Die Einrichtung nimmt sich der Arbeit mit Jugendlichen an, die zum überwiegenden Teil als mehrfach benachteiligt, stigmatisiert und delinquent bezeichnet werden können. Diese Jugendlichen mussten in Familie, Schule und Jugendhilfe wiederkehrende Missachtungserfahrungen erleiden und weisen somit deutliche Brüche in ihren Biographien auf. Die häufig gewaltaffinen Handlungsmuster der Jugendlichen sind Resultat sozialer Deprivationen und befördern zugleich weitere Ausgrenzungen und Benachteiligungen.
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Das Trainingscamp setzt den Vermeidungsstrategien der Jugendlichen einen straff strukturierten und höchst verbindlichen Tagesplan mit unterschiedlichen Elementen von Ordnungsdiensten, Sport und Reflexionseinheiten entgegen. Diese strukturelle Ordnung wird durch die Einbettung in das Kollektivleben und der damit verbundenen hohen sozialen Kontrolle sowie einem zugehörigem Sanktionssystem durchgesetzt
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Sowohl auf Vermeidungshandlungen als auch auf gewaltförmige Bewältigungsmuster reagieren die PädagogInnen verhaltensregulativ mit Sanktionen. Da die Sanktionspraxis zum einen von den Pädagoginnen kommunikativ rigide und häufig leiblich-dominant durchgesetzt wird und zum anderen eingebettet ist in eine durch die künstlich erzeugte, hierarchische Peergemeinschaft der Jugendlichen, greift die Kommunikationskultur des Trainingscamp unmittelbar lebensweltliche Orientierungen der Adressaten auf.
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Insofern es im Trainingscamp zunächst sehr stark um Anpassung an ein vorgegebenes, rigides Regelwerk geht, ist die – im Fachdiskurs geäußerte – Behauptung gerechtfertigt, dass die Einrichtung der Anpassung herausfordernder Jugendlicher an herrschende Machtverhältnisse dient. Die Jugendlichen differenzieren im Laufe der Zeit allerdings zwischen Anforderungen der Regelbefolgung, die sie als vernünftig anerkennen einerseits und andererseits solchen, denen sie zwar keinen Sinn abgewinnen können, die sie aber dennoch „stumpf“ befolgen um in der Einrichtung möglichst wenig anzuecken.
Ein bedeutender Befund der Evaluation ist, dass die Jugendlichen in den Abschlussinterviews den PädagogInnen ‚gute Zeugnisse‘ ausstellen.
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Wesentlicher Bestandteil des Tagesablaufs im Trainingscamp ist der Sport. In wechselnder Zusammensetzung machen sportliche Aktivitäten einen Anteil von 1½ bis zu 8 Stunden am Tagesverlauf aus. Dabei kommen verschiedene Individual- und Mannschaftsportarten zum Einsatz, i. d. R. in Abhängigkeit von den Fähigkeiten und Qualifikationen der diensthabenden PädagogInnen. Der Sport erfüllt mehrfache Funktionen im Trainingscamp.
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Die Verbindung von sportlicher Aktivität und Sanktionierung von Fehlverhalten eröffnet die Möglichkeit eines spielerischen Umgangs mit Abweichungen.
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Die Jugendlichen vollziehen einen Perspektivenwechsel ihrer lebensweltlichen Orientierung, die zumeist von einem Leben in latenter Unsicherheit und Bedrohung und der oben beschriebenen destruktiven Bewältigungsstrategien gekennzeichnet ist hin zu einer angestrebten Normalisierung familialer Verhältnisse und dem Streben nach Reintegration in formale Bildung und Ausbildung als Symbole für das Streben nach einer „Normalbiographie“.
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Die PädagogInnen und zum Teil auch die Jugendlichen selbst verorten die Probleme der Jugendlichen in ihren gewalttätigen oder entziehenden Verhaltensweisen und blenden gesellschaftliche Rahmenbedingungen zunächst aus.
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Die Jugendlichen sind aufgrund der geographisch abgeschiedenen Lage und der hohen sozialen Kontrolle des Kollektivlebens in einem hohen Maße von den PädagogInnen abhängig.
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Die deutliche Orientierung auf soziale Anpassung und körperliche Leistungsfähigkeit erscheint für die Alltagsbewältigung der Jugendlichen funktional, vor allem hinsichtlich der Bewältigung der Aufnahmeanlässe von Delinquenz, Schulabsenz, Gewaltaffinität und Konfliktvermeidung. Gesellschaftliche Strukturen sozialer Ungleichheit bleiben damit aber systematisch ausgeblendet. Ausgeblendet bleibt auch, dass es für die betreffenden Jugendlichen gegenwärtig nur eingeschränkte Möglichkeiten gibt, Teilhabe an gesellschaftlichen Gütern zu realisieren [...]. Folglich ist es nicht unwahrscheinlich, dass die biographischen Erfahrungen der Desintegration auch zukünftig fortgesetzt werden, wenn die weiterführende Unterstützung ausbleibt. Der Erfolg einer Jugendhilfemaßnahme lässt sich nicht an der Aufnahme einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit oder an der strafrechtlichen Legalbewährung bemessen. Vielmehr müssen Kompetenzen der Lebenstüchtigkeit in den Blick genommen werden, für die Faktoren wie Legalbewährung oder Erwerbstätigkeit durchaus Indikatoren darstellen können, aber bei weitem keine notwendigen Bedingungen pädagogischen Erfolgs darstellen. Unter marginalisierten Lebensbedingungen von normativen Erwartungshaltungen abzuweichen, ist immer auch Ausdruck des innovativen Charakters abweichenden Verhaltens und dient als Spiegel sozial ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse.