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Thema: EINMAL zeigen: Didaktik in traditionellen chin. und jap. Kampfkünsten

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  1. #1
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    Standard EINMAL zeigen: Didaktik in traditionellen chin. und jap. Kampfkünsten

    Zitat Zitat von kanken Beitrag anzeigen
    Das Thema der Didaktik finde ich persönlich hochspannend.
    Deswegen fände ich es schade, wenn dieser Beitrag und das Thema in einem Wing Chung Thread untergeht.

    Zitat Zitat von kanken Beitrag anzeigen
    Das traditionelle chinesische System mutet dem Westler extrem chaotisch an. Es ist die konfuzianische Methode und unterliegt strengen Regeln. Entweder man versteht das Gezeigte, oder man ist raus. Der Lehrer zeigt es EINMAL, allerhöchstens noch ein zweites Mal (und dabei hat man eigentlich schon ein Problem), und dann muss man es sich selber merken und erforschen. Es wird einem NICHTS auf dem Silbertablett serviert.

    Am Anfang hatte ich selber meine Probleme damit und habe mehr als einmal über eine (vermeintlich) fehlende Struktur geflucht, ABER mittlerweile halte ich das System für extrem effizient.
    Im Prinzip ist es nichts anderes als das, was man bei einem Hochschulstudium macht. Man hört es einmal, dann muss man es SELBER verstehen und merken, dann muss man üben es anzuwenden und dann kann man DARAUF mit neuem Wissen aufbauen.

    Ein vorgegebenes Curriculum gibt zwar Struktur und gaukelt Qualität vor, aber es hindert den Schüler halt auch am Lernen. Das SELEBER verstehen und strukturieren ist der Schlüssel.

    Natürlich gibt der Lehrer in der traditionellen Methode auch Material nach und nach raus, aber er guckt halt individuell was der Schüler braucht. Niemand ist gleich, alle haben unterschiedliche Vorbildungen. Theoretisch, wie praktisch.

    Das Entscheidende in der traditionellen Methode ist dass der Schüler sich das Gezeigte selber strukturieren und dadurch erarbeiten muss.
    Nach alldem was ich mittlerweile über die Neurobiologie des Lernens weiß, kann ich sagen dass diese Methode die Beste ist, die ich kenne. Nicht umsonst wird in der Schule (und der Uni) immer mehr auf eigenständiges Erarbeiten gesetzt.

    Klar, meine Aufzeichnungen habe ich FÜR MICH strukturiert und mein Vortrag zur Körperarbeit im Bagua ist mittlerweile ca. 4-5 Stunden lang (ohne neurobiologische Grundlagen), ABER das ist nichts was ich Schülern als Curriculum geben würde. So etwas halte ich vor Kollegen (die keine Kampfkunst machen), um den Nutzen dieser Arbeit klar zu machen, Konzepte zu erarbeiten, etc. Das ersetzt nicht das praktische Üben.

    Man kann solche „Zusammenstellungen“ eher als „Bachelorarbeit“, „Masterarbeit“, oder als Promotion sehen. Man stellt zunächst Wissen zusammen und forscht dann auf der Grundlage dieses Wissens weiter. In den KK passiert auch genau das.
    In der Musik passiert auch genau das. Es geht nicht um bloßes Kopieren oder sich durch ein Curriculum hangeln, damit man am Ende einen Abschluss hat.
    Man ist in der Musik, wie in der Hochschulforschung, nie „fertig“. Ein Doktortitel ist erst der Anfang, ab da wird es erst spannend, da man die GRUNDLAGEN verstanden hat. Ab da kann man qualitativ arbeiten, ab da macht es Spaß.

    Die konfuzianische Methode stellt den Schüler in die Verantwortung, ER muss sich das Wissen selber erarbeiten. Wenn er anfängt zu unterrichten, dann wird er auch zwangsläufig die Notwendigkeit sehen sein Wissen zu strukturieren, da man neue Schüler nicht „irgendwas“ zeigen kann. Das Unterrichten ist ein extrem wichtiger Punkt als Schüler.

