Die traditionellen Kampfkünste (im Sinne von ursprünglich mal im Militär und zivilen Bereich mit Waffen ausgeübt) haben verschiedene Probleme.
1. Durch den Wandel in der Kriegsführung und Technologie wurden Klingen und Bögen so gut wie überflüssig, dadurch musste das traditionelle Training umgestellt werden. Weg vom Ringen und Anwendungen mit den Waffen, hin zur modernen Kriegsführung.
2. Umstellung der Regierungssysteme und „Klassen“ (im weitesten Sinne). Dadurch wurden viele Bereiche, neben dem Militär, umorganisiert in denen früher die „traditionellen“ Kampfkünste ausgeübt wurden.
Auf Okinawa/ Japan wurde der Adel „abgeschafft“ und musste nun keine Ordnungsfunktion mehr übernehmen, das würde durch die neue „Polizeistruktur“ mit „modernen“ Methoden übernommen.
In China wurde das Yamen-System abgeschafft und die Yayi, die sonst als Leibwächter, Kopfgeldjäger oder Steuereintreiber gearbeitet haben, wurden durch neue Polizeibeamte mit modernen Waffen und Methoden ersetzt (siehe Faibairn).
3. In China und Okinawa/Japan wurden die „traditionellen“ Kampfkünste, die dort als „rückständig“ angesehen wurden (Stichwort „Sick man of Asia“), auf Grund von unterschiedlichsten Motiven, abgeändert und zur Leibesertüchtigung nach preußischen Vorbild eingesetzt. Das hatte aber zur Folge dass man sich nur auf die Förderung der Körperertüchtigung konzentrierte und die alten Methoden (also Kampf mit Klinge, Ringen und Bogenschießen) nicht mehr geübt wurden. Kurz: Weg von partnerorientierten Training (sprich „Anwendungen First“) hin zu „Gruppengymnastik“ (sprich „Formen/Kata“).
4. Bei der Übertragung in den Westen wurde sehr oft diese „reformierte“, „alte“, Kampfkunst als traditionelle Kampfkunst missverstanden, da das Wissen nicht vorhanden war dass die alten Methoden abgeändert wurden um den Volkskörper zu stärken.
5. Im Westen wurde also hauptsächlich Körperarbeit/Gymnastik als „traditionelle Kampfkunst“ geübt, manchmal noch mit der Adaption an den modernen Wettkampfsport (Wettkampfkarate, Sanda, etc.).
6. Asiatisches Flair klang bei einer gewissen Klientel Ende des 20. Jhd. cool und traf den Nerv der Zeit (Kung Fu Hype, New Age etc.).
7. Wer friedlich und gewaltablehnend war fand sich beim Tai Chi wieder, wer sich hauen wollte ging, mangels Alternative, zum Karate und/oder Kung Fu, bzw, TKD.
8. Sowohl die Chinesen, als auch die Japaner, entdeckten das Geschäftspotential hinter dem Interesse an den „traditionellen“ Kampfkünsten und bauten darum eine Marketingmaschiene auf.
9. Heutzutage gilt das als „traditionell“ was die Mehrheit glaubt das es ist (Shaolin, „Okinawakarate“, Wudang etc.).
10. Dadurch sind in den „traditionellen“ Kampfkünsten heutzutage eher nicht mehr diejenigen, die wirklich noch die gewalttätige Seite darin suchen.
Diejenigen, die das Ende des 20. Jhd. taten, merkten, mehr oder weniger schnell, dass die „Gymnastikkampfkunst“ nicht wirklich praxistauglich war und wechselten entweder zu „moderneren“ Sachen, oder kreierten ihr eigenes Ding (letzteres oft auch um Geld zu verdienen, der Markt ist groß).
11. Die wenigen, die noch die wirklich alten Methoden kennen, findet man im großen Grundrauschen der „Kampfkunstwelt“ oft gar nicht, bzw. können viele auch gar nicht einschätzen was wirklich „alt“ ist und was nur eigenkreierter Mist ist.
Man muss nur mal bei YT nach „Bagua Applications“, „Tai Chi Applications“, „Kata Bunkai“ etc. suchen und sich angucken was man da gezeigt bekommt.
„Traditionell“ müßten da jede Menge ringerischere Anwendungen drin sein (die man in jedem Ringerstil der Welt kennt) und jede Menge Anwendungen mit Schwert und Speer. Viel Spaß beim suchen (sagt nicht ich hätte euch nicht gewarnt
)
Das Problem „viele Menschen wissen heute gar nicht was Gewalt ist“ würde ich nicht auf die „traditionellen Kampfkünste“ anwenden, denn das ist ein generelles Problem. Leute, die da einen realistischen Blick drauf haben, suchen sich eh das zusammen was sie, für ihre spezielle Lebensrealität, brauchen.