Die verstehen sehr wenig , die nur das verstehen , was sich erklären lässt. ( Marie v. Ebner-Eschenbach)
Ich sollte vielleicht an dieser Stelle ein paar Dinge noch weiter ausführen:
1. Es kommt immer auf die Rahmenbedingungen und das gesamte Pensum an
Man könnte auch sagen, Trainingsphilisophie oder –System. Es gibt enorm viele Systeme, die hervorragende Ringer produziert haben. Manche davon mehr als andere, manche nur eine Zeit lang (wobei man dann nachschauen sollte, ob nicht eventuell bestimmte Regeln oder Regeländerungen das bedingt haben). Fast immer spielt es auch eine Rolle, aus welchem Pool diese Systeme denn ihre Sportler ziehen konnten; wenn ich jedes Jahr zehn gute Leute verschleissen kann, um einen Champion zu produzieren, für den der Plan aufgeht – super. Wenn ich pro Jahrzehnt nur einmal einen Jungringer finden kann, der das Zeug für ganz oben hat, muss ich vorsichtiger sein. Jedes dieser Systeme legt unterschiedlichen Wert auf bestimmte Trainingsmittel auf der Matte (freies Ringen mit viel oder wenig Widerstand, Auskämpfen von Standardsituationen, Drillen mit Partner, Drillen ohne Partner) als auch abseits davon (Spezialübungen mit und ohne Gerät, unspezifischere Trainingsformen). Generell kann man aber beobachten, dass sich bestimmte Dinge ausgleichen – extrem viel von a heisst meist wenig(er) von b etc. Um das mit
Wenn ich ein extrem hohes Mattenpensum fahre, kann, ja, muss ich sogar notwendigerweise meine anderen physischen Aktivitäten einschränken. Daraus folgt, dass ich nur die Dinge mache, die ich muss, also ein bisschen Ausgleichsübungen, bisschen Grundlagenausdauer, ein paar Sprints, Übungen für meine Stärken und Schwächen. Alles, was darüber rausgeht, wird mir wahrscheinlich mehr schaden als nutzen. Hier gilt es dann auch, verschiedene Aspekte abzuwägen, nicht nur Zeitaufwand, sondern auch Erholungsfähigkeit – sicher, ich kann mich mit 1-2 Sätzen Tabatas pro Körperteil in 20-30 Minuten voll an die Wand fahren; aber wenn das dann tagelang mein Mattentraining beeinträchtigt, ist es der falsche Weg. Das kann recht individuell sein – ich war z.B seinerzeit Leichtathlet und habe 0 Einschränkungen am nächsten Tag oder am Abend des gleichen Tages, wenn ich locker laufen gehe – im Gegenteil, es lockert mich aus und entspannt mich. Das Airdyne macht mich dagegen total fertig, und ich merke es meistens eher zwei Tage als einen Tag. Rudern dagegen powert mich kurzfristig aus wenn ich ans Limit gehe, ich bin nach kurzer Zeit aber wieder fit. Und so weiter. Manche Dinge mache ich deswegen nie vor einem Mattentraining, andere vielleicht gar nicht. Wieder andere kann ich gut nach dem Mattentraining machen. Damit wären wir bei
2. Es kommt auf die Person an
Wenn ich neu in einem Kampfsport bin und schon viel Kraft (egal ob vom Bauernhof oder aus dem Kraftraum) mitbringe, dann ist mein Anliegen Nr. 1, meine Mattenzeit zu maximieren. Je stärker ich bin, desto schwieriger, zeit- und energieaufwändiger ist es, noch stärker zu werden – mal abgesehen davon, dass es den point of diminishing returns gibt. Das heisst nicht, dass man einfach so in die erwähnten Trainingspensen einsteigen kann und soll; man kann versuchen, darauf hinzuarbeiten, sollte aber die Intensität und den Umfang unbedingt an das eigene Level anpassen.
Wenn ich dagegen mein ganzes Leben lang Schreibtischtäter war, nur zwei oder dreimal pro Woche im Verein trainieren kann, aber mehr Zeit und Energie habe, werde ich von ausgleichendem Training profitieren. Das gilt zunächst mal für praktisch jede Form, die nicht Verletzungen etc. produziert. Bestimmte Prinzipien – ein bisschen Training für Maximalkraft, ein bisschen für Kraftausdauer, ein bisschen für Schnellkraft, ein bisschen für turnerische Fähigkeiten, ein bisschen Grundalgenausdauer (wobei es jeweils verschiedene mögliche Wege gibt) – sind eine gute Leitlinie. Sicher kann man auch hier feintunen, aber das ist eine Wissenschaft für sich.