    Kurz:
    Auf den ersten Blick mag die Lehrmethode der klassischen Systeme „chaotisch“ wirken, auf den zweiten Blick ist sie, in meinen Augen, eine extrem effiziente Methode, vergleichbar mit dem, was in einem Hochschulstudium mit anschließender Promotion verlangt wird.
    Ein Curriculum birgt die Gefahr dass der Schüler sich zurücklehnt und die Verantwortung abgibt, außerdem ist es steif und geht nicht auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schüler ein.
    Das erinnert mich an die Morihei Ueshiba nachgesagte Unterrichtsmethodik, der jede Technik auch nur einmal ohne Erklärungen vorgeführt haben soll. In früheren Threads wurder er deswegen auch als schlechter Lehrer bezeichnet. Gozo Shioda schreibt dazu:
    Zitat Zitat von Gozo Shioda, Aikido Shugyo (1991, deutsche Übersetzung von Stephan Otto 2010), Kapitel 'Lerne es und vergiss es!'
    Die Unterrichtsmethode von Ueshiba unterscheidet sich sehr von den heute gebräuchlichen Methoden. Damals (in den 30er Jahren) zeigte uns Sensei die Technik, die wir üben sollten, um uns eine Idee der Bewegung zu vermitteln. Nie gab er irgendwelche Erklärungen.

    Durch reines Beobachten versuchten wir für uns selbst herauszufinden, wie die Technik funktionierte. Ganz egal, was wir auch taten, Sensei stand daneben und sagte: "Ah! Das ist gut! Das ist gut!" Das war für uns ziemlich frustrierend, weil wir nie wussten, was er meinte! Man mag den Eindruck bekommen, das sei keine besonders nette Art des Unterrichts, aber Sensei fand, genau darum ging es im Budo.

    ... Vieles, was Ueshiba Sensei erklärt hat, verstehe ich erst jetzt (1991). Damals trainierten wir einfach blind weiter, ohne zu wissen, was richtig oder falsch war. Deshalb konnten nur die sehr begabten Schüler die Essenz von Senseis Kampfkunst erfassen.
    In dem Zusammenhang liest man oft die Formulierung, dass der Schüler das Wissen von seinem Lehrer "stehlen" soll.

    Gozo Shioda und Kisshomaru Ueshiba (mit Hilfe von Osawa und Tohei?) entwickelten in den 50er ja ein Curriculum für Yoshinkan bzw. Aikikai, das aber offenbar nicht dazu geeignet ist, dass jeder, der es durchläuft, die Essenz von Ueshibas Kampfkunst erfasst.

    Interessant finde ich in dem Zusammenhang den Vergleich mit Daito-Ryu (Aikijujutsu), in dem sich diese klassiche Unterrichtsmethode zumindest in einigen Linien erhalten hat: Dazu wurde kürzlich im Aikido Journal ein Interview "Daito-ryu isn't just Hard Aikido" mit Roy Goldberg veröffentlicht. Roy Goldberg ist ein Daito-Ryu Lehrer, der auch auf die klassische Art lernen musste, dafür auch noch im fortgeschrittenen Alter erfolgreich Seminare mit skeptischen Sambo-Sportlern durchführen konnte.

    Analog zu einem Hochschulstudio mag diese klassische Lehr-Methode effizient sein, sie ist aber auch elitär, da nur dem, der es verdient, das Wissen, aber in der Regel nur ein Teil dessen, vermittelt wird. Mit der Folge, das das Wissen ganz verloren gehen kann - eine Befürchtung, die ja auch Goldberg in Bezug auf Aiki und Daito-Ryu anspricht.

  2. #2
    Gast Gast

    Standard

    Ich bin der Meinung der Hchschulvergleich hinkt extrem stark.
    es stimt du musst dir ales selber erabeiten aber du wirst regelmässig geprüft, Forschererggebnisse müssen von der Wissenschaft anerkannt werden, man steht im ständigen Vergleich.
    Das selbst erarbeitete muss also vor vielen Instanzen bestand haben.
    In vielen Stilen tümpelt man hingegen im eigenen Teich und traut sich keinen Schritt ins Meer.

