"It‘ s not about who is good or who is bad. It‘ s about who is left.“
Chris Haeuter
Zu diesem Gedankengang gibt es von meiner Seite aus so gar keine Einwände, JuJutsu hat nunmal diese Kriegshintergründe, bei denen es wichtig ist, den Gegner auch auszuschalten.
Um aber auch noch etwas zu philosophieren, denke ich, dass beim Judo das "ausschalten" nach dem Wurf eher als Formsache angesehen wird... ist ja schließlich leicht, einen am Boden liegenden zu treten. BJJ erschwert diesen letzten Schritt für den Werfer bzw. gibt dem Ganzen noch ne zweite Chance, das ganze endgültig zu machen. BJJ wäre demnach also einfach das Add On.
Dennoch ist die Strategie, mit der man seinen Gegner angeht im Boden eine andere als im Stand (Die meisten Judokas erkennen das nicht so leicht, aber ist einfach eine Tatsache und ich persönlich bin da alles andere als versiert). Natürlich hast du recht, dass sich die Prinzipien des BJJ auch im Stand anwenden lassen und die Prinzipien des Standkampfs erweitern, eben im Hinblick auf Submission als König. Aber diese Standkampfprinzipien, die fürs Judo ausreichen, sind für den Boden nur zweitrangig (wobei ich auch bloß den Übertrag noch nicht entdeckt haben könnte).
Vielen Dank übrigens auch für deine Zusatzbemerkung, sehr interessant auch mal von Hintergründen zu hören.
Geändert von Patches_OHulahan (06-01-2019 um 16:24 Uhr) Grund: Zitat eingefügt
Da sieht man dann deine Interpretation ist ja auch ok. Für mich als normalen alten Hobbysportler, der höchstens zweimal die Woche trainieren kann gehören Würfe, Clinch und Takedowns dazu. Sie sind mir sogar fast schon wichtiger als 20 000 Submissions. Ich mach das aus drei Gründen: Selbstverteidigung/ Fitness und Spass.
Und da ich in einem Beruf arbeite, wo ich nicht zu schlagen darf, es allerdings 194 Angriffe auf meinen Berufsstand gab nur in meinem Bundesland ist das meine Prämisse. Beide Systeme brauchen einander sonst sind sie nicht komplett.
Im ersten gemeinsamen Regelwerk von 1899 (so was, wie die unified rules des MMA heute für das Wettkampfwesen im damaligen Japan für die Vergleichskämpfe der Schulen) war der saubere Wurf nicht das Ende des Kampfes.
Dazu benötigte man mindestens zwei Aktionen (Punkte)!
Einen Punkt gab es gleichwertig für Wurf, Tapout oder eine Fixierung des Gegners, aus welcher er „nach einer angemessenen Zeit“ nicht entkommt.
Diese Regelung war entsprechend auch Kern des ersten Judo-Regelwerks für Wettkampf und Randori des Kodokan.
Keine Überraschung, schliesslich war Kano selber in der Regelkommission, die die übergreifenden Regeln der Dai Nippon Butokukai (Gesellschaft für japanische Kampfkünste) von 1899 entworfen hatte.
Mit anderen Worten:
Keineswegs war es ursprünglich im Judo so gedacht, dass man nach einem Wurf gewonnen hat und das „finish“ dann nur Formsache ist. Dieses Denken ist vielmehr Ergebnis der unglücklichen Weiterentwicklung des Regelwerkes. Dynamisiert durch die Entwicklung seit den 1960er Jahren als Judo olympisch wurde und dem breiten (Fernseh-)Publikum gefallen musste. Der Laie versteht halt schnell, wenn einer vom anderen spektakulär geworfen wird, wer da der Sieger ist....
Bis in die 1920er Jahre war das Judo-Regelwerk übrigens noch nahe an den erwähnten ersten Regeln. Wenn man jetzt mal kurz überlegt, wann wer was nach Brasilien gebracht hat und dass der Begriff „Jiu Jitsu“ sehr lange noch Synonym zu „Judo“ genutzt wurde (nicht in Japan selbst übrigens, da hatte sich „Judo“ zu Beginn des 20. Jh. grossflächig durchgesetzt), dann könnte man schon auch geschichtlich eher vom „verlorenen Sohn“, als von einem anderen Stil sprechen.
Aber wie gesagt:
Alles eine Frage der Perspektive und wie man für sich selbst „Judo“ definiert und lebt.
Geändert von Hug n' Roll (06-01-2019 um 19:38 Uhr)
"It‘ s not about who is good or who is bad. It‘ s about who is left.“
Chris Haeuter
Björn, eine kurze Verständnisfrage: wird bei dir der Boden auch mit schlagendem Setup trainiert? Ich frage, weil in meinen Augen der Grappling-Part schneller, härter und primitiver wird, sobald Schläge im Spiel sind. Würde man mit Schlagen trotzdem noch zum Berimbolo und Co. kommen?
