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Thema: UNESCO – Karate – Olympia

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  1. #1
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    19.08.2007
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    Standard UNESCO – Karate – Olympia

    Hallo,

    der größte Verband für okinawanisches Karate, der sich wiederum aus vier kleineren Vereinigungen zusammensetzt, kam auf die Idee, „okinawanisches Karate“ auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO setzen zu lassen bzw. eben dies zu beantragen. Zuvor war dieser Verband mit seinem Anliegen gescheitert, das olympische Sport-Karate-Event wenigstens teilweise in Okinawa durchzuführen und „kulturelle Demonstrationen“ vor oder zwischen den Wettkämpfen aufführen zu lassen. Quasi als Gegeninitiative zum Dachverband für Sport-Karate und seiner Olympiabeteiligung wurde die Idee mit der Liste des immateriellen Kulturerbes geboren. Selbstverständlich würden im Falle eines Erfolgs dann insbesondere die Karate-Richtungen der Mitgliedorganisation „Kulturerbe“ werden.

    Diese neue Situation ist an sich bereits schon interessant. Doch die möglichen Auswirkungen in der öffentlichen Wahrnehmung sind vermutlich noch interessanter. Denn im Fall des Falles wären gegenwärtige, „UNESCO-geprüfte“ okinawanische Karate-Lehrer die Träger des Kulturguts Karate. Automatisch werden so historisch gewachsene Tatsachen vom Tisch gewischt, wie etwa die, dass seit Anfang der 1920er Jahre Karate-Adepten Okinawa verließen und somit auch das von ihnen verkörperte Karate aus Okinawa verschwand, um andernorts weitergepflegt zu werden. Mein naheliegendes Beispiel ist herkömmliches Karate-Dō Shōtōkan-Ryū. Für G. Funakoshi (1868–1957) hatte sein Karate (1) nichts mit sportlichem Wettkampf zu tun und es ist (2) durch Quellen nachweisbar älter sowie technisch umfassender und tiefgründiger – „traditioneller“ – als das einiger Kulturerbeanwärter. Herkömmliches Shōtōkan-Ryū gehört also weder zum Olympiasport-Karate noch wird es vermutlich zum geplanten Kulturerbe gehören. Es ist weder die eine noch die andere „offizielle“ Art von Karate …

    Hier ein englischer Zeitungsbericht, der etwas auf diesen Plan eingeht:

    https://www.japantimes.co.jp/news/20.../#.Wv2GHSk82So

    Grüße,

    Henning Wittwer

  2. #2
    Wong F. Gast

    Standard

    Zitat Zitat von Gibukai Beitrag anzeigen
    Hallo,

    ... Selbstverständlich würden im Falle eines Erfolgs dann insbesondere die Karate-Richtungen der Mitgliedorganisation „Kulturerbe“ werden.

    ... Denn im Fall des Falles wären gegenwärtige, „UNESCO-geprüfte“ okinawanische Karate-Lehrer die Träger des Kulturguts Karate. Automatisch werden so historisch gewachsene Tatsachen vom Tisch gewischt, wie etwa die, dass seit Anfang der 1920er Jahre Karate-Adepten Okinawa verließen und somit auch das von ihnen verkörperte Karate aus Okinawa verschwand, um andernorts weitergepflegt zu werden. Mein naheliegendes Beispiel ist herkömmliches Karate-Dō Shōtōkan-Ryū. Für G. Funakoshi (1868–1957) hatte sein Karate (1) nichts mit sportlichem Wettkampf zu tun und es ist (2) durch Quellen nachweisbar älter sowie technisch umfassender und tiefgründiger – „traditioneller“ – als das einiger Kulturerbeanwärter. Herkömmliches Shōtōkan-Ryū gehört also weder zum Olympiasport-Karate noch wird es vermutlich zum geplanten Kulturerbe gehören. Es ist weder die eine noch die andere „offizielle“ Art von Karate …
    Moin Henning,

    das fette kann ich nicht beurteilen, aber: Würde eine Kommission der UNESCO wirklich so weit differenzieren? Oder hieße es dann nicht einfach "Traditionelles okinawanisches Karate"?