  3. #3
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    Standard

    Extrem effizientes Lehrsystem muss a) Wissen und Koennen lehren und b ) SCHNELLSTmoeglich zur praktikablen Reife fuehren.
    Das geht nicht, ohne individuell zu werden. Und dann kommt man mit "friss oder stirb" nicht weiter (egal wie sehr man das als tradtionell raffiniert und komplex, fuer sich erklaert) - weder als Schueler noch als Lehrer.
    Die ungeigneten Schueler "sterben" ganz von selber - in den Topf muss man die Geeigneten nicht auch mit reinwerfen, nur weil man als Lehrer zu faul ist, was zu erklaeren (aber nicht totlabern) und selber mit "anzufasssen". Ich unterstelle dieser Art von "traditionellen" Lehrer jetzt mal Faulheit und Ueberheblichkeit, womoeglich merkt er das selber nicht mal, der teetrinkende Sifu auf dem Stuhl ist ja schon ein Archetyp, eine Art Gott. - natuerlich missverstanden, aber die neuzeitliche Variante ist ist ja nicht totzukriegen: Der mit dem Aktenkoffer hinter dem Bueroschreibtisch, waehrenddessen die Schueler im Raum nebenan allein trainieren und der Senior (relativ gesehen) zum Assisteten verdonnert wird. Ein System mit Auswuechsen also, dass zudem aus Schuelern schlechte Lehrer macht, falls diese nicht selber was auf dem Kasten haben und sich Gedanken machen koennen.

    Ausserdem ist diese Methode fuer einen echten Lehrer ja wohl totlangweilig?!

    Anstelle " traditionelle Methode" kann man es eher eine arrogante Methode nennen - zugute halten will ich, das die, wenn auf "die Alten" Bezug genomme wird, damals keine Ahnung von Didaktik und Paedagogik (wie der Mensch lernt) hatten, faengt ja schon damit an, das Spass und Spieltrieb DIE motivierenden Faktioren ueberhaupt sind. Analyse und Synthese, nachvollziehbar demonstriert ist auch etwas, was man lernen muss/kann. So neu ist das ansich nicht, aber heutzutage ist das Wissen darueber endlich weit gestreut.

    Unter traditionellem unterrichten versteh ich zudem was anderes, das mag nicht der (bzw. einer der) klassichen Definition(en) entsprechen, aber nichts ist in Stein gemeisselt.
    Geändert von Odysseus (11-04-2019 um 04:49 Uhr)
    Das Schweine nicht fliegen köennen, wissen nur die Vögel.

  4. #4
    * Silverback Gast

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    Zitat Zitat von Odysseus Beitrag anzeigen
    ...
    Ausserdem ist diese Methode fuer einen echten Lehrer ja wohl totlangweilig?!
    ....
    Leider aber neben der "traditionellen Komponente" (i.S.v. 'war schon immer so') auch oft noch extrem lukrativ (i.S.v. ' das ist ja Praktisch, die Schüler können ja auch alleine üben' (im Extremfall sogar in mehreren Schulen, die der Lehrer 'mal eben' bereist)). Das ist mit Sicherheit nicht überall der Hintergedanke, aber bei Manchen wohl schon (leider!) ... so i.S.v. "Tradition trifft Moderne" .

  5. #5
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    Vor einiger Zeit las ich hier im Forum sinngemäß:

    Traditionell macht der Asiate erst mal die Übung, Effekte erkennt er währenddessen.
    Sollte er daraus sinnige Rückschlüsse ziehen (also z,B. Kausalitäten erkennen, anwenden können u.s.w.) bekommt er "neuen" oder erweiterten Stoff, der kann sein Üben dann wieder komplett "auf den Kopf" stellen.

    Also erst üben und dann verstehen.

    Modern oder auch westlich, wollen wir erst verstehen (z.B. Kausalitäten u.s.w.) bevor wir trainieren (ne, nicht jeder).

    Die Reihenfolge ist also in beiden Systemen diametral.

    Ich selbst bevorzuge extrem das westliche Modell (wen wundert's). Bzw. eine Mischung.

    Einmal zeigen ist für mich persönlich zu wenig (klar, kann natürlich auch an Einschränkungen in meiner Person liegen). Aber eine grobe Richtungsangabe und dann alleine "prötteln" trifft es für mich persönlich ganz gut.

    Zumal das "traditionelle" eher selektiert, während es im "modernen" eher eine "keiner wird zurück gelassen Mentalität" ist. Will sagen, moderner Unterricht möchte auch den "unbegabten" soweit wie nur möglich fördern.