Und dann gibt es natürlich unzählige Varianten dazwischen mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen: Kann ich 6x pro Woche auf der Matte trainieren, bin aber 3x davon allein? Kann ich auf 5x Training mit Partner kommen, wenn ich dafür 2x 3 Stunden Fahrt in Kauf nehme? Was sagt meine Verletzungshäufigkeit dazu? Etc.
Ja, ich habe auch von einem ehemaligen Trainingspartner von Karelin gehört, der hätte vor allem mit Partner und Gummiband trainiert. Ich glaube das auch – was diesen zugegebenermassen kurzen Zeitabschnitt angeht. Andererseits hat Karelin auch nachweislich schwer gehoben, Zercher Deadlifts mit 190 kg auf Wiederholungen gemacht, alternierende Curls mit 32 kg Kettlebells usw. Ein Sportler bewegt sich immer zwischen dem, was er kann und dem, was er muss. Soll heissen: erstens gibt es Periodisierung über das Jahr, zweitens eine Periodisierung über die Laufbahn. Beide sind abhängig von den Voraussetzungen und der (Verletzungs-) Biographie eines Sportlers, ebenso dem System, in dem er sich bewegt. Wenn der junge Karelin sich so viel Kraft antrainiert hat, dass es für vier Olympiaden reicht, muss er vor der letzten nicht mehr wirklich schwer heben (vor allem nicht, wenn ihm so schon alle Gelenke vom jahrelangen Missbrauch wehtun und er mehr davon profitieren würde, sich alle Kämpfe seiner Gegner auf Video anzuschauen). Ich habe die unterschiedlichsten Ringer-Biographien erlebt – manche werden im Ruhestand zu Kraftdreikämpfern, andere zu Kletterern, wieder andere zu Marathonläufern oder Triathleten. Andere machen gar nichts mehr ausser Gartenarbeit (was nicht heisst, dass die dann nichts mehr auf dem Kasten haben können – nur die Harten kommen in den Garten Tendenziell sind diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer mehr Verschleiss haben meist irgendwann gezwungen, zurückzuschalten. Das kann heissen, dass sie ihr Zusatztraining reduzieren oder umgekehrt die Matte, je nachdem, wo es denn zwickt. Irgendwann macht man dann am Ende vielleicht nur noch Maschinentraining für die Strandfigur
Was heisst das im Klartext? Ich kann nach den ältesten Systemen trainieren oder nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, solange es für mich funktioniert. Ich kann Gewichte heben – muss ich nicht. Ich kann Übungen wie Anreissen auf der Bank gewinnbringend einbauen oder sogar einen Kraftstandard dafür festlegen, oder ich kann sie kompensieren. Ich kann versuchen, mit meinen Übungen möglichst nahe an meine Techniken zu kommen – ist jahrzehntelang mit Erfolg gemacht worden, lange lange bevor jemand jemals von «functional training» gesprochen hat. Ich kann mein Kraft- und Konditionstraining recht generell halten, dafür mehr auf der Matte trainieren und damit extrem erfolgreich sein. Ich kann mich dabei fertigmachen oder entspannen, je nachdem was sonst so ansteht (hey, Kyle Dake hat sein Konditraining mordsmässig zurückgefahren und schwört drauf…). Ich kann bestimmte Aspekte sehr stark betonen und andere vernachlässigen, ich kann bestimmte Trainingsmittel vergöttern und andere verteufeln, wenn das zu meinen Voraussetzungen und meinem Stil passt. Oder ich kann damit extrem an die Wand fahren (oder auch nur etwas hinter meinem Potential zurückbleiben), wenn ich mich verkalkuliere.
Es stehen also sehr viele Wege offen. Ich rate generell dazu, den richtigen Ansatz mit den Ringtrainern zu besprechen. Es scheint grad modern zu sein (insbesondere unter «strength and conditioning experts») zu betonen, wie wenig Ahnung die denn hätten, und es wäre doch LÄNGST und EINDEUTIG bewiesen, dass man X machen müsse und Y sowas von vorletztem Jahrhundert wäre. Aber wenn man einen von denen mal in den Mattenbetrieb holt, kotzt er in aller Regel innerhalb einer Stunde seinen Proteinshake auf die Matte – was zeigt, dass er eben auch nicht so viel Ahnung von der dortigen Realität hat, wie er gerne glauben würde – mal ganz abgesehen davon, dass Wissenschaft nicht so funktioniert, wie man ihm das in dem Onlinekurs weissgemacht hat.
In diesem Sinne
Period.
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