    Und falls es so kommt, wie du schreibst: Welche Auswirkungen hätte das nach deiner Meinung?

    Und schließlich: Können die Ausübenden der ggf. "benachteiligten" Richtungen in irgendeiner Weise Einfluß nehmen?

  3. #3
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    Hallo,

    (1) Wie geschrieben würde es sich auf die öffentliche Wahrnehmung auswirken, aber zugleich auch die Eigenwahrnehmung nachhaltig prägen. Beides wäre mit den Auswirkungen der Olympiateilnahme vergleichbar. „Positiv“ wäre es vermutlich für die Tourismusindustrie der Präfektur Okinawa (https://www.kampfkunst-board.info/fo...rate-Tourismus) sowie für einige okinawanische Karateka, die an kurzfristigen Maßnahmen wie dieser Karate-Show (https://www.kampfkunst-board.info/fo...82#post3631482) oder Durchgangsverkehr von Karate-Touristen in ihren Dōjō beteiligt sind. Dementsprechend könnte die öffentliche Wahrnehmung dahingehend verändert/geprägt werden, dass „Karate“ etwas für „Aktivurlaub“ ist, das man mal hin und wieder „machen“ könne, oder ein Unterhaltungsprogram, eine Bühnenshow sei. Insbesondere tritt die Käuflichkeit der Aktivität „Karate“ sowie der entsprechenden Vertreter auf eine neue (zusätzliche) Weise in den Vordergrund.

    Potentielle Karate-Anfänger könnten das „offizielle“ UNESCO-geprüfte Karate wegen diesem Status als (einzig) legitim missverstehen. Falls sie das Gesehene gut fänden, aber z. B. in meiner Minitruppe aufkreuzten, wäre die Enttäuschung ob der massiven Unterschiede groß und die Erkenntnis da, dass in meiner Minitruppe nichts „Legitimes“ von statten gehen könne. Falls sie das Gesehene schlecht fänden, wäre es nicht abwegig, dass sie (i) „Karate“ ganz verdrängen und infolge dessen (ii) gar nicht auf die Idee kommen könnten, dass es z. B. in meiner Minitruppe eine gänzlich andere Art von Karate geben könnte. Die in diesem Absatz beschriebenen Szenarien sind mit Olympia austauschbar und ich schreibe „meine Minitruppe“ weil ich nicht ungefragt für „andere“ das Wort ergreifen möchte.

    Die Eigenwahrnehmung würde vermutlich den Stolz auf die offiziell „legitime“ Karate-Richtung erhöhen. Dies wiederum könnte die Stilpropaganda auf die nächste Stufe erheben. Mehr als einmal bekam ich von hochrangigen Vertretern okinawanischer Karate-Richtungen „verbal“ vermittelt, dass sie aufgrund ihrer unmittelbaren Herkunft (Zauberwort „Okinawa“) besseres Karate ausübten als, nun ja, z. B. Shōtōkan-Vertreter. Ich betone das Wort verbal, weil sie mich persönlich (!) inhaltlich und technisch keineswegs zu überzeugen vermochten. Hinzu käme demgegenüber die Frage, wie toll langjährige, „normale“ Dōjō-Mitglieder in Okinawa selbst, die nicht auf „Publikumsverkehr“ konditioniert sind, eine Verstärkung dieser Situation empfänden.

    (2) Andere Karate-Richtungen, die weder etwas mit Olympia noch dem UNESCO-Vorhaben am Hut haben, können auf verschiedene Weise „reagieren“, wenn sie möchten. Echten Einfluss dürften sie jedoch nicht haben, weil sie zu klein und zu verstreut sind. Allerdings spreche ich nicht für „andere“, sondern nur für mich. Ich schaffe Wissen und veröffentliche es, um so vielleicht zumindest ein paar interessierte Laien wie auch Karate-Anhänger zu sensibilisieren und, besser noch, umfassend zu informieren.

