Zitat von
kelte
Im Gegensatz zu der Meinung der Leute hier reicht die Einwilligung nicht aus, um Todesfälle oder schwere Verletzungen im Boxen abzudecken, einfach deshalb, weil diese Einwilligung sittenwidrig ist.
Zitat von
Pansapiens
Es geht nicht um die Sittenwidrigkeit der Einwilligung, sondern um die Sittenwidrigkeit der Tat, in die eingewilligt wird.
Sobald die KV nicht sittenwidrig ist, bewirkt die Einwilligung, das die KV nicht rechtswidrig ist.
Zitat von
kelte
Ich verstehe ja dein Bestreben, dass Pferd von hinten aufzuzäumen, aber hier muss ich dich leider enttäuschen:
Der BGH schreibt eindeutig von der Sittenwidrigkeit der Einwilligung und nicht von der Sittenwidrigkeit der Tat, so wie du es gerne hättest und für deine Argumentation brauchst.
Hervorhebungen von mir
Zitat von
kelte
Unwirksamkeit der Einwilligung in die Körperverletzung wegen Sittenwidrigkeit
BGH, 22.01.2015 - 3 StR 233/14
schaun wir mal:
cc) Selbst wenn in solchen Regelübertretungen lediglich Exzesse der Einzelnen zu sehen wären, was einer grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung des jeweils anderen Teils insoweit nicht entgegen stünde, erweisen sich die festgestellten Körperverletzungshandlungen bei den verabredeten Schlägereien in der durchgeführten Art und Weise durch Mitglieder der Vereinigung als rechtswidrig, weil es sich dabei trotz der Einwilligung um sittenwidrige Taten im Sinne von § 228 StGB handelte. Hierzu gilt:
36
(1) Wann eine Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht immer einheitlich beurteilt worden.
[...]
besteht Einigkeit, dass wegen des Erfordernisses der Sittenwidrigkeit der Tat und nicht der Einwilligung das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB maßgeblicher Anknüpfungspunkt (Hirsch aaO, S. 193) und dass wegen des Grundsatzes der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens der Sittenverstoß eindeutig sein müsse
[...]
Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung insoweit, als die Bejahung der Sittenwidrigkeit der Tat in den Fällen,
[...]
Diese Grundsätze wirken sich beim tateinheitlichen Zusammentreffen von Körperverletzungstaten - wie hier etwa nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - einerseits und Beteiligung an einer Schlägerei andererseits dahingehend aus, dass die - rechtswidrige und schuldhafte - Verwirklichung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Körperverletzungstat im Sinne von § 228 StGB führt
[...]
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Die Sittenwidrigkeit der Tat aufgrund der Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB ist zudem nicht nur in den Fällen gegeben,
[....]
Der Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat kann nicht entgegengehalten werden,
[...]
ob die durch die Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB bedingte Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlungen
[...]
führt der genannte Verstoß gegen die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB.
[...]
Der aufgezeigten Lösung - dem Abstellen auf die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Begründung der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB
[...]
dass es für die Frage der Sittenwidrigkeit der Tat ohne Bedeutung sei,
[...]
Nach den oben dargelegten Maßstäben ist die Sittenwidrigkeit der Tat belegt, so dass die von der Strafkammer festgestellte Einwilligung der Teilnehmer keine rechtfertigende Wirkung entfalten konnte.
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/14/3-233-14.php
Mir scheint, auch der BGH spricht, entgegen Deiner Wahrnehmung, eindeutig von der Sittenwidrigkeit der Tat und nicht der Sittenwidrigkeit der Einwilliung.
Gesetzgeber, Bundesrichter und Rechtswissenschaftler (die Autorin der Dissertation) scheinen sich da einig.
In dem Urteil wird auch auf die Abgrenzung zu Kampfsport eingegangen:
Für das Abstellen auf gesetzliche Wertungen, die auch die Art und Weise der Körperverletzungshandlung betreffen, spricht weiter, dass so die insbesondere von der Revisionsbegründung des Angeklagten R. aufgezeigten Wertungswidersprüche nicht auftreten, die entstehen könnten, wenn allein mit Blick auf die Schwere des potentiellen Körperverletzungserfolgs die körperlichen Auseinandersetzungen von Hooligans oder anderen rivalisierenden Gruppierungen wegen der Sittenwidrigkeit der Tat als strafbare Körperverletzungen verfolgt würden, andererseits aber die in Box-, Kickboxo- der gar sogenannten Freefight-Kämpfen wechselseitig zugefügten, teilweise erheblichen Körperverletzungshandlungen in aller Regel straflos blieben: Unabhängig von der Frage, ob die Verletzungsgefahren in diesen Fällen wegen des Vorhandenseins überprüf- und durchsetzbarer Regeln sowie der Anwesenheit von Schiedsrichtern und Ringärzten tatsächlich deutlich geringer sind, und davon, ob tatsächlich ein rechtlich anzuerkennendes gesellschaftliches Interesse an der Ausübung solcher Wettkämpfe besteht, das gegebenenfalls die Hinnahme des Risikos erheblicher Gesundheits- oder gar Lebensgefahren durch die Rechtsordnung begründen könnte (so Dölling, ZStW 1984, 36, 64; im Ergebnis auch Jäger, JA 2013, 634, 637), ist die unterschiedliche Behandlung dieser Fallgestaltungen bereits dadurch gerechtfertigt, dass es für die Fälle der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff durch mehrere eine gesetzliche Regelung gibt, die dies als strafwürdiges Unrecht normiert, eine solche für tätliche Auseinandersetzungen von Einzelpersonen hingegen fehlt.
Also:
Wenn bezüglich der (Un)Wirksamkeit der Einwilligung allein auf die mögliche Schwere der Verletzungen abgehoben würde, sähe auch der BGH einen Widerspruch in der Zulässigkeit von Boxwettkämpfen.