    Ist zwar "gegen die Natur" (Selektionsdruck) mir jedoch viel näher als der "Die-guten-ins-Töpfchen-die schlechten-ins-Kröpfchen" Ansatz.

    Aus meiner persönlichen Ansicht jedoch ein richtig oder falsch, gut oder schlecht, u.s.w. ableiten zu wollen halte ich für vermessen.

    Außerdem ist der Inhaber des Wissens, aus meiner Sicht, dafür verantwortlich, was er wem, wie oder überhaupt beibringt. Sprich er (oder sie) entscheidet darüber autark.

    Als Wissensempfänger kann man dann nur schauen ob man mit der jeweiligen Methode klar kommt, oder nicht und daraus Konsequenzen ziehen.

    Manche Dinge sind einem eventuell auch wichtig genug sich über persönliche Präferenzen hinweg zu setzen.

    Liebe Grüße
    DatOlli

  6. #6
    * Silverback Gast

    Standard

    Zitat Zitat von DatOlli Beitrag anzeigen
    ...
    Aus meiner persönlichen Ansicht jedoch ein richtig oder falsch, gut oder schlecht, u.s.w. ableiten zu wollen halte ich für vermessen....
    Sehr gut geschrieben

    P.S.: Kommt halt IMHO noch dazu, dass es eben unterschiedliche Lerntypen gibt (was selbst in "der westlichen Didaktik" nur wenige Trainer a) wissen und b) berücksichtigen); und wenn der Lehrer selbst einen anderen Lerntyp verkörpert als der Schüler ... dann kann's ziemlich eng werden .

  7. #7
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    Zitat Zitat von Maddin.G Beitrag anzeigen
    Ich bin der Meinung der Hchschulvergleich hinkt extrem stark.
    es stimt du musst dir ales selber erabeiten aber du wirst regelmässig geprüft,
    -.. und wenn man den in der Vorlesung gezeigten Stoff nicht versteht, kann man in die Bibliothek gehen, ein Buch holen und nochmals nachlesen...

    Aber was macht man denn wenn Sensei eine Technik einmal zeigt und man blöderweise das Smartphone für die Videoaufnahme zuhause liegen gelassen hat?

    Wenn man im Unterricht erreichen will, dass Schüler nicht einfach nur nachplappern oder nachtanzen, sondern verstehen, worum es geht,a und sich den Stoff zu eigen machen... halte ich das Stellen von Problemen, wo die gezeigten Techniken kreativ und effizient eingesetzt werden müssen, für sinnvoller. Ich glaube, Juristen lernen häufig so, an Fallbeispielen (dürfen aber die relevanten Texte immer wieder nachlesen, so oft sie wollen)

    ich bin durchaus froh, dass im Wing Tsun die Form immer in jedem Training am Anfang steht, also regelmässig gezeigt und geübt wird, nicht nur einmal.
    unorthodox

  8. #8
    Gast Gast

    Standard

    Hmm... Ich bin nicht sicher, was konfuzianische und klassische Lehr-/Lernmethode bedeuten. Da schwirrt mir erstmal zu viel Verschiedenes im Kopf rum, und der mögliche Zeitraum ist zu lang.
    Sicher ist meiner Meinung nach jedoch, dass Lernen im konfuzianisch geprägten China extrem strukturiert war - d. h. die Inhalte waren doch sehr genau vorgegeben, was und wie abgefragt wurde etc. Das ist jetzt nur so aus dem Stegreif, ich denke da gibt es viel Material zu, und ich bin da auch nicht allzu tief drin.

    In der Kampfkunst bin ich sehr froh, wenn es gute und ausreichend Erklärung gibt. Bei uns ist es ein unverzichtbarer Teil, die Theorie zu verstehen und darüber nachzudenken, denn nur so kann ich immer effektiver und konsequenter in der angestrebten Richtung üben. Grundsätzlich ist das glaube ich aber bei allen KK so, aber durch unterschiedliche Zielsetzungen und unterschiedliche Komplexheit bezüglich dessen, was körperlich (und mental) ausgebildet werden soll, kann der Anteil und das Ausmaß der Beschäftigung mit der Theorie unterschiedlich ausfallen.