    Grüße,

    Henning Wittwer

  4. #4
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    Ist doch eine gute Idee, das okinawanische Karate als Kulturgut aufnehmen zu lassen, da es ja nunmal grundlegend das ist. Koryu machen das auch. Im Übrigen dürfte das dein Karate kaum tangieren, da das Karate nach Itosu und Funakoshi wohl kaum noch als okinawanisches Karate zu verstehen ist.

    Ansonsten glaubst du doch selbst nicht wirklich, dass Interessenten auftauchen und nach UNESCO-Karate fragen. Ich behaupte mal, JEDER von uns hat als Anfänger bestenfalls nach Karate gesucht und dann im nächstbesten Verein trainiert. Einige sind vielleicht beim Kickboxen oder Kungfu gelandet, weil´s für den Anfänger irgendwie genauso aussieht oder einfach in der Nähe lag.
    Und selbst wenn machen die Interessenten bei dir Probetrainings und entscheiden sich, ob ihnen dein Karate und deine Gruppe zusagt. Da wird von UNESCO nicht viel übrig bleiben.

    Und die, die Sport-/Wettkampfkarate machen wollen, machen bei dir ein Training und lassen sich nicht wieder blicken. Das Thema Sportkarate betrifft dich also auch nicht wirklich. Im Übrigen finde ich es wichtig, dass man in der Jugend Wettkampferfahrung sammelt, selbst im WKF-Karate werden damit grundlegende Kampffähigkeiten geschult.

    Sei doch einfach froh, wenn für Karate wie auch immer geworben wird. In der großen Masse gibt es immer welche, die tiefer lernen wollen und sich dann umsehen - eventuell bei dir-, bspw. nach ihrer Wettkampfzeit.

    Grüße

  5. #5
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    Hallo Nick,

    „das okinawanische Karate“ als Gesamtheit wird wohl – wie oben geschrieben – eher nicht Kulturgut. Vermeintlich positive Auswirkungen würden also vermutlich insbesondere den Mitgliedern des Antrag stellenden Verbands sowie der Tourismusindustrie zugutekommen. Möglich wäre, dass andere, unbeteiligte Gruppen etwas von dem Glanz abbekommen könnten.

    Gewissermaßen vergleichbar ist diese potentielle Situation mit der aktuellen Lage des Shaolin-Klosters, wo nach einer vergleichbaren Entscheidung ein starker Verdrängungsprozess zu Ungunsten benachbarter Kampfkünstler und Kampfsportler einschließlich Anpassungsmaßnahmen u. ä. stattgefunden hat.

    Meine Aussage ist nicht, dass potentielle Interessenten im Fall des Falles direkt nach „UNESCO-Karate“ fragen kommen könnten, sondern dass sie durch entsprechende Werbemaßnahmen (Filme, Fotos, Texte) geprägt werden könnten.

    In meiner Minigruppe (die ich eben nur heranziehe, um nicht für „andere“ zu sprechen) gibt es mindestens zwei Fälle, die ganz klar nach einer bestimmten Art von Karate gesucht haben und deshalb mittrainieren. D. h. ganz gewiss ist nicht „jedem“ Interessenten gänzlich unklar bzw. egal, wonach er oder sie sucht.

    Grüße,

    Henning Wittwer

  6. #6
    Mardl Gast

    Standard

    Ich denke, dass es sowohl beide Extreme als auch eine riesige Grauzone gibt. Also Menschen die sich ganz gezielt einen Stil oder eine Ausprägung des Karate suchen und dafür auch relativ weit fahren und die, die einfach das machen, was am nächsten zu ihrer Arbeits- oder Wohnstätte liegt, egal was es ist.

    Ich hatte erst letzte Woche die Diskussion mit einer guten Bekannten, die nach eigener Aussage, früher auch "Karate" gemacht hat und nun bei verschiedenen "Karate-Vereinen" (!) im Probetraining war, weil sie wieder einsteigen wolle. Ich war interessiert und fragte nach, welche Stil sie denn betrieben hat und welchen Stil sie nun ins Auge fasst. Antwort: Karate, habe ich doch gesagt...

