Es kann lebensgefährlich sein, einen Streit zwischen zwei Lokalbesuchern schlichten zu wollen. Das musste ein Discjockey am eigenen Leib erfahren. Der heute 38-Jährige wurde ausgerechnet von dem Menschen, dem er beistehen wollte, mit einem Bierglas schwer verletzt.
Das war vor neun Monaten, und noch immer ist das Opfer arbeitsunfähig. Was der blindwütige Täter damals angerichtet hat und was die Ärzte noch nicht vollständig reparieren konnten, wird deutlich durch die Donjoyschiene, die ausgerechnet den linken Arm des Linkshänders fixiert. Mit diesem Handicap kämpft sich das Opfer derzeit durch das zermürbende Gestrüpp der Bürokratie. Ein typisches Opferschicksal.
Doch noch einmal zurück zum Anfang der Tragödie. Der Discjockey hatte sich am letzten Tag im September um 7.30 Uhr mit seinem Chef in einem Café verabredet. Er wurde Zeuge eines Streits, bei dem ein 38-jähriger Amerikaner einen 65-jährigen Türken in den Schwitzkasten nahm. Der Altersunterschied mag den DJ zum Helfen bewogen haben, obwohl er selbst durch eine Lungenblähung eher schwächlich zu nennen war. Er trennte die Streithähne und stand zwischen ihnen, als der Ältere, der schon zuvor ein Weizenglas als Waffe benutzt hatte, sich blitzschnell umdrehte und dem Schlichter die Glasscherbe von unten in den Hals rammte.
Der erinnert sich noch heute, dass eine fast meterlange Blutfontäne aus seiner Halsschlagader schoss. Eine Notoperation rettete ihm das Leben, wobei die Ärzte noch Glassplitter aus der Wunde entfernen mussten. Doch wurden bei der Verletzung auch Muskeln und Nervenstränge getrennt, die für die Beweglichkeit des Armes wichtig sind. Mehrere Operationen, die letzte im Mai, musste der DJ über sich ergehen lassen. Noch immer leidet er unter Depressionen und der Angst, lebenslang behindert zu bleiben.
Es tröstet ihn kaum, dass der Täter immer noch in Untersuchungshaft sitzt. Im Gegenteil: Solange die Gerichtsverhandlung aussteht, bleiben auch finanzielle Fragen - etwa die der Entschädigung — ungeklärt. Außer Laufereien und zum Teil demütigenden Erfahrungen mit den Behörden hat ihm seine Hilfsbereitschaft nichts eingebracht.
Er musste sich beim Sozialamt penibel vorrechnen lassen, was ihm nach dem Bundessozialhilfegesetz zusteht. So wurde ihm in einem Bescheid vom 4. März 2004 auf fünf Schreibmaschinenseiten bescheinigt, dass ihm nach Anrechnung seines eigenen Einkommens noch 1,47 Euro zur Zahlung angewiesen werden. Er musste sich ferner belehren lassen, dass man natürlich beim Arbeitsamt keinen Leistungsanspruch anmelden darf, wenn man keine versicherungspflichtige Beschäftigung ausüben kann. „Zur Prüfung der Frage, ob Ihnen Krankengeld bewilligt werden kann, wenden Sie sich bitte unverzüglich an ihre Krankenkasse.“
Bitter beklagt er, dass es „immer wieder zu erheblichen Verzögerungen bei der Auszahlung seines Unterhalts gekommen sei und er deshalb fixe Kosten wie Miete und Strom nicht rechtzeitig überweisen konnte. Da er auch seine geringfügige Discjockey-Beschäftigung nicht mehr ausüben konnte, war er jedoch total auf die Hilfe der Ämter angewiesen. Bekannte streckten ihm das Geld für die Bahnfahrt zur Uni-Klinik nach Erlangen vor. „Es ist ein furchtbares Gefühl, immer wieder Bekannte um Geld bitten zu müssen und Angst zu haben, dass man die Wohnung verliert.“ Einmal wartete er zwei Tage im Krankenhaus auf die Operation. Sie wurde verschoben, doch das Tagegeld für die Wartezeit musste er entrichten.
Das Versorgungsamt bescheinigte ihm eine „dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit“ und bezifferte den Grad der Behinderung auf 40. Es warnte aber, dass der Geschädigte mit dem Schädiger keinen Vergleich schließen oder Zahlungen entgegennehmen dürfe, ohne sich vorher mit dem Amt abzustimmen.
Jeder Posteingang warf für den DJ neue Fragen auf. Der Medizinische Dienst der Krankenkasse zum Beispiel stellte fest, dass er am 29. Dezember 2003 der Arbeitsvermittlung wieder zur Verfügung stehe. „Nachdem Sie sich am 5. Januar 2004 beim Arbeitsamt gemeldet haben, besteht für die Zeit ab 29. Dezember 2003 keine Mitgliedschaft bei der AOK.“ Was war das nun wieder?
Äußerst verwirrend das Ganze. Der DJ bemühte sich redlich, sprach überall persönlich vor: bei Arbeitsamt, Sozialamt, Versorgungsamt, Krankenkasse, Medizinischer Dienst. Er legte fast alle Wege zu Fuß zurück, auch wenn er Schmerzen hatte.
Seine Bilanz ist bitter: „Es kann doch nicht sein, dass einer, der Zivilcourage zeigt, mit dem Schaden allein gelassen wird bis sogar seine Existenz auf dem Spiel steht.“
Deutsche Gewaltopferhilfe www.weisser-ring.de ... unterstützen könnt Ihr Opfer u.a. auch durch eine Spende direkt oder z.B. im Rahme des www.nikolaus-budo-lehrgang.de