kampagnen gegen den Ladendiebstahl, bei denen sich versch. Kaufhäuser zusammenschließen und kollektive Hausverbote erteilen und die Bürger zur Mithilfe bei der Entdeckung von Ladendieben aufgefordert werden.

    Der Anspruch der Kriminalprävention bleibt deshalb letztlich nur Makulatur. Was entsprechende Gremien maximal leisten können, ist das Einklagen der Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen und Kriminalpräventionsüberlegungen innerhalb des engen Rahmens der vielen kleinen Entscheidungen in der Kommunalpolitik - bei Fragen der Stadtplanung, bei Infrastrukturfragen, bei Fragen der Beleuchtung, der Gestaltung von Parkplätzen und Parkhäusern (z.B. Frauenparkplätze) etc. Und nur, wenn die entsprechenden Vorschläge nicht mit mächtigeren Interessen kollidieren und die Kosten sich in Grenzen halten, ist Erfolg prinzipiell möglich.

    Hinsichtlich der Frage der subjektiven Sicherheit im öffentlichen Raum gibt es dabei durchaus ein Spektrum an kleinen sinnvollen Maßnahmen:

    - Belebung verlassener Gegenden durch Ansiedlung von Cafes, Geschäften etc. und durch Gestaltung des öffentlichen Raumes in einer einladenden Weise (Plätze, die zum Verweilen einladen)

    - Bessere Beleuchtung und übersichtlichere Gestaltung von "Angsträumen", z.B. Unterführungen Bahnhofsvorplätze, Wege zum ÖPNV

    - Bessere Pflege des öffentlichen Raumes: Reinigung, Beseitigung von Vandalismusschäden und störenden Graffities

    - Über all diese Maßnahmen Stärkung der Aneigung des öffentlichen Raumes durch die Bevölkerung, der Anonymität entgegenwirken, den soz. Zusammenhalt stärken.

    Das Interessante an diesem Maßnahmenspektrum ist, daß die Maßnahmen auch unter anderen Zielsetzungen wie etwa Verbesserung der Lebensqualität erstrebenswert erscheinen und eigentlich auch ohne das Thema Sicherheit auf der Tagesordnung einer vernünftigen Kommunlapolitik stehen sollten. Daß sie es nicht tun bzw. keine Umsetzung finden, hat weniger damit zu tun, daß die Einsicht in die Sinnhaftigkeit fehlt, als daß es am Willen und den Möglichkeiten der Realisierung mangelt.

    Allerdings ist es keineswegs immer so, daß Maßnahmen der Erhöhung des Sicherheitsgefühls in die gleiche Richtung weisen wie andere Zielperspektiven. Sicherheit ist nur ein Aspekt der Lebensqualität im sozialen Nahraum und kann sehr wohl mit anderen Zielen kollidieren. So gehören Aspekte wie Lebendigkeit, Vielfältigkeit, Freizügigkeit ebenso zur Lebensqualität wie Sicherheit, haben zum Teil aber gegensätzliche Erfordernisse.

    Ist die Anonymität im Mietshaus in der Großstadt z.B. unter Sicherheitsaspekten absolut problematisch, so ist es gleichwohl diese Anonymität, die viele bis zu einem gewissen Grad als Freiheit zu schätzen wissen und nicht missen möchten. Ebenso macht die Heterogenität der Bewohnerschaft und die Ungezwungenheit des öffentlichen Lebens die Attraktivität macher Stadtteile aus und bewegt Menschen, dort eine Wohnung zu suchen, obwohl genau mit diesen Merkmalen auch Sicherheitsprobleme einhergehen.

    Entsprechend vertrete ich die Position, daß es nicht darum gehen sollte, Sicherheitspolitik autonom oder als Hauptorientierung zu betreiben, sondern Sicherheit als einen Aspekt, einer an Zielen wie Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit etc. orientierten Politik aufzufassen. Eine gute Sozial- und Kommunalpolitik ist letztlich eben doch die beste Kriminal- und Sicherheitspolitik. Wie eine gute Sozialpolitik eingeklagt und durchgesetzt werden kann, bleibt natürlich das zentrale Problem. Aber hierauf das Engagement der Bürger und Bürgerinitiativen zu konzentrieren, scheint mir ein besserer Weg zu sein, als Sicherheitsforen zu installieren.

    Die Gefahr einer Politik, die sich zentral an Sicherheitsfragen orientiert, besteht darin, daß angesichts der genannten Schwierigkeiten, die sinnvollen und unproblematischen Maßnahmen zu realisieren, letztlich doch auf die einfacheren und praktikableren Maßnahmen der polizeilich repressiven Ordnungssicherung zurückgegriffen wird. Entsprechend habe ich die Befürchtung, daß die aktuelle Entwicklung in Richtung kommunale Präventionsräte, trotz aller guten Absichten, letztlich neben symbolischen Akten nur in die altbekannten Rezepte mündet, ungünstigenfalls in eine Mobilisierung der anständigen Bürger im Kampf gegen die Anderen, Fremden, Unbequemen als vermeintliche Quelle der Sicherheitsprobleme.

    Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

  2. #2
    Registrierungsdatum
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    Standard

    wer schreibt ´ne inhaltsangabe?
    Dewey hör zu, wir sind hier vielleicht in der Wüste, aber wir sind trotzdem noch ziv. Menschen u ziv. Menschen errichten willkürlich Grenzen, für deren Schutz sie dann bis zum Tode kämpfen werden. Hal

  3. #3
    Jade Gast

    Standard

    Ich nicht. Hab nach etwa zwei Dritteln des Textes aufgegeben.
    Geändert von Jade (24-06-2004 um 13:09 Uhr)

  4. #4
    Ratte Gast

    Standard

    Oha. Ich bin zu faul den zu lesen, hoffe aber, dass wer anders das tut und den Inhalt hier kurz erläutert

  5. #5
    KindDerNacht Gast

    Standard

    Mags grad auch nicht lesen, hab Kopfscherzen und hau mich eh besser nen halbes stündchen hin.
    Allerdings hab ich herausgefunden, daß die zentralen Fragen oben zusammenfassend aufgelistet sind (Wie es in einem guten Vortrag sein sollte) und als letztes steht unten eigentlich nur, daß man sich auf verbesserung des Sozialen Umfeldes konzentriern soll, er aber auch nicht weiß wie. Vielleicht hab ich ja mal mehr Zeit und keine Kopfschmerzen.

    Kiddie

  6. #6
    Jade Gast

    Standard

    Danke!

    Na gut. Versuchen wir es mal mit dem ersten (oder zweiten) Punkt.

    Ist die Großstadt tatsächlich ein Hort besonderer und zunehmender Unsicherheit und Kriminalität?
    Da ich in einer Kleinstadt lebe, kann ich die Frage nicht unbedingt beantworten. Aber auch bei uns muss man vorsichtig sein. Mich hat mal so ein angetrunkener Typ verfolgt, weil er meinte ich hätte die Zeitung nicht korrekt in seinen Briefkasten gesteckt. Er hat mein Fahrrad festgehalten und gemeint, dass ich gleich mächtig Ärger kriegen würde...
    Ich habe damals noch kein Karate gemacht. Der Typ lag ein paar Sekunden später trotzdem auf dem Boden.

    Ich würde sagen, dass die Kriminalität (fast) überall zunimmt, aber in den Großstädten noch stärker als zum Beisüpiel auf dem Land.

  7. #7
    KindDerNacht Gast

    Standard

    IN der Großstadt begegnet man täglich denke ich mehr Menschen als auffem platten land oder irgendwo auffer Bergesspitze in den Alpen. Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand dabei ist, der einem was böses will ist daher denk ich höher.
    Nur meine Meinung.

    kiddie

  8. #8
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    Grob zusammen gefasst:

    Die Medien verbreiten die extreme Angst vorm Verbrechen.

    Viele Verbrechen, die in der Statistik mit aufgeführt sind, betreffen kein Opfer persönlich oder nicht körperlich.
    Gewaltverbrechen wie schwere Körperverletzung und Mord passieren hauptsächlich unter Männern innerhalb dementsprechenden Millieus.

    Vergewaltigungen durch Fremde (Überfallvergewaltigung) beträgt von allen gemeldeten Vergewaltigungen 25%, davon 50% Versuche. Das heisst also, 12,75% durchgeführte Überfallvergewaltigungen.

    Ein potentielles Opfer zu werden kann man erheblich reduzieren, indem man sich an bestimmte Regeln und Vorsichtsmassnahmen hält, und vor allem heikle Orte vermeidet.

    Gruss

  9. #9
    Sven K. Gast

    Standard

    Moin


    Nein! Ich habe es nicht gelesen

    Die Gewalt nimmt aber nicht zu. Sie verlagert sich nur. Mehr Straftaten unter
    Jugendlichen (Abzocken etc.)
    Da wir aber immer mehr mit Medien "überflutet" werden nehmen wir an dass
    mehr geschieht.

    Dies ist natürlich Zeitabhängig. In den letzten 20Jahren ist sogar ein leichter
    Rückgang der Straftaten zu vermelden. Schaut man sich aber die letzten 100
    Jahre an und vergleicht die Starftaten mit heute so ist doch ein starker
    Anstieg zu erkennen. Dies mag aber auch mit der besseren Erfassung der
    Delikte einher gehen. Dazu kommt wohl auch die gestiegenen Anzeigen wegen
    "kleineren" Delikten.

    Meine 2Ct.

    Bevor jemand nach Quellen fragt, ich hab keine zu Hand. Ich stütze mich bei
    meinen Aussagen allein auf mein Gedächtnis und den darin gespeicherten
    Ergebnisse von mir gelesenen Statistiken.

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