Meine Meinung zum Topic: ähnlich, je nach Judo-/BJJ-Art viele Überschneidungen, aber nicht das Gleiche.
Ich mache beides, für mich ist das Grappling ohne Schläge, kreativer, fließender, lockerer. Es hilft das Spiel zu entwickeln.
Mit Schlägen ist es enger, direkter, weniger spielerisch, man nimmt mehr den Raum. Für mich ist die Basis das sportliche kämpfen am Boden, als Entwicklungs- und Trainingsmethode. Das Training mit Schlägen, gibt ihm halt dann eine bestimmte Richtung und macht es wie schon gesagt enger und direkter. Ich mach beides, aber ich bin ehrlich, während ich im Stand fast nur mit Schlägen trainiere, mache ich am Boden auch relativ viel ohne Schläge, weil es einfach Spaß macht und man so viele Bewegungsmöglichkeiten hat.
Bei mir ist aber der Unterschied nicht so extrem, weil ich selten Positionen spiele die mich für Schläge anfällig machen. Also keine Tornado Guard, kein Double Guard Pull, sowieso immer direkte Körper und Armkontrolle, weil ich nie im Gi trainiere.
Geändert von Björn Friedrich (06-01-2019 um 21:54 Uhr)
Nicht das ein erfolgreicher Wettkaempfer immer Recht hat, aber, wer ist den deiner Meinung nach ein Besser BJJ-Judoka als TS. Ich kenne einige Judo NeWaza spezialisten, aber ich kenne keinen erfolgreicheren Judoka der regelmaessig im BJJ auf hohem niveau gekaempft hat? Wuerde ihn mir gerne ansehen. Vielleicht gibts sowas mehr in der Japanischen BJJ szene?
(Flograppling at vor kurzem reported das Masato Uchishiba als Blaugurt auf einem Tunier gekaempft hat)
Ich hab mich ja nie mit der Geschichte beschäftigt und es ist allein deshalb schon sehr interessant, auch darüber mal was zu erfahren.
Eine kurze Zwischenfrage hab ich aber: 1899 wurden die Regeln mit 2 Punkten erstellt, das lief so bis in die 1920er. Habe ich richtig verstanden, dass es ab da dann eine größere Regeländerung gab, die in den 1960ern dann allgemeingültig wurde? Wie sah das mit dem Bodenkampf dann in der Zwischenzeit aus?
Über die Historie von BJJ weiß ich natürlich noch weniger, dem entsprechend bin ich mir nicht sicher, ob sich jdkberlin nun das 2-Punkte-Judo von 1899 oder das bereits weiterentwickelte Judo bezieht, klingt aber eher nach zweiterem. Das mit dem verlorenen Sohn klingt aber trotzdem sehr nett und dazu wäre der Unterschied zwischen BJJ und diesem Kosen Judo wirklich interessant. Bin sehr gespannt auf die Erkenntnisse von judoplayer.
Aus deinem letzten Satz schließe ich, dass in deinem Verein nach den Regeln von vor 100 Jahren praktiziert wird? Da würde mich auch sehr interessieren, wie sich das Verhalten im Stand dadurch ändert. Aber das ist wohl etwas, das man nur auf der Matte fühlt und nicht beschreiben kann..
Diesen Artikel über die Regelentwicklung im Judo ließ mir ein User in anderem Bezug zukommen:
http://www.judospace.com/upload/deve...judo_rules.pdf
dort wird beschrieben, dass ein Randori oder auch Wettkampf (zwischen versch. Schulen) als Test der Fähigkeiten gedacht war.
Dementsprechend sollten zunächst die Fähigkeiten im Stand wie auch am Boden gleichermaßen geprüft werden.
Dies sollte nicht nur durch die Punktevergabe, sondern auch durch den Kampfrichter erreicht werden:
Let us now look at the new 13 Article Butokukai Jujitsu Competition Rules which
were completed in 1899:
[...]
12. Since the purpose of the match it to test both the standing and groundwork
abilities of the contestants the referee should caution anyone who seeks to
concentrate on only one of them including those who start a match by kneeling
or lying on the ground without coming to grips
[...]
This is interesting because it is an attempt to shape the contest technically and
not a rule to find a winner. It was inserted to limit the groundwork which if
not included would have meant 100% groundwork contests since it is virtually
impossible to force a contestant to stand up if he does not want to. However
the ‘caution’ had no particular power in the modern sense. The ref could
disqualify a competitor if he thought he deserved it.
