Zitat von
Julian Braun
Ja, da wird auch die geiche Frage thematisiert, die ich stellte: wo soll denn der freie Wille herkommen:
Man stelle sich den Augenblick vor, wo das Gehirn [...] das Für und Wider eines Verbrechens abwägt. Alle verfügbaren Argumente wurden durchdacht, dann senkt sich die Waagschale in Richtung Straftat. Sollte es einen freien Willen geben, auf dem das Konzept der Schuldfähigkeit beruht, müsste jetzt ein neuer Faktor auftreten können, der die Schale unabhängig von den Argumenten und Motiven wieder hebt. Auf die Frage, woher ein solcher Faktor kommen sollte, hat allerdings noch niemand eine Antwort gefunden.
"Aus psychologischer Sicht kann man uns eine Handlung nur dann als unser Handeln zuschreiben, wenn es von unseren Motiven bestimmt wird", so Roth. In der Strafrechtstheorie werde jedoch das genaue Gegenteil als Grundlage für Willensfreiheit angesehen: die Fähigkeit, sich von der Bedingtheit durch Motive zu befreien. "Unser Rechtsgewissen ist aber das Produkt unserer Erziehung oder Lebenserfahrung. Es unterliegt wie alle Motive der Persönlichkeitsentwicklung." Anders gesagt: Jeder kann nur mit den Werkzeugen arbeiten, über die er verfügt. [...]
Die Folgerung auf das Strafrecht ist auch nicht sehr dramatisch:
Aber wie könnte ein Strafrechtssystem ohne Schuldprinzip überhaupt aussehen? Zusammen mit der Rechtswissenschaftlerin Grischa Merkel von der Uni Rostock hat Roth gerade ein Modell vorgestellt. Dieses sieht vor, auf Vergeltung generell zu verzichten - laut Bundesverfassungsgericht eines der Ziele von Strafe. Es blieben die Ziele Schadenskompensation, Behebung der sozialen Störung, Abschreckung und Aufrechterhaltung der Norm. Die Höhe einer Strafe ließe sich weiterhin mit Hilfe des § 46 des Strafgesetzbuchs abwägen. Berücksichtigt werden dann unter anderem Beweggründe und Ziele des Täters, das Maß der Pflichtwidrigkeit und seine Bemühungen, den Schaden wiedergutzumachen.
Wobei man selbst die Abschaffung des Vergeltungsziels hinterfragen kann, denn das dient ja dem Opfer, das offenbar, durch was auch immer bedingt, ein entsprechendes Bedürfnis hat und darauf eventuell positiv reagiert.
Daneben gibt es auch ein Genugtuungsinteresse der verletzten Person selbst. Opfer von schweren Straftaten können vielfach das erlittene Leid besser verarbeiten, wenn sie sehen, dass die Täter bestraft werden.
(wobei ich nicht genau weiß, ob das unter Vergeltung fällt, oder unter andere Ziele subsummiert wird)