    Kurzum: Der Lehrer sollte die Kunst wirklich durchdrungen haben, sie erklären können, sie zu erklären bereit sein; der Schüler muss ausreichend üben und ausreichend korrigiert werden. Da kann es schnell an mehr als nur einer Stelle hapern..
    Geändert von Gast (12-04-2019 um 08:16 Uhr)

  9. #9
    * Silverback Gast

    Standard

    Zitat Zitat von Julian Braun Beitrag anzeigen
    ...
    Kurzum: Der Lehrer sollte die Kunst wirklich durchdrungen haben, sie erklären können, sie zu erklären bereit sein; der Schüler muss ausreichend üben und ausreichend korrigiert werden. Da kann es schnell an mehr als nur einer Stelle hapern..
    Und das ist IMHO ein springender Punkt, der einen Lehrer von einem "Nur-Athleten" unterscheidet: Der Athlet kennt oft nur seine Perspektive (was er braucht) - der Lehrer muss verschiedene Perspektiven kennen und adressieren können. So als EIN (kleiner) Unterschied.

  10. #10
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    War die Methode des Einmal Zeigens nicht der Grund, warum die Japaner irgendwann die preußischen (Militär-)Ärzte holen mussten, um den eigenen Leuten Medizin beibringen zu lassen? Ich habe vor einer Weile dazu eine Doku gesehen - das Problem war, dass die Methode in Ihrer Perver...Perfektion so aussah, dass der Meister am Patienten rumgedoktorte und die Schüler nur zugucken durften. Erklärungen wurden nicht abgegeben, Fragen waren Tabu. Die Methode war gerade für diesen Bereich halt...suboptimal, deshalb sollten die Preußen dann aushelfen.

    Ich persönlich halte "Einmal zeigen und nichts erklären" für die schlechteste Variante des Lehrens und aus der Sicht des Wissensmanagements ist sie das wahrscheinlich auch.
    Es gibt ein Szenario, bei dem die Methode effizient wäre und das ist, wenn mein Ziel nicht nur die Wissensvermittlung sondern auch das Aussieben von "untalentierten" und "faulen" Schülern ist - in dem Fall wird mir die Arbeit des Schüler-Erziehens abgenommen und ich habe am Ende nur die, die "würdig" sind.
    Das Problem dabei ist allerdings, dass die Menschen immer mobiler werden, die Lehrangebote umfangreicher und der Druck eine KK in Perfektion zu beherrschen immer geringer - das führt letztendlich dazu, dass die asiatischen Ur-KKs zusammen mit ihren Meistern aussterben. Das könnte evtl. auch an der Lehrmethode liegen, weil sie viele ungeschliffene Diamanten schon im Vorfeld aussiebt.

    Frei nach Joe Stalin:
    "Die Quantität hat ihre eigene Qualität"

    Die Evolution der Wissensvermittlung wird die Methode vermutlich sowieso bald erledigen.

  11. #11
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    Zitat Zitat von Aiki5O+ Beitrag anzeigen
    Interessant finde ich in dem Zusammenhang den Vergleich mit Daito-Ryu (Aikijujutsu), in dem sich diese klassiche Unterrichtsmethode zumindest in einigen Linien erhalten hat: Dazu wurde kürzlich im Aikido Journal ein Interview "Daito-ryu isn't just Hard Aikido" mit Roy Goldberg veröffentlicht. Roy Goldberg ist ein Daito-Ryu Lehrer, der auch auf die klassische Art lernen musste, .
    Er [Kiyama] gehört zur Schule, in der der Schüler alles stehlen muss. Es ist ja nicht so, dass er eine Ecke [des Tuches] heben würde und du die anderen drei heben müsstest, er würde dir nicht einmal das Tuch geben! Du musstest die ganze verdammte Sache stehlen. Er hat dir manchmal absichtlich das Falsche gesagt, nur um zu sehen, wie du es herausfindest.