Die ein Jahr darauf entwickelten Kodokan-Regeln (für Judo-interne Wettkämpfe) verschoben die Gewichtung noch mehr auf den Stand (neben einem Verbot von Handgelenkshebeln):
They were identical to the Butokukai ones but with three small changes which were (1st) those below shodan (1st Dan) were
not allowed to do Kansetsu-waza (joint-locks). (2nd) The ratio of standing work to
groundwork for those below Shodan should be 70-80% to 20-30% and for those
Shodan and above 60-70% to 30-40% and the (3rd) difference was in article 13 which
was changed to read, “Even 1st Dan and above are not allowed to use toe and finger
locks or ankle and wrist locks.” Maybe the wrist-lock inclusion here was because of a
typo/omission in the earlier Butokukai rules.
Kano hat diese Schwerpunktsetzung laut dem Artikel später auch begründet:
Kano later justified his emphasis on nage-waza by saying that throws were:-
1. Better for physical development.
2. Technically much more difficult to do.
3. Katamewaza can only be done on one opponent at a time (in a combat
situation).
4. Shimewaza is good for rendering unconscious and then binding up but it takes
time to kill or control a strong opponent who can punch or kick his way out of
trouble.
5. Nimble footwork enables a thrower to take on more than one opponent (cf
No.3 above).
6. Concentrating on nagewaza first easily allows newaza to fall in place
afterwards but those who concentrate on groundwork first do not easily go on
to develop good standing work.
Der Autor ist der Meinung, dass ohne die Einschränkung des Bodenkampfes durch das Regelwerk Judo hauptsächlich aus Bodenkampf bestünde:
In the above sets of rules we can easily see the later development of the rules and how
they and we face the same sort of problems today, such as the mixture of groundwork
and standing work. Without rules restricting groundwork, judo would be almost
100% groundwork.
die schrittweise Einführung des Ein-Ippon-Sieges wird allerdings eher mit Zeitgründen begründet:
According to the records between 1897 and 1924 most contests were called Sambon
Shobu (literally 3-ippon matches) but in fact they were fought for the best of threeippons).
The first to get two Ippons won. This slowly changed under pressure of
numbers and gradually contests were fought for just one Ippon. Red & white
(Kohaku) contests and contests among juniors were the first to be fought for one
ippon.
Um übermäßige Bodenarbeit zu verhindern und sich auch von Kosen-Judo abzugrenzen, wurden weitere Regeln erlassen:
In 1925 (Taisho 14). Much stricter rules regarding the transition from standing to
groundwork were introduced. This was a reaction to the Kosen style of judo which
had begun to host its own contests from 1914. Its full name was Teikoku Daigaku
Kosen Senmon Gakko Judo (Imperial University attached Specialist High Schools
Judo) which allowed almost unlimited groundwork. We can surmise that despite the
restrictions on groundwork in the earlier rules they could not have been that
successful.
Jdkberlin bezieht sich weiter vorne auf das Judo, das von Aktiven, ich nehme mal an Wettkämpfern, in einer Schule, in der er BJJ unterrichtet, praktiziert wird.
Das wird wohl modernes Sportjudo sein, mit entsprechendem Zeitdruck bei der Bodenarbeit im Wettkampf und der Einschränkung der Hebel auf Ellenbogenhebel.
Regeln formen eine Sportart.
Scheint mir ähnlich, wie mit den Schimpansen und den Menschen: modernes Sportjudo und Sport-BJJ haben gemeinsame Vorfahren, sich dann in unterschiedlichen (Regel-) Umgebungen weiterentwickelt.
Geändert von Hug n' Roll (07-01-2019 um 15:01 Uhr)
"It‘ s not about who is good or who is bad. It‘ s about who is left.“
Chris Haeuter
Danke Pansapiens für Deine Ergänzung!
-Der User hat den Artikel, den er Dir hat zukommen lassen selber ad hoc nicht gefunden......
"It‘ s not about who is good or who is bad. It‘ s about who is left.“
Chris Haeuter
Ich sehe BJJ als eine krasse Modifikation der alten Techniken mit neuen Zielen.
Klar kommen Techniken aus dem Judo im BJJ vor. Aber durch die unterschiedliche Zielsetzung im Kampf, sind die Techniken komplett auseinander gegangen.
Während der Judoka versucht, 20 Sekunden den Gegner zu fixieren, stürmt der BJJler von einer Position in die nächste. Der BJJler arbeitet, so wie ich das auf Turnieren beobachtet habe, im Boden runder und geschmeidiger und nutzt lieber 3 Übergänge zwischen Techniken, während der Judoka versucht eine Technik durchzusetzen.
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