Zitat von
Aiki5O+
Interessant finde ich in dem Zusammenhang den Vergleich mit Daito-Ryu (Aikijujutsu), in dem sich diese klassiche Unterrichtsmethode zumindest in einigen Linien erhalten hat: Dazu wurde kürzlich im Aikido Journal ein
Interview "Daito-ryu isn't just Hard Aikido" mit Roy Goldberg veröffentlicht. Roy Goldberg ist ein Daito-Ryu Lehrer, der auch auf die klassische Art lernen musste, .
Er [Kiyama] gehört zur Schule, in der der Schüler alles stehlen muss. Es ist ja nicht so, dass er eine Ecke [des Tuches] heben würde und du die anderen drei heben müsstest, er würde dir nicht einmal das Tuch geben! Du musstest die ganze verdammte Sache stehlen. Er hat dir manchmal absichtlich das Falsche gesagt, nur um zu sehen, wie du es herausfindest.
Da haben wir von meiner obigen Fallunterscheidung den Fall, dass jemand in intensiven Kontakt mit dem Lehrer steht und umfassend ausgebildet wird.
Also nicht nur einfach eine Fertigkeit vermitteln sondern eventuell auch noch die Fähigkeit fördern sich selbst was zu erarbeiten.
Früher sollte ja das hier als Analgie verwendete Hochschulstudium zumindest in wissenschaftlichen Fächern befähigen, wissenschaftlich zu arbeiten. Dazu muss man sich natürlich Wissen selbst aneignen können und bekommt nicht alles auf dem Silbertablett vorgekaut serviert.
In betrieblichen Weiterbildungen ist das oft anders: da soll in kurzer Zeit das optimale Ergebnis erzielt werden. Entsprechend wählt man die Methoden.
Da stellt sich dann auch die Frage: sollen die Zielpersonen das Wissen nur anwenden können, sollen sie es selbst weiter geben können, oder sollen die eine Basis bekommen, auf der sie sich weiteres Wissen erarbeiten...?
Bei KK und spirituellen Schulen kommt noch hinzu, dass nicht nur auf der Verstandesebene bzw. mit bewusstem Input gearbeitet wird.
Nur weil der Schüler dann nicht versteht, was die individuelle Anweisung bewirken soll, heißt das nicht, dass die nix bewirkt:
Einmal fuhr er mich an den Strand in der Nähe seines Wohnortes und sagte mir, ich solle einfach da sitzen und "Auf die Welle schauen"! Er stieg in seinen Truck zurück und fuhr los. Ich hatte keine Ahnung, wann er zurückkommen würde oder was ich tun sollte. Also beobachtete ich die Wellen, denn das ist es, was er mir sagte. Schließlich kam er zurück, und später, als wir im Dojo waren, war eine Technik, mit der ich gekämpft hatte, plötzlich etwas einfacher.
da stellt sich die Frage: kann man das Wellenbetrachten in ein standardisiertes Curriculum aufnehmen, oder war es vielleicht nur etwas, was Goldberg in diesem Stadium seiner Entwicklung brauchte und einem anderen nix nützen würde?
Dann hatte ich Schwierigkeiten, einen anderen Herrn zu werfen, und Sensei schaut auf und sagt zu sich selbst: "Was braucht Goldberg? Er braucht eindeutig Zeit, um eine Welle im Regen zu beobachten, weil es eine Änderung herbeiführt." Also lässt er mich im Regen am Strand zurück, und tatsächlich kann ich diese Person später mit Leichtigkeit werfen.
Goldberg reichte es offenbar nicht, dass er nun besser(1) geworden war, nein, er wollte auch noch wissen, wie denn da der Zusammenhang ist.
(ein mir bekannter chinesischer Lehrer, der seit längerem in Deutschland lebt und unterrichtet, hat große Freude an dem Wort "warum". Ich habe den Verdacht, das hat er schon sehr oft von seinen Deutschen Schülern gehört.)
Und ich fragte Sensei, warum, aber er sagt nur: "Goldberg, du Superschwachkopf! Du verstehst nichts! Vielleicht verstehst du eines Tages..”
Das erinnert mich an den Ansatz von Milton Erickson.
Das war nun kein Kampfkünstler sondern Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut.
Es gab ja früher und eventuell auch noch heute den Ansatz, wenn die Leute verstehen würden (oder zumindest eine Erklärung haben), wo ihr Problem liegt ("Psychoanalyse"), würde sich das irgendwie automatisch bessern(2)...
Ericksen dagegen arbeitete mit Anweisungen und Ansagen, die teilweise in keinem unmittelbar erkennbaren Zusammenhang mit dem Störungsbild standen aber eine Veränderung herbeiführte.
Dazu musste der Patient nicht verstehen, was da passierte.
Das setzt allerdings beim Lehrer tiefere Erkenntnis voraus und ist schwierig standardisierbar.
Und es besteht die Gefahr, dass das Leute nachahmen, die diese Erkenntnis nicht haben. Die lassen dann vielleicht Menschen im Regen stehen, lassen die auf Berge steigen oder äußern sich geheimnisvoll..
Aber nicht, weil die erkannt haben, dass die damit beim konkreten Menschen in der konkreten Situation was verändert können, sondern weil das irgendmal ein anderer getan hat und eventuell auch weil die sich in der Rollte des geheimnisvollen Lehrers gefallen.
Dabei sind die nicht geheimnissvoll, sondern ahnungslos und betreiben einen didaktischen Cargokult.
Siehe auch den Kommentar von Mike Sigman unter dem Artikel:
Ich erinnere mich immer an das angebliche Sprichwort von Albert Einstein: "Wenn du ein Thema wirklich verstehst, kannst du es deiner Großmutter erklären".
Wenn du bemerkst, sind die meisten Kampfkunstartikel fast bemüht, nichts zu erklären.... und ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass sie die Antworten kennen, aber sie verstecken sie. Ich denke, es liegt daran, dass normalerweise zu viele Menschen in den Kampfkünsten die Antworten nicht wirklich kennen.
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(1) wenn man Güte in einer KK danach misst, was jemand mit einem anderen machen kann (hier "mit Leichtigkeit werfen")
(2) Siehe die Persiflage in "Die Daltons und der Psycho-Doc", wo jemand auf Frage des Docs erkennt, dass er nur deshalb trinkt, um zu vergessen, dass er als Kind beim Steak immer den Fettrand mit essen musste, obwohl er das hasste. Aufgrund dieser Erkenntnis gibt er - zum Verdruss des Wirtes - nicht nur das Trinken auf, sondern kommt später auch noch in die Kneipe und bestellt sich einen Fettrand, aber ohne Steak..