Wer eine Kampfkunstschule seriös führt, kann kaum davon leben; jedenfalls nicht mit den Ansprüchen, den jüngere Leute heutzutage an eine gehobene Lebensweise stellen. Kampfkunstschulen gehören ihrer Natur nach in Hinterhöfe, Kellergeschosse und alte Werkshallen, die zum Training einigermaßen hergerichtet werden, oder als Untermieter in Fitness-Studios. Das ist finanzierbar, und so lassen sich vielleicht kleine Gewinne erwirtschaften. Große, aufwendige Schulen sind fast immer Zusammenschlüsse mehrerer Trainer, die ein attraktives Gesamtpaket schnüren: Boxen, Thaiboxen, MMA, Bodyweight-Training, Kettlebells usw. Ist ja auch sinnvoll und vermindert das Risiko. Einzige Ausnahme: WT und Konsorten. Imposante helle Hallen von 200qm in bester Lage mit Parkettboden, Duschen, Empfangsbereich usw. sind keine Ausnahme, sondern zumindest in den Großstädten eher die Regel. Und diese Schulen sind meist in der Hand eines Sifus. Oft laufen auch mehrere solche Prachtschulen unter seiner Regie, in unmittelbarer Nachbarschaft von Arztpraxen, Architekturbüros und Softwarefirmen. Dass das mit einer archaischen chinesischen Kampfkunst möglich ist, kann nur durch ein raffiniertes Ausbeutungssystem erklärt werden, das die Schüler, je weiter sie kommen, zu immer höheren Zahlungen verpflichtet. Es ist nämlich mit den bereits aufgeführten Gebühren nicht getan. Das Schneeballsystem der Verbände wiederholt sich auf der unteren Ebene, wo ein Sifu innerhalb der von ihm „gepachteten“ Gebiete wiederum Unterlizenzen vergibt und diese an überteuerten Privatunterricht bindet. Das Ganze nennt sich dann „Lehrerausbildung“ und versucht das ehemalige EWTO-Modell der Pauschalausbildung nachzustellen – mit einem kleinen Aufpreis selbstverständlich für die qualifizierte Vor-Ort-Betreuung. Dafür werden „Lehrerklassen“ eingerichtet, die nichts anderes sind als ein besserer Gruppenunterricht. Die bedauernswerten Lehreranwärter begreifen zunächst nicht, dass in den entlegenen Stadtteilen und Dörfern, die für sie zur Gründung einer Schule übrig bleiben, niemals größere Mitgliederzahlen zu erreichen sein werden; das merken sie erst, wenn die Insolvenz droht, sofern sie überhaupt so lange durchhalten und ihre Mittel nicht längst aufgebraucht sind. So kassierte ein gewisser WT-Lehrer, der sich später selbständig machte, um noch mehr Geld abschöpfen zu können, schon Ende der Achtziger (!) von seinen „Ausbildern“ bis zu 650 DM pro Monat für einen alles andere als individuellen Unterricht, zzgl. „Lizenzgebühren“ von 500 DM pro Monat, wenn sie bereits eine Schule führten (ich wage nicht daran zu denken, um welche Beträge es heute geht). Sämtliche Artikel bis hin zu Getränken und Eiweißriegeln, sämtliche Werbemittel mussten über seinen Pseudo-Verband bezogen werden. Das ging so lange gut, bis der idealistische Schüler eben kein Geld mehr hatte; dann wurde er entfernt und hatte nie etwas getaugt. Man kennt diese Nachrede ja von der EWTO. Kurzum, die Sifus, die sich die meisten Gebiete gesichert hatten, entwickelten ein Geschäftsmodell, das sie reich machte, die Unterlizenznehmer jedoch in den Ruin trieb. Es waren nicht die Gruppen- und Prüfungsgebühren, die diesen Schneeball rollen ließen, sondern die regelmäßigen Zahlungen derjenigen, die mit Eifer angetreten waren, also eigentlich der Besten. Die Verbände haben sich aus diesen Machenschaften immer herausgehalten. Es war die Sache der Lehrer, wie sie ihre Läden führten. Und die bekamen den Hals nicht voll.
Wenn eine Schule zu groß, zu schön, zu wellnessmäßig ist, wenn sie ihre Schüler zwingt, ihre Artikel zu kaufen, ihre Getränke zu trinken und ihre Sprüche zu klopfen, dann sollte man vorsichtig sein, bevor man sein gutes Geld dorthin trägt. Es könnte sein, dass nicht ordentlich trainiert wird. Und es könnte sein, dass man dort arm wird, wenn man sich engagiert und wirklich etwas lernen möchte.