    Da haben wir von meiner obigen Fallunterscheidung den Fall, dass jemand in intensiven Kontakt mit dem Lehrer steht und umfassend ausgebildet wird.
    Also nicht nur einfach eine Fertigkeit vermitteln sondern eventuell auch noch die Fähigkeit fördern sich selbst was zu erarbeiten.
    Früher sollte ja das hier als Analgie verwendete Hochschulstudium zumindest in wissenschaftlichen Fächern befähigen, wissenschaftlich zu arbeiten. Dazu muss man sich natürlich Wissen selbst aneignen können und bekommt nicht alles auf dem Silbertablett vorgekaut serviert.
    In betrieblichen Weiterbildungen ist das oft anders: da soll in kurzer Zeit das optimale Ergebnis erzielt werden. Entsprechend wählt man die Methoden.
    Da stellt sich dann auch die Frage: sollen die Zielpersonen das Wissen nur anwenden können, sollen sie es selbst weiter geben können, oder sollen die eine Basis bekommen, auf der sie sich weiteres Wissen erarbeiten...?
    Bei KK und spirituellen Schulen kommt noch hinzu, dass nicht nur auf der Verstandesebene bzw. mit bewusstem Input gearbeitet wird.
    Nur weil der Schüler dann nicht versteht, was die individuelle Anweisung bewirken soll, heißt das nicht, dass die nix bewirkt:

    Einmal fuhr er mich an den Strand in der Nähe seines Wohnortes und sagte mir, ich solle einfach da sitzen und "Auf die Welle schauen"! Er stieg in seinen Truck zurück und fuhr los. Ich hatte keine Ahnung, wann er zurückkommen würde oder was ich tun sollte. Also beobachtete ich die Wellen, denn das ist es, was er mir sagte. Schließlich kam er zurück, und später, als wir im Dojo waren, war eine Technik, mit der ich gekämpft hatte, plötzlich etwas einfacher.


    da stellt sich die Frage: kann man das Wellenbetrachten in ein standardisiertes Curriculum aufnehmen, oder war es vielleicht nur etwas, was Goldberg in diesem Stadium seiner Entwicklung brauchte und einem anderen nix nützen würde?

    Dann hatte ich Schwierigkeiten, einen anderen Herrn zu werfen, und Sensei schaut auf und sagt zu sich selbst: "Was braucht Goldberg? Er braucht eindeutig Zeit, um eine Welle im Regen zu beobachten, weil es eine Änderung herbeiführt." Also lässt er mich im Regen am Strand zurück, und tatsächlich kann ich diese Person später mit Leichtigkeit werfen.


    Goldberg reichte es offenbar nicht, dass er nun besser(1) geworden war, nein, er wollte auch noch wissen, wie denn da der Zusammenhang ist.
    (ein mir bekannter chinesischer Lehrer, der seit längerem in Deutschland lebt und unterrichtet, hat große Freude an dem Wort "warum". Ich habe den Verdacht, das hat er schon sehr oft von seinen Deutschen Schülern gehört.)

    Und ich fragte Sensei, warum, aber er sagt nur: "Goldberg, du Superschwachkopf! Du verstehst nichts! Vielleicht verstehst du eines Tages..”

    Das erinnert mich an den Ansatz von Milton Erickson.
    Das war nun kein Kampfkünstler sondern Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut.
    Es gab ja früher und eventuell auch noch heute den Ansatz, wenn die Leute verstehen würden (oder zumindest eine Erklärung haben), wo ihr Problem liegt ("Psychoanalyse"), würde sich das irgendwie automatisch bessern(2)...
    Ericksen dagegen arbeitete mit Anweisungen und Ansagen, die teilweise in keinem unmittelbar erkennbaren Zusammenhang mit dem Störungsbild standen aber eine Veränderung herbeiführte.
    Dazu musste der Patient nicht verstehen, was da passierte.
    Das setzt allerdings beim Lehrer tiefere Erkenntnis voraus und ist schwierig standardisierbar.
    Und es besteht die Gefahr, dass das Leute nachahmen, die diese Erkenntnis nicht haben. Die lassen dann vielleicht Menschen im Regen stehen, lassen die auf Berge steigen oder äußern sich geheimnisvoll..
    Aber nicht, weil die erkannt haben, dass die damit beim konkreten Menschen in der konkreten Situation was verändert können, sondern weil das irgendmal ein anderer getan hat und eventuell auch weil die sich in der Rollte des geheimnisvollen Lehrers gefallen.
    Dabei sind die nicht geheimnissvoll, sondern ahnungslos und betreiben einen didaktischen Cargokult.

    Siehe auch den Kommentar von Mike Sigman unter dem Artikel:

    Ich erinnere mich immer an das angebliche Sprichwort von Albert Einstein: "Wenn du ein Thema wirklich verstehst, kannst du es deiner Großmutter erklären".
    Wenn du bemerkst, sind die meisten Kampfkunstartikel fast bemüht, nichts zu erklären.... und ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass sie die Antworten kennen, aber sie verstecken sie. Ich denke, es liegt daran, dass normalerweise zu viele Menschen in den Kampfkünsten die Antworten nicht wirklich kennen.

    -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
    (1) wenn man Güte in einer KK danach misst, was jemand mit einem anderen machen kann (hier "mit Leichtigkeit werfen")

    (2) Siehe die Persiflage in "Die Daltons und der Psycho-Doc", wo jemand auf Frage des Docs erkennt, dass er nur deshalb trinkt, um zu vergessen, dass er als Kind beim Steak immer den Fettrand mit essen musste, obwohl er das hasste. Aufgrund dieser Erkenntnis gibt er - zum Verdruss des Wirtes - nicht nur das Trinken auf, sondern kommt später auch noch in die Kneipe und bestellt sich einen Fettrand, aber ohne Steak..
    Geändert von Pansapiens (14-04-2019 um 17:16 Uhr)

  12. #12
    * Silverback Gast

    Standard

    Zitat Zitat von Pansapiens Beitrag anzeigen
    ...
    Das erinnert mich an den Ansatz von Milton Erickson.
    Das war nun kein Kampfkünstler sondern Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut.
    Es gab ja früher und eventuell auch noch heute den Ansatz, wenn die Leute verstehen würden (oder zumindest eine Erklärung haben), wo ihr Problem liegt ("Psychoanalyse"), würde sich das irgendwie automatisch bessern(2)...
    Ericksen dagegen arbeitete mit Anweisungen und Ansagen, die teilweise in keinem unmittelbar erkennbaren Zusammenhang mit dem Störungsbild standen aber eine Veränderung herbeiführte.
    Dazu musste der Patient nicht verstehen, was da passierte.
    Das setzt allerdings beim Lehrer tiefere Erkenntnis voraus und ist schwierig standardisierbar.
    Und es besteht die Gefahr, dass das Leute nachahmen, die diese Erkenntnis nicht haben. Die lassen dann vielleicht Menschen im Regen stehen, lassen die auf Berge steigen oder äußern sich geheimnisvoll..
    Aber nicht, weil die erkannt haben, dass die damit beim konkreten Menschen in der konkreten Situation was verändert können, sondern weil das irgendmal ein anderer getan hat und eventuell auch weil die sich in der Rollte des geheimnisvollen Lehrers gefallen.
    ...
    Das nach Erickson benannte "Milton-Sprachmodell" ist schon etwas, was nach außen hin leicht trivial anmutet, aber tatsächlicher ein ziemlich virtuoses "Sprach-Instrument" ist (das im Wesentlichen mit dem Element der "gekonnten Verwirrung" sprachlich spielt). In aller Regel haben die Patienten / Klienten von Erickson gar keine Hntergrundinfos bekommen ... aber es gab sehr oft wohl eine Veränderung; was es allerdings nie gab, war eine Aufklärung des Patienten/ Klienten. Das mag wohl bei manchen KS-/KK-Lehrer identisch sein (IMHO in traditionellen Ansätzen meist normaler, als in modernen "didaktischen" Linien), und kann ja auch durchaus von einer Lehrergenialität zeugen ... ob das aber sehr schülergerecht ist, wage ich mal einfach zu bezweifeln. Just my 2 cents.

  13. #13
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    Das nächste Problem, das aus der Methode "Zeigen und nichts/wenig erklären" erwächst, ist, dass diese Schüler dann irgendwann selber Lehrer werden. Und im Gegensatz zur Hochschule, wo man erst Dozent wird, wenn man das Verständnis des Stoffes durch Prüfung und später durch peer-reviewte Veröffentlichungen bewiesen hat, mangelt es doch in so manchen deutschen Dojos an eben diesem Beweis des Verständnisses. Im Kampfsport wird dieser Beweis idR auf der Matte erbracht. Was aber, wenn der Schüler auf der Matte mit einem anderen Regelsystem arbeiten muss als in der Gürtelprüfung (zb im deutschen Karate ist das so), oder möglichweise überhaupt niemals am unkooperativen Partner übt?
    Wird so ein Schüler dann selber Lehrer, dann sind die Schüler der zweiten Generation hoffnungslos verloren.