    Bei genauerer Erkundigung kam dann raus, dass sie in einem Verein war der Kyokushinkai betreibt, einer Kampfsportschule die "Allstyle Karate" anbietet und beim Weng Chun Kungfu... - aber Hauptsache Karate.

    Auch bei Lehrgängen und FoBi stelle ich immer wieder fest, dass es sogar Dan-Träger gibt, die außer ihrem Shotokan keinen einzigen weiteren Stil benennen können oder gar nicht wissen, dass es noch andere gibt. Es gibt einfach Leute, die beschäftigen sich Null mit der Materie, außer wann habe ich Training.

    Als ich für mich beschlossen habe, mich wieder verstärkt mit Karate zu beschäftigen, habe ich verschiedene Vereine ausprobiert und bin dann bei dem Verein geblieben, in dem mir die Leute am sympathischsten waren und der nach meinem Ermessen den Schwerpunkt bei "Kampfkunst" eher auf Kampf als auf Kunst legt. Aber ich finde es gut, dass es für jeden was gibt. Den Budoromantiker, den Wannabe-Samurai, den Bahnenschrubber, den Vollkontaktliebhaber, etc. Das Spektrum ist ja weit.

  7. #7
    Registrierungsdatum
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    Hallo Henning,

    letztlich ist´s wohl Glaubenssache, ob das UNESCO-Ding nun gut oder schlecht ist. In 10 Jahren wissen wir mehr .

    Was das Shaolin-Kloster angeht vermute ich mal, dass wenn die mit ihrer Showtruppe nicht so kommerziell und medienwirksam auftreten würden, die Kung Fu-Leute erheblich weniger Trainierende hätten. Kann man jetzt auch wieder streiten, ob man generell lieber mehr Leute hat, die nicht das Originale trainieren oder aber erheblich weniger, die dafür „klassisches“ Kung Fu trainieren.

    Bzgl. Anpassungsmaßnahmen behaupte ich mal, dass die authentischen Linien (in den CMA, Koryu oder deine Shotokan-Linie) sich einen Teufel drum scheren, was andere veranstalten oder wie akzeptiert sie sind.

    Zitat Zitat von Gibukai Beitrag anzeigen
    In meiner Minigruppe (die ich eben nur heranziehe, um nicht für „andere“ zu sprechen) gibt es mindestens zwei Fälle, die ganz klar nach einer bestimmten Art von Karate gesucht haben und deshalb mittrainieren. D. h. ganz gewiss ist nicht „jedem“ Interessenten gänzlich unklar bzw. egal, wonach er oder sie sucht.
    Ist dann die Frage, welche Art von Karate die gesucht haben. Ob banal wie kein Wettkampf-/“Hoppel“karate oder sehr detailliert wie Shotokan-Karate - aber kein JKA-Karate - oder Karate von Harada. Wenn es in letztere Richtung geht, würde es mich bei Anfängern schon wundern, spräche aber für sie.

    Zitat Zitat von Mardl Beitrag anzeigen
    Ich denke, dass es sowohl beide Extreme als auch eine riesige Grauzone gibt. Also Menschen die sich ganz gezielt einen Stil oder eine Ausprägung des Karate suchen und dafür auch relativ weit fahren und die, die einfach das machen, was am nächsten zu ihrer Arbeits- oder Wohnstätte liegt, egal was es ist.
    Ersteres kenne ich in Größenordnung bisher nur von Leuten, die schon eine Weile trainiert haben (insbesondere was das weite Fahren angeht). Wenn man wieder von Banalitäten absieht wie möglichst kein Kämpfen und ungern Partnerübungen, dafür viel Solotraining oder im Gegenteil Vollkontakt und viel Kämpfen.
    Letzteres sind für mich die typischen Anfänger.

    Grüße

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