Hallo,
der größte Verband für okinawanisches Karate, der sich wiederum aus vier kleineren Vereinigungen zusammensetzt, kam auf die Idee, „okinawanisches Karate“ auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO setzen zu lassen bzw. eben dies zu beantragen. Zuvor war dieser Verband mit seinem Anliegen gescheitert, das olympische Sport-Karate-Event wenigstens teilweise in Okinawa durchzuführen und „kulturelle Demonstrationen“ vor oder zwischen den Wettkämpfen aufführen zu lassen. Quasi als Gegeninitiative zum Dachverband für Sport-Karate und seiner Olympiabeteiligung wurde die Idee mit der Liste des immateriellen Kulturerbes geboren. Selbstverständlich würden im Falle eines Erfolgs dann insbesondere die Karate-Richtungen der Mitgliedorganisation „Kulturerbe“ werden.
Diese neue Situation ist an sich bereits schon interessant. Doch die möglichen Auswirkungen in der öffentlichen Wahrnehmung sind vermutlich noch interessanter. Denn im Fall des Falles wären gegenwärtige, „UNESCO-geprüfte“ okinawanische Karate-Lehrer die Träger des Kulturguts Karate. Automatisch werden so historisch gewachsene Tatsachen vom Tisch gewischt, wie etwa die, dass seit Anfang der 1920er Jahre Karate-Adepten Okinawa verließen und somit auch das von ihnen verkörperte Karate aus Okinawa verschwand, um andernorts weitergepflegt zu werden. Mein naheliegendes Beispiel ist herkömmliches Karate-Dō Shōtōkan-Ryū. Für G. Funakoshi (1868–1957) hatte sein Karate (1) nichts mit sportlichem Wettkampf zu tun und es ist (2) durch Quellen nachweisbar älter sowie technisch umfassender und tiefgründiger – „traditioneller“ – als das einiger Kulturerbeanwärter. Herkömmliches Shōtōkan-Ryū gehört also weder zum Olympiasport-Karate noch wird es vermutlich zum geplanten Kulturerbe gehören. Es ist weder die eine noch die andere „offizielle“ Art von Karate …
Hier ein englischer Zeitungsbericht, der etwas auf diesen Plan eingeht:
https://www.japantimes.co.jp/news/20.../#.Wv2GHSk82So
Grüße,
Henning Wittwer