  14. #14
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    Zitat Zitat von Inumeg Beitrag anzeigen
    Das nächste Problem, das aus der Methode "Zeigen und nichts/wenig erklären" erwächst, ist, dass diese Schüler dann irgendwann selber Lehrer werden. Und im Gegensatz zur Hochschule, wo man erst Dozent wird, wenn man das Verständnis des Stoffes durch Prüfung und später durch peer-reviewte Veröffentlichungen bewiesen hat, mangelt es doch in so manchen deutschen Dojos an eben diesem Beweis des Verständnisses. Im Kampfsport wird dieser Beweis idR auf der Matte erbracht. Was aber, wenn der Schüler auf der Matte mit einem anderen Regelsystem arbeiten muss als in der Gürtelprüfung (zb im deutschen Karate ist das so), oder möglichweise überhaupt niemals am unkooperativen Partner übt?
    Wird so ein Schüler dann selber Lehrer, dann sind die Schüler der zweiten Generation hoffnungslos verloren.
    Ich denke mal, wir gehen ja von einem post von Kanken aus, und bei dem würde das glaube ich kämpferisch überprüft, ob jemand Lehrer wird; dass begrenzt fähige Leute Lehrer werden passiert also tatsächlich nur, wenn man systematisiert ohne zu überprüfen....

    Ein System, und sei es noch so gut erdacht, kann nicht die Gesamtheit des Könnens des Lehrers abbilden (außer vielleicht in der Mathematik...). Es führt also notwendigerweise dazu, dass der Schüler nicht ganz ernst genommen wird und am Ende weniger kann. Je mehr Konzentration auf die angebliche Wahrheit des Systems, statt auf die Praxis des Lehrers, desto mehr ist das der Fall. (Nicht mein Gedanke, Jacques Rancière) Die meisten Lehrer und Schüler wollen das so. Aber so vorzugehen wie Kanken hier zitiert wird ist die einzige Möglichkeit, Übertragung auf höchstem Niveau hinzubekommen.

    Dass das einem Hochschulstudium so ähnlich sein soll sehe ich jetzt allerdings nicht ganz, aber das ist ja vielleicht auch nicht zentral.
    Geändert von aikibunny (15-04-2019 um 19:11 Uhr)

  15. #15
    carstenm Gast

    Standard

    Zitat Zitat von aikibunny Beitrag anzeigen
    Ein System, und sei es noch so gut erdacht, kann nicht die Gesamtheit des Könnens des Lehrers abbilden ...
    Ist es nicht gerade Dans Ansatz, "die Gesamtheit des Könnens" in einem System abzubilden, da die Methode des Stehlens s.E. nicht "funktioniert"? Bzw. da die Erfahrung zeigt, daß Lehrer durchaus nicht alle Schüler immer nur "stehlen" lassen?
    And if so, wäre dann nicht aus dieser Pespektive gerade Roy Goldberg, der hier ja als Beispiel angeführt wird, ein Beispiel gegen diese Methdoe des Stehlens und Einmalzeigens?

    Ich kenne es gleichermaßen aus dem japanischen und chinesischen Kontext so, daß das Stehlen und einmal zeigen nicht grundsätzliche Unterrichtsmethode ist, sondern lediglich ein Tool, um zu entscheiden, welche Schüler für welche differenzierte systmatische Unterweisung geeignet sind. Bzw. ob ein Schüler dafür überhaupt in Frage kommt. Ich habe umgekehrt -in daitô ryû und auch in koryû - sogar erlebt, daß Schüler, die gar nicht zu der jeweiligen Schule gehören, dennoch in Arkana der Schule unterwiesen wurden, einfach weil sie aufgrund ihres "Stehlens" die "richtigen Fragen" gestellt haben.

    Es ist aus meiner Sicht gerade diese Art der Verbindung der Erfahrung von "Praxis des Lehrers" mit der differenzierten Vermittlung der - häufig kontraintuitiven - "Wahrheit des Systems", die den Unterricht japanischer und chinesischer Schulen so effektiv macht.

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    Letzter Beitrag: 11-06-2006, 15:36

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