Daher wird auf weitere Unterschiede hingewiesen:
Auf die Existenz des Paragraphen § 231 StGB:
Beteiligung an einer Schlägerei
(1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist.
Daneben wird auf die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen und ein eventuell vorhandenes öffentliches Interesse bezüglich Kampfsportveranstaltungen hingewiesen.
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kelte
Mir ist nicht ganz klar, wo du zwischen einem selbstverschuldeten Todesfall und einem beobachteten Unfall Parallelen siehst.
Unterlassene Hilfeleistung ist durchaus geeignet, einem Menschen zu schaden und dessen Tod zu verursachen, was - nach Deiner Aussage - Deiner Erziehung widerspricht.
Du machst ja hier auch einen Vorwurf an den Trainer, der durch eine Unterlassung (den Kampf früher abzubrechen) den Tod seines Sportlers mit verursacht habe.
Zitat von
kelte
Vielleicht kann ich meine Gedanken etwas besser erklären, wenn ich die hier diskutierten Todesfälle etwas verallgemeinere:
Wenn ich bei meiner Arbeit -völlig unbeabsichtigt- einen Menschen töten und seinem Kind den Vater nehmen würde, hätte das mit Sicherheit absolut verheerende Auswirkungen auf mein weiteres Leben, mein Selbstverständnis, mein Selbstwertgefühl. Ich bin mir sicher, dass ich den Job auf absehbare Zeit nicht mehr machen könnte.
das wundert mich nun ein wenig, schriebst Du doch im anderen Thread, dass Du aus eigener Erfahrung (als VK-Sportler) weißt, dass durch VK-Sport die Empathiefähigkeit aberzogen wird und Dein Bedauern gegenüber von Dir verletzten Sportlern nur gespielt gewesen wäre...
Ich kann nicht einschätzen, ob ich meinen Job weitermachen könnte, wenn ich den Tod eines Menschen verursachen würde, mir scheint, hinge aber auch stark von den Umständen ab (grob fahrlässig, fahrlässig, unvermeidbar...?)
Wenn ein Lokführer im Schnitt zwei Menschen tötet, wird wohl kaum jeder nach dem ersten Vorfall hinschmeißen.
Polizisten, die Leute erschießen, quittieren ja auch nicht alle den Dienst.
Autofahrer, die tödliche Unfälle verursachen, geben den Führerschein wohl nicht alle ab.
Bürgermeister, die für schlecht gesicherte Großveranstaltungen mit totgetrampelten Menschen mitverantwortlich sind, kleben an ihrem Sessel.
Obama ist auch nicht zurückgetreten, wegen den tausenden Drohenopfern, die er mit zu verantworten hat, genauso wenig, wie Joschka Fischer seinen gutdotierten Ministerjob hingeworfen hat, weil durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien, dem er als Mitglied der Bundesregierung zugestimmt hatte, "Kollateralschäden" in der Zivilbevölkerung auftraten.
Gut, da kann man von "höherem Rechtsgut" schwafeln...
Ich hab selbst schon erlebt, wie sich Ärzte winden, die Verantwortung für Fehlleistungen in ihrem Bereich zu übernehmen, bei denen Menschen schwer geschädigt werden.
Das einzige Rechtsgut, dass da bedroht war, war das Vermögen bzw. Einkommen des Arztes...
Mir scheint, es gibt jede Menge, auch hoch angesehene, Menschen, die die Probleme, von denen Du annimmst, dass Du die "mit Sicherheit" hättest, nicht hätten.
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kelte
Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir Menschen Nachrichten schreiben würden, die sinngemäß auf ein "Lass dich nicht unterkriegen, du hast alles richtig gemacht, mach weiter!" hinauslaufen.
Ich kann mir schon vorstellen, dass ein Lokführer, der einen Selbstmörder überfahren hat, solche Nachrichten bekäme.
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kelte
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich am nächsten Tag zu meiner Sekretärin gehe und sage:
"Frau Müller, setzen Sie mal nen Nachruf für den Meier in die Zeitung ... Sie wissen schon, der Kleine, der immer so schwer zu sehen war und der vom Gabelstapler überfahren wurde. Schreiben Se mal, das wir alle untröstlich sind und den Meier als netten Kollegen in Erinnerung behalten werden. Und schauen Se mal zu, dass Sie ne Feier oder so organisiert kriegen, wo die Kollegen und andere Leute aus dem Gewerbegebiet ein bissl Geld spenden. Die Meiers hatten es nicht so dicke, die brauchen Geld.
Wie stehe ich denn sonst da.
das erscheint mir eher normal
Ich gehe sogar davon aus, dass die Mehrzahl der öffentlichen Betroffenheitsbekundungen von Funktionsträgern dem Ansehen des Funktionsträgers dienen und nicht Ausdruck einer wirklich empfundenen Betroffenheit sind.
Kann natürlich Projektion sein.
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kelte
Und sagen Se der Tussi von der Presse, der Meier hatte freiwillig hier gearbeitet, den hatte niemand gezwungen. Der hatte sogar darum gebettelt eingestellt zu werden, weil seine Frau schwanger war."
Das Arbeitnehmer in Deutschland meist freiwillig arbeiten, ist wohl genauso Allgemeinwissen, wie, dass Profiboxer freiwillig boxen und braucht nicht extra erwähnt werden.
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kelte
Erkläre mir mal bitte, warum funktioniert das beim Boxen, ohne dass das jemand merkwürdig findet?
Du findest das doch merkwürdig. Ich finde eben, dass das auch außerhalb vom Boxen "funktioniert".
Boxen ist auch in diesem Sinne keine